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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Beck Juristischer Verlag
  • 1994.
  • Seitenzahl: 1918
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 2090g
  • ISBN-13: 9783406335174
  • ISBN-10: 3406335179
  • Artikelnr.: 26490636
Autorenporträt
Prof. Dr. Michael Sachs ist Inhaber eines Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität zu Köln
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2001

Endstation Staatsrecht
Geschichtliche Grundlagen: Klaus Sterns Lebenswerk steht vor der Vollendung

Klaus Stern: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band V: Geschichtliche Grundlagen. Verlag C.H. Beck, München 1999. CXXXVIII und 2298 Seiten, 328,- Mark.

Der Autor hat sich auf eine lange Reise gemacht. Das Ziel scheint nun erreichbar, Endstation einer Lebensarbeit. Im Jahre 1977 erschien der erste Band "Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland" von Klaus Stern, Professor an der Universität Köln. Das Werk war auf sechs Bände angelegt; es werden, wenn es zur Vollendung kommt, deren sieben sein - weil ein Band in zwei Teilbände aufgegliedert werden mußte. Inzwischen ist Stern emeritiert, hat aber noch eine Reihe von Ämtern, die ihn beanspruchen. Die durchgehende Linie seiner wissenschaftlichen Arbeit - die sich mit der Lehre ständig verschränkt hat, also einen Grundgedanken der klassischen Universität erfüllte - ist das Handbuch "Das Staatsrecht".

Gemeinhin beginnen Handbücher des Staatsrechts mit der Verfassungsgeschichte. Ihr Verlauf hat Sterns Ansatz gerechtfertigt, anders als üblich mit der Definition des Begriffs "Verfassung" zu beginnen. Denn die Zeitläufte haben in Deutschland Begriff und Geschichte zusammengeführt. So konnte der bisher letzte, aus der Reihenfolge der Bezifferung ausscherende Band V zur Verfassungsgeschichte zu einer Zeit geschrieben werden, da sich die politischen und die verfassungsrechtlichen Bedingungen in Deutschland entscheidend geändert hatten. Die Begriffe des Verfassungsrechtlichen und des Politischen können in ihrer wechselseitigen Beeinflussung, auch in den Reibungen, denen sie unterliegen, am Beispiel des deutschen Einigungsprozesses verdeutlicht werden.

Die Wegstrecke der sich zur Norm verfestigenden politischen Entwicklung, also fast der allgemeinen Geschichte, bewältigt Stern souverän. Die Spannung, die das Handbuch zu einem Lesebuch macht (oder machen sollte), setzt ein mit der Bildung von zwei staatlichen Teilordnungen auf deutschem Boden: der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Nach dem politischen Streit darüber, ob die DDR ein "Staat" war, kann Stern nun unbefangen die bejahende Antwort geben. Damit meint er keine nachträgliche Legitimation des "Unrechtsstaates" DDR.

Er betritt einen Weg, der gesäumt ist von den Schwierigkeiten der deutschen Vereinigung, die jenseits der unbestimmten Reden von der noch ausstehenden "inneren Einheit" nicht in zehn Jahren vollendet sein kann. Es gibt nach der Rechtsordnung der DDR entstandenes Unrecht, es sind aber auch in 45 Jahren subjektiv so verstandene Rechte entstanden. Diejenigen, die die Einheit im Konkreten und im Detail zu realisieren hatten und haben, sind hier - unvermeidlich - in einem Widerstreit der Ziele.

Stern beklagt mit Recht, daß die Literatur über die DDR zwar reichhaltig (geworden) ist, daß es aber immer noch Materialschwierigkeiten gebe. Den Kern dieser Schwäche deutet er höflich an: die Literatur der DDR über sich selbst war "parteilich". Hinzuzufügen wäre: Mit wenigen Ausnahmen ist die Nachwende-Literatur geneigt, immer und immer wieder mit der vergangenen Parteilichkeit "abzurechnen" (vereinzelt wird sie auch schöngeschrieben). Es fehlt zum Beispiel an vertiefender Darstellung einzelner Gebiete, auf denen die SED die Veränderung der Ordnung im Sinne ihrer Unveränderlichkeit herbeizuführen suchte. Das war eine unzulängliche Verwirklichung der Lehre von Karl Marx - reduziert auf das Ziel des bloßen Machterhalts. Es fehlt an fundierten Darstellungen, mit welchen "rechtlichen" Schritten (Rechtsquellen können hier durchaus Beschlüsse, auch Protokolle des Zentralkomitees der SED oder seines Politbüros sein) dies geschehen ist, mit welchem Erfolg und bei welchen Lücken, deren sich der Umsturz in der DDR zum Teil bedienen konnte.

