Fürsorgliche Eichhörnchen, treu liebende Kolkraben, mitfühlende Waldmäuse und trauernde Hirschkühe - gibt es das? Sind das nicht Gefühle, die allein dem Menschen vorbehalten sind? Der passionierte Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben lehrt uns das Staunen über die ungeahnte Gefühlswelt der Tiere. Anhand neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und anschaulicher Geschichten nimmt er uns mit in eine kaum ergründete Welt: die komplexen Verhaltensweisen der Tiere im Wald und auf dem Hof, ihr emotionales und bewusstes Leben. Und wir begreifen: Tiere sind uns näher, als wir je gedacht hätten. Faszinierend, erhellend, bisweilen unglaublich!
"Kein Kitsch, sondern das Ergebnis seriöser Forschung und langer Beobachtung." Die Zeit, Jens Jessen
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2016Das Trauma des begabten Hundes
Nach den Bäumen nun der nächste Bestseller: Peter Wohlleben ergründet die Seelenlage der Tiere und macht es sich dabei recht einfach.
Ein Eichhörnchen taumelt, halb ohnmächtig, durch den Garten. Das Jungtier hat sich so fest um den Hals seiner Mutter geklammert, dass diese keine Luft mehr bekommt. Was für ein rührendes Erlebnis! Doch ist es auch ein Beweis für Mutterliebe im Tierreich? Das Ereignis spielte sich im Garten des Autors Peter Wohlleben ab, und die Geschichte ist der Einstieg in sein Buch "Das Seelenleben der Tiere". Seelenleben, ein schwieriger Begriff. Die Wissensmaschinen des Internets geben keinerlei Auskunft, was das eigentlich ist, und im Duden wird es schlicht als die "Gesamtheit der seelischen Vorgänge in einem Menschen" definiert.
Ginge es nach dieser Auffassung, wäre der Begriff auf Tiere gar nicht anwendbar. Ohne auf die komplexen Herleitungen des Begriffs "Seele" aus der Philosophie, der Psychologie, der Religion einzugehen, stellt der Autor seinen Ausgangspunkt klar: Er ist überzeugt, dass Tiere eine Seele haben. Er will zeigen, dass ein komplexes Gefühlsleben und bewusste Entscheidungen nicht dem Menschen allein vorbehalten sind, sondern dass es diese auch im Tierreich gibt, wir Menschen da also in dieser Hinsicht keine Sonderstellung haben. Dazu gibt er vor allem persönliche Erlebnisse wieder, bringt Beispiele von seinem Hund, seinen Ziegen, seinen Pferden, von Rabenvögeln, Bienen und Wildtieren des heimischen Waldes.
Teils untermauert er seine Thesen (zusätzlich) mit wissenschaftlichen Quellen, teils mit journalistischen Berichten über Ergebnisse der modernen Tierpsychologie. Immer wieder weicht er ab vom Hauptweg, nimmt den Leser mit auf Exkursionen in biologisches Wissen, in Fakten zur Rolle von Vögeln als wichtigen Samenverbreitern und zum Paarungsverhalten von Rehen und Hirschen, zur Kommunikation unter Bienen, zum Schlaf der Mauersegler, zum evolutionären Druck auf die weißen und schwarzen Varianten des Birkenspanners, zum Orientierungsvermögen von Tauben.
Recht ungewöhnlich für einen hauptberuflichen Förster, der er ist, verteilt er mehrfach Seitenhiebe auf die Jägerschaft, bedauert, dass immer noch Schnepfen geschossen werden, und stellt fest, dass unter den Menschen nur die Jäger Kot essen, und zwar in Form des "Schnepfendrecks", also der Därme dieser Vögel samt Inhalt. Das mag für den, der solche Fakten nicht kannte, interessant zu lesen sein, doch hat es mit dem eigentlichen Thema wenig zu tun.
Dieses Sammelsurium von netten Geschichtchen und engagierten Meinungen, von Fakten und einseitigen Interpretationen wird durchgängig verknüpft mit den Vergleichen zum Verhalten des Menschen. "Der Einfachheit halber" wendet er dann "auf Mensch und Tier denselben Maßstab an" und kommt zu dem Schluss, sehr viele Tiere hätten den grundsätzlich vorhandenen freien Willen, Entscheidungen zu treffen. So wird ein Kaninchen, das seinen Artgenossinnen mit scharfen Krallen die Ohren zerschlitzt, verglichen mit einem menschlichen Übeltäter, der möglicherweise wie das Kaninchen durch ein Jugenderlebnis traumatisiert worden war. Und das "Stockholm"-Syndrom, bei dem menschliche Geiseln ihrem Kidnapper gegenüber Gefühle entwickeln, "die denen von Kindern zu ihren Müttern gleichen", fände sich dann auch bei Ziegen und Pferden, die hinter einem Zaun "gefangen gehalten werden" und welche dieses Syndrom entwickeln, um mit ihrem Schicksal fertig zu werden.
Hier geht der Versuch, Tier und Mensch, was ihr Seelenleben angeht, miteinander zu vergleichen, doch gründlich daneben. Rücken da Pferdehalter in die Nähe von Folterknechten? Mit diesen und anderen Vergröberungen versucht der Autor, den Beweis der - seelischen - Verwandtschaft zwischen Tieren und Menschen anzutreten oder zumindest die Frage danach aufzuwerfen, was angesichts der Oberflächlichkeit, mit der dies mitunter geschieht, das Ganze eher unglaubwürdig macht. Das ist schade, denn es beginnt ja gerade endlich in den Geistes- wie in den Naturwissenschaften eine verstärkte Beschäftigung mit dem Gefühlsleben, dem Bewusstsein von Tieren, wobei dann solche Kurzschlüsse eher kontraproduktiv sind, weil sie emotionalisieren, ohne eine solide fachliche Grundlage zu bieten.
Sehen uns Hunde tatsächlich treuherzig oder mit schlechtem Gewissen an, oder werden hier nicht menschliche Emotionen hineininterpretiert? Begeht der Autor damit nicht letztendlich denselben Fehler, wie er bisher nur allzu oft gemacht wurde, indem wir menschliche Wertvorstellungen in das Tierverhalten hineinprojizieren? Nur eben anders herum? Gesteht die menschliche Gesellschaft denn Kindern und Demenzkranken einen "freien Willen" zu? Oder Schwerverbrechern, denen wir ja auch nicht erlauben, sich aufzuhalten, wo sie wollen? Natürlich ist der Versuch des Autors positiv zu bewerten, mit seinem Buch mehr Bewusstsein zu schaffen darüber, wie wir mit Tieren umgehen und wie wir mit ihnen umgehen müssten, Respekt zu vermitteln vor Lebewesen und die Fähigkeit zu entwickeln, sie als leidensfähige Wesen wahrzunehmen.
Dann würde in der Tat die Massentierhaltung von Schweinen und Rindern, die Intensivhaltung von Hühnern und Lachsen völlig inakzeptabel werden. Moralische und ethische, tierschützerische, aber in herausragender Weise auch natur- und umweltpolitische Argumente gibt es genug, um mit solcher Tierhaltung endlich Schluss zu machen. Das Verbraucherverhalten und die Landwirtschaftspolitik stehen nach wie vor dagegen. Flüssig und kurzweilig geschrieben, setzt das Buch hier durchaus Denkanstöße. Damit, wie es der Autor sich wünscht, der Mensch Glück empfindet, wenn er fröhlichere Pferde und zufriedene Hirsche, Marder und Rabenvögel beobachtet, muss er erst einmal lernen, diese Gefühle und Verhaltensweisen der Tiere wirklich zu verstehen.
Wenn der Leser über dieses Buch einen Einstieg dazu findet, hat sich die Lektüre gelohnt. Wenn der Leser aber die Verhaltensweisen von Tieren in diesem Sinne weiterhin vermenschlichend interpretiert, dann verkehren sich zwar die alten Fehlurteile über den verschlagenen Wolf, den feigen Hasen und den mutigen Löwen genau ins Gegenteil, werden den Tieren aber ebenso wenig gerecht.
MANFRED NIEKISCH
Peter Wohlleben: "Das Seelenleben der Tiere". Liebe, Trauer, Mitgefühl - erstaunliche Einblicke in eine verborgene Welt.
Ludwig Verlag. München 2016. 240 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nach den Bäumen nun der nächste Bestseller: Peter Wohlleben ergründet die Seelenlage der Tiere und macht es sich dabei recht einfach.
Ein Eichhörnchen taumelt, halb ohnmächtig, durch den Garten. Das Jungtier hat sich so fest um den Hals seiner Mutter geklammert, dass diese keine Luft mehr bekommt. Was für ein rührendes Erlebnis! Doch ist es auch ein Beweis für Mutterliebe im Tierreich? Das Ereignis spielte sich im Garten des Autors Peter Wohlleben ab, und die Geschichte ist der Einstieg in sein Buch "Das Seelenleben der Tiere". Seelenleben, ein schwieriger Begriff. Die Wissensmaschinen des Internets geben keinerlei Auskunft, was das eigentlich ist, und im Duden wird es schlicht als die "Gesamtheit der seelischen Vorgänge in einem Menschen" definiert.
Ginge es nach dieser Auffassung, wäre der Begriff auf Tiere gar nicht anwendbar. Ohne auf die komplexen Herleitungen des Begriffs "Seele" aus der Philosophie, der Psychologie, der Religion einzugehen, stellt der Autor seinen Ausgangspunkt klar: Er ist überzeugt, dass Tiere eine Seele haben. Er will zeigen, dass ein komplexes Gefühlsleben und bewusste Entscheidungen nicht dem Menschen allein vorbehalten sind, sondern dass es diese auch im Tierreich gibt, wir Menschen da also in dieser Hinsicht keine Sonderstellung haben. Dazu gibt er vor allem persönliche Erlebnisse wieder, bringt Beispiele von seinem Hund, seinen Ziegen, seinen Pferden, von Rabenvögeln, Bienen und Wildtieren des heimischen Waldes.
Teils untermauert er seine Thesen (zusätzlich) mit wissenschaftlichen Quellen, teils mit journalistischen Berichten über Ergebnisse der modernen Tierpsychologie. Immer wieder weicht er ab vom Hauptweg, nimmt den Leser mit auf Exkursionen in biologisches Wissen, in Fakten zur Rolle von Vögeln als wichtigen Samenverbreitern und zum Paarungsverhalten von Rehen und Hirschen, zur Kommunikation unter Bienen, zum Schlaf der Mauersegler, zum evolutionären Druck auf die weißen und schwarzen Varianten des Birkenspanners, zum Orientierungsvermögen von Tauben.
Recht ungewöhnlich für einen hauptberuflichen Förster, der er ist, verteilt er mehrfach Seitenhiebe auf die Jägerschaft, bedauert, dass immer noch Schnepfen geschossen werden, und stellt fest, dass unter den Menschen nur die Jäger Kot essen, und zwar in Form des "Schnepfendrecks", also der Därme dieser Vögel samt Inhalt. Das mag für den, der solche Fakten nicht kannte, interessant zu lesen sein, doch hat es mit dem eigentlichen Thema wenig zu tun.
Dieses Sammelsurium von netten Geschichtchen und engagierten Meinungen, von Fakten und einseitigen Interpretationen wird durchgängig verknüpft mit den Vergleichen zum Verhalten des Menschen. "Der Einfachheit halber" wendet er dann "auf Mensch und Tier denselben Maßstab an" und kommt zu dem Schluss, sehr viele Tiere hätten den grundsätzlich vorhandenen freien Willen, Entscheidungen zu treffen. So wird ein Kaninchen, das seinen Artgenossinnen mit scharfen Krallen die Ohren zerschlitzt, verglichen mit einem menschlichen Übeltäter, der möglicherweise wie das Kaninchen durch ein Jugenderlebnis traumatisiert worden war. Und das "Stockholm"-Syndrom, bei dem menschliche Geiseln ihrem Kidnapper gegenüber Gefühle entwickeln, "die denen von Kindern zu ihren Müttern gleichen", fände sich dann auch bei Ziegen und Pferden, die hinter einem Zaun "gefangen gehalten werden" und welche dieses Syndrom entwickeln, um mit ihrem Schicksal fertig zu werden.
Hier geht der Versuch, Tier und Mensch, was ihr Seelenleben angeht, miteinander zu vergleichen, doch gründlich daneben. Rücken da Pferdehalter in die Nähe von Folterknechten? Mit diesen und anderen Vergröberungen versucht der Autor, den Beweis der - seelischen - Verwandtschaft zwischen Tieren und Menschen anzutreten oder zumindest die Frage danach aufzuwerfen, was angesichts der Oberflächlichkeit, mit der dies mitunter geschieht, das Ganze eher unglaubwürdig macht. Das ist schade, denn es beginnt ja gerade endlich in den Geistes- wie in den Naturwissenschaften eine verstärkte Beschäftigung mit dem Gefühlsleben, dem Bewusstsein von Tieren, wobei dann solche Kurzschlüsse eher kontraproduktiv sind, weil sie emotionalisieren, ohne eine solide fachliche Grundlage zu bieten.
Sehen uns Hunde tatsächlich treuherzig oder mit schlechtem Gewissen an, oder werden hier nicht menschliche Emotionen hineininterpretiert? Begeht der Autor damit nicht letztendlich denselben Fehler, wie er bisher nur allzu oft gemacht wurde, indem wir menschliche Wertvorstellungen in das Tierverhalten hineinprojizieren? Nur eben anders herum? Gesteht die menschliche Gesellschaft denn Kindern und Demenzkranken einen "freien Willen" zu? Oder Schwerverbrechern, denen wir ja auch nicht erlauben, sich aufzuhalten, wo sie wollen? Natürlich ist der Versuch des Autors positiv zu bewerten, mit seinem Buch mehr Bewusstsein zu schaffen darüber, wie wir mit Tieren umgehen und wie wir mit ihnen umgehen müssten, Respekt zu vermitteln vor Lebewesen und die Fähigkeit zu entwickeln, sie als leidensfähige Wesen wahrzunehmen.
Dann würde in der Tat die Massentierhaltung von Schweinen und Rindern, die Intensivhaltung von Hühnern und Lachsen völlig inakzeptabel werden. Moralische und ethische, tierschützerische, aber in herausragender Weise auch natur- und umweltpolitische Argumente gibt es genug, um mit solcher Tierhaltung endlich Schluss zu machen. Das Verbraucherverhalten und die Landwirtschaftspolitik stehen nach wie vor dagegen. Flüssig und kurzweilig geschrieben, setzt das Buch hier durchaus Denkanstöße. Damit, wie es der Autor sich wünscht, der Mensch Glück empfindet, wenn er fröhlichere Pferde und zufriedene Hirsche, Marder und Rabenvögel beobachtet, muss er erst einmal lernen, diese Gefühle und Verhaltensweisen der Tiere wirklich zu verstehen.
Wenn der Leser über dieses Buch einen Einstieg dazu findet, hat sich die Lektüre gelohnt. Wenn der Leser aber die Verhaltensweisen von Tieren in diesem Sinne weiterhin vermenschlichend interpretiert, dann verkehren sich zwar die alten Fehlurteile über den verschlagenen Wolf, den feigen Hasen und den mutigen Löwen genau ins Gegenteil, werden den Tieren aber ebenso wenig gerecht.
MANFRED NIEKISCH
Peter Wohlleben: "Das Seelenleben der Tiere". Liebe, Trauer, Mitgefühl - erstaunliche Einblicke in eine verborgene Welt.
Ludwig Verlag. München 2016. 240 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach den Bäumen widmet sich Peter Wohlleben nun also dem "Seelenleben der Tiere", schreibt Rezensent Manfred Niekisch, der schon mit dem Titel nicht zufrieden ist. Denn, dass Wohlleben Tieren eine Seele andichtet, in Folge auch Gefühle, "bewusste Entscheidungen" und einen freien Willen, kann der Kritiker nicht nachvollziehen. Dass Wohlleben eine Fülle von Anekdoten und durchaus auch biologischen Fakten aufführt, liest Niekisch zwar mit Interesse, vermisst hier aber meist den Bezug zum eigentlichen Thema. Auch im Hinblick auf "Kurzschlüsse", wie etwa die Behauptung, umzäunte Pferde und Ziegen wiesen ein "Stockholm-Syndrom" auf, hätte sich der Rezensent mehr Differenzierung gewünscht. Insgesamt findet Niekisch dieses Buch zwar unterhaltsam, für das Verständnis von Tieren erscheint es ihm aber wenig hilfreich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein Buch, das immer wieder Staunen lässt! Deutschlandradio Kultur, Johannes Kaiser