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In insgesamt sechzehn Erzählungen umspannt Joyce Carol Oates das gesamte Genre des "gothic writing", von der klassischen Schauergeschichte und der psychologischen Horrorstory bis hin zu surreal Groteskem.

Produktbeschreibung
In insgesamt sechzehn Erzählungen umspannt Joyce Carol Oates das gesamte Genre des "gothic writing", von der klassischen Schauergeschichte und der psychologischen Horrorstory bis hin zu surreal Groteskem.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.1996

Blaustrumpf auf Geisterbahn
Arbeit am Gespenst: Joyce Carol Oates eröffnet ein "Spukhaus"

Nur wer ein Gespenst für wirklich hält, läßt sich von ihm erschrecken. Alle Gespenster jedoch, die in Joyce Carol Oates' Spukgeschichten herumgeistern, verzichten von vornherein auf den Vorzug, wirklich zu sein. Sogleich nach den wenigen Sätzen ihres ersten Auftritts hat sie der Leser als Halluzinationen durchschaut, wirklich sind sie nur als psychische Verwirrungen der Figuren. Quälgeister spuken zwar in den Erzählungen der amerikanischen Autorin, doch quälen sich nur die Figuren mit ihnen, den Leser lassen sie ungerührt. Als Ausgeburten einer verschreckten Phantasie bleiben die Gespenster im Hirn dessen eingesperrt, der sie erfunden hat, sind Ausdruck seiner masochistischen Lust. Kurz: Joyce Carol Oates nennt Gespenster, was leicht analysierbare Angstzustände sind. "Das Spukhaus" ist eine Sammlung psychologischer Fallbeschreibungen nach dem bewährten Muster "Frauenphantasien".

Die Titelgeschichte "Das Spukhaus" etwa ist ein so eindeutiges Exemplum für die Psychose einer Frau, daß dem Leser über der Belehrung die Lust am Gespenstertreiben vergeht. Das Betreten eines verbotenen Hauses ist das Symbol der weiblichen Verfehlung schlechthin. Den heranwachsenden Mädchen Melissa und Mary Lou verwandelt sich eine einsame, verfallene Hütte in ein Spukhaus, ein Faszinosum, dem sie notwendig erliegen. Die eine der Freundinnen begegnet dort einer widerlichen Greisin, von der sie so lange gemartert wird, bis sie die Freundin als Ablösung zu schicken verspricht. Bis zu diesem Punkt der Geschichte läßt Joyce Carol Oates den Leser mit den Mädchen allein, und er darf sich mit ihnen fürchten, wenn er nur will. Doch der unpoetische Widersacher in ihr, der Psychotherapeut, hält es nicht länger aus und klärt die Schreckensvision als Albtraum auf, der Mary Lou wegen eines unaufgeklärten Mordes an ihrer Freundin verfolgt. Der Kriminalfall ist nichts als ein gesuchter Schlußeffekt.

In den Erzählungen werden Initiationsriten zelebriert, die sich nicht immer auf die Einführung in das sexuelle Leben beschränken müssen. Auch die Vortragsreisen der Blaustrümpfe, die Oates, Schriftstellerin mit akademischem Beruf, gern zu Protagonistinnen der Handlung macht, werden zu Albträumen. Der Weg zum Kongreß und aufs Vortragspult kann sich für eine routinierte Dozentin zur Geisterbahn gestalten, in der sie ihrer eigenen Kindheit wieder begegnet. Ihr Eintritt in ein Haus, das dem Puppenhaus, dem liebsten Spielzeug ihrer Kindheit, im vergrößerten Maßstab bis ins Detail gleicht, wird zur Horrorreise in die Fänge einer sabbernden, gewalttätigen Alten, der Imago der kritisch auf einen Fehler lauernden Zuhörer am folgenden Vortragstag.

Oates' Geschichten enden offen, weil über dem Dunkel der Seele doch immer ein Morgen dämmert. Die Geisterstunde wiederholt sich nicht in alle Ewigkeit, wie es sich eigentlich für schöne, schaurige Gruselgeschichten gehört. Was ist das für ein Gespenstertreiben, wenn diejenige, die gerüttelt und geschüttelt wird, daraus hervorgeht mit der Überzeugung: "Warum . . . hatte sie sich solche Sorgen um ihren Vortrag, um ihr öffentliches Ich gemacht? Sie war zuverlässig wie ein kunstvoll präzises Uhrwerk." Freilich soll der Leser keine Sympathien für diese Streberin in der Geisterwelt haben, aber über der Kritik am Berufsehrgeiz der Heldin vergißt er die vergnüglichen Schauder der Lektüre.

Unterhaltsamer wird Joyce Carol Oates nur da, wo sie selbst ihre Gespenster auf den Arm nimmt. Die Erzählung "Die fluchbeladenen Bewohner des Hauses Bly" hat Oates vielleicht wegen der Ähnlichkeit des Titels mit Poes "Fall des Hauses Usher" den rühmlichen Vergleich mit diesem Klassiker der phantastischen Literatur eingetragen. Humor immerhin, wie er hier bemüht wird, ist nicht Poes Stil. Das Paar, das in dieser Erzählung nach dem Tode keine Ruhe finden kann, rackert sich redlich ab, um denen, die ihre unruhigen Seelen verdammt haben, als Geister ungemütlich zu werden.

Ironie ist die scheinheilige Wahl des falschen Standpunkts. Es gehört zur Tradition der gothic novel, daß der Erzähler an der Seite der Erschreckten steht und so tut, als sei auch er selbst von den Geistern, die er rief, gejagt. Joyce Carol Oates macht den Leser damit bekannt, was für eine Heidenarbeit es ist, Hinterbliebenen als Gespenst Eindruck zu machen. Für gute wie für böse Geister aber gilt, daß Lachen sie vertreibt. Komische Gespenstergeschichten sind das Ende von Gespenstergeschichten. HANNELORE SCHLAFFER

Joyce Carol Oates: "Das Spukhaus". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Renate Orth-Guttmann. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1996. 350 S., geb., 44,- DM.

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