Mann und Frau sind verschieden. Eine Binsenweisheit, die jedoch zu dem hartnäckigen Vorurteil führte, Männer seien Frauen überlegen. Die Anthropologin Helen Fisher räumt nicht nur auf mit solcherlei heimlichem und offenem Klischeedenken, sondern demonstriert sogar das Gegenteil: Durch bestimmte natürliche Fähigkeiten wird das sogenannten schwache Geschlecht zum führenden und formenden Faktor des 21. Jahrhunderts - in Wirtschaft und Gesellschaft, in Sexualität und Familienleben gleichermaßen. Denn mit ihrer emotionalen und sozialen Kompetenz sowie der Fähigkeit, langfristig und vernetzt zu denken, sind Frauen für die Anforderungen der globalen Gesellschaft von morgen besonders gut gerüstet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.08.2000Rohe Arbeit liegt ihnen nicht
Warum das einundzwanzigste das Jahrhundert der Frauen wird
"Sie verfügen über ein reichhaltiges Arsenal an Fähigkeiten im Umgang mit Menschen. Mit ihrem einfühlsamen Tastsinn beurteilen sie Ihren Handschlag. Mit ihrem sensiblen Gehör nehmen sie ein Zögern, Stocken oder Singen in Ihrer Stimme wahr. Aufgrund ihrer ausgezeichneten peripheren Sicht und ihrer Fähigkeit, nonverbale Hinweise zu entdecken, bemerken sie selbst im Halbdunkel einer Diavorführung Ihren ungeduldig wippenden Fuß. Sie lesen von Ihrem Gesicht ab, ob Sie verwirrt oder gelangweilt sind, und registrieren die Gerüche in Ihrer Kleidung und im gesamten Raum. Sie betrachten das Material, den Farbton und den Schnitt Ihres Anzuges und bemerken Einzelheiten in Ihrer Umgebung wie eine Sektschale auf dem Tisch und den Sektquirl auf dem Fußboden. Dann verwenden sie die Vielzahl an Daten, um zu ergründen, was Sie gerne hören wollen - und beginnen, Sie mit Worten zu manipulieren."
Die amerikanische Anthropologin Helen Fisher beschreibt hier keine Außerirdischen, die in sinistrer Absicht unsere Gesellschaft unterwandern, sondern ihre Geschlechtsgenossinnen. Sie erklärt die spezifischen Unterschiede zwischen Mann und Frau auf der Grundlage der Gehirnforschung und zieht Studien aus Anthropologie, Psychologie, Soziologie, Ethologie und anderen Wissenschaften, die sich mit dem Verhalten und der Biologie des Menschen befassen, hinzu. Immer wieder kommt sie zu dem Schluß, daß die besonderen weiblichen Fähigkeiten den Frauen im einundzwanzigsten Jahrhundert zu wachsendem Einfluß verhelfen werden.
Die armen Männer
Die Herausforderungen der kommenden Jahre erfordern die Fähigkeit, in komplexen Geflechten von Zusammenhängen den Überblick zu behalten, eine breite Palette von Daten zu sammeln, abzuwägen und wirkungsvoll zu kommunizieren. Das weibliche Gehirn scheint Helen Fisher für solche Aufgaben prädestiniert, weil seine beiden Hälften besser miteinander verknüpft sind als beim Mann. Das Gehirn der Frau ist in den evolutionstechnisch jüngeren Regionen aktiver als das des Manns und somit das weiter fortgeschrittene Modell. Hinzu kommt, daß der unterschiedliche Hormonhaushalt sich auf die spezifischen Handlungsschemata der Geschlechter auswirkt. Männer sind durch einen hohen Spiegel des Hormons Testosteron zu tumben, eindimensional denkenden Cholerikern degradiert, während die multitaskingfähigen Frauen den Herausforderungen der Zukunft mit kommunikativen Mitteln begegnen und Netzwerke bilden.
In den Industrieländern begünstigt die demographische Entwicklung den wachsenden Einfluß von Frauen. Die Generation des Babybooms hat jetzt ihre Lebensmitte erreicht, was für Frauen den Eintritt der Menopause bedeutet. Der Östrogenspiegel sinkt, der Einfluß des Testosterons steigt, und zu all den vorteilhaften Eigenschaften weiblicher Handlungsmuster kommt eine gehörige Portion Durchsetzungsfähigkeit. "Wir stehen an der Schwelle zu einer Ära, die zur Ära der Frauen werden könnte." Wer will Helen Fisher da widersprechen?
