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Die Idee eines Selbstbestimmungsrechts der Völker besagt, dass Völker das Recht haben, einen Staat zu bilden, und selbst darüber entscheiden können, ob sie dieses Recht wahrnehmen oder nicht. Die erste Gesamtdarstellung seiner Geschichte zeigt, wie es den Totengräber für die europäischen Kolonialreiche und andere Imperien gespielt hat und seit 1989 auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern ist.
Entstanden aus dem Nationalismus und dem Antikolonialismus, erhebt das Selbstbestimmungsrecht der Völker den Anspruch, die internationalen Beziehungen auf eine herrschaftsfreie Grundlage zu
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Produktbeschreibung
Die Idee eines Selbstbestimmungsrechts der Völker besagt, dass Völker das Recht haben, einen Staat zu bilden, und selbst darüber entscheiden können, ob sie dieses Recht wahrnehmen oder nicht. Die erste Gesamtdarstellung seiner Geschichte zeigt, wie es den Totengräber für die europäischen Kolonialreiche und andere Imperien gespielt hat und seit 1989 auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern ist.

Entstanden aus dem Nationalismus und dem Antikolonialismus, erhebt das Selbstbestimmungsrecht der Völker den Anspruch, die internationalen Beziehungen auf eine herrschaftsfreie Grundlage zu stellen. Sprengstoff beinhaltet vor allem das damit verbundene Sezessionsrecht. Denn wer bestimmt, was ein Volk ist? Die Idee kollidiert hier schnell mit den machtpolitischen Realitäten und erweist sich als eine gefährliche, zum Missbrauch geradezu einladende Illusion, mit deren Domestizierung das Völkerrecht bis heute beschäftigt ist. Denn nicht nur Adolf Hitler verstand es meisterhaft, das Konzept für seine Zwecke zu instrumentalisieren. In einer souveränen Kombination von Begriffs-, Politik- und Kulturgeschichte durchmisst Jörg Fisch die Weltgeschichte und liefert eine anschaulich und prägnant geschriebene Darstellung dieser vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart äußerst wirkmächtigen Idee.
Autorenporträt
Jörg Fisch ist Professor für Allgemeine Neuere Geschichte an der Universität Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2011

Ein bloßes Ideal
Selbstbestimmungsrecht zwischen Anspruch und Realität

Das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts propagierte und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schließlich als Recht anerkannte Prinzip der Selbstbestimmung der Völker verspricht mehr, als es zu halten vermag. Der mit ihm verbundene Anspruch lässt sich nicht vollständig einlösen. Das ist die zentrale These von Jörg Fischs lesenwerter Schrift über die Geschichte dieses völkerrechtlichen Rechtstitels. In das propagandistische Arsenal der Staaten, auch der mächtigen, aufgenommen, ist es doch in erster Linie ein Instrument ohnmächtiger Völker und Volksgruppen, deren Forderung nach souveräner Eigenstaatlichkeit unerfüllt geblieben ist. Ernst genommen, droht das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Staatenwelt zu atomisieren, ja aufzulösen: "Wenn jedes Kollektiv, das beansprucht, ein Volk zu sein, befugt war, einen souveränen Staat zu gründen, dann bestand weltweit die Gefahr der Anarchie."

Die Geister, die sie mit der grundsätzlichen Anerkennung des Selbstbestimmungsprinzips auf den Plan gerufen hatten, konnten die Staaten nicht mehr verscheuchen. Sie haben daher Gegenstrategien entwickelt, die das Gefährdungspotential der zum Ordnungsprinzip der internationalen Beziehungen erhobenen Idee der Selbstbestimmung der Völker für die auf die Bewahrung des Status quo ausgerichtete, strukturkonservative Staatengesellschaft entschärfen sollen. So haben sich die Staaten von Anfang an aus Machtgründen geweigert, sich auf eine allgemeine Definition des Kreises der Träger der Selbstbestimmung zu verständigen, "weil sie dann nicht mehr in jedem Falle eigenständig darüber hätten entscheiden können, wer denn nun ein Recht auf Selbstbestimmung hatte". Vor allem aber haben sie dem Selbstbestimmungsanspruch eines Volkes auf den eigenen Staat enge Grenzen gesetzt.

Das erste und wichtigste Instrument war die Beschränkung auf Fälle der Entkolonialisierung, das zweite ein flankierendes Sezessionsverbot, das dritte die Festschreibung der kolonialen (Verwaltungs-)Grenzen als neue Staatsgrenzen nach dem Prinzip des uti possidetis. Jörg Fisch weist nach, dass sich diese Einschränkungen schon im ersten Entkolonisierungsprozess in Amerika (1776-1826) durchsetzten. Darauf konnte in der Phase der zweiten Entkolonisierung nach 1945 zurückgegriffen werden, als die afrikanischen und asiatischen Kolonialvölker die universelle Geltung des Selbstbestimmungsrechts einforderten und ihr Recht auf unabhängige Staaten durchsetzten, deren territoriale Integrität, so willkürlich die Grenzziehung auch sein mochte, fortan strikt zu beachten war.

In Europa hätte es bei strikter Anlegung dieser Kriterien gar keinen Anwendungsbereich für das Selbstbestimmungsrecht geben können. Nachdem es gleichwohl auch hier - propagandistisch - eingeführt war, seine Verwirklichung sich nach dem Ersten Weltkrieg aber machtpolitisch als unmöglich erwiesen hatte, was unerwünschte revisionistischem Forderungen Legitimation verlieh, wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst hintangestellt. Erst der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens setzte das Selbstbestimmungsrecht wieder auf die Tagesordnung der Weltpolitik. Dabei wurde die Auflösung der beiden Föderationen so behandelt, "als wären sie Kolonialreiche": Unabhängigkeit blieb den Gliedstaaten vorbehalten, deren territorialer Besitzstand durch Anwendung des Uti-possidetis-Prinzips zugleich gegen weitere Sezessionen abgesichert wurde. Alle übrigen Volksgruppen mussten sich mit Minderheitenschutz innerhalb der neuen Staaten zufriedengegeben. Die Analogie zur Entkolonialisierung ließ sich allerdings, wie der Fall des Kosovo zeigen sollte, auf dem Balkan letztlich nicht durchhalten.

Für Fisch ergibt sich daraus für die Gegenwart "eine paradoxe Situation: Seit der Kodifizierung besteht ein unbestrittenes und uneingeschränktes Recht aller Völker auf Selbstbestimmung im Sinne souveräner Staatlichkeit . . . Auf der anderen Seite hat sich im Verlauf von über zweihundert Jahren für die Praxis eine sehr viel restriktivere Auffassung eines Selbstbestimmungsrechts herausgebildet", die das Selbstbestimmungsrecht nach dem Abschluss der Entkolonialisierung praktisch obsolet macht. Der Völkerrechtler wird dem Historiker Fisch entgegenhalten, dass das Selbstbestimmungsprinzip als Völkerrecht nach der maßgebenden Staatenpraxis immer nur eingeschränkt galt und regelmäßig nicht zur Sezession berechtigt(e). Es geht folglich weniger um eine Diskrepanz zwischen der Rechtslage und den Machtverhältnissen als vielmehr zwischen einem Idealbegriff und dem, was die Staaten (rechtlich wie machtpolitisch) nur zu konzedieren bereit sind. Aber auch als bloßes Ideal bleibt das Selbstbestimmungsrecht wirkmächtig, als "ein Wühler, der die immer wieder ungerecht werdende Stabilität des Besitzes stets aufs Neue untergräbt".

CHRISTIAN HILLGRUBER

Jörg Fisch: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion. Verlag C.H. Beck, München 2010. 384 S. 24,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rudolf Walther weiß Jörg Fischs Studie über das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" zu schätzen. Er attestiert dem Zürcher Historiker, dieses Recht einer genauen Analyse zu unterziehen. Ausführlich geht Walther auf die Entwicklung des Begriffs "Selbstbestimmungsrecht der Völker" ein, der, wie der Autor belegt, zu den "erfolgreichsten Schlagworten der Gegenwart" gehört. Der systematische erste Teil der Arbeit scheint Walther wegen der stringenten Argumentation schlicht brillant. Der zweite historische Teil zeichnet sich für ihn durch seine profunde Darstellung des politischen Umgangs mit den "Illusionen und Paradoxien des Selbstbestimmungsrechts" aus.

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