Der Vereinigungsprozeß

Anschaulich schildert Stern den Vereinigungsprozeß. Im Westen die Zögernden und die Vorantreibenden, im Osten die Aufsplitterung der Kräfte nach der Phase des Aufbegehrens: Die einen wollten eine schnelle Vereinigung. Die anderen (sie blieben am Wege zurück) wollten eine "bessere" DDR und trachteten danach, diese an bald zerfallenden "runden Tischen" zu realisieren. Auch hier: die Quellenlage. Zugänglich sind die Protokolle der am 18. März 1990 frei gewählten Volkskammer, aus der die Regierung de Maizière hervorging, die der Verhandlungspartner der alten Bundesrepublik über die Einheit wurde.

Die Sitzungen der Ausschüsse der Volkskammer sind nicht im Wortlaut protokolliert worden. So ergeben sich manche Lücken bei der Nachschau, wie die beiderseitigen Positionen im einzelnen gegeneinander ausgespielt wurden. Man könnte einwenden, daß Stern sich ein wenig zu sehr auf veröffentlichte, aber der Nachfrage bedürftige Quellen stützt - wie auf Schäubles Bericht über "den Vertrag".

Greifbar wird der belastende Konflikt zwischen der zu übertragenden Ordnung der Bundesrepublik und dem in der DDR Gewachsenen bei der Eigentumsfrage. Hier hatte die SBZ/DDR, drastischer noch als im Bildungswesen, zielgerichtet ihre Ordnung verwirklicht. Die Einzelheiten sind bei Stern nachzulesen: die von der DDR ertrotzte Festlegung des westlichen Partners auf möglichst weitgehende Beibehaltung ihrer Eigentumsordnung, der minimale Erfolg des Westens: "Rückgabe vor Entschädigung": Freilich hatte der oft getadelte Grundsatz nur geringe Auswirkung auf das Verwaltungshandeln und auf die Rechtsprechung der (westdeutsch) geprägten Obergerichte, die hier nur allzu geneigt sind, "Fakten" (also der Politik) den Vorrang einzuräumen gegen das Recht.

Stern zitiert - offenbar zustimmend - die Ansicht, es handle sich um eine "schwelende Wunde des Rechtsstaats". Er deutet Zweifel an der offiziellen Lesart an. Er sagt, es habe sich bei den Enteignungen in der Sowjetzone um "Akte deutscher Staatsgewalt" gehandelt, auch wenn sie - mehr oder weniger - von der Besatzungsmacht gestützt worden seien. Deutlich erkennbar wird das Drängen von de Maizière (sein Verhalten nennt Stern "sperrig") und anderen. Sie wollten die von der Sowjetunion und von der DDR geschaffene Eigentumsordnung so lassen, wie sie geworden war.

Bei der gedrängten Darstellung der frühen Nachkriegsgeschichte wird die - auf unterschiedlichen Gestaltungswillen der Besatzungsmächte zurückgehende - Unausweichlichkeit der Teilung beklemmend deutlich. Dabei läßt Stern dem weithin vergessenen Buch von Friedrich Klein ("Neues Deutsches Verfassungsrecht" von 1949) Gerechtigkeit widerfahren, das mit den wichtigsten Belegen die staatsrechtliche Entwicklung in Deutschland nach 1945 darstellt.

Band IV und VI - über die Grundrechte im einzelnen und das Staatsrecht der Länder - stehen noch aus. Der Band V ist, wiewohl vor ihm eine Lücke klafft, systematisch am richtigen Platz. Und es war für ihn die rechte Zeit. Die Autorenschaft eines einzelnen (denen, die behilflich waren, dankt Stern in angemessener Form) hat Geschlossenheit zur Folge. Band I führt Stern übrigens mit einem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry ein: "Es ist sinnlos, auf gut Glück in der Endlosigkeit der Wüste einen Brunnen zu suchen. Dennoch machten wir uns auf den Weg." Die Skepsis ist schon jetzt widerlegt, wiewohl "der" Brunnen schlechthin auf dem trockenen Gebiet des Staatsrechts nicht zu finden ist.

FRIEDRICH KARL FROMME

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