Lionel Tiger ganz bestimmt nicht. Der amerikanische Anthropologe hat schon längst den Abstieg des Mannes diagnostiziert. In den Vereinigten Staaten scheint dieser Niedergang schon weiter fortgeschritten zu sein als hierzulande. Ständig begegnet Tiger öffentlichen Schmähungen von Männern wie jenem Plakat im Schaufenster einer Kosmetikkette. Daselbst sah er eine Frau abgebildet, die ein kleines Tier auf dem Arm hielt, Bildunterschrift: "Warum Versuche mit wehrlosen kleinen Tieren machen? Sie könnten doch meinen Mann nehmen!" Tiger erlebt sexuell befreite, wirtschaftlich erfolgreiche Frauen als eine dominante Gruppe, die im Sinne politischer Korrektheit als schützenswerte Minderheit gilt, während Männer dem Hohn und dem Spott der übrigen Menschen ausgesetzt sind.
Daß es soweit hat kommen können, erklärt er durch die Entwicklung der Antibabypille, die es der Frau ermöglicht, unabhängig vom Partner zu entscheiden, ob sie Kinder bekommen will oder nicht. Der Mann hingegen wird in der Frage, wer seine Kinder sind, noch mehr verunsichert. Die Sozialgesetzgebung in den meisten westlichen Ländern unterstützt zudem Frauen, die ihre Kinder allein großziehen, womit zunehmend auch die Rolle des Mannes als Ernährer einer Familie entfällt. Tiger nennt die heutige Art der menschlichen Fortpflanzung "Bürogamie", denn der Personenkreis, der heute notwendig sei, um Kinder aufzuziehen, bestehe aus einer Frau, ihren Kindern und Bürokraten. In Anlehnung an Marx wird der heutige Mann als zutiefst von den Reproduktionsmitteln entfremdet gesehen.
Aus biochemischer Sicht ist die Anwenderin der Pille schwanger. Welchen biologischen Sinn soll dann noch für einen Mann eine sexuelle Beziehung haben? Tiger zitiert Vermutungen, nach denen der Rückgang der Samenzahl bei westlichen Männern dadurch erklärt wird, daß so viele sexuell aktive Frauen "schwanger" seien. Über den Einfluß der Pille auf das Verhalten von Mann und Frau zueinander ist noch wenig bekannt, doch die bisherigen Untersuchungen lassen Tiger vermuten, daß diese industriell geprägte Verhütungsmethode einen viel weiter reichenden Einfluß auf unsere Gesellschaft hat, als wir bisher vermuteten.
Tatsache ist jedenfalls, daß in den westlichen Ländern der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung steigt, während der Anteil der Männer rückläufig ist. In Amerika steigt das durchschnittliche Einkommen der Frauen, das der Männer wird geringer. Harte, rohe oder nasse Arbeiten, die dem Typ des prähistorischen Jägers, der seine Beute unter widrigen Umständen erlegen mußte, entsprechen, werden zunehmend von Maschinen erledigt. Tiger erwähnt, daß Jungen wegen ihres gegenüber Mädchen größeren Bewegungsdrangs heute in der Schule bisweilen wie Kranke behandelt werden.
Er findet viele Folgen des veränderten Verhältnisses zwischen den Geschlechtern, besonders in seiner amerikanischen Heimat: Sei es, daß achtzig Prozent der Mordopfer und neunzig Prozent der Mörder Männer sind, oder sei es, daß Frauen früher Rente beziehen und später sterben, weshalb sie insgesamt mehr Rente erhalten - stets sind die Männer die Verlierer. Männer ersetzen Fortpflanzung durch die symbolische Sexualität der Pornographie, sie erfahren Bestätigung ihrer Leistungsfähigkeit durch passiv erlebten Sport oder entziehen sich einer immer unerträglicheren Welt durch den Konsum von Drogen.
Der Mann, so Tiger, ziehe sich immer mehr aus der Familie zurück. Damit werde er langfristig den Anspruch auf politische Führung verlieren. Die Wahrscheinlichkeit dieser Prognose relativiert sich jedoch, wenn man sich folgendes überlegt: Bedeutet die Tatsache, daß Frauen-Einkommen schneller steigen als die Einkünfte der Männer, wirklich eine Verelendung der Männerwelt? Mit einer ähnlichen Argumentation könnte man auch die Verelendung der westlichen Bundesländer gegenüber den östlichen vorhersehen.
Obwohl der Mann, dieser arbeits- und mittellose, brutale und drogensüchtige Pornokonsument, sich lediglich die Sportschau anguckt, während aufgeschlossene, kommunikativ kompetente und vielseitig begabte Frauen für die Erziehung nachfolgender Generationen sorgen und subtile Netzwerke aufbauen, sieht Wolfgang Bergmann unsere Gesellschaft und Kultur auf dem Weg in eine männlich dominierte Zukunft. Für ihn ist die Frauenbewegung ein notwendiges, aber bereits abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte des Abendlandes. Die Präsenz der Frauen in der heutigen Gesellschaft sei eine Medienpräsenz, die nach wie vor von Männern beeinflußt werde. Das von männlichen Vorstellungen und Erfindungen dominierte zwanzigste Jahrhundert wirke in seiner Extrapolation in die Zukunft bedrohlich, weshalb der Wunsch nach Schönheit und Mütterlichkeit statt kalter unsichtbarer Technik wachse, der die Illusion einer stärker von Frauen geprägten Welt fördere. Das Bild vom als Soldat oder Arbeiter rein körperlich funktionierenden, geistfernen Mann wandele sich jedoch bereits zu neuen Vorstellungen von Männlichkeit. Die Archetypen des neuen Mannes seien Ikarus und Narziß. Ikarus habe sich mit technischen Mitteln von der verworrenen Realitätsschwere des Labyrinths gelöst und wollte dann auch die Physis seines Fluggerätes hinter sich lassen, um "dorthin zu gelangen, wo es gar kein Denken und kein ,bewußtes' Sein mehr gibt, kein Subjekt und kein Objekt, kein ,Ich' des Fliegers mehr, sondern nur noch den freien Flug selber. Und zuletzt auch den nicht, sondern einzig die Sonne, Urelement des Lichts, in das er eintaucht: reines durchscheinendes Da-Sein." Die mystische Erfahrung des Ikarus lasse sich in den heutigen virtuellen Welten ohne physische Gefahr nachvollziehen. Gefahr drohe jedoch von einer anderen Seite: der Vereinsamung. So wie Narziß die Vollkommenheit des schönen Scheins im ungetrübten Wasser seines Spiegelbildes fand und darauf die Kommunikation mit seiner Umwelt einstellte, könnte auch ein mystisch verzückter Cyber-Ikarus der realen Welt entrücken.
Die weiter unterdrückten Frauen
Bergmann zeichnet die Entwicklungslinie zwischen der Selbstentdeckung des Menschen in der Renaissance und der Selbstüberschreitung des Menschen in der Gegenwart. Er findet die ersten Ansätze zu einer technisierten Loslösung vom Ich in der Hippie-Kultur der sechziger Jahre und in den dezentralen Strukturen vernetzter Unternehmen wie Benetton. Der moderne Nomade arbeitet an wechselnden Orten und an wechselnden Aufgaben. Dieses Managerdasein verlange durchaus die kommunikativen Fähigkeiten, die Frauen zugeschrieben werden, jedoch vor allem den gelösten Menschen auf flexiblen Einsatzgebieten. Der nomadisierende Manager erlebt seinen Job wie ein Computerspiel. Ihm stehen Ressourcen zur Verfügung, mit denen er eine Aufgabe löst oder nicht. Danach beginnt das Spiel mit einem neuen Leben von vorne oder wird auf der nächsthöheren Stufe fortgesetzt. Für diese Art von Spielen sind Menschen prädestiniert, die ihre Funktionalität immer wieder unter Beweis stellen wollen: Männer.
Ikarus ist ein Mystiker. Mit Hilfe der modernen Computertechnik wird er sich völlig von seiner Körperlichkeit lösen und mit der Maschine verschmelzen. Im Erleben seiner eigenen Funktionalität, die durch die Maschine potenziert wird, erlebt er Verzückung. Computerspiele wie "Tomb Raider" zeigen auf, wie das vonstatten gehen kann.
Die drei Autoren vermitteln sehr unterschiedliche Standpunkte, viel Lesevergnügen entsteht beim direkten Vergleich der vorgetragenen Thesen. Wer sie alle drei liest, kann Stammtischrunden durch provozierende Gedanken aufmischen.
HARTMUT HÄNSEL
Helen Fisher: "Das starke Geschlecht". Wie das weibliche Denken die Zukunft verändern wird. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Parada. Wilhelm Heyne Verlag, München 2000. 463 S., geb., 39,90 DM.
Lionel Tiger: "Auslaufmodell Mann". Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Deuticke Verlag, Wien 2000. 399 S., geb., 39,90 DM.
Wolfgang Bergmann: "Ikarus 2000". Warum das nächste Jahrhundert männlich wird. Kreuz Verlag, Stuttgart 2000. 218 S., br., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum das einundzwanzigste das Jahrhundert der Frauen wird
"Sie verfügen über ein reichhaltiges Arsenal an Fähigkeiten im Umgang mit Menschen. Mit ihrem einfühlsamen Tastsinn beurteilen sie Ihren Handschlag. Mit ihrem sensiblen Gehör nehmen sie ein Zögern, Stocken oder Singen in Ihrer Stimme wahr. Aufgrund ihrer ausgezeichneten peripheren Sicht und ihrer Fähigkeit, nonverbale Hinweise zu entdecken, bemerken sie selbst im Halbdunkel einer Diavorführung Ihren ungeduldig wippenden Fuß. Sie lesen von Ihrem Gesicht ab, ob Sie verwirrt oder gelangweilt sind, und registrieren die Gerüche in Ihrer Kleidung und im gesamten Raum. Sie betrachten das Material, den Farbton und den Schnitt Ihres Anzuges und bemerken Einzelheiten in Ihrer Umgebung wie eine Sektschale auf dem Tisch und den Sektquirl auf dem Fußboden. Dann verwenden sie die Vielzahl an Daten, um zu ergründen, was Sie gerne hören wollen - und beginnen, Sie mit Worten zu manipulieren."
Die amerikanische Anthropologin Helen Fisher beschreibt hier keine Außerirdischen, die in sinistrer Absicht unsere Gesellschaft unterwandern, sondern ihre Geschlechtsgenossinnen. Sie erklärt die spezifischen Unterschiede zwischen Mann und Frau auf der Grundlage der Gehirnforschung und zieht Studien aus Anthropologie, Psychologie, Soziologie, Ethologie und anderen Wissenschaften, die sich mit dem Verhalten und der Biologie des Menschen befassen, hinzu. Immer wieder kommt sie zu dem Schluß, daß die besonderen weiblichen Fähigkeiten den Frauen im einundzwanzigsten Jahrhundert zu wachsendem Einfluß verhelfen werden.
Die armen Männer
Die Herausforderungen der kommenden Jahre erfordern die Fähigkeit, in komplexen Geflechten von Zusammenhängen den Überblick zu behalten, eine breite Palette von Daten zu sammeln, abzuwägen und wirkungsvoll zu kommunizieren. Das weibliche Gehirn scheint Helen Fisher für solche Aufgaben prädestiniert, weil seine beiden Hälften besser miteinander verknüpft sind als beim Mann. Das Gehirn der Frau ist in den evolutionstechnisch jüngeren Regionen aktiver als das des Manns und somit das weiter fortgeschrittene Modell. Hinzu kommt, daß der unterschiedliche Hormonhaushalt sich auf die spezifischen Handlungsschemata der Geschlechter auswirkt. Männer sind durch einen hohen Spiegel des Hormons Testosteron zu tumben, eindimensional denkenden Cholerikern degradiert, während die multitaskingfähigen Frauen den Herausforderungen der Zukunft mit kommunikativen Mitteln begegnen und Netzwerke bilden.
In den Industrieländern begünstigt die demographische Entwicklung den wachsenden Einfluß von Frauen. Die Generation des Babybooms hat jetzt ihre Lebensmitte erreicht, was für Frauen den Eintritt der Menopause bedeutet. Der Östrogenspiegel sinkt, der Einfluß des Testosterons steigt, und zu all den vorteilhaften Eigenschaften weiblicher Handlungsmuster kommt eine gehörige Portion Durchsetzungsfähigkeit. "Wir stehen an der Schwelle zu einer Ära, die zur Ära der Frauen werden könnte." Wer will Helen Fisher da widersprechen?
Lionel Tiger ganz bestimmt nicht. Der amerikanische Anthropologe hat schon längst den Abstieg des Mannes diagnostiziert. In den Vereinigten Staaten scheint dieser Niedergang schon weiter fortgeschritten zu sein als hierzulande. Ständig begegnet Tiger öffentlichen Schmähungen von Männern wie jenem Plakat im Schaufenster einer Kosmetikkette. Daselbst sah er eine Frau abgebildet, die ein kleines Tier auf dem Arm hielt, Bildunterschrift: "Warum Versuche mit wehrlosen kleinen Tieren machen? Sie könnten doch meinen Mann nehmen!" Tiger erlebt sexuell befreite, wirtschaftlich erfolgreiche Frauen als eine dominante Gruppe, die im Sinne politischer Korrektheit als schützenswerte Minderheit gilt, während Männer dem Hohn und dem Spott der übrigen Menschen ausgesetzt sind.
Daß es soweit hat kommen können, erklärt er durch die Entwicklung der Antibabypille, die es der Frau ermöglicht, unabhängig vom Partner zu entscheiden, ob sie Kinder bekommen will oder nicht. Der Mann hingegen wird in der Frage, wer seine Kinder sind, noch mehr verunsichert. Die Sozialgesetzgebung in den meisten westlichen Ländern unterstützt zudem Frauen, die ihre Kinder allein großziehen, womit zunehmend auch die Rolle des Mannes als Ernährer einer Familie entfällt. Tiger nennt die heutige Art der menschlichen Fortpflanzung "Bürogamie", denn der Personenkreis, der heute notwendig sei, um Kinder aufzuziehen, bestehe aus einer Frau, ihren Kindern und Bürokraten. In Anlehnung an Marx wird der heutige Mann als zutiefst von den Reproduktionsmitteln entfremdet gesehen.
Aus biochemischer Sicht ist die Anwenderin der Pille schwanger. Welchen biologischen Sinn soll dann noch für einen Mann eine sexuelle Beziehung haben? Tiger zitiert Vermutungen, nach denen der Rückgang der Samenzahl bei westlichen Männern dadurch erklärt wird, daß so viele sexuell aktive Frauen "schwanger" seien. Über den Einfluß der Pille auf das Verhalten von Mann und Frau zueinander ist noch wenig bekannt, doch die bisherigen Untersuchungen lassen Tiger vermuten, daß diese industriell geprägte Verhütungsmethode einen viel weiter reichenden Einfluß auf unsere Gesellschaft hat, als wir bisher vermuteten.
Tatsache ist jedenfalls, daß in den westlichen Ländern der Anteil der Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung steigt, während der Anteil der Männer rückläufig ist. In Amerika steigt das durchschnittliche Einkommen der Frauen, das der Männer wird geringer. Harte, rohe oder nasse Arbeiten, die dem Typ des prähistorischen Jägers, der seine Beute unter widrigen Umständen erlegen mußte, entsprechen, werden zunehmend von Maschinen erledigt. Tiger erwähnt, daß Jungen wegen ihres gegenüber Mädchen größeren Bewegungsdrangs heute in der Schule bisweilen wie Kranke behandelt werden.
Er findet viele Folgen des veränderten Verhältnisses zwischen den Geschlechtern, besonders in seiner amerikanischen Heimat: Sei es, daß achtzig Prozent der Mordopfer und neunzig Prozent der Mörder Männer sind, oder sei es, daß Frauen früher Rente beziehen und später sterben, weshalb sie insgesamt mehr Rente erhalten - stets sind die Männer die Verlierer. Männer ersetzen Fortpflanzung durch die symbolische Sexualität der Pornographie, sie erfahren Bestätigung ihrer Leistungsfähigkeit durch passiv erlebten Sport oder entziehen sich einer immer unerträglicheren Welt durch den Konsum von Drogen.
Der Mann, so Tiger, ziehe sich immer mehr aus der Familie zurück. Damit werde er langfristig den Anspruch auf politische Führung verlieren. Die Wahrscheinlichkeit dieser Prognose relativiert sich jedoch, wenn man sich folgendes überlegt: Bedeutet die Tatsache, daß Frauen-Einkommen schneller steigen als die Einkünfte der Männer, wirklich eine Verelendung der Männerwelt? Mit einer ähnlichen Argumentation könnte man auch die Verelendung der westlichen Bundesländer gegenüber den östlichen vorhersehen.
Obwohl der Mann, dieser arbeits- und mittellose, brutale und drogensüchtige Pornokonsument, sich lediglich die Sportschau anguckt, während aufgeschlossene, kommunikativ kompetente und vielseitig begabte Frauen für die Erziehung nachfolgender Generationen sorgen und subtile Netzwerke aufbauen, sieht Wolfgang Bergmann unsere Gesellschaft und Kultur auf dem Weg in eine männlich dominierte Zukunft. Für ihn ist die Frauenbewegung ein notwendiges, aber bereits abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte des Abendlandes. Die Präsenz der Frauen in der heutigen Gesellschaft sei eine Medienpräsenz, die nach wie vor von Männern beeinflußt werde. Das von männlichen Vorstellungen und Erfindungen dominierte zwanzigste Jahrhundert wirke in seiner Extrapolation in die Zukunft bedrohlich, weshalb der Wunsch nach Schönheit und Mütterlichkeit statt kalter unsichtbarer Technik wachse, der die Illusion einer stärker von Frauen geprägten Welt fördere. Das Bild vom als Soldat oder Arbeiter rein körperlich funktionierenden, geistfernen Mann wandele sich jedoch bereits zu neuen Vorstellungen von Männlichkeit. Die Archetypen des neuen Mannes seien Ikarus und Narziß. Ikarus habe sich mit technischen Mitteln von der verworrenen Realitätsschwere des Labyrinths gelöst und wollte dann auch die Physis seines Fluggerätes hinter sich lassen, um "dorthin zu gelangen, wo es gar kein Denken und kein ,bewußtes' Sein mehr gibt, kein Subjekt und kein Objekt, kein ,Ich' des Fliegers mehr, sondern nur noch den freien Flug selber. Und zuletzt auch den nicht, sondern einzig die Sonne, Urelement des Lichts, in das er eintaucht: reines durchscheinendes Da-Sein." Die mystische Erfahrung des Ikarus lasse sich in den heutigen virtuellen Welten ohne physische Gefahr nachvollziehen. Gefahr drohe jedoch von einer anderen Seite: der Vereinsamung. So wie Narziß die Vollkommenheit des schönen Scheins im ungetrübten Wasser seines Spiegelbildes fand und darauf die Kommunikation mit seiner Umwelt einstellte, könnte auch ein mystisch verzückter Cyber-Ikarus der realen Welt entrücken.
Die weiter unterdrückten Frauen
Bergmann zeichnet die Entwicklungslinie zwischen der Selbstentdeckung des Menschen in der Renaissance und der Selbstüberschreitung des Menschen in der Gegenwart. Er findet die ersten Ansätze zu einer technisierten Loslösung vom Ich in der Hippie-Kultur der sechziger Jahre und in den dezentralen Strukturen vernetzter Unternehmen wie Benetton. Der moderne Nomade arbeitet an wechselnden Orten und an wechselnden Aufgaben. Dieses Managerdasein verlange durchaus die kommunikativen Fähigkeiten, die Frauen zugeschrieben werden, jedoch vor allem den gelösten Menschen auf flexiblen Einsatzgebieten. Der nomadisierende Manager erlebt seinen Job wie ein Computerspiel. Ihm stehen Ressourcen zur Verfügung, mit denen er eine Aufgabe löst oder nicht. Danach beginnt das Spiel mit einem neuen Leben von vorne oder wird auf der nächsthöheren Stufe fortgesetzt. Für diese Art von Spielen sind Menschen prädestiniert, die ihre Funktionalität immer wieder unter Beweis stellen wollen: Männer.
Ikarus ist ein Mystiker. Mit Hilfe der modernen Computertechnik wird er sich völlig von seiner Körperlichkeit lösen und mit der Maschine verschmelzen. Im Erleben seiner eigenen Funktionalität, die durch die Maschine potenziert wird, erlebt er Verzückung. Computerspiele wie "Tomb Raider" zeigen auf, wie das vonstatten gehen kann.
Die drei Autoren vermitteln sehr unterschiedliche Standpunkte, viel Lesevergnügen entsteht beim direkten Vergleich der vorgetragenen Thesen. Wer sie alle drei liest, kann Stammtischrunden durch provozierende Gedanken aufmischen.
HARTMUT HÄNSEL
Helen Fisher: "Das starke Geschlecht". Wie das weibliche Denken die Zukunft verändern wird. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Parada. Wilhelm Heyne Verlag, München 2000. 463 S., geb., 39,90 DM.
Lionel Tiger: "Auslaufmodell Mann". Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Deuticke Verlag, Wien 2000. 399 S., geb., 39,90 DM.
Wolfgang Bergmann: "Ikarus 2000". Warum das nächste Jahrhundert männlich wird. Kreuz Verlag, Stuttgart 2000. 218 S., br., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hartmut Hänsel stellt in einer Besprechung drei Bücher vor, die überlegen, wer im 21. Jahrhundert bestimmt: die Männer oder die Frauen? Hänsel findet alle drei Bücher vergnüglich zu lesen. Auch seien die Thesen genügend provozierend, "Stammtischrunden aufzumischen".
1) Helen Fisher: "
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