Der große Osteuropa-Historiker Karl Schlögel lädt mit seiner Archäologie des Kommunismus zu einer Neuvermessung der sowjetischen Welt ein. Wir wussten immer schon viel darüber, wie "das System" funktioniert, weit weniger über die Routinen des Lebens in außergewöhnlichen Zeiten. Aber jedes Imperium hat seinen Sound, seinen Duft, seinen Rhythmus, der auch dann noch fortlebt, wenn das Reich aufgehört hat zu existieren. So entsteht, hundert Jahre nach der Revolution von 1917 und ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Sowjetunion, das Panorama eines einzigartigen Imperiums, ohne das wir "die Zeit danach", in der wir heute leben, nicht verstehen können.
"Eine spannend geschriebene archäologische Enzyklopädie."
Kerstin Holm, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Ein großartiges Porträt einer untergegangenen Welt."
Michael Thumann, DIE ZEIT
"Schlögels Museum macht Spaß und liefert unzählige überraschende Einsichten."
Tania Martini, die tageszeitung
Kerstin Holm, Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Ein großartiges Porträt einer untergegangenen Welt."
Michael Thumann, DIE ZEIT
"Schlögels Museum macht Spaß und liefert unzählige überraschende Einsichten."
Tania Martini, die tageszeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2017Im Museum der Revolution
Einhundert Jahre nach der Oktoberrevolution rücken die Umrisse der Sowjetunion immer ferner. Der Historiker Karl Schlögel versucht nun, die "Sowjetzivilisation" in ihrer Totalität zu rekonstruieren - den Klang, den Duft, eine ganze Kultur
Der russische Designer Hassan Bachajew machte eine Serie von Collagen, die von vielen Medien übernommen und auf Facebook tausendfach geteilt wurde: Junge Opfer von Stalins Regime in modernen Kleidern und modernen Umgebungen, in einem Café oder vor einer Graffitiwand. Menschen, die in den 1930ern erschossen wurden, versetzte Bachajew in die Gegenwart, indem er Gesichter aus Gerichtsakten in heutige Porträtfotos montiert hat. Dieser sportliche Muskelmann, diese verträumte Studentin, dieser aufgetakelte Hipster werden bald verhaftet, gefoltert, als japanische Spione oder Terroristen zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. So hautnah, so schrecklich.
Der russische Internetriese Yandex präsentiert in einem großen Projekt das Jahr 1917 als ein Newsfeed von Blogeinträgen, Tweets und Nachrichtenmeldungen, alles authentische Texte aus Tagebüchern, Briefen und Zeitungen jener Zeit. Am 7. November inszenierte das Projektteam zusammen mit einem Nachrichtenportal eine Liveübertragung der bolschewistischen Machtergreifung. Sie wirkte gar nicht so außerirdisch neben tatsächlichen Meldungen des Tages: 400 Menschen in sechs Städten verhaftet, meistens nichtsahnende Passanten, die laut Behörden an illegalen Protestaktionen teilgenommen haben sollen, von denen niemand etwas gehört hatte.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wird in deren Nachfolgestaaten sehr unterschiedlich an sie gedacht. In Weißrussland tut man so, als wäre sie immer noch da, als bestünde sie aus sauberen Straßen, roten Fahnen und niedrigen Löhnen. In der Ukraine oder in Georgien, deren Teile Russland besetzt hat, gilt auch die Sowjetzeit offiziell als Besatzung. Und in Russland selbst spürt man sehr deutlich, dass die Sowjetunion nicht ganz untergegangen ist. Dennoch rückt sie auch dort immer ferner, ihre Umrisse werden immer verschwommener. Selbst Politiker und Nostalgiker, die sie wiederzubeleben versuchen, können sich an sie nicht mehr so richtig erinnern und gestalten ihre Reinkarnationen frei nach eigenem Geschmack. Stalindenkmäler und Massenverhaftungen, deren "historische Rekonstruktionen" hier und da mit wohlwollender Zustimmung der Behörden bei Volksfesten aufgeführt werden, hat man in den letzten drei Jahrzehnten der UdSSR nicht mehr gesehen und wohl kaum vermisst. Willkürliche Repressalien von heute, die jeden beliebigen Bürger zufällig treffen können, haben mit der starren Ordnung der Stagnationszeit weniger gemein als mit der Zeit des Großen Terrors. Doch anders als damals wird heute niemand hingerichtet, und die Maßstäbe sind bei weitem nicht dieselben: Genug, um die Bürger zu verunsichern, ohne sie in lähmende Angst zu versetzen. Die Freiheiten und Einschränkungen waren damals und jetzt ganz unterschiedlich gemischt, immerhin kann man heute zur Not ins Ausland fliehen. Der notorisch ineffiziente Staatsapparat der Breschnewzeit kann einem im Vergleich mit heutigen Behörden wie ein Schweizer Uhrwerk vorkommen. Ob das wirklich stimmt? Wie war sie denn, die Sowjetunion, was war sie, wie hat sie sich angefühlt?
Einen beeindruckenden Versuch, die "Sowjetzivilisation" in ihrer Totalität zu rekonstruieren, unternahm der Historiker Karl Schlögel. Sein voluminöses, neunhundert Seiten umfassendes Buch "Das sowjetische Jahrhundert" ist prädestiniert, so wie alle seine Bücher, zum Standardwerk und zur Pflichtlektüre für alle Osteuropainteressierten zu werden. Das Buch trägt den Untertitel "Archäologie einer untergegangenen Welt", die ausgegrabenen Objekte arrangiert Schlögel zu einem musée imaginaire, wie er es in Anlehnung an das imaginäre Museum der Weltkunst von André Malraux nennt. "Es gibt für die Einrichtung eines solchen Museums kaum einen besseren Ort als ,die Lubjanka' in Moskau: der Sitz der Geheimdienste, verwandelt in ein Forum der offenen Gesellschaft", schreibt Schlögel, und macht den monströsen Sitz von KGB-FSB zu einem seiner Exponate: Ein Kapitel ist eigens dem Gebäude, seiner Architektur, seinen Mitarbeitern und Insassen gewidmet.
In diesem Buch bewegt man sich tatsächlich wie in einem Museum. Hier sind überdimensionierte Industrieobjekte, da Fotos, hier Orden und Karten, da Kleinkram wie Verpackungspapier, Porzellanelefanten und Türklingeln, hier Krematorien, da Warteschlangen, Arbeitslager und das Urlaubsparadies auf der Krim, ohne die die Sowjetunion unvollständig wäre.
Das vorrevolutionäre Russland ist nicht das eigentliche Thema, doch es kommt immer wieder zum Vorschein. Ein Kapitel - oder sollte man besser sagen, ein Saal - heißt "Das Klavier im Kulturpalast"; eine solche Einrichtung gab es in jedem noch so kleinen Städtchen und in so gut wie jedem größeren Dorf, und ein Klavier gehörte unbedingt dazu. "Russland war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Revolution ein Land mit einer hochentwickelten Klavierproduktion, deren Anfänge schon ins 18. Jahrhundert zurückdatieren", erzählt Schlögel, allein in Sankt Petersburg gab es 16 Klavierfabriken und 41 Werkstätten, im ganzen Land zählte man Dutzende davon. Die Nachfrage war groß, ein Klavier bildete das Zentrum einer bürgerlichen Wohnung in jedem Teil des Russischen Reichs. Klavierbau war ein traditionelles deutsches Handwerk; nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mussten die Klavierbauer als feindliche Ausländer ihre Firmen aufgeben und das Land verlassen, die Nichtdeutschen folgten nach der Revolution. Die Klaviere, umgedeutet zu Symbolen des "alten Lebens", wurden beschlagnahmt, und die, die nicht verheizt wurden, landeten in Klubs und Schulen. Auf diese Weise entstand die immer noch lebendige Tradition, dass ein Klavier zur Standardeinrichtung einer Schulklasse gehört. Als aber das Volkskommissariat für Volksaufklärung 1927 beschlossen hatte, die Klavierproduktion wiederaufzunehmen, war kaum noch jemand da, der es hätte machen können. Es dauerte sieben Jahre, bis in der Sowjetunion der erste Konzertflügel gebaut werden konnte.
Ein ähnliches Schicksal traf die ebenfalls im 18. Jahrhundert von französischen Einwanderern gegründete russische Kosmetikindustrie. Es ist kein Zufall, dass der berühmteste sowjetische Duft "Krasnaja Moskwa - Rotes Moskau" eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Chanel Nr. 5 besitzt: Beide wurden praktisch von denselben Leuten auf derselben Grundlage entwickelt, dem "Bouquet Catherine II" der russischen Firma Brocar und Co.
Auch Großbauten der frühen Sowjetzeit wären undenkbar ohne Ausländer, mit dem einzigen wesentlichen Unterschied, dass es nun keine Einwanderer waren, sondern "Gastarbeiter", und sie lebten unter besseren Bedingungen als ihre sowjetischen Kollegen, die wenigen hochqualifizierten Fachkräfte, die nicht ins Ausland gegangen waren und nach einem Jahrzehnt von Chaos und Zerstörung ihr Lebenswerk fortsetzen konnten.
Im Süden des Urals, in der Steppe, wurde binnen kürzester Zeit ein gewaltiges Stahlwerk gebaut und die dazugehörende Stadt Magnitogorsk. "Die Technologie für das ,modernste Stahlwerk der Welt', die man im eigenen Land nicht finden kann, lieferte die unter Kontrakt genommene US-Firma McKee aus Cleveland für 2,5 Millionen Goldrubel. Und für die amerikanischen und die deutschen Ingenieure, die auf Zentralheizung, fließendes Wasser und die Lektüre der "Saturday Evening Post" nicht verzichten können, wird in Berjoski ein Klein-Amerika aus 150 Cottages errichtet, das noch heute zu bestaunen ist." Sowjetische Arbeiter, ein Drittel von ihnen Häftlinge, lebten in Baracken, Zelten und Erdlöchern. Ähnlich ging es beim Bau des Dnjepr-Staudamms zu: "Auf Dnjeprostroj gab es eine amerikanische Kolonie, die unter privilegierten Verhältnissen lebte - in eigens für sie errichteten Häusern, ausgestattet mit Tennis Courts und Wagenpark -, sogar besondere Lebensmittel sollen per Schiff herbeigeschafft worden sein."
Wie in jedem Museum sind die Exponate im "Sowjetischen Jahrhundert" nicht gleichwertig. Neben echten Perlen, wie der Geschichte der "Großen Sowjetischen Enzyklopädie", die ihre Herausgeber und Autoren verschlang, weil sie den Schwingungen der Generallinie nicht schnell genug folgen konnten, findet sich auch relativ wertloses Zeug. Karl Schlögel versieht fast jedes Kapitel mit endlosen Aufzählungen von Berufsständen, Orten, Marken, als könne er sich vom hypnotisierenden Stil der Leitartikel der "Prawda" nicht befreien. Etwas mehr Dynamik hätte diesem Buch bestimmt gutgetan. Da es aber ein Museum ist, stört es nicht wirklich: Jeder Museumsbesucher kann sich so schnell bewegen, wie es ihm beliebt.
NIKOLAI KLIMENIOUK
Karl Schlögel: "Das sowjetische Jahrhundert". C. H. Beck, 912 Seiten, 38 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einhundert Jahre nach der Oktoberrevolution rücken die Umrisse der Sowjetunion immer ferner. Der Historiker Karl Schlögel versucht nun, die "Sowjetzivilisation" in ihrer Totalität zu rekonstruieren - den Klang, den Duft, eine ganze Kultur
Der russische Designer Hassan Bachajew machte eine Serie von Collagen, die von vielen Medien übernommen und auf Facebook tausendfach geteilt wurde: Junge Opfer von Stalins Regime in modernen Kleidern und modernen Umgebungen, in einem Café oder vor einer Graffitiwand. Menschen, die in den 1930ern erschossen wurden, versetzte Bachajew in die Gegenwart, indem er Gesichter aus Gerichtsakten in heutige Porträtfotos montiert hat. Dieser sportliche Muskelmann, diese verträumte Studentin, dieser aufgetakelte Hipster werden bald verhaftet, gefoltert, als japanische Spione oder Terroristen zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. So hautnah, so schrecklich.
Der russische Internetriese Yandex präsentiert in einem großen Projekt das Jahr 1917 als ein Newsfeed von Blogeinträgen, Tweets und Nachrichtenmeldungen, alles authentische Texte aus Tagebüchern, Briefen und Zeitungen jener Zeit. Am 7. November inszenierte das Projektteam zusammen mit einem Nachrichtenportal eine Liveübertragung der bolschewistischen Machtergreifung. Sie wirkte gar nicht so außerirdisch neben tatsächlichen Meldungen des Tages: 400 Menschen in sechs Städten verhaftet, meistens nichtsahnende Passanten, die laut Behörden an illegalen Protestaktionen teilgenommen haben sollen, von denen niemand etwas gehört hatte.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wird in deren Nachfolgestaaten sehr unterschiedlich an sie gedacht. In Weißrussland tut man so, als wäre sie immer noch da, als bestünde sie aus sauberen Straßen, roten Fahnen und niedrigen Löhnen. In der Ukraine oder in Georgien, deren Teile Russland besetzt hat, gilt auch die Sowjetzeit offiziell als Besatzung. Und in Russland selbst spürt man sehr deutlich, dass die Sowjetunion nicht ganz untergegangen ist. Dennoch rückt sie auch dort immer ferner, ihre Umrisse werden immer verschwommener. Selbst Politiker und Nostalgiker, die sie wiederzubeleben versuchen, können sich an sie nicht mehr so richtig erinnern und gestalten ihre Reinkarnationen frei nach eigenem Geschmack. Stalindenkmäler und Massenverhaftungen, deren "historische Rekonstruktionen" hier und da mit wohlwollender Zustimmung der Behörden bei Volksfesten aufgeführt werden, hat man in den letzten drei Jahrzehnten der UdSSR nicht mehr gesehen und wohl kaum vermisst. Willkürliche Repressalien von heute, die jeden beliebigen Bürger zufällig treffen können, haben mit der starren Ordnung der Stagnationszeit weniger gemein als mit der Zeit des Großen Terrors. Doch anders als damals wird heute niemand hingerichtet, und die Maßstäbe sind bei weitem nicht dieselben: Genug, um die Bürger zu verunsichern, ohne sie in lähmende Angst zu versetzen. Die Freiheiten und Einschränkungen waren damals und jetzt ganz unterschiedlich gemischt, immerhin kann man heute zur Not ins Ausland fliehen. Der notorisch ineffiziente Staatsapparat der Breschnewzeit kann einem im Vergleich mit heutigen Behörden wie ein Schweizer Uhrwerk vorkommen. Ob das wirklich stimmt? Wie war sie denn, die Sowjetunion, was war sie, wie hat sie sich angefühlt?
Einen beeindruckenden Versuch, die "Sowjetzivilisation" in ihrer Totalität zu rekonstruieren, unternahm der Historiker Karl Schlögel. Sein voluminöses, neunhundert Seiten umfassendes Buch "Das sowjetische Jahrhundert" ist prädestiniert, so wie alle seine Bücher, zum Standardwerk und zur Pflichtlektüre für alle Osteuropainteressierten zu werden. Das Buch trägt den Untertitel "Archäologie einer untergegangenen Welt", die ausgegrabenen Objekte arrangiert Schlögel zu einem musée imaginaire, wie er es in Anlehnung an das imaginäre Museum der Weltkunst von André Malraux nennt. "Es gibt für die Einrichtung eines solchen Museums kaum einen besseren Ort als ,die Lubjanka' in Moskau: der Sitz der Geheimdienste, verwandelt in ein Forum der offenen Gesellschaft", schreibt Schlögel, und macht den monströsen Sitz von KGB-FSB zu einem seiner Exponate: Ein Kapitel ist eigens dem Gebäude, seiner Architektur, seinen Mitarbeitern und Insassen gewidmet.
In diesem Buch bewegt man sich tatsächlich wie in einem Museum. Hier sind überdimensionierte Industrieobjekte, da Fotos, hier Orden und Karten, da Kleinkram wie Verpackungspapier, Porzellanelefanten und Türklingeln, hier Krematorien, da Warteschlangen, Arbeitslager und das Urlaubsparadies auf der Krim, ohne die die Sowjetunion unvollständig wäre.
Das vorrevolutionäre Russland ist nicht das eigentliche Thema, doch es kommt immer wieder zum Vorschein. Ein Kapitel - oder sollte man besser sagen, ein Saal - heißt "Das Klavier im Kulturpalast"; eine solche Einrichtung gab es in jedem noch so kleinen Städtchen und in so gut wie jedem größeren Dorf, und ein Klavier gehörte unbedingt dazu. "Russland war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Revolution ein Land mit einer hochentwickelten Klavierproduktion, deren Anfänge schon ins 18. Jahrhundert zurückdatieren", erzählt Schlögel, allein in Sankt Petersburg gab es 16 Klavierfabriken und 41 Werkstätten, im ganzen Land zählte man Dutzende davon. Die Nachfrage war groß, ein Klavier bildete das Zentrum einer bürgerlichen Wohnung in jedem Teil des Russischen Reichs. Klavierbau war ein traditionelles deutsches Handwerk; nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mussten die Klavierbauer als feindliche Ausländer ihre Firmen aufgeben und das Land verlassen, die Nichtdeutschen folgten nach der Revolution. Die Klaviere, umgedeutet zu Symbolen des "alten Lebens", wurden beschlagnahmt, und die, die nicht verheizt wurden, landeten in Klubs und Schulen. Auf diese Weise entstand die immer noch lebendige Tradition, dass ein Klavier zur Standardeinrichtung einer Schulklasse gehört. Als aber das Volkskommissariat für Volksaufklärung 1927 beschlossen hatte, die Klavierproduktion wiederaufzunehmen, war kaum noch jemand da, der es hätte machen können. Es dauerte sieben Jahre, bis in der Sowjetunion der erste Konzertflügel gebaut werden konnte.
Ein ähnliches Schicksal traf die ebenfalls im 18. Jahrhundert von französischen Einwanderern gegründete russische Kosmetikindustrie. Es ist kein Zufall, dass der berühmteste sowjetische Duft "Krasnaja Moskwa - Rotes Moskau" eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Chanel Nr. 5 besitzt: Beide wurden praktisch von denselben Leuten auf derselben Grundlage entwickelt, dem "Bouquet Catherine II" der russischen Firma Brocar und Co.
Auch Großbauten der frühen Sowjetzeit wären undenkbar ohne Ausländer, mit dem einzigen wesentlichen Unterschied, dass es nun keine Einwanderer waren, sondern "Gastarbeiter", und sie lebten unter besseren Bedingungen als ihre sowjetischen Kollegen, die wenigen hochqualifizierten Fachkräfte, die nicht ins Ausland gegangen waren und nach einem Jahrzehnt von Chaos und Zerstörung ihr Lebenswerk fortsetzen konnten.
Im Süden des Urals, in der Steppe, wurde binnen kürzester Zeit ein gewaltiges Stahlwerk gebaut und die dazugehörende Stadt Magnitogorsk. "Die Technologie für das ,modernste Stahlwerk der Welt', die man im eigenen Land nicht finden kann, lieferte die unter Kontrakt genommene US-Firma McKee aus Cleveland für 2,5 Millionen Goldrubel. Und für die amerikanischen und die deutschen Ingenieure, die auf Zentralheizung, fließendes Wasser und die Lektüre der "Saturday Evening Post" nicht verzichten können, wird in Berjoski ein Klein-Amerika aus 150 Cottages errichtet, das noch heute zu bestaunen ist." Sowjetische Arbeiter, ein Drittel von ihnen Häftlinge, lebten in Baracken, Zelten und Erdlöchern. Ähnlich ging es beim Bau des Dnjepr-Staudamms zu: "Auf Dnjeprostroj gab es eine amerikanische Kolonie, die unter privilegierten Verhältnissen lebte - in eigens für sie errichteten Häusern, ausgestattet mit Tennis Courts und Wagenpark -, sogar besondere Lebensmittel sollen per Schiff herbeigeschafft worden sein."
Wie in jedem Museum sind die Exponate im "Sowjetischen Jahrhundert" nicht gleichwertig. Neben echten Perlen, wie der Geschichte der "Großen Sowjetischen Enzyklopädie", die ihre Herausgeber und Autoren verschlang, weil sie den Schwingungen der Generallinie nicht schnell genug folgen konnten, findet sich auch relativ wertloses Zeug. Karl Schlögel versieht fast jedes Kapitel mit endlosen Aufzählungen von Berufsständen, Orten, Marken, als könne er sich vom hypnotisierenden Stil der Leitartikel der "Prawda" nicht befreien. Etwas mehr Dynamik hätte diesem Buch bestimmt gutgetan. Da es aber ein Museum ist, stört es nicht wirklich: Jeder Museumsbesucher kann sich so schnell bewegen, wie es ihm beliebt.
NIKOLAI KLIMENIOUK
Karl Schlögel: "Das sowjetische Jahrhundert". C. H. Beck, 912 Seiten, 38 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein beeindruckendes Panorama einer untergegangenen Welt, ohne deren Verständnis auch die Zeit danach ein Rätsel bleibt."
Stuttgarter Zeitung, Simon Rilling
"Schlögel findet überall Einzigartiges, das vom Paradigmatischen erzählt. Schlögels Museum macht Spaß und liefert unzählige überraschende Einsichten."
Tania Martini, Die Tageszeitung, 17. März 2018
"Eines jener wunderbaren Bücher, in die man lesend hineinplumpst und hofft, es möge nicht enden."
Barbara Kerneck, Die Tageszeitung, 27. Februar 2018
"Bild für Bild und Relikt für Relikt rekonstruiert der Autor diese Welt, die nach 1989 unterging und heute kaum noch zu fassen ist. Er beschreibt die Enge des Alltags für den 'homo sovieticus' und die Weite der Ambitionen einer zunächst revolutionären, dann totalitären, schließlich nur noch siechen Weltmacht. Und die bittere Kluft zwischen beidem."
Christian Ruf, Dresdner Neuste Nachrichten, 5. März 2018
"Mein Buch des Jahres!"
André Fischer, Nürnberger Zeitung, 29. Dezmber 2017
"Eine Lektüre (...), in der die Zeit im besten Sinne aufgehoben ist."
Elke Schmitter, SPIEGEL Online, 14. Dezember 2017
"Ein grandioses Buch."
Jörg Später, Badische Zeitung, 15. November 2017
"Er erspürt, ertastet Dimensionen, die andere Historiker gar nicht wahrnehmen: Alltagskultur, das gemeine Leben."
Richard Herzinger und Andrea Seibel, WELT am Sonntag, 5. November 2017
"Eine spannend geschriebene archäologische Enzyklopädie."
Kerstin Holm, FAZ, 27. Oktober 2017
"Großartiges Porträt einer untergegangenen Wel."
Michael Thumann, Die ZEIT, 19. Oktober 2017
"Ein imaginäres Museum der Sowjet-Zivilisation."
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung Messebeilage, 10. Oktober 2017
"Ein Museumsführer durch sowjetische Lebenswelten jenseits der herkömmlichen historischen Quellen (...) Hier agiert jemand, der uns mit seinem Wissensschatz den Blick erweitert."
Jörg Himmelreich, Deutschlandfunk Kultur, 30. September 2017
Stuttgarter Zeitung, Simon Rilling
"Schlögel findet überall Einzigartiges, das vom Paradigmatischen erzählt. Schlögels Museum macht Spaß und liefert unzählige überraschende Einsichten."
Tania Martini, Die Tageszeitung, 17. März 2018
"Eines jener wunderbaren Bücher, in die man lesend hineinplumpst und hofft, es möge nicht enden."
Barbara Kerneck, Die Tageszeitung, 27. Februar 2018
"Bild für Bild und Relikt für Relikt rekonstruiert der Autor diese Welt, die nach 1989 unterging und heute kaum noch zu fassen ist. Er beschreibt die Enge des Alltags für den 'homo sovieticus' und die Weite der Ambitionen einer zunächst revolutionären, dann totalitären, schließlich nur noch siechen Weltmacht. Und die bittere Kluft zwischen beidem."
Christian Ruf, Dresdner Neuste Nachrichten, 5. März 2018
"Mein Buch des Jahres!"
André Fischer, Nürnberger Zeitung, 29. Dezmber 2017
"Eine Lektüre (...), in der die Zeit im besten Sinne aufgehoben ist."
Elke Schmitter, SPIEGEL Online, 14. Dezember 2017
"Ein grandioses Buch."
Jörg Später, Badische Zeitung, 15. November 2017
"Er erspürt, ertastet Dimensionen, die andere Historiker gar nicht wahrnehmen: Alltagskultur, das gemeine Leben."
Richard Herzinger und Andrea Seibel, WELT am Sonntag, 5. November 2017
"Eine spannend geschriebene archäologische Enzyklopädie."
Kerstin Holm, FAZ, 27. Oktober 2017
"Großartiges Porträt einer untergegangenen Wel."
Michael Thumann, Die ZEIT, 19. Oktober 2017
"Ein imaginäres Museum der Sowjet-Zivilisation."
Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung Messebeilage, 10. Oktober 2017
"Ein Museumsführer durch sowjetische Lebenswelten jenseits der herkömmlichen historischen Quellen (...) Hier agiert jemand, der uns mit seinem Wissensschatz den Blick erweitert."
Jörg Himmelreich, Deutschlandfunk Kultur, 30. September 2017