Barcelona in den turbulenten Jahren vor dem Bürgerkrieg: Der junge David Martín fristet sein Leben als Autor von Schauergeschichten. Als ernsthafter Schriftsteller verkannt, von einer tödlichen Krankheit bedroht und um die Liebe seines Lebens betrogen, scheinen seine großen Erwartungen sich in nichts auszulösen. Doch einer glaubt an sein Talent: Der mysteriöse Verleger Andreas Corelli macht ihm ein Angebot, das Verheißung und Versuchung zugleich ist. David kann nicht widerstehen und ahnt nicht, in wessen Bann er gerät - und in welchen Strudel furchterregender Ereignisse.
Mit unwiderstehlicher erzählerischer Kraft lockt uns Carlos Ruiz Zafón wieder auf den Friedhof der Vergessenen Bücher: mitten hinein in einen Kosmos voller Spannung und Phantastik, Freundschaft und Liebe, Schrecken und Intrige. In eine Welt, die vom diabolischen Wunsch nach ewigem Leben und Ruhm regiert wird.
Mit unwiderstehlicher erzählerischer Kraft lockt uns Carlos Ruiz Zafón wieder auf den Friedhof der Vergessenen Bücher: mitten hinein in einen Kosmos voller Spannung und Phantastik, Freundschaft und Liebe, Schrecken und Intrige. In eine Welt, die vom diabolischen Wunsch nach ewigem Leben und Ruhm regiert wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2008Der Androidenkiller von Barcelona
Nichts ist erfolgreicher als das Unheimliche - das neue Buch des spanischen Bestsellerautors Carlos Ruiz Zafón
Natürlich gibt es hundert gute Gründe dafür, "Das Spiel des Engels" für ein miserables Buch zu halten. Die meisten von ihnen sind Zitate mit einem "wie" in der Mitte: "Das Laub zischte in der Dunkelheit wie Schlangen"; "Die Barackensiedlung des Somorrostro-Viertels erstreckte sich wie eine Schlackenschicht"; "Die Schatten wogten wie schwarzes Wasser"; "Sogleich zogen sich alle wie verängstigte Nager zurück"; "Sie führte ihn zu einem Stuhl, auf den er sich wie eine ausgediente Puppe fallen ließ" und dergleichen mehr - schiefe Bilder, wo immer man das Buch aufschlägt, und ginge es dabei nur um Fragen des Stils, täte man besser daran, diesen Roman zu ignorieren.
Nur geht es darum eben nicht. Das Buch, in jeder Hinsicht ein würdiger Nachfolger von Carlos Ruiz Zafóns Bestseller "Der Schatten des Windes", gibt sich gar nicht erst den Anschein, als käme es ihm auf eine geschliffene Sprache an, die sorgfältig und klar auf eine stimmige Psychologie zielte, auf haltbare Berichte von der Tagseite der Welt. Stattdessen schwelgt "Das Spiel des Engels" gut siebenhundert Seiten lang in ausgesprochen düsteren Visionen aus dem Barcelona der zwanziger Jahre. Es nebelt, stürmt und gewittert nach Herzenslust, der naive Nachwuchsjournalist David Martín, der im Zentrum steht und diese Geschichte aus der Rückschau erzählt, hat es schon rasch mit dem Leibhaftigen zu tun, und wer sonst noch in diesem Roman eine Rolle spielt, wird auf dem Weg zum Finale dahingerafft - aufgeschlitzt, erschossen, vergiftet, zu Tode gestürzt oder ertränkt. Zafón beweist dabei eine vielgestalte Phantasie.
Eigenartig nur, wie wenig einem dieses Massensterben nahegeht. Eine Erklärung dafür ist, dass dieses Buch sehr viel mehr aus der Architektur Barcelonas heraus lebt als aus seinen Figuren - das Interesse des Autors gilt den schäbigen Absteigen, den Jugendstilvillen oder den düsteren Parks, die er intensiv und äußerst lebendig schildert, während ihm die Menschen gern zu Pappkameraden verkümmern. Aber auch dies ist eher Programm als Unvermögen, denn das Referenzsystem, das Zafón zugrunde legt, ist die populäre Literatur des 19. Jahrhunderts, genauer: der Zeitungsfortsetzungsroman mit seinen Stereotypen und dem genretypischen Spannungsbogen bis zum Cliffhanger am Ende der jeweiligen Lieferung - wenn es den Leser zerreißt, weil er die Tage bis zur nächsten Ausgabe zählt, dann kann der Autor nicht gar so viel falsch gemacht haben.
Damit hält Zafón auch nicht hinter dem Berg: Eugène Sue, Victor Hugo, Charles Dickens und Alexandre Dumas sind neben vielen anderen durch Verweise, Zitate und Anspielungen überaus präsent in diesem Bücherkosmos, in dem sich der frühberufene Autor Martín seinen Weg zum Lesepublikum bahnt. Den beginnt er als Siebzehnjähriger keineswegs zufällig mit einem flott verfassten Fortsetzungsroman; er verdingt sich später unter Pseudonym als Kolportageschreiber für zwei windige Verleger (die dann noch etwas später den Flammentod erleiden müssen, damit Martín frei für andere Interessenten wird); für einen dubiosen Verleger namens Corelli (man ergänzt automatisch den Vornamen "Arcangelo" und ist ganz rasch beim - gefallenen - Erzengel, also bei Luzifer) schreibt Martín ein Pamphlet, das eine neue Religion begründen soll, und als er schließlich erkennt, mit wem er es zu tun hat, ist das auch schon gar nicht mehr so wichtig.
Von "Der Schatten des Windes" aber hat sich Zafón nicht nur die Szenerie geborgt, sondern auch ein paar der Figuren - so wird hier erzählt, wie die Eltern von Daniel Sempere, dem Erzähler von "Der Schatten des Windes", zusammengekommen sind. Auch die unerhört kitschige "Bibliothek der vergessenen Bücher", um die im Vorgängerroman so viel Wind gemacht wird, kommt hier ein weiteres Mal vor, jener Ort also, an den die Eingeweihten unter den wahren Bücherfreunden geführt werden, um im Wirrwarr der Bände ein einziges Werk gleichsam zu adoptieren - ein Buch, auf das sie in Zukunft aufpassen und das sie hüten werden wie ein leibliches Kind.
Hier aber setzt "Das Spiel des Engels" einen eigenen, höchst erfreulichen Akzent. Denn David Martín, der mit denselben salbungsvollen Worten in diesen Tempel der fetischhaften Verehrung des Buches eingeführt wird, wählt zwar wie alle anderen Besucher auch einen Band, nur nimmt er es mit seinen Pflichten offensichtlich nicht so genau - irgendwann wirft er das Buch, für das er doch sorgen soll, im hohen Bogen ins Feuer.
Dieser Akt der Buchzerstörung aber, der schon durch den "Schatten des Windes" irrlichtert (dort stiehlt sich ein Autor alle Exemplare eines von ihm verfassten Romans zusammen, um sie zu vernichten), ist das eigentlich Interessante an dem jetzt auf Deutsch erscheinenden Roman, der sich anschickt, ein Bestseller zu werden. Denn der Schriftsteller Martín hasst, so scheint es, jede einzelne Zeile, die er schreibt und die von ihm gedruckt wird. Findet eines seiner Bücher Anklang bei den Lesern, so fragt er sich, was er falsch gemacht hat; und sein Ruhm, der sich auf Kolportage stützt, ekelt ihn so sehr an, dass er freudig das Angebot des Verführers annimmt, etwas dezidiert Arkanes zu schreiben. Tatsächlich wird sein krudes Religionsstifterbuch später neben vielen ähnlichen in der "Bibliothek der vergessenen Bücher" verschimmeln - es trifft, wie es scheint, keinen falschen.
Ist das bloß das kokette Spiel eines märchenhaft erfolgreichen Autors, der diesem Erfolg nicht traut? Zafón lässt keinen Zweifel daran, dass Verkaufszahlen für ihn durchaus ein Maßstab sind, der über das Gelingen eines Buches entscheidet. Und seine Gewährsleute aus dem 19. Jahrhundert, allen voran Dickens, stehen für eine Literatur, die zugleich Massenphänomen und zeitlos gültig ist. Dass Zafón hier anknüpft, ist verdienstvoll, und indem er sich besonders bei der damaligen Schauerliteratur abschaut, was sich anbietet, wird "Das Spiel des Engels" bei aller Spannung aus eigenem Recht eben auch zum erhellenden Kommentar einer ganzen literarischen Richtung.
Wer sich - wie offenbar Zafón - ausdauernd mit düsteren Großstadtromanen von Autoren wie Gaston Leroux, Villiers de l'Isle-Adam oder eben Sue beschäftigt, der wird darin auf zwei Tendenzen stoßen, die fast schon zur Regel gerinnen. Die erste: In der Architektur schlägt die Vertikale die Horizontale - man steigt auf Türme oder in den Untergrund und spart sich dafür den Gang ins Weite. Die zweite: Der wirkliche Schrecken des Schauerromans ist die Begegnung des Helden mit sich selbst. Zafón beherzigt beides. Das zentrale Gebäude des Buches heißt aus einleuchtenden Gründen "das Haus mit dem Turm"; die Seilbahn über den Hafen liefert den Hintergrund für zwei entscheidende Szenen, und selbst der Abschied von der Geliebten, die im Wahnsinn endet, ist für Martín eine Sache der Vertikalen: Er blickt auf eine Eisdecke über einem See, unter der die Sterbende liegt und zurückschaut. Und auch bei der Selbstbegegnung hält sich Zafón nicht übermäßig zurück - einmal trifft Martín auf ein dunkles Zimmer voller golemhafter Androiden, von denen einer seine eigenen Züge trägt, er sieht einen Grabstein, auf dem sein Name samt Sterbedatum steht, und dass er sich selbst und den eigenen Erinnerungen keineswegs trauen darf, merkt er leider erst recht spät.
Zafón ergänzt das noch um sprechende Namen (meist aus der religiösen Sphäre wie "Trias", "Sempere" und "Salvador"), blasse Liebesgeschichten mit genretypisch blassen Damen und ein paar reizvolle Szenen aus dem Alltag des Schriftstellers. Das grenzt nicht nur an Kolportage, sondern reizt geradezu aus, wie weit ein ästhetisches Programm trägt, das vom bewegten Bild her kommt und dem die Atmosphäre alles bedeutet, die logische Struktur des Handlungsbogens dagegen entschieden weniger. Der immensen Spannung des Romans tut das erstaunlicherweise keinen Abbruch, und irgendwann nimmt man auch die gesammelten Stilblüten als Orchideengarten hin, ohne den das Buch nicht wäre, was es ist.
Dass sich jedenfalls der Autor selbst nicht allzu ernst nimmt, zeigt der Rat, den sein Erzähler einer Möchtegern-Schriftstellerin gibt: "Eulalia fand einfach nicht den richtigen Einstieg für ihren Roman, und ich riet ihr, dem Ganzen einen leicht unheimlichen Ton zu verleihen und ihre Geschichte rund um ein geheimes Buch aufzubauen, das von einem gequälten Geist heimgesucht wurde, mit einer Nebenhandlung übernatürlichen Anstrichs." Warum auch nicht? Beim "Schatten des Windes" hat das schließlich auch geklappt.
TILMAN SPRECKELSEN
Carlos Ruiz Zafón: "Das Spiel des Engels". Übersetzt von Peter Schwaar, S.-Fischer-Verlag, 720 Seiten, 24,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nichts ist erfolgreicher als das Unheimliche - das neue Buch des spanischen Bestsellerautors Carlos Ruiz Zafón
Natürlich gibt es hundert gute Gründe dafür, "Das Spiel des Engels" für ein miserables Buch zu halten. Die meisten von ihnen sind Zitate mit einem "wie" in der Mitte: "Das Laub zischte in der Dunkelheit wie Schlangen"; "Die Barackensiedlung des Somorrostro-Viertels erstreckte sich wie eine Schlackenschicht"; "Die Schatten wogten wie schwarzes Wasser"; "Sogleich zogen sich alle wie verängstigte Nager zurück"; "Sie führte ihn zu einem Stuhl, auf den er sich wie eine ausgediente Puppe fallen ließ" und dergleichen mehr - schiefe Bilder, wo immer man das Buch aufschlägt, und ginge es dabei nur um Fragen des Stils, täte man besser daran, diesen Roman zu ignorieren.
Nur geht es darum eben nicht. Das Buch, in jeder Hinsicht ein würdiger Nachfolger von Carlos Ruiz Zafóns Bestseller "Der Schatten des Windes", gibt sich gar nicht erst den Anschein, als käme es ihm auf eine geschliffene Sprache an, die sorgfältig und klar auf eine stimmige Psychologie zielte, auf haltbare Berichte von der Tagseite der Welt. Stattdessen schwelgt "Das Spiel des Engels" gut siebenhundert Seiten lang in ausgesprochen düsteren Visionen aus dem Barcelona der zwanziger Jahre. Es nebelt, stürmt und gewittert nach Herzenslust, der naive Nachwuchsjournalist David Martín, der im Zentrum steht und diese Geschichte aus der Rückschau erzählt, hat es schon rasch mit dem Leibhaftigen zu tun, und wer sonst noch in diesem Roman eine Rolle spielt, wird auf dem Weg zum Finale dahingerafft - aufgeschlitzt, erschossen, vergiftet, zu Tode gestürzt oder ertränkt. Zafón beweist dabei eine vielgestalte Phantasie.
Eigenartig nur, wie wenig einem dieses Massensterben nahegeht. Eine Erklärung dafür ist, dass dieses Buch sehr viel mehr aus der Architektur Barcelonas heraus lebt als aus seinen Figuren - das Interesse des Autors gilt den schäbigen Absteigen, den Jugendstilvillen oder den düsteren Parks, die er intensiv und äußerst lebendig schildert, während ihm die Menschen gern zu Pappkameraden verkümmern. Aber auch dies ist eher Programm als Unvermögen, denn das Referenzsystem, das Zafón zugrunde legt, ist die populäre Literatur des 19. Jahrhunderts, genauer: der Zeitungsfortsetzungsroman mit seinen Stereotypen und dem genretypischen Spannungsbogen bis zum Cliffhanger am Ende der jeweiligen Lieferung - wenn es den Leser zerreißt, weil er die Tage bis zur nächsten Ausgabe zählt, dann kann der Autor nicht gar so viel falsch gemacht haben.
Damit hält Zafón auch nicht hinter dem Berg: Eugène Sue, Victor Hugo, Charles Dickens und Alexandre Dumas sind neben vielen anderen durch Verweise, Zitate und Anspielungen überaus präsent in diesem Bücherkosmos, in dem sich der frühberufene Autor Martín seinen Weg zum Lesepublikum bahnt. Den beginnt er als Siebzehnjähriger keineswegs zufällig mit einem flott verfassten Fortsetzungsroman; er verdingt sich später unter Pseudonym als Kolportageschreiber für zwei windige Verleger (die dann noch etwas später den Flammentod erleiden müssen, damit Martín frei für andere Interessenten wird); für einen dubiosen Verleger namens Corelli (man ergänzt automatisch den Vornamen "Arcangelo" und ist ganz rasch beim - gefallenen - Erzengel, also bei Luzifer) schreibt Martín ein Pamphlet, das eine neue Religion begründen soll, und als er schließlich erkennt, mit wem er es zu tun hat, ist das auch schon gar nicht mehr so wichtig.
Von "Der Schatten des Windes" aber hat sich Zafón nicht nur die Szenerie geborgt, sondern auch ein paar der Figuren - so wird hier erzählt, wie die Eltern von Daniel Sempere, dem Erzähler von "Der Schatten des Windes", zusammengekommen sind. Auch die unerhört kitschige "Bibliothek der vergessenen Bücher", um die im Vorgängerroman so viel Wind gemacht wird, kommt hier ein weiteres Mal vor, jener Ort also, an den die Eingeweihten unter den wahren Bücherfreunden geführt werden, um im Wirrwarr der Bände ein einziges Werk gleichsam zu adoptieren - ein Buch, auf das sie in Zukunft aufpassen und das sie hüten werden wie ein leibliches Kind.
Hier aber setzt "Das Spiel des Engels" einen eigenen, höchst erfreulichen Akzent. Denn David Martín, der mit denselben salbungsvollen Worten in diesen Tempel der fetischhaften Verehrung des Buches eingeführt wird, wählt zwar wie alle anderen Besucher auch einen Band, nur nimmt er es mit seinen Pflichten offensichtlich nicht so genau - irgendwann wirft er das Buch, für das er doch sorgen soll, im hohen Bogen ins Feuer.
Dieser Akt der Buchzerstörung aber, der schon durch den "Schatten des Windes" irrlichtert (dort stiehlt sich ein Autor alle Exemplare eines von ihm verfassten Romans zusammen, um sie zu vernichten), ist das eigentlich Interessante an dem jetzt auf Deutsch erscheinenden Roman, der sich anschickt, ein Bestseller zu werden. Denn der Schriftsteller Martín hasst, so scheint es, jede einzelne Zeile, die er schreibt und die von ihm gedruckt wird. Findet eines seiner Bücher Anklang bei den Lesern, so fragt er sich, was er falsch gemacht hat; und sein Ruhm, der sich auf Kolportage stützt, ekelt ihn so sehr an, dass er freudig das Angebot des Verführers annimmt, etwas dezidiert Arkanes zu schreiben. Tatsächlich wird sein krudes Religionsstifterbuch später neben vielen ähnlichen in der "Bibliothek der vergessenen Bücher" verschimmeln - es trifft, wie es scheint, keinen falschen.
Ist das bloß das kokette Spiel eines märchenhaft erfolgreichen Autors, der diesem Erfolg nicht traut? Zafón lässt keinen Zweifel daran, dass Verkaufszahlen für ihn durchaus ein Maßstab sind, der über das Gelingen eines Buches entscheidet. Und seine Gewährsleute aus dem 19. Jahrhundert, allen voran Dickens, stehen für eine Literatur, die zugleich Massenphänomen und zeitlos gültig ist. Dass Zafón hier anknüpft, ist verdienstvoll, und indem er sich besonders bei der damaligen Schauerliteratur abschaut, was sich anbietet, wird "Das Spiel des Engels" bei aller Spannung aus eigenem Recht eben auch zum erhellenden Kommentar einer ganzen literarischen Richtung.
Wer sich - wie offenbar Zafón - ausdauernd mit düsteren Großstadtromanen von Autoren wie Gaston Leroux, Villiers de l'Isle-Adam oder eben Sue beschäftigt, der wird darin auf zwei Tendenzen stoßen, die fast schon zur Regel gerinnen. Die erste: In der Architektur schlägt die Vertikale die Horizontale - man steigt auf Türme oder in den Untergrund und spart sich dafür den Gang ins Weite. Die zweite: Der wirkliche Schrecken des Schauerromans ist die Begegnung des Helden mit sich selbst. Zafón beherzigt beides. Das zentrale Gebäude des Buches heißt aus einleuchtenden Gründen "das Haus mit dem Turm"; die Seilbahn über den Hafen liefert den Hintergrund für zwei entscheidende Szenen, und selbst der Abschied von der Geliebten, die im Wahnsinn endet, ist für Martín eine Sache der Vertikalen: Er blickt auf eine Eisdecke über einem See, unter der die Sterbende liegt und zurückschaut. Und auch bei der Selbstbegegnung hält sich Zafón nicht übermäßig zurück - einmal trifft Martín auf ein dunkles Zimmer voller golemhafter Androiden, von denen einer seine eigenen Züge trägt, er sieht einen Grabstein, auf dem sein Name samt Sterbedatum steht, und dass er sich selbst und den eigenen Erinnerungen keineswegs trauen darf, merkt er leider erst recht spät.
Zafón ergänzt das noch um sprechende Namen (meist aus der religiösen Sphäre wie "Trias", "Sempere" und "Salvador"), blasse Liebesgeschichten mit genretypisch blassen Damen und ein paar reizvolle Szenen aus dem Alltag des Schriftstellers. Das grenzt nicht nur an Kolportage, sondern reizt geradezu aus, wie weit ein ästhetisches Programm trägt, das vom bewegten Bild her kommt und dem die Atmosphäre alles bedeutet, die logische Struktur des Handlungsbogens dagegen entschieden weniger. Der immensen Spannung des Romans tut das erstaunlicherweise keinen Abbruch, und irgendwann nimmt man auch die gesammelten Stilblüten als Orchideengarten hin, ohne den das Buch nicht wäre, was es ist.
Dass sich jedenfalls der Autor selbst nicht allzu ernst nimmt, zeigt der Rat, den sein Erzähler einer Möchtegern-Schriftstellerin gibt: "Eulalia fand einfach nicht den richtigen Einstieg für ihren Roman, und ich riet ihr, dem Ganzen einen leicht unheimlichen Ton zu verleihen und ihre Geschichte rund um ein geheimes Buch aufzubauen, das von einem gequälten Geist heimgesucht wurde, mit einer Nebenhandlung übernatürlichen Anstrichs." Warum auch nicht? Beim "Schatten des Windes" hat das schließlich auch geklappt.
TILMAN SPRECKELSEN
Carlos Ruiz Zafón: "Das Spiel des Engels". Übersetzt von Peter Schwaar, S.-Fischer-Verlag, 720 Seiten, 24,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Großen Lesegenuss hat Rezensentin Kristina Maidt-Zinke diese Mischung aus Bildungsroman, Thriller und Gespenstergeschichte bereitet, die, wie sie schreibt, die "uralte Geschichte vom Teufelspakt" mal wieder neu erzählt, und zwar mit "halsbrecherischem Tempo" und gegen Schluss sogar "überdosiert blutrünstig". Es geht ihrer Inhaltsskizze zufolge um einen Schriftsteller und dessen dunkle, mutterlose Kindheit in einem ebenso düsteren Barcelona am Anfang des Jahrhunderts: einem sinistren wie nebelverhangenen Gassengewirr zwischen Fabrikschloten und Gaudis bizarren Bauten. Aber auch um den Fortgang dieses Schriftstellerlebens, das, wie wir erfahren, durch Niederungen des Literaturmarkts, durch dunkle Geheimnisse, Intrigen und eine Liebestragödie führt. Und in die Begegnung mit Luzifer mündet, der in Gestalt eines Pariser Verlegers erscheint. Ungelöste Rätsel und haarsträubende Ungereimtheiten im Plot - die selbstredend vom Autor höchst beabsichtigt sind - sorgen dafür, dass für die Rezensentin die Sache nicht allzu leicht durchschaubar wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH