Band 2, mit dem die Edition beginnt, setzt ein mit einem frühen Höhepunkt - Kesslers Weltreise (1892) nach Nordamerika, Japan, China, Indien und Ägypten, gefolgt von Notizen von seiner Mexiko-Reise, Grundlage für Kesslers erstes selbständiges Buch. - Weitere Stichworte dieses Bandes: Die Promotion, die Militärdienstzeit in Potsdam, die Gründung der berühmten Zeitschrift "PAN", erste Kontakte zum Nietzsche-Archiv und Begegnungen in Deutschland, Frankreich und Italien.
Der Editionsplan
Band 1 (1880 - 1891) / CD-ROM 2: Frühjahr 2008
Band 2 (1892 - 1897): Frühjahr 2004
Band 3 (1897 - 1905) / CD-ROM Reprint (1880 - 1937): Herbst 2004
Band 4 (1906 - 1914): Frühjahr 2005
Band 5 (1914 - 1916): Herbst 2007
Band 6 (1916 - 1918): Herbst 2005
Band 7 (1918 - 1923): Frühjahr 2006
Band 8 (1923 - 1926): Herbst 2006
Band 9 (1926 - 1937): Frühjahr 2007
Anzukündigen ist die erste vollständige und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausgabe des legendären, 57 Jahre hindurch geführten Tagebuchs des Schriftstellers, Diplomaten und Kunstmäzens Harry Graf Kessler.
Kessler (1868-1937) war eine einzigartige Erscheinung in einem besonders bewegten Abschnitt der europäischen Zeit- und Kunstgeschichte. Sein Tagebuch ist eine unvergleichliche Quelle zur politischen Geschichte, zur Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte seiner Zeit. Es ist fortlaufender Zeitbericht und Zeitkommentar, geschrieben von einem unerbittlich scharfen Beobachter, sensiblen Denker und homme de lettres.
Band 2, mit dem die Edition beginnt, setzt ein mit einem frühen Höhepunkt - Kesslers Weltreise (1892) nach Nordamerika, Japan, China, Indien und Ägypten, gefolgt von Notizen von seiner Mexiko-Reise, Grundlage für Kesslers erstes selbständiges Buch. - Weitere Stichworte dieses Bandes: Die Promotion, die Militärdienstzeit in Potsdam, die Gründung der berühmten Zeitschrift »PAN«, erste Kontakte zum Nietzsche-Archiv und Begegnungen in Deutschland, Frankreich und Italien.
Der Editionsplan
Band 1 (1880 - 1891) / CD-ROM 2: Frühjahr 2008
Band 2 (1892 - 1897): Frühjahr 2004
Band 3 (1897 - 1905) / CD-ROM Reprint (1880 - 1937): Herbst 2004
Band 4 (1906 - 1914): Frühjahr 2005
Band 5 (1914 - 1916): Herbst 2007
Band 6 (1916 - 1918): Herbst 2005
Band 7 (1918 - 1923): Frühjahr 2006
Band 8 (1923 - 1926): Herbst 2006
Band 9 (1926 - 1937): Frühjahr 2007
Anzukündigen ist die erste vollständige und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausgabe des legendären, 57 Jahre hindurch geführten Tagebuchs des Schriftstellers, Diplomaten und Kunstmäzens Harry Graf Kessler.
Kessler (1868-1937) war eine einzigartige Erscheinung in einem besonders bewegten Abschnitt der europäischen Zeit- und Kunstgeschichte. Sein Tagebuch ist eine unvergleichliche Quelle zur politischen Geschichte, zur Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte seiner Zeit. Es ist fortlaufender Zeitbericht und Zeitkommentar, geschrieben von einem unerbittlich scharfen Beobachter, sensiblen Denker und homme de lettres.
Band 2, mit dem die Edition beginnt, setzt ein mit einem frühen Höhepunkt - Kesslers Weltreise (1892) nach Nordamerika, Japan, China, Indien und Ägypten, gefolgt von Notizen von seiner Mexiko-Reise, Grundlage für Kesslers erstes selbständiges Buch. - Weitere Stichworte dieses Bandes: Die Promotion, die Militärdienstzeit in Potsdam, die Gründung der berühmten Zeitschrift »PAN«, erste Kontakte zum Nietzsche-Archiv und Begegnungen in Deutschland, Frankreich und Italien.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2004Der Allerweltsmann
Harry Graf Kessler in seinen frühen Tagebüchern
Man muß sich die postume Karriere des reichen Harry Graf Kessler vergegenwärtigen, um zu ermessen, was es bedeutet, daß jetzt der erste von neun Bänden einer kompletten Edition seiner Tagebücher erscheint (zusätzlich und mit weiteren Apparaten auf CD-ROM). Als 1961 eine Auswahl aus seinen Tagebüchern der Jahre 1918 bis 1937 im Insel Verlag veröffentlicht wurde, kam dies einer kleinen Sensation gleich. Das Buch mußte rasch in mehreren Auflagen gedruckt werden. Der Verfasser war ein Unbekannter, nur wenige der noch Lebenden hatten zu ihm seinerzeit Verbindung gehabt. Man erfuhr, daß er ein großer Mäzen gewesen war, die Zeitschrift "Pan" mitgegründet, die moderne Kunst nach Weimar und die Cranach-Presse als bibliophile Anstalt gegründet hatte. Immer mehr seiner Aktivitäten wurden wieder ans Licht gezogen. Seine Tagebücher wiesen ihn als Gebildeten von bemerkenswerter europäischer Mobilität, die Einträge trugen in rascher Folge die Ortsnamen Berlin, Warschau, Zürich, Locarno, Amsterdam, Capri, Rapallo und so fort in schier nicht enden wollender Litanei. Das war also der Europäer - mit schweizerischen, französischen, persischen Vorfahren -, der sich in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht hatte durchsetzen können.
Zweifellos war es dieses Europäertum, das die deutschen Leser am Anfang der sechziger Jahre faszinierte und was sie auf ihre Weise mit wachsendem Wohlstand zu goutieren begannen. Kessler, der Pionier des neudeutschen Europäertums. Zweifellos hat diese postume Perspektive auf ihn zu seinem späten Ruhm beigetragen. Man mußte aber auch zur Kenntnis nehmen, wie merkwürdig isoliert dieser Mann in einer Zeit geblieben war, als es in Politik und Kunstleben nur wenige gab, die er nicht kannte - in ganz Europa. Von dem "roten Grafen", der mit dem Sozialismus sympathisierte, ohne dessen Ideologie anzuhängen, von seinen Europaideen und Völkerbundplänen hatte man nie gehört. Jetzt tauchte unerwartet ein Europa auf, das dem, wie es die Deutschen der Gegenwart sich wünschten, erstaunlich ähnlich sah. Das plötzlich aufwallende Interesse an diesem Mann wird rückblickend noch verständlicher, wenn man seinen Lebensstil ins Auge faßt. Er hatte in eindrucksvoller Form gelebt, was sich die Wohlstandsgesellschaft, sofern sie noch kultiviert sein wollte, erträumte.
Einer Sensation kam auch gleich, als 1987 die fehlenden Tagebücher vor 1918 in einem Safe auf Mallorca gefunden wurden, der nach der Verfügung des Grafen Kessler fünfzig Jahre nach seinem Tod geöffnet werden sollte. Nun war, mit einigen ergänzenden Funden, die Kontinuität nach rückwärts bis 1880 gesichert. Man sprach mit Recht vom größten zusammenhängenden Tagebuchwerk der Epoche. In den kommenden Jahren werden wir nun in dichter Folge Einblick erhalten in die Welt eines sehr reichen Mannes, der auf der Suche nach seinem Lebensberuf ist, der die Nähe zu den Künstlern der europäischen Moderne sucht, der als Mäzen an der modernen Kunstbewegung teilnimmt, der politisch hellwach den Untergang der wilhelminischen Gesellschaft erlebt und am Ende ratlos den Zusammenbruch auch der Weimarer Republik von ferne zur Kenntnis nimmt.
Der unsichtbare Zeuge
In zwei Biographien und einer Reihe von Einzelstudien, die schon vom Tagebuchfund profitierten, ist das Leben von Harry Graf Kessler mittlerweile gut ausgeleuchtet. Das Merkwürdige aber ist, daß die Gestalt schattenhaft bleibt, mehr Gefäß als Inhalt. Wie viele Zeitgenossen hat Kessler flüchtig porträtiert - über Rathenau hat er ein ganzes Buch geschrieben -, ihnen in seinen Tagebüchern ein Unterkommen verschafft, aber wie wenige haben ihn charakterisiert. Munch und Liebermann malten ihn, aber kein Zeitgenosse hat ihm ein literarisches Denkmal gesetzt. Einzig von Hugo von Hofmannsthal, mit dem Kessler zusammenarbeitete und in Briefwechsel stand, sind einige Äußerungen überliefert, die an die seelische Verfassung des Mannes rühren: Kessler sei "ein Narr und armer Narr, zuweilen ein unleidlicher Narr" oder: "Ein jugendlicher Liebhaber, der hinauf will, und der sich die Regie was kosten läßt." Aber dies sind vereinzelte Äußerungen, von eigener Verletztheit nicht ganz frei, so daß man nach wie vor von dem inzwischen zwar nicht mehr unbekannten, aber immer noch unsichtbaren Grafen sprechen kann.
Diese Asymmetrie zwischen Kesslers Wahrnehmung des Weltpersonals und dessen Aufmerksamkeit auf ihn führt direkt zu seinem Tagebuch. Denn dieses seltsame Faktum beruhte nicht auf der Gleichgültigkeit seiner Umgebung, sondern war Ausdruck seiner Haltung zu ihr: seiner unpersönlichen Anwesenheit. Wollte man sein Tagebuch mit einem einzigen Wort charakterisieren, so wäre dies: Unpersönlichkeit, zuerst und vor allem sich selbst gegenüber. Man kann sich kaum einen Tagebuchschreiber vorstellen, der weniger auf sich selbst acht gegeben hätte als Harry Graf Kessler, der schon als junger Mann kaum etwas von sich selbst preisgab. Das Tagebuch, das er als Zehnjähriger begonnen hatte, war nie als Selbstgespräch gedacht, sondern als ein Protokoll seiner äußeren Bemühungen um sich und andere, als Beweis, daß er sein Pensum bewältigt hatte.
Der vorliegende Band beginnt mit einer Weltreise. Das Verzeichnis der sogenannten "Schreiborte", wie die Herausgeber dies nennen, also der Plätze, an denen Kessler sein Tagebuch führte, ist schier atemberaubend: Perugia, Philadelphia, Plombières, Popocatepetl, Potsdam...und so fort, seitenlang, Europa, Asien, Amerika. Der Leser weiß nicht, worüber er mehr staunen soll, über die Mühelosigkeit, mit der abenteuerliche Reiserouten bewältigt werden, oder die routinierte Aufzeichnung seiner Erlebnisse - als handelte es sich um Spaziergänge im Bois de Boulogne. Und alles finanziert aus dem atemberaubenden Vermögen des Vaters, zu dem Waldbesitz in Kanada von der Größe Bayerns gehört haben soll. Man kann diese Aufzeichnungen nur verstehen, wenn man zumindest den Versuch macht, sich die Optik eines sehr Reichen zu eigen zu machen, dessen Verhältnis zu seinem Reichtum ganz ungetrübt ist, ohne schlechtes Gewissen. Er sieht nur, was sich mit dieser Welt des Reichtums verträgt, auch wenn er gelegentlich ein paar Worte mit einfachen Leuten wechselt.
Universum des Geschmacks
Das Gleichmaß des Registrierens wird nur unterbrochen, wenn der Reisende einen Einfall über die künftige Verschmelzung der Geschmackskulturen aufzeichnet und dem Gedanken eines modernen Kunstgewerbes nachhängt, das sich japanischer Formen, oder einer modernen Architektur, die sich mexikanischer Formen bedienen wird. Das Universum dieses jungen Mannes ist beherrscht von der Idee eines alles zum Ausgleich bringenden umfassenden neuen Geschmacks, alles wird auf seine Tauglichkeit für eine endlich geschmackvolle Welt hin angesehen. Deswegen auch darf intim Persönliches nicht störend eingreifen. Wie ein Filter legt sich das Geschmackspostulat vor die wirklichen Eindrücke, und nicht alles darf sie passieren. Wirklichkeit ist Geschmack. Deswegen unterliegt die Wahrnehmung dieses vielgerühmten Beobachters einer Zensur: der Diktatur des Geschmacks.
An Harry Graf Kessler, dem Bewunderer so vieler moderner Künstler, der wohl als einer der ersten die überragende Begabung des jungen Max Beckmann wie vieler anderer erkannte, muß verwundern, daß er die zerfallende Kunstwelt noch in ein in sich geschlossenes und von Zweifeln nicht erschüttertes Geschmacksuniversum integrieren zu können glaubte. Der Leser dieses Tagebuchs sieht ihn nicht nur Nietzsche, sondern die symbolistische Ästhetik und auch den neuen Stil der Kunstkommentare mühelos in geläufige Formulierungen gießen, als sei das alles nur gedacht oder gemalt, um sich miteinander zu vertragen und eine Welt integren Geschmacks heraufzuführen. Man kann nicht umhin, ein tiefes Mißverständnis der modernen Kunstbewegung anzunehmen, an der Kessler so intensiv teilhatte. Seine Beziehungen zur Moderne sind völlig frei von jenen Feindschaften, die in ihr eine so große Rolle spielten. Der Mann, der als erster in Deutschland an einem Schreibtisch von Henry van de Velde saß, versuchte sein Lebensideal der Spannungslosigkeit durch Mäzenatentum zu verwirklichen.
Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit der modernen Kunst, die Kessler schon bei seiner ersten Berührung mit ihr zu erkennen gab, entsprang seinem mäzenatischen Erleben, in das sich ein bloßer Ausstellungsbesucher nur schwer hineindenken kann. Aber ganz ohne Spannung ging es sogar bei Kessler nicht ab. Sein Geschmack war ein Gegengeschmack gegen die, wie er mit ungewöhnlicher Deutlichkeit sagte, "Perversität" des wilhelminischen Geschmacks. Hier haßte sogar Kessler, der in allem sonst vermittelnd fühlte. Die Politik trat in sein Leben nicht als Haß auf die wilhelminische Politik, sondern auf den wilhelminischen Geschmack, und die Spannungslosigkeit seiner Beziehung zur Moderne entstand aus der Polarität zum Wilhelminismus. Schärfer pflegte sich Harry Graf Kessler nie zu äußern als in Fragen des Zusammenhangs von Geschmack und Politik.
Der Leser, der in diesen Tagebüchern intime Enthüllungen erwartet - Hofmannsthal gestand Kessler herablassend allenfalls eine "Allerweltsintimität" zu -, der intellektuelles Temperament und plötzliche, umstürzende Einfälle sucht, wird enttäuscht werden. Von all dem bietet das Tagebuch wenig. Aber es kann mit Gewinn gelesen werden als ein Dokument über die Wahrnehmungsweise der ganz Reichen, von Mäzenen, über die Sicht der Welt als Kunstgewerbe. Dann wird man an Harry Graf Kessler die schöpferische Unruhe nicht vermissen. Ihre Stelle nimmt bei ihm der Geschmack ein, immerhin in seiner damals avanciertesten Variante. Nicht umsonst erfüllten sich Kesslers Bemühungen um die Kunst schließlich am eindrucksvollsten in seiner Cranach-Presse, dem schön gedruckten und künstlerisch anspruchsvoll illustrierten Buch.
Dieses Vermächtnis des Helden haben Verlag und Editoren leider in den Wind geschlagen. Der Band, den sie jetzt vorlegen, läßt an einen juristischen Kommentar denken. Trostloser noch ist das Schriftbild, das seine Herkunft aus dem Computer nicht verleugnen kann. Über die Wünschbarkeit von Stellenkommentaren, von denen diese Edition mit Blick auf die elektronische Ