Marktplatzangebote
26 Angebote ab € 0,35 €
  • Gebundenes Buch

Die Sprach- und Literaturwissenschaftlerin Zoe Valdes wurde 1959 auf Kuba geboren, wuchs dort auf und lebt heute in Paris. Sie hat einen kompromißlosen und politisch brisanten Roman über die Situation im heutigen Kuba geschrieben. Hauptfigur und alter ego der Autorin ist Yocandra, eine eigensinnige junge Frau, die in Havanna ausharrt und beginnt, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Lange Zeit war sie auf der Suche nach Liebe und Anerkennung, nach Vorbildern und Leitfiguren, vergeblich, - bis der "Nihilist" in ihr Leben trat. Mit ihm, einem unangepaßten Filmregisseur, erlebt sie ein erotisches Abenteuer.…mehr

Produktbeschreibung
Die Sprach- und Literaturwissenschaftlerin Zoe Valdes wurde 1959 auf Kuba geboren, wuchs dort auf und lebt heute in Paris. Sie hat einen kompromißlosen und politisch brisanten Roman über die Situation im heutigen Kuba geschrieben. Hauptfigur und alter ego der Autorin ist Yocandra, eine eigensinnige junge Frau, die in Havanna ausharrt und beginnt, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Lange Zeit war sie auf der Suche nach Liebe und Anerkennung, nach Vorbildern und Leitfiguren, vergeblich, - bis der "Nihilist" in ihr Leben trat. Mit ihm, einem unangepaßten Filmregisseur, erlebt sie ein erotisches Abenteuer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.1996

Trauriges Hängebauchschwein
Kuba, Kuba: Zoé Valdés berichtet vor allem Unerfreuliches

"Ich wurde geboren mit dem Stigma der transzendentalen Pflicht", erinnert sich Yocandra, die Protagonistin in dem Roman von Zoé Valdés. "Ich sollte meinen Eltern treu sein. Ich sollte dem Vaterland treu sein. Ich sollte der Schule treu sein. Ich sollte den Massenorganisationen und Verbänden treu sein. Ich sollte den nationalen Symbolen treu sein. Ich sollte meinen ,Genossen' treu sein (das Wort Freund galt nichts mehr). Ich sollte meinem Ehemann treu sein. Ich sollte alldem treu sein, was mir nicht treu war."

Yocandras Pflicht ist transzendental, denn sie ist schon als Heldin zur Welt gekommen. Havanna, 1. Mai 1959. Zum ersten Mal begeht das sozialistische Kuba den Feiertag der Werktätigen. Als eine hochschwangere Frau während Fidels Rede auf dem Platz der Revolution zusammenbricht, legt ihr Che Guevara persönlich eine kubanische Flagge auf den Bauch. Der patriotisch und revolutionär gesinnte Vater findet für die Tochter, die zu seinem Unglück erst am 2. Mai zur Welt kommt, den einzig möglichen Namen: "Patria! . . . Patria, das ist ein origineller Name: Vaterland! . . . Und ich bin der Vater von Patria, dem Vaterland!"

Havanna, in den neunziger Jahren. In ihrem heruntergekommenen Apartment am Strand sitzt Yocandra, wie sich Patria inzwischen nennt, trinkt schwarzen Kaffee und schaut aufs Meer hinaus. Das ist ihre Lieblingsbeschäftigung im "täglichen Nichts" der "Sonderperiode", wie die kubanische Versorgungskatastrophe offiziell heißt. Yocandra ist Chefredakteurin einer einstmals angesehenen Literaturzeitschrift, die nicht mehr erscheinen kann "wegen der Sonderperiode und wegen all dem andern, was wir, wie wir wissen, durchmachen und noch durchmachen werden". So füllt sie ihre Tage mit Schlangestehen und Kaffeetrinken. Nachts kommen abwechselnd der "Verräter" und der "Nihilist" zu Besuch. Am Ende des Romans wird sich Yocandra an den Schreibtisch setzen und den ersten Satz dieses Romans zu Papier bringen: "Sie kommt von einer Insel, die das Paradies aufbauen wollte . . ."

Zoé Valdés, 1959 in Havanna geboren, wirft in ihrem zweiten Roman (der bisher in Kuba nicht erschienen ist) einen Blick zurück auf die eigene Kindheit und Jugend. Aus einiger Distanz erinnert sich Yocandra, ihr Alter ego, an die glühende und komische Begeisterung der Eltern für Fidels Revolution. An den Vater, "Verdienter Machetero des Volkes", dem die Villa eines nach Miami geflohenen Bildhauers zugewiesen wird, deren Art-déco-Inventar er im Nu in Stücke schlägt. An die kunstsinnige Mutter, die vor der väterlichen Zerstörungswut immerhin eine Zeichnung von Wilfredo Lam in Sicherheit bringt und 1967 aus Schmerz um Che Guevaras Ermordung in geistige Umnachtung fällt.

Im Zentrum des Romans aber stehen exemplarische Lebenswege aus Valdés' eigener Generation. Der "Luchs", ein dissidenter Maler, flieht übers Meer nach Florida und entgeht dabei dem Tod nur um Haaresbreite. Das "Würmchen", Yocandras beste Freundin, war, "noch bevor das Anschaffen zum Volkssport wurde", eine von Havannas ersten Prostituierten. Weniger aus Geldnot, wie es scheint, sondern aus einer Haltung heraus, die sie mit Yocandra teilt: beide wollen die Sittenwächter der Revolution schockieren. Also überbieten sich die beiden kubanischen Refuseniks in ihrer Verhöhnung der sozialistischen Moral, ohne je den eigenen Vorteil aus dem Auge zu verlieren. Eines Tages gelingt es der Freundin, ihre Ausreise zu organisieren. "Sie heiratete einen alten, dicken Spanier und ernannte mich zur Wohnungshüterin", erinnert sich Yocandra.

Jetzt schreibt das "Würmchen" regelmäßig lange und melancholische Briefe aus Madrid, in denen sie die Übersättigung mit Konsumgütern und den Mangel an attraktiven Männern beklagt. In Kuba war das Gegenteil der Fall. Zurück möchte das "Würmchen" dennoch um keinen Preis: "Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten: das Zuteilungsheft für die rationierten Waren, die verlogenen Reden, die CDR-Vorsitzende, die ihr eigenes Kind verpfeift, wenn es seine Wache nicht gemacht hat, die Frauenbundtanten, die aus Lumpen Püppchen nähen (. . .). Wenn ich daran denke, würde ich wieder heiraten, sogar ein Hängebauchschwein, wenn es mir nur schwört, daß es aus Burkina Faso ist."

Das ist der vorherrschende Ton dieses Romans. Zoé Valdés' Sprache ist nicht kunstvoll, dafür aber durchweg spöttisch, manchmal boshaft und, wo immer es um sexuelle Dinge geht, sehr explizit. "Das tägliche Nichts" ist mehr als bloß ein Zeugnis der kubanischen Misere. Der Roman gibt außerdem eine Anleitung zur Erlösung von der Dürftigkeit. Mit Drogen, Poesie und Sex befördert sich Yocandra aus dem täglichen Nichts hinaus. Weil es in der "Sonderperiode" an allem fehlt, muß, so Valdés, Sex als Ersatz für alles herhalten.

Deshalb spricht sie, wenn sie von Kuba spricht, immer auch über Sex und immer, wenn sie über Sex spricht, auch von Kuba. So etwa in den Porträts von Yocandras Liebhabern, in denen sie nebenbei eine kleine Typologie des männlichen kubanischen Intellektuellen entwirft. In der Figur des "Verräters", dem die junge Yocandra als Schreibkraft und Muse dient und der ihr im Gegenzug zum Universitätsdiplom ohne Studium verhilft, hat Valdés ein satirisches Bildnis des kubanischen Staats- und Großschriftstellers geschaffen: "Er war der Schriftsteller, der Mode war, außerdem sah er gut aus und hatte schicke Klamotten, ich kann mich noch genau an einen himmelblauen Anzug von ihm aus feinem melierten Garn erinnern, italienische Marke, zu dem er italienische Schuhe aus wahnsinnig weichem Ziegenleder trug." Ist der "Verräter" zu offiziellen Empfängen eingeladen - "mal für Gabo, mal zu Ehren Régis Debrays" holt Yocandra für ihn die französischen Hemden und italienischen Schuhe aus dem Schrank. Sein neues Werk soll eine nobelpreisverdächtige Mixtur aus Eco und Yourcenar, Broch und Süskind werden, "eine Collage der Autoren, die zuletzt im Magazine Littéraire rezensiert worden waren". Einerseits will der "Verräter" ein Mann der Tat sein, ein wahrer "Machist-Leninist". Andererseits drängt es den Bourgeois in ihm zum Bund der Ehe und zum süßen Leben eines Unesco-Beamten in Paris. Dort trennt sich das Paar nach kurzer Zeit und begegnet sich erst in Havanna wieder, als bereits der "Nihilist" in Yocandras Leben getreten ist, Held des achten Kapitels, das Valdés in Anspielung auf Lezama Limas Roman "Paradiso" das "pornografische" nennt.

Mit Pornographie hat Valdés' Schreibweise dennoch wenig zu tun. Dafür ist ihr Blick zu kühl, ihr Zugriff zu direkt und ihre Sprache zu eindeutig. Die Männer, wenn sie nicht Väter sind, treten in diesem Roman vor allem als Sexualobjekte in Erscheinung. Zoé Valdés' weibliches Begehren hält sich nicht mit Andeutungen auf. Der "männliche Blick", das macht ihr Roman deutlich, ist kein Privileg der Männer.

Die Treueschwüre der frühen Jahre haben Zoé Valdés und ihre Heldin weit hinter sich gelassen. Sie sind den Idealen untreu geworden und die Ideale ihnen. An die Stelle der heroischen Pflichterfüllung ist der kaum weniger heroische Geschlechtsakt getreten. Zoé Valdés hat über Sex, Hunger und Sozialismus auf Kuba einen radikal materialistischen Roman geschrieben und dabei niemanden geschont, am wenigsten sich selbst. CHRISTOPH BARTMANN

Zoé Valdés: "Das tägliche Nichts". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Klaus Laabs. Ammann Verlag, Zürich 1996. 160 S., geb., 32,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr