Einen dreiwöchigen Aufenthalt im Paradies - das verspricht das siamesische Dorf, eine Ferienanlage an der Küste Thailands, erholungsbedürftigen Europäern. Die Journalistin Kecki und der Photograph Max sollen über den fernöstlichen Garten Eden berichten, doch statt dessen finden sie sich bald konfrontiert mit höchst befremdlichen Vorkommnissen.
Schon Buddha warnte vor dem Begehren als Quelle böser Taten. Der ungeklärte Tod zweier Frauen im Vorjahr wirft einen irritierenden Schatten auf die perfekt inszenierte Touristenidylle. Nichts ist, was es scheint - selbst die zwei Klöster in der Nähe des Dorfes sind nicht reine Horte der Erleuchtung, sondern Schauplätze recht unbuddhistischer Machenschaften. Ein zweites Dorf versteckt sich im Dschungel, ganz anders als das der Fremden und doch untrennbar mit diesem verbunden. Den beiden Reportern und Ermittlern wider Willen enthüllt sich hinter den Wundern Asiens mehr und mehr ein bedrohliches Geflecht irdischer Interessen und Begehrlichkeiten. Mit einem ironisch erhellenden Blick auf unsere Gegenwart, unsere Sehnsüchte und Begrenzungen entfaltet Eva Demski souverän und nach allen Regeln des Kriminalromans eine Welt in geheimnisvoller Schwebe, in der der paradiesische Frieden von den Kehrseiten der menschlichen Natur empfindlich gestört wird.
Schon Buddha warnte vor dem Begehren als Quelle böser Taten. Der ungeklärte Tod zweier Frauen im Vorjahr wirft einen irritierenden Schatten auf die perfekt inszenierte Touristenidylle. Nichts ist, was es scheint - selbst die zwei Klöster in der Nähe des Dorfes sind nicht reine Horte der Erleuchtung, sondern Schauplätze recht unbuddhistischer Machenschaften. Ein zweites Dorf versteckt sich im Dschungel, ganz anders als das der Fremden und doch untrennbar mit diesem verbunden. Den beiden Reportern und Ermittlern wider Willen enthüllt sich hinter den Wundern Asiens mehr und mehr ein bedrohliches Geflecht irdischer Interessen und Begehrlichkeiten. Mit einem ironisch erhellenden Blick auf unsere Gegenwart, unsere Sehnsüchte und Begrenzungen entfaltet Eva Demski souverän und nach allen Regeln des Kriminalromans eine Welt in geheimnisvoller Schwebe, in der der paradiesische Frieden von den Kehrseiten der menschlichen Natur empfindlich gestört wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006Und dann und wann ein blauer Elefant
Buddha bei die Fische: Eva Demski verzettelt sich in Thailand / Von Heinrich Detering
Das Erstaunlichste an diesem Buch ist, daß es so lange gutgeht. Denn es umwirbt ausdauernd ein Genre, mit dem es dann doch lieber nichts zu tun haben will. Eva Demskis neuer Roman ist ein Esoterik-Thriller, der weder dem Thriller traut noch der Esoterik.
Das Unterfangen ist ebenso kokett und strapaziös wie die Heldin selbst, diese alerte, von der midlife crisis geplagte Journalistin, die leider Kecki heißen muß. Zusammen mit dem Fotografen Max, ihrem gelegentlichen Liebhaber, arbeitet sie an einer Reportage über eine thailändische Touristenidylle und über die Siedlung der Einheimischen, die von den Touristen lebt: hier das luxuriöse "Mekka der Geilheit", dort das Elend, und beide sind ohneeinander nicht zu denken. Den beiden Dörfern entsprechen zwei Klöster, das eine ein Hort des sozialen Gewissens, das andere der mit Schaudern und Lust genannte Schauplatz mysteriöser Wunderheilungen. Die Recherchen in diesem buchstäblich "siamesischen Dorf" führen auf die Spuren gespenstischer Mordfälle. Ein Jahr zuvor sind hier zwei Frauen ums Leben gekommen, und sie waren nicht die letzten Opfer eines Komplotts. Wie bei einer makabren Schnitzeljagd tauchen verstümmelte Leichenteile auf, begleitet von kleinen blauen Elefantenfiguren, dem Zeichen der Verschwörer. Ein "Chamäleonmann" gibt sich als Bote dunkler Kapitalinteressen aus; ein bayrischer Tourist wird während eines Ausflugs scheinbar grundlos entführt und kehrt ebenso überraschend als gefolterter Krüppel zurück. Am Ende fällt das Dorf der Armen einem gewaltigen Brandanschlag zum Opfer; auch sonst häufen sich die Todesfälle, und den Helden wird im Laufe dieses turbulenten Geschehens ihre eigene Identität ebenso fragwürdig wie ihr vermeintliches Wissen über Ost und West, über Gott und die Welt. Nicht ohne Grund bekommt es der Fotograf da mit der Angst zu tun, auf seinen Bildern könnten womöglich Dinge auftauchen, die das Auge gar nicht erblickt hat.
Diese Verwirrungen laufen auf eine Initiation in Mysterien hinaus, von denen ungewiß bleibt, wieweit sie dem Seeleninneren entspringen und wieweit einer überirdischen Offenbarung. Europäer, erkennt Max, "sollen sich davor hüten, überall Zeichen zu sehen". Da der Roman sie eben dazu ausdauernd verführt hat, mündet er in seine Selbstaufhebung. Was immer hier auf eine genregemäß knallige Auflösung zuzulaufen scheint, verliert sich am Ende in der Vieldeutigkeit der kulturellen Muster und der uneinholbaren Fremdheit im Reich der Zeichen. Soweit leuchtet auch ein, daß die Kapitel-Motti aus den Reden des Buddha keineswegs ironisch gemeint sind und daß die Lehre des Erhabenen, wonach alles Verderben aus der Begehrlichkeit entstehe, womöglich auch diejenige dieses Romans ist.
Dabei hat der doch ziemlich keß losgelegt, aufgedreht und überkandidelt, ein Brillantfeuerwerk der Selbstironie. Jederzeit kann die Erzählerin Perspektiven, Seiten und Tonlagen wechseln; abwechselnd allwissend und ahnungslos, treibt sie ihr Spiel mit den Lesererwartungen. Und es nützt doch alles nichts. Gewiß, es gibt gegen diesen Roman wenige Bedenken vorzubringen, die er nicht selbst formuliert hätte. Doch erliegt er dem Irrtum, eine Gefahr sei schon dadurch gebannt, daß man sie ausspricht. Spätestens von der Mitte an beginnt deshalb schiefzugehen, was nur schiefgehen kann. Was begonnen hat wie ein nach Thailand umgesiedeltes Fräulein Smilla, sieht am Ende aus wie Siddharta auf Abenteuerurlaub (und dann und wann ein blauer Elefant).
Um überhaupt einen Rest von Zusammenhang zu retten, muß bald immer weniger erzählt und immer aufdringlicher räsoniert werden, in Dialogen, die infolgedessen immer hölzerner und langweiliger sind. Ob es sich um die Verschwörung eines religiösen Geheimbundes handelt, einer ostasiatischen Mafia oder skrupelloser Kapitalisten, ob Kecki überhaupt freiwillig hierhergekommen ist oder dunkle Mächte sich schon in ihre Reiseplanung eingemischt haben: man weiß es nicht, und es ist auch vollkommen gleichgültig. Viel zu viele Fäden sind ausgelegt, als daß sich das Knäuel noch irgendwie plausibel entwirren ließe; und längst hat der Roman den Augenblick verpaßt, in dem er sich zwischen überdrehter Parodie und Ernst hätte entscheiden müssen. Was flapsig war, wird abgeschmackt, und jede neue Albernheit enthüllt nur den Kitsch, den sie überspielen soll. Daß die vermeintliche Starjournalistin mittlerweile bei der "Apothekenrundschau" angekommen ist, mag als Persiflage durchgehen, auch daß es sich bei Mr. Oss, dem ausgewanderten Tourismusmanager, eigentlich um einen verballhornten "Horst" handelt. Selbst die kanadische Zwergin mag man noch hinnehmen, auch den streichholzdünnen Herrn Atropos samt moribunder Geliebter und einen "mutigen kleinen Rumänen", der den Vornamen des verstorbenen Diktators trägt und kindliche Unschuld verkörpert. Aber daß zu alldem ein deutscher Baron namens "Varus Wyandotte-Spielvogel zu Brendelenburg" auftreten muß, daß die ermordete taubstumme Dienerin der schönen Dorfherrin "Kleines Gemüse" heißt und ein abgehalfterter pädophiler Schlagersänger als "Curd Caramel" auftritt: Das ist so krachledern dämlich, daß es noch in der grellen Übertreibung des Klischees das Klischee bedient. Nicht anders die Pointe, daß sich in einem buddhistischen Mönch niemand anderer verbirgt als "Ulf Hagebrecht, das Lämmchenmonster", ein flüchtiger Krimineller und mißverstandener Wohltäter der Armen. Vermutlich soll das alles unerhört grotesk sein. Aber es ergibt doch nur, man muß es leider sagen, einen monströsen Schmarrn.
Vor allem die genierte Relativierung der Heilsbotschaft gerät in ein Handgemenge mit deren faktischem Geltungsanspruch. Ließe dieser Roman seine Helden nur einen mystischen Initiationsweg beschreiten, das Vorhaben wäre vorderhand so unverächtlich wie das Gegenteil. Hier aber soll beides zugleich gelingen, die ironische Abwehr des Wunderbaren und seine feierliche Verkündigung. Das Ergebnis ist ein Kitsch, der sich selber peinlich ist. Nach seinem Initiationsbad im Drachenblut der mystischen Einweihung verliert der sonst so nüchterne Fotograf die Fassung und verlangt, ein Bild dürfe nicht nur den Porträtierten zeigen, sondern auch "alle, die du und ich schon waren. Alle, die wir noch nicht gewesen sind. Und vielleicht die, die wir sein werden."
Mit ebendiesem Prinzip versucht der Roman wenig später selbst Ernst zu machen. Als endlich auch Kecki baden geht, vernimmt sie aus Wasser und Höhle vertraute Stimmen. Da flüstert das Kind, das sie war, da redet die Greisin, die sie einmal sein wird; da erklingt das "wunderbare Lachen ihrer Mutter", und eine unversehens auftauchende Schlange blickt sie gar mit den "graugrünen Augen ihrer Mutter" an. Endlich stellt sich, da wirklich nichts ausgelassen werden darf, auch noch der längst geschlachtete Lieblingsochse vom Bauernhof der Großeltern ein. Wenn sich unterdessen das Wasser des Höhlensees der Reihe nach in "alle Wasser ihres Lebens" verwandelt, dann vereinen sich die Stimmen zum Chor. Seine Botschaft lautet: "Werde!" Als sei das nicht schon übergenug, kommt im Decrescendo der Szene auch noch Rilke hinzu: "Du mußt dein Leben ändern", denkt Kecki ausdrücklich; vorsichtshalber ist der Satz kursiv gedruckt. Die Botschaft wird dem Leser fortan durch Wiederholung eingeprägt. "Lieben. Lernen. Scheitern", lautet sie in der Kurzfassung. Selbst der deutsche Baron sucht (und kein Lektor hat es ihm ausgeredet) "die Leichtigkeit des Seins, ja".
Das siamesische Dorf repräsentiert, man hat es längst verstanden, eine Wirklichkeit, die eins und doppelt ist. Je mehr von Erlösung die Rede ist, desto weniger ist hier zu retten. So zweideutig dies alles anfängt, so eindeutig geht es zu Bruch. Zu den Wundern, die ein Bad im Höhlensee bewirken kann, gehört, daß man danach "nichts Überflüssiges mehr redet". Hätte die Autorin das beherzigt, der Roman wäre zweihundert Seiten kürzer.
Eva Demski: "Das siamesische Dorf". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 382 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Buddha bei die Fische: Eva Demski verzettelt sich in Thailand / Von Heinrich Detering
Das Erstaunlichste an diesem Buch ist, daß es so lange gutgeht. Denn es umwirbt ausdauernd ein Genre, mit dem es dann doch lieber nichts zu tun haben will. Eva Demskis neuer Roman ist ein Esoterik-Thriller, der weder dem Thriller traut noch der Esoterik.
Das Unterfangen ist ebenso kokett und strapaziös wie die Heldin selbst, diese alerte, von der midlife crisis geplagte Journalistin, die leider Kecki heißen muß. Zusammen mit dem Fotografen Max, ihrem gelegentlichen Liebhaber, arbeitet sie an einer Reportage über eine thailändische Touristenidylle und über die Siedlung der Einheimischen, die von den Touristen lebt: hier das luxuriöse "Mekka der Geilheit", dort das Elend, und beide sind ohneeinander nicht zu denken. Den beiden Dörfern entsprechen zwei Klöster, das eine ein Hort des sozialen Gewissens, das andere der mit Schaudern und Lust genannte Schauplatz mysteriöser Wunderheilungen. Die Recherchen in diesem buchstäblich "siamesischen Dorf" führen auf die Spuren gespenstischer Mordfälle. Ein Jahr zuvor sind hier zwei Frauen ums Leben gekommen, und sie waren nicht die letzten Opfer eines Komplotts. Wie bei einer makabren Schnitzeljagd tauchen verstümmelte Leichenteile auf, begleitet von kleinen blauen Elefantenfiguren, dem Zeichen der Verschwörer. Ein "Chamäleonmann" gibt sich als Bote dunkler Kapitalinteressen aus; ein bayrischer Tourist wird während eines Ausflugs scheinbar grundlos entführt und kehrt ebenso überraschend als gefolterter Krüppel zurück. Am Ende fällt das Dorf der Armen einem gewaltigen Brandanschlag zum Opfer; auch sonst häufen sich die Todesfälle, und den Helden wird im Laufe dieses turbulenten Geschehens ihre eigene Identität ebenso fragwürdig wie ihr vermeintliches Wissen über Ost und West, über Gott und die Welt. Nicht ohne Grund bekommt es der Fotograf da mit der Angst zu tun, auf seinen Bildern könnten womöglich Dinge auftauchen, die das Auge gar nicht erblickt hat.
Diese Verwirrungen laufen auf eine Initiation in Mysterien hinaus, von denen ungewiß bleibt, wieweit sie dem Seeleninneren entspringen und wieweit einer überirdischen Offenbarung. Europäer, erkennt Max, "sollen sich davor hüten, überall Zeichen zu sehen". Da der Roman sie eben dazu ausdauernd verführt hat, mündet er in seine Selbstaufhebung. Was immer hier auf eine genregemäß knallige Auflösung zuzulaufen scheint, verliert sich am Ende in der Vieldeutigkeit der kulturellen Muster und der uneinholbaren Fremdheit im Reich der Zeichen. Soweit leuchtet auch ein, daß die Kapitel-Motti aus den Reden des Buddha keineswegs ironisch gemeint sind und daß die Lehre des Erhabenen, wonach alles Verderben aus der Begehrlichkeit entstehe, womöglich auch diejenige dieses Romans ist.
Dabei hat der doch ziemlich keß losgelegt, aufgedreht und überkandidelt, ein Brillantfeuerwerk der Selbstironie. Jederzeit kann die Erzählerin Perspektiven, Seiten und Tonlagen wechseln; abwechselnd allwissend und ahnungslos, treibt sie ihr Spiel mit den Lesererwartungen. Und es nützt doch alles nichts. Gewiß, es gibt gegen diesen Roman wenige Bedenken vorzubringen, die er nicht selbst formuliert hätte. Doch erliegt er dem Irrtum, eine Gefahr sei schon dadurch gebannt, daß man sie ausspricht. Spätestens von der Mitte an beginnt deshalb schiefzugehen, was nur schiefgehen kann. Was begonnen hat wie ein nach Thailand umgesiedeltes Fräulein Smilla, sieht am Ende aus wie Siddharta auf Abenteuerurlaub (und dann und wann ein blauer Elefant).
Um überhaupt einen Rest von Zusammenhang zu retten, muß bald immer weniger erzählt und immer aufdringlicher räsoniert werden, in Dialogen, die infolgedessen immer hölzerner und langweiliger sind. Ob es sich um die Verschwörung eines religiösen Geheimbundes handelt, einer ostasiatischen Mafia oder skrupelloser Kapitalisten, ob Kecki überhaupt freiwillig hierhergekommen ist oder dunkle Mächte sich schon in ihre Reiseplanung eingemischt haben: man weiß es nicht, und es ist auch vollkommen gleichgültig. Viel zu viele Fäden sind ausgelegt, als daß sich das Knäuel noch irgendwie plausibel entwirren ließe; und längst hat der Roman den Augenblick verpaßt, in dem er sich zwischen überdrehter Parodie und Ernst hätte entscheiden müssen. Was flapsig war, wird abgeschmackt, und jede neue Albernheit enthüllt nur den Kitsch, den sie überspielen soll. Daß die vermeintliche Starjournalistin mittlerweile bei der "Apothekenrundschau" angekommen ist, mag als Persiflage durchgehen, auch daß es sich bei Mr. Oss, dem ausgewanderten Tourismusmanager, eigentlich um einen verballhornten "Horst" handelt. Selbst die kanadische Zwergin mag man noch hinnehmen, auch den streichholzdünnen Herrn Atropos samt moribunder Geliebter und einen "mutigen kleinen Rumänen", der den Vornamen des verstorbenen Diktators trägt und kindliche Unschuld verkörpert. Aber daß zu alldem ein deutscher Baron namens "Varus Wyandotte-Spielvogel zu Brendelenburg" auftreten muß, daß die ermordete taubstumme Dienerin der schönen Dorfherrin "Kleines Gemüse" heißt und ein abgehalfterter pädophiler Schlagersänger als "Curd Caramel" auftritt: Das ist so krachledern dämlich, daß es noch in der grellen Übertreibung des Klischees das Klischee bedient. Nicht anders die Pointe, daß sich in einem buddhistischen Mönch niemand anderer verbirgt als "Ulf Hagebrecht, das Lämmchenmonster", ein flüchtiger Krimineller und mißverstandener Wohltäter der Armen. Vermutlich soll das alles unerhört grotesk sein. Aber es ergibt doch nur, man muß es leider sagen, einen monströsen Schmarrn.
Vor allem die genierte Relativierung der Heilsbotschaft gerät in ein Handgemenge mit deren faktischem Geltungsanspruch. Ließe dieser Roman seine Helden nur einen mystischen Initiationsweg beschreiten, das Vorhaben wäre vorderhand so unverächtlich wie das Gegenteil. Hier aber soll beides zugleich gelingen, die ironische Abwehr des Wunderbaren und seine feierliche Verkündigung. Das Ergebnis ist ein Kitsch, der sich selber peinlich ist. Nach seinem Initiationsbad im Drachenblut der mystischen Einweihung verliert der sonst so nüchterne Fotograf die Fassung und verlangt, ein Bild dürfe nicht nur den Porträtierten zeigen, sondern auch "alle, die du und ich schon waren. Alle, die wir noch nicht gewesen sind. Und vielleicht die, die wir sein werden."
Mit ebendiesem Prinzip versucht der Roman wenig später selbst Ernst zu machen. Als endlich auch Kecki baden geht, vernimmt sie aus Wasser und Höhle vertraute Stimmen. Da flüstert das Kind, das sie war, da redet die Greisin, die sie einmal sein wird; da erklingt das "wunderbare Lachen ihrer Mutter", und eine unversehens auftauchende Schlange blickt sie gar mit den "graugrünen Augen ihrer Mutter" an. Endlich stellt sich, da wirklich nichts ausgelassen werden darf, auch noch der längst geschlachtete Lieblingsochse vom Bauernhof der Großeltern ein. Wenn sich unterdessen das Wasser des Höhlensees der Reihe nach in "alle Wasser ihres Lebens" verwandelt, dann vereinen sich die Stimmen zum Chor. Seine Botschaft lautet: "Werde!" Als sei das nicht schon übergenug, kommt im Decrescendo der Szene auch noch Rilke hinzu: "Du mußt dein Leben ändern", denkt Kecki ausdrücklich; vorsichtshalber ist der Satz kursiv gedruckt. Die Botschaft wird dem Leser fortan durch Wiederholung eingeprägt. "Lieben. Lernen. Scheitern", lautet sie in der Kurzfassung. Selbst der deutsche Baron sucht (und kein Lektor hat es ihm ausgeredet) "die Leichtigkeit des Seins, ja".
Das siamesische Dorf repräsentiert, man hat es längst verstanden, eine Wirklichkeit, die eins und doppelt ist. Je mehr von Erlösung die Rede ist, desto weniger ist hier zu retten. So zweideutig dies alles anfängt, so eindeutig geht es zu Bruch. Zu den Wundern, die ein Bad im Höhlensee bewirken kann, gehört, daß man danach "nichts Überflüssiges mehr redet". Hätte die Autorin das beherzigt, der Roman wäre zweihundert Seiten kürzer.
Eva Demski: "Das siamesische Dorf". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 382 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Heinrich Detering ist entsetzt. Was Eva Demski selbst "vermutlich" für grotesk halte, nennt er auf gut bayrisch "krachledern dämlich". Wie kommt's? Das Buch ist ein Esoterik-Thriller, schreibt Detering, der weder dem Thriller traut noch der Esoterik. Er verzettelt sich, wenn wir dem Rezensenten glauben, in alle erdenklichen Richtungen, und weiß das auch. Nützt aber nichts. Ebensowenig, meint Detering, wie die Fähigkeit der Autorin zum Perspektiven- und Tonwechsel, zum Spiel mit den Lesererwartungen. Das Wunderbare verkünden und es zugleich ironisch abwehren - ein Kunststück, findet Detering, das den Kitsch zeitigt, "der sich selber peinlich ist".
© Perlentaucher Medien GmbH
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