Dieses Buch gibt Antwort auf die Frage, wie biografische Prägungen aus der Zeit des Dritten Reiches den BND von den Anfängen 1946 bis 1968 beeinflusst haben. Auf der Grundlage von 3650 Lebensläufen rekonstruiert es darüber hinaus die soziale Zusammensetzung des Geheimdienstes und deren Veränderungen mit größter Detailschärfe über zwei Jahrzehnte hinweg. Die Studie bietet keine »Agentengeschichten«, sondern eine strukturanalytische Untersuchung der personellen Zusammensetzung einer wichtigen Behörde der jungen Bundesrepublik und gibt einen tiefen Einblick in das Nachwirken der NS-Zeit. Mit dieser empirisch gut abgesicherten Sozialprofilanalyse liegt eine bislang einzigartige Grundlage für ein differenziertes Verständnis des Innenlebens eines Geheimdienstes vor.(Band 1 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2016Ungehinderte Selbstrekrutierung
Erst Mitte der sechziger Jahre ging die Zahl des BND-Personals mit belasteter NS-Vergangenheit zurück
Im November 1961 schreckte ein Spionageskandal die Bonner Politik auf und erregte die Öffentlichkeit. In der Pullacher Zentrale des Bundesnachrichtendienstes war ein Agent verhaftet worden, der in unmittelbarer Nähe zum BND-Chef Gehlen, zusammen mit zwei Helfershelfern, seit zehn Jahren für den sowjetischen KGB gearbeitet hatte. Obwohl der amerikanische Geheimdienst CIA schon länger über Informationen verfügte, dass der deutsche Dienst "böse unterwandert" sei, blieb der Spion Heinz Felfe bis 1961 unerkannt. Als er enttarnt wurde, war das ein persönlicher Schlag für Gehlen, weil er sich in einem engen Mitarbeiter getäuscht hatte. Im Bundeskanzleramt, der vorgesetzten Dienststelle des BND, wurde hingegen die politische Dimension sofort erkannt. Felfe hatte nicht nur als klassischer Doppelagent im Kalten Krieg agiert, sondern war auch Mitglied der SS gewesen - und nicht nur das: SS-Obersturmführer Heinz Felfe war ein Mann des SD, des Sicherheitsdienstes der NSDAP und der SS. Er kam aus dem inneren Kreis des Polizei- und Terrorapparats der Hitlerdiktatur. Was hatte dieser SS-Offizier im Bundesnachrichtendienst verloren - und noch dazu auf der Leitungsebene als Vertrauter des Präsidenten?
Noch in den fünfziger Jahren war die frühere Zugehörigkeit zu den Organisationen des "Dritten Reichs" innerhalb des Nachrichtendienstes ohne Aufhebens hingenommen worden. Am Ende des Jahrzehnts begann sich das Meinungsklima zu ändern. 1958 deckte der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess auf, dass sich die Täter von gestern in der Wiederaufbaugesellschaft inzwischen auskömmlich eingerichtet hatten, doch erstmals war es ein deutsches Gericht, das über deren Verantwortung und Schuld verhandelte.
1961 folgte in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann. Als Felfe 1963 vor Gericht gestellt wurde, stand der Auschwitz-Prozess in Frankfurt kurz vor der Eröffnung. In dieser Situation entschied Gehlen, in die Offensive zu gehen. Er ordnete an, dass eine Untersuchungsgruppe zur Überprüfung ehemaliger Nationalsozialisten im BND eingerichtet wurde. So konnte der Dienst nach außen als Behörde dastehen, die aus eigenem staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstsein mit der Selbstreinigung begann.
Es ist das Programm der Unabhängigen Historikerkommission (UHK), die Geschichte des BND bis 1968 so zu erforschen, dass zuerst in größtmöglicher Dichte empirisch gesicherte Fakten und Strukturzusammenhänge herausgearbeitet werden, bevor die interpretierende Einordnung erfolgen kann. Mit den Büchern von Christoph Rass und Sabrina Nowack liegen zwei Grundlagenstudien vor, die dieses Programm mustergültig umsetzen. Rass macht das Sozialprofil der Behörde in statistischer Detailarbeit durchschaubar. Er beleuchtet die personelle Infrastruktur, so dass Veränderungen in der Zusammensetzung des BND-Personals gut erkennbar werden. Die Verankerung von ehemaligen Soldaten und Angehörigen nationalsozialistischer Organisationen auf der Leitungsebene sticht als Befund hervor. Nowack untersucht die Planung sowie das Vorgehen bei der Evaluation von ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und der nationalsozialistischen Organisationen im westdeutschen Nachrichtendienst.
