Ein Mädchen verschwindet - genau an der Stelle, an der vor dreiunddreißig Jahren ein anderes Mädchen vergewaltigt und ermordet wurde. Das Verbrechen verstört nicht nur Polizei und Öffentlichkeit, sondern auch einen der beiden damaligen Täter ...
Niemand weiß besser als Kimmo Joentaa, wie es sich anfühlt, einen geliebten Menschen zu verlieren. Wenn die Angst der Gewissheit weicht, dass der andere fort ist. Für immer. Deshalb hütet sich der Kriminalkommissar aus Turku davor, den Eltern von Sinikka Vehkasalo zu widersprechen. Ihnen die Hoffnung zu nehmen, dass ihre Tochter noch leben könnte. Auch wenn er es besser weiß. Wissen muss. Denn die Parallelen sind zu offensichtlich. Wenn dreiunddreißig Jahre nach dem ungeklärten Mord an einem jungen Mädchen an genau der gleichen Stelle ein anderes Mädchen unter ähnlichen Umständen verschwindet, muss es einen Zusammenhang geben. Denkt nicht nur Kimmo, sondern auch sein in den Ruhestand verabschiedeter Kollege Ketola. Getrieben von der Hoffnung auf späte Antworten, nimmt er die Fährte seines ungelösten Falles wieder auf. Die beiden damaligen Täter beginnen, sich gegenseitig zu belauern. Und für einen von ihnen wird die Reise in die eigene Vergangenheit eine gnadenlose Auseinandersetzung mit der lange verdrängten Verantwortung ...
Niemand weiß besser als Kimmo Joentaa, wie es sich anfühlt, einen geliebten Menschen zu verlieren. Wenn die Angst der Gewissheit weicht, dass der andere fort ist. Für immer. Deshalb hütet sich der Kriminalkommissar aus Turku davor, den Eltern von Sinikka Vehkasalo zu widersprechen. Ihnen die Hoffnung zu nehmen, dass ihre Tochter noch leben könnte. Auch wenn er es besser weiß. Wissen muss. Denn die Parallelen sind zu offensichtlich. Wenn dreiunddreißig Jahre nach dem ungeklärten Mord an einem jungen Mädchen an genau der gleichen Stelle ein anderes Mädchen unter ähnlichen Umständen verschwindet, muss es einen Zusammenhang geben. Denkt nicht nur Kimmo, sondern auch sein in den Ruhestand verabschiedeter Kollege Ketola. Getrieben von der Hoffnung auf späte Antworten, nimmt er die Fährte seines ungelösten Falles wieder auf. Die beiden damaligen Täter beginnen, sich gegenseitig zu belauern. Und für einen von ihnen wird die Reise in die eigene Vergangenheit eine gnadenlose Auseinandersetzung mit der lange verdrängten Verantwortung ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2007Seelenhaushalt in finnischem Design
Mord als Déjà-vu: Bei Jan Costin Wagner schweigen die Streber
Von Oliver Jungen
Oh, verschwatzte Welt. Es zeichnet nicht zuletzt den Philosophen aus, dem Drang des Offenbarens zu widerstehen, Geheimnisse zu bewahren. Das Gerede bringt Licht in die Dinge, keine Frage, aber die Dinge sind eben oft nicht ansehnlich. Wenn überhaupt jemand zu schweigen vermag, wie es sonst nur Gräber tun, so sind das bekanntlich die Finnen. In die traumhafte Seenlandschaft Südfinnlands, seine zweite Heimat, hat der junge Autor Jan Costin Wagner bereits die Handlung seines Romans "Eismond" (2003) verlegt, was in erster Linie zu ulkigen Figurennamen führte. Kommissar Kimmo Joentaa hatte dabei nicht nur einen Serienmörder zur Strecke zu bringen, sondern auch den Krebstod seiner Frau Sanna zu verarbeiten. Das Buch war keineswegs nur Detektivroman, sondern auch eine schöne kleine Elegie auf die Todesnähe des Lebens.
An die Handlung jenes Buchs schließt Wagner nun mit seinem vierten Roman an. Wieder ermittelt Kimmo Joentaa, der - ein Jahr ist vergangen - weiterhin am Tod Sannas laboriert. Doch gilt die Aufmerksamkeit nun einer weiteren Person: dem soeben aus dem Polizeidienst ausgeschiedenen Antsi Ketola. Als Pensionär kommt er zu seinem letzten Fall, der zugleich einer seiner ersten war: Es scheint sich nämlich ein unaufgeklärtes, dreiunddreißig Jahre zurückliegendes Verbrechen, die Vergewaltigung und Ermordung eines jungen Mädchens, an derselben Stelle und auf dieselbe Weise wiederholt zu haben. Nur die Leiche ist im gegenwärtigen Fall nicht aufzufinden.
Psychologie von Tätern und Opfern "Das Schweigen" hat alle Ingredienzien einer guten Kriminalgeschichte, doch schnell wird deutlich, dass der Roman zugleich einem anderen Genre verbunden ist: dem psychologischen Roman. Durch dieses "double bind" gerät das Muster aus den Fugen. So kennt der Leser beispielsweise die Täter der früheren Tat von der ersten Seite an, zwei junge Männer, der eine eher passiv, der andere dominant. Der unaufgeklärte Mord wird detailliert im Vorspann geschildert: "Pärssinen beugte sich über das Mädchen und drückte ihm die Kehle zu. Das Mädchen reagierte kaum." Doch wirkt der Tonfall des Präludiums etwas zu manieriert, zu sehr an Thomas Bernhard orientiert: "und er hatte gespürt, dass Pärssinen wusste, was er tat, obwohl Pärssinen versichert hatte, so etwas noch nie gemacht zu haben, und dass erst ihre Bekanntschaft, ihre Begegnung, ihr Zusammenfinden, wie er es ganz am Ende einmal genannt hatte, ihm klargemacht hätte, dass es sein müsse, dass es verdammt noch mal sein müsse und dass es keinen Sinn hätte, dagegen anzugehen, sondern dass sie es tun würden, gemeinsam tun würden". Gleich im Anschluss an die Tat folgt der Sprung in die Gegenwart. Hier findet Wagner sofort zu seinem überzeugenden, nüchtern-prägnanten und extrem personalen Stil.
Dass sich die Geschichte auch weiterhin genau so entwickelt, wie man es (bereits nach dem Klappentext) erwartet, tut ihrer Qualität keinen Abbruch. Am wenigsten irritiert durch die Nachahmungstat scheint nämlich auffälligerweise der Kommissar im Ruhestand. Schon besorgter zeigen sich seine aktiven Kollegen. Am stärksten verstört ist einer der beiden früheren Täter, Timo Korvensuo, inzwischen fürsorglicher Familienvater mit reizender Familie - und gleichwohl ein stilles Wasser. Zwischen den Figuren entwickelt sich ein Kräftemessen im Geheimnisbewahren. Ketola bleibt undurchschaubar. Korvensuo kommt mehr und mehr die Selbstbeherrschung abhanden, während sein ehemaliger Komplize, den er der neuen Tat verdächtigt, eine Ruhe ausstrahlt, wie sie nur Finnen und Schildkröten auszustrahlen vermögen. Einer wird das lange Schweigen schließlich brechen - zugunsten eines ewigen Schweigens.
Dem Leser bleibt das bei allem äußeren Stoizismus aufgewühlte Innenleben der Figuren keineswegs verborgen. Er wird vielmehr auf Schritt und Tritt mit den Gedanken, den Erinnerungen, den Träumen und Ängsten aller Personen - Täter, Opfer, Polizeibeamte - konfrontiert, wodurch die Erzählhierarchien verschwimmen. Erneut hat Wagner mit diesem Roman bewiesen, was für ein genauer und stilistisch sicherer Erzähler er ist. Nebenbei hat er Kriminalistik und Psychologie einander angenähert, was allmählich in Vergessenheit zu geraten schien, weil reihenweise Schlaumeier-Detektive knifflige Fälle wie Mathematikaufgaben lösten. Nichts von dieser Streberhaftigkeit und Weltfremdheit ist in Wagners Buch zu finden, das dagegen fast schon philosophisch zu nennen ist, denn so sehr es in die Seelentiefen seiner Protagonisten eindringt, so wenig schwatzt es Geheimnisse aus, die besser Geheimnisse bleiben.
- Jan Costin Wagner: "Das Schweigen". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 286 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mord als Déjà-vu: Bei Jan Costin Wagner schweigen die Streber
Von Oliver Jungen
Oh, verschwatzte Welt. Es zeichnet nicht zuletzt den Philosophen aus, dem Drang des Offenbarens zu widerstehen, Geheimnisse zu bewahren. Das Gerede bringt Licht in die Dinge, keine Frage, aber die Dinge sind eben oft nicht ansehnlich. Wenn überhaupt jemand zu schweigen vermag, wie es sonst nur Gräber tun, so sind das bekanntlich die Finnen. In die traumhafte Seenlandschaft Südfinnlands, seine zweite Heimat, hat der junge Autor Jan Costin Wagner bereits die Handlung seines Romans "Eismond" (2003) verlegt, was in erster Linie zu ulkigen Figurennamen führte. Kommissar Kimmo Joentaa hatte dabei nicht nur einen Serienmörder zur Strecke zu bringen, sondern auch den Krebstod seiner Frau Sanna zu verarbeiten. Das Buch war keineswegs nur Detektivroman, sondern auch eine schöne kleine Elegie auf die Todesnähe des Lebens.
An die Handlung jenes Buchs schließt Wagner nun mit seinem vierten Roman an. Wieder ermittelt Kimmo Joentaa, der - ein Jahr ist vergangen - weiterhin am Tod Sannas laboriert. Doch gilt die Aufmerksamkeit nun einer weiteren Person: dem soeben aus dem Polizeidienst ausgeschiedenen Antsi Ketola. Als Pensionär kommt er zu seinem letzten Fall, der zugleich einer seiner ersten war: Es scheint sich nämlich ein unaufgeklärtes, dreiunddreißig Jahre zurückliegendes Verbrechen, die Vergewaltigung und Ermordung eines jungen Mädchens, an derselben Stelle und auf dieselbe Weise wiederholt zu haben. Nur die Leiche ist im gegenwärtigen Fall nicht aufzufinden.
Psychologie von Tätern und Opfern "Das Schweigen" hat alle Ingredienzien einer guten Kriminalgeschichte, doch schnell wird deutlich, dass der Roman zugleich einem anderen Genre verbunden ist: dem psychologischen Roman. Durch dieses "double bind" gerät das Muster aus den Fugen. So kennt der Leser beispielsweise die Täter der früheren Tat von der ersten Seite an, zwei junge Männer, der eine eher passiv, der andere dominant. Der unaufgeklärte Mord wird detailliert im Vorspann geschildert: "Pärssinen beugte sich über das Mädchen und drückte ihm die Kehle zu. Das Mädchen reagierte kaum." Doch wirkt der Tonfall des Präludiums etwas zu manieriert, zu sehr an Thomas Bernhard orientiert: "und er hatte gespürt, dass Pärssinen wusste, was er tat, obwohl Pärssinen versichert hatte, so etwas noch nie gemacht zu haben, und dass erst ihre Bekanntschaft, ihre Begegnung, ihr Zusammenfinden, wie er es ganz am Ende einmal genannt hatte, ihm klargemacht hätte, dass es sein müsse, dass es verdammt noch mal sein müsse und dass es keinen Sinn hätte, dagegen anzugehen, sondern dass sie es tun würden, gemeinsam tun würden". Gleich im Anschluss an die Tat folgt der Sprung in die Gegenwart. Hier findet Wagner sofort zu seinem überzeugenden, nüchtern-prägnanten und extrem personalen Stil.
Dass sich die Geschichte auch weiterhin genau so entwickelt, wie man es (bereits nach dem Klappentext) erwartet, tut ihrer Qualität keinen Abbruch. Am wenigsten irritiert durch die Nachahmungstat scheint nämlich auffälligerweise der Kommissar im Ruhestand. Schon besorgter zeigen sich seine aktiven Kollegen. Am stärksten verstört ist einer der beiden früheren Täter, Timo Korvensuo, inzwischen fürsorglicher Familienvater mit reizender Familie - und gleichwohl ein stilles Wasser. Zwischen den Figuren entwickelt sich ein Kräftemessen im Geheimnisbewahren. Ketola bleibt undurchschaubar. Korvensuo kommt mehr und mehr die Selbstbeherrschung abhanden, während sein ehemaliger Komplize, den er der neuen Tat verdächtigt, eine Ruhe ausstrahlt, wie sie nur Finnen und Schildkröten auszustrahlen vermögen. Einer wird das lange Schweigen schließlich brechen - zugunsten eines ewigen Schweigens.
Dem Leser bleibt das bei allem äußeren Stoizismus aufgewühlte Innenleben der Figuren keineswegs verborgen. Er wird vielmehr auf Schritt und Tritt mit den Gedanken, den Erinnerungen, den Träumen und Ängsten aller Personen - Täter, Opfer, Polizeibeamte - konfrontiert, wodurch die Erzählhierarchien verschwimmen. Erneut hat Wagner mit diesem Roman bewiesen, was für ein genauer und stilistisch sicherer Erzähler er ist. Nebenbei hat er Kriminalistik und Psychologie einander angenähert, was allmählich in Vergessenheit zu geraten schien, weil reihenweise Schlaumeier-Detektive knifflige Fälle wie Mathematikaufgaben lösten. Nichts von dieser Streberhaftigkeit und Weltfremdheit ist in Wagners Buch zu finden, das dagegen fast schon philosophisch zu nennen ist, denn so sehr es in die Seelentiefen seiner Protagonisten eindringt, so wenig schwatzt es Geheimnisse aus, die besser Geheimnisse bleiben.
- Jan Costin Wagner: "Das Schweigen". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 286 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Christoph Bartmann hat seine Freude an diesem ausgesprochen abgründigen Kriminalroman, bei dem er die Auflösung des Verbrechens eher nebensächlich findet. Besonders die Sprache, die Autor Jan Costin Wagner für seine Erzählung gefunden hat, hat es Bartmann angetan: "so schlackenlos, reduziert und in seiner Effektarmut zuletzt effektvoll". Er nennt diesen Erzählstil "kristallin". Dass man bei dieser Geschichte, anders als sonst bei Costin, eigentlich kaum von einem Joentaa-Roman sprechen kann - die interessantere Rolle spielt diesmal sein gerade pensionierter Kollege Ketola - stört auch nicht, denn diese Geschichte ist in den Augen des Rezensenten einfach rund.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Rezensent Christoph Bartmann hat seine Freude an diesem ausgesprochen abgründigen Kriminalroman, bei dem er die Auflösung des Verbrechens eher nebensächlich findet. Besonders die Sprache, die Autor Jan Costin Wagner für seine Erzählung gefunden hat, hat es Bartmann angetan: "so schlackenlos, reduziert und in seiner Effektarmut zuletzt effektvoll". Er nennt diesen Erzählstil "kristallin". Dass man bei dieser Geschichte, anders als sonst bei Costin, eigentlich kaum von einem Joentaa-Roman sprechen kann - die interessantere Rolle spielt diesmal sein gerade pensionierter Kollege Ketola - stört auch nicht, denn diese Geschichte ist in den Augen des Rezensenten einfach rund.
© Perlentaucher Medien GmbH
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