Die sozialstatistische Arbeit von Rass erfasst mit 3650 Lebensläufen etwa ein Drittel des BND-Personals. Sie wurden als Zufallsstichproben aus den personenbezogenen Akten der Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendienstes erhoben. Es zeigt sich, dass die Geburtsjahrgänge 1909 bis 1928 und 1934 bis 1941 für den BND profilprägend waren, wobei die ältere Kohorte in der Frühphase des Dienstes naturgemäß wichtiger war. Die Geschlechterverteilung veränderte sich von einer männerdominierten Behörde um 1950 (85 Prozent) zu einem Proporz von 60 zu 40 im Jahr 1965.
Auf der Leitungsebene waren Frauen nahezu nicht zu finden. Die Herkunft aus der Mittelschicht überwog bei den Geschlechtern deutlich. Die regionale Herkunft zeigt eine signifikant große Gruppe, die außerhalb der Reichsgrenzen von 1918 und später außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik geboren war. Ein "nicht kleiner Teil" stammte aus dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Unter den Westdeutschen war der Anteil von Personen aus Bayern sowie den Metropolregionen Berlin, Hamburg, Rhein-Ruhr und München besonders groß. Spätere Interpretationen dieser Ergebnisse durch die UHK werden aus dem hohen Anteil von Auslandsdeutschen und Personen aus Ost- und Mitteldeutschland Schlüsse ziehen, auf die man gespannt sein darf.
Bis 1960 hatte sich der BND so ausgewachsen, dass im höheren Dienst der Behörde ausschließlich ehemalige Soldaten anzutreffen waren, zwei Drittel von ihnen Offiziere mit überwiegend mittleren Diensträngen. Auf der Leitungsebene sammelten sich zudem Angehörige der NSDAP oder anderer NS-Organisationen in einer Stärke von immerhin einem Drittel. Die Soldaten aus der Wehrmacht und der Waffen-SS sowie das frühere NS- und SS-Personal verband nicht nur die ideologische Prägung des Antibolschewismus, sondern auch das alte Feindbild der demokratischen Westmächte, das aus dem Ersten Weltkrieg herrührte, während der Weimarer Republik kaum abgeschwächt und im "Dritten Reich" propagandistisch radikal verschärft worden war.
Die antibolschewistische Erfahrung aus dem Krieg im Osten war nach 1945 für die Amerikaner besonders wichtig, weshalb sie Gehlen mit all seinen Dokumenten aus der Heeresabteilung "Fremde Heere Ost" sofort in ihre Obhut nahmen, ihm schon 1945/46 bei der Personalauswahl für die Organisation Gehlen weitgehend freie Hand ließen und bis zur Übergabe des BND in deutsche Verantwortung 1956 auf die Überprüfung der NS-Vergangenheit beim Geheimdienstpersonal keinen allzu großen Wert legten. Daher konnten Netzwerke entstehen, die zur demokratischen Grundordnung des neuen Staats keinerlei Zugang zu finden brauchten. Durch Selbstrekrutierung festigten sie sich von Jahr zu Jahr, und das galt insbesondere für Personen aus der Gestapo und anderen Organisationen des NS-Sicherheitsapparats. In absoluten Zahlen gemessen, war diese Gruppe im Vergleich zu den Soldaten zwar klein, aber prozentual gerechnet war sie deutlich umfangreicher, so dass die Selbstrekrutierung gerade hier einen markanten Faktor bildete.
Die Personalüberprüfung, die Gehlen 1963 anberaumte, sollte daher dem "besonderen Personenkreis" ehemaliger Nationalsozialisten gelten. Sie diente allerdings nicht so sehr dem Ziel, den Auslandsgeheimdienst stärker in die Staatsräson der Bundesrepublik einzubinden, sondern der Gefahr entgegenzuwirken, dass die offenkundige NS-Vergangenheit vieler Mitarbeiter dessen Personal für die Geheimdienste des Ostblocks erpressbar machte. Felfe hatte sich dem KGB zwar aus eigener Initiative angedient, aber das war eher die Ausnahme. Gleichwohl bot es sich an, die interne Überprüfung als staatsbürgerliche Entscheidung zur Selbstreinigung erscheinen zu lassen.
Sabrina Nowack schildert die Bedingungen, die zur Einrichtung der "Organisationseinheit 85" als Prüfgruppe führten. Unter der Leitung von zwei jüngeren BND-Mitarbeitern mit einem kleinen Arbeitsstab wurden 157 Personen mit Blick auf ihre NS-Vergangenheit herausgefiltert. Die Definition, wer zu überprüfen war, schloss allerdings Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS gar nicht ein und betraf überdies nur das hauptamtliche Personal mit Dienstverträgen als Angestellte oder Beamte.
Da der BND eine große Zahl an Mitarbeitern mit anderen Arbeitsverträgen beschäftigte, wurde eine unbestimmte Menge von "NS-belasteten Quellen" gar nicht erfasst. Dennoch war dieser Vorstoß kein Fehlschlag. Bis 1968 verließen 68 Mitarbeiter den BND. 89 Personen behielten ihren Arbeitsplatz. Einige Kündigungen wurden durch Arbeitsgerichtsverfahren revidiert. Von den überprüften Mitarbeitern hatten rund zwei Drittel der SS angehört - mit einem hohen Anteil von Gestapo- und SD-Personal. So bescheiden das Ergebnis war, so deutlich war doch seine interne Wirkung. Seit Mitte der sechziger Jahre ging die Zahl des BND-Personals mit NS-Vergangenheit deutlich zurück. 20 Jahre nach Kriegsende war die Zeit der nahezu ungehinderten Selbstrekrutierung vorbei.
ANSELM DOERING-MANTEUFFEL
Christoph Rass: Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes. Von den Anfängen bis 1968. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 368 S., 40,- [Euro].
Sabrina Nowack: Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er Jahren. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 528 S., 45,-[Euro].
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Erst Mitte der sechziger Jahre ging die Zahl des BND-Personals mit belasteter NS-Vergangenheit zurück
Im November 1961 schreckte ein Spionageskandal die Bonner Politik auf und erregte die Öffentlichkeit. In der Pullacher Zentrale des Bundesnachrichtendienstes war ein Agent verhaftet worden, der in unmittelbarer Nähe zum BND-Chef Gehlen, zusammen mit zwei Helfershelfern, seit zehn Jahren für den sowjetischen KGB gearbeitet hatte. Obwohl der amerikanische Geheimdienst CIA schon länger über Informationen verfügte, dass der deutsche Dienst "böse unterwandert" sei, blieb der Spion Heinz Felfe bis 1961 unerkannt. Als er enttarnt wurde, war das ein persönlicher Schlag für Gehlen, weil er sich in einem engen Mitarbeiter getäuscht hatte. Im Bundeskanzleramt, der vorgesetzten Dienststelle des BND, wurde hingegen die politische Dimension sofort erkannt. Felfe hatte nicht nur als klassischer Doppelagent im Kalten Krieg agiert, sondern war auch Mitglied der SS gewesen - und nicht nur das: SS-Obersturmführer Heinz Felfe war ein Mann des SD, des Sicherheitsdienstes der NSDAP und der SS. Er kam aus dem inneren Kreis des Polizei- und Terrorapparats der Hitlerdiktatur. Was hatte dieser SS-Offizier im Bundesnachrichtendienst verloren - und noch dazu auf der Leitungsebene als Vertrauter des Präsidenten?
Noch in den fünfziger Jahren war die frühere Zugehörigkeit zu den Organisationen des "Dritten Reichs" innerhalb des Nachrichtendienstes ohne Aufhebens hingenommen worden. Am Ende des Jahrzehnts begann sich das Meinungsklima zu ändern. 1958 deckte der Ulmer Einsatzgruppen-Prozess auf, dass sich die Täter von gestern in der Wiederaufbaugesellschaft inzwischen auskömmlich eingerichtet hatten, doch erstmals war es ein deutsches Gericht, das über deren Verantwortung und Schuld verhandelte.
1961 folgte in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann. Als Felfe 1963 vor Gericht gestellt wurde, stand der Auschwitz-Prozess in Frankfurt kurz vor der Eröffnung. In dieser Situation entschied Gehlen, in die Offensive zu gehen. Er ordnete an, dass eine Untersuchungsgruppe zur Überprüfung ehemaliger Nationalsozialisten im BND eingerichtet wurde. So konnte der Dienst nach außen als Behörde dastehen, die aus eigenem staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstsein mit der Selbstreinigung begann.
Es ist das Programm der Unabhängigen Historikerkommission (UHK), die Geschichte des BND bis 1968 so zu erforschen, dass zuerst in größtmöglicher Dichte empirisch gesicherte Fakten und Strukturzusammenhänge herausgearbeitet werden, bevor die interpretierende Einordnung erfolgen kann. Mit den Büchern von Christoph Rass und Sabrina Nowack liegen zwei Grundlagenstudien vor, die dieses Programm mustergültig umsetzen. Rass macht das Sozialprofil der Behörde in statistischer Detailarbeit durchschaubar. Er beleuchtet die personelle Infrastruktur, so dass Veränderungen in der Zusammensetzung des BND-Personals gut erkennbar werden. Die Verankerung von ehemaligen Soldaten und Angehörigen nationalsozialistischer Organisationen auf der Leitungsebene sticht als Befund hervor. Nowack untersucht die Planung sowie das Vorgehen bei der Evaluation von ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und der nationalsozialistischen Organisationen im westdeutschen Nachrichtendienst.
Die sozialstatistische Arbeit von Rass erfasst mit 3650 Lebensläufen etwa ein Drittel des BND-Personals. Sie wurden als Zufallsstichproben aus den personenbezogenen Akten der Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendienstes erhoben. Es zeigt sich, dass die Geburtsjahrgänge 1909 bis 1928 und 1934 bis 1941 für den BND profilprägend waren, wobei die ältere Kohorte in der Frühphase des Dienstes naturgemäß wichtiger war. Die Geschlechterverteilung veränderte sich von einer männerdominierten Behörde um 1950 (85 Prozent) zu einem Proporz von 60 zu 40 im Jahr 1965.
Auf der Leitungsebene waren Frauen nahezu nicht zu finden. Die Herkunft aus der Mittelschicht überwog bei den Geschlechtern deutlich. Die regionale Herkunft zeigt eine signifikant große Gruppe, die außerhalb der Reichsgrenzen von 1918 und später außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik geboren war. Ein "nicht kleiner Teil" stammte aus dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR. Unter den Westdeutschen war der Anteil von Personen aus Bayern sowie den Metropolregionen Berlin, Hamburg, Rhein-Ruhr und München besonders groß. Spätere Interpretationen dieser Ergebnisse durch die UHK werden aus dem hohen Anteil von Auslandsdeutschen und Personen aus Ost- und Mitteldeutschland Schlüsse ziehen, auf die man gespannt sein darf.
Bis 1960 hatte sich der BND so ausgewachsen, dass im höheren Dienst der Behörde ausschließlich ehemalige Soldaten anzutreffen waren, zwei Drittel von ihnen Offiziere mit überwiegend mittleren Diensträngen. Auf der Leitungsebene sammelten sich zudem Angehörige der NSDAP oder anderer NS-Organisationen in einer Stärke von immerhin einem Drittel. Die Soldaten aus der Wehrmacht und der Waffen-SS sowie das frühere NS- und SS-Personal verband nicht nur die ideologische Prägung des Antibolschewismus, sondern auch das alte Feindbild der demokratischen Westmächte, das aus dem Ersten Weltkrieg herrührte, während der Weimarer Republik kaum abgeschwächt und im "Dritten Reich" propagandistisch radikal verschärft worden war.
Die antibolschewistische Erfahrung aus dem Krieg im Osten war nach 1945 für die Amerikaner besonders wichtig, weshalb sie Gehlen mit all seinen Dokumenten aus der Heeresabteilung "Fremde Heere Ost" sofort in ihre Obhut nahmen, ihm schon 1945/46 bei der Personalauswahl für die Organisation Gehlen weitgehend freie Hand ließen und bis zur Übergabe des BND in deutsche Verantwortung 1956 auf die Überprüfung der NS-Vergangenheit beim Geheimdienstpersonal keinen allzu großen Wert legten. Daher konnten Netzwerke entstehen, die zur demokratischen Grundordnung des neuen Staats keinerlei Zugang zu finden brauchten. Durch Selbstrekrutierung festigten sie sich von Jahr zu Jahr, und das galt insbesondere für Personen aus der Gestapo und anderen Organisationen des NS-Sicherheitsapparats. In absoluten Zahlen gemessen, war diese Gruppe im Vergleich zu den Soldaten zwar klein, aber prozentual gerechnet war sie deutlich umfangreicher, so dass die Selbstrekrutierung gerade hier einen markanten Faktor bildete.
Die Personalüberprüfung, die Gehlen 1963 anberaumte, sollte daher dem "besonderen Personenkreis" ehemaliger Nationalsozialisten gelten. Sie diente allerdings nicht so sehr dem Ziel, den Auslandsgeheimdienst stärker in die Staatsräson der Bundesrepublik einzubinden, sondern der Gefahr entgegenzuwirken, dass die offenkundige NS-Vergangenheit vieler Mitarbeiter dessen Personal für die Geheimdienste des Ostblocks erpressbar machte. Felfe hatte sich dem KGB zwar aus eigener Initiative angedient, aber das war eher die Ausnahme. Gleichwohl bot es sich an, die interne Überprüfung als staatsbürgerliche Entscheidung zur Selbstreinigung erscheinen zu lassen.
Sabrina Nowack schildert die Bedingungen, die zur Einrichtung der "Organisationseinheit 85" als Prüfgruppe führten. Unter der Leitung von zwei jüngeren BND-Mitarbeitern mit einem kleinen Arbeitsstab wurden 157 Personen mit Blick auf ihre NS-Vergangenheit herausgefiltert. Die Definition, wer zu überprüfen war, schloss allerdings Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS gar nicht ein und betraf überdies nur das hauptamtliche Personal mit Dienstverträgen als Angestellte oder Beamte.
Da der BND eine große Zahl an Mitarbeitern mit anderen Arbeitsverträgen beschäftigte, wurde eine unbestimmte Menge von "NS-belasteten Quellen" gar nicht erfasst. Dennoch war dieser Vorstoß kein Fehlschlag. Bis 1968 verließen 68 Mitarbeiter den BND. 89 Personen behielten ihren Arbeitsplatz. Einige Kündigungen wurden durch Arbeitsgerichtsverfahren revidiert. Von den überprüften Mitarbeitern hatten rund zwei Drittel der SS angehört - mit einem hohen Anteil von Gestapo- und SD-Personal. So bescheiden das Ergebnis war, so deutlich war doch seine interne Wirkung. Seit Mitte der sechziger Jahre ging die Zahl des BND-Personals mit NS-Vergangenheit deutlich zurück. 20 Jahre nach Kriegsende war die Zeit der nahezu ungehinderten Selbstrekrutierung vorbei.
ANSELM DOERING-MANTEUFFEL
Christoph Rass: Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes. Von den Anfängen bis 1968. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 368 S., 40,- [Euro].
Sabrina Nowack: Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er Jahren. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 528 S., 45,-[Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Anselm Doering-Manteuffel freut sich über die Grundlagenstudie von Christoph Rass, die das Programm der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung des BND bis 1968, nämlich aufgrund empirisch gesicherter Fakten und Strukturzusammenhänge eine interpretierende Einordnung vorzunehmen, mustergültig umsetzt, wie er schreibt. Wie der Autor das Sozialprofil des BND und seine personelle Infrastruktur statistisch detailliert sichtbar macht, scheint dem Rezensenten aufschlussreich. Der Befund des Einsatzes ehemaliger Soldaten und Angehöriger nationalsozialistischer Organisationen auf Leitungsebene, sticht laut Rezensent hervor. Eine sozialstatistische Arbeit, die mit 3650 Lebensläufen rund ein Drittel des BND-Personals erfasst, meint Doering-Manteuffel, und so die Geschlechterverteilung und die regionale Herkunft der Mitarbeiter kenntlich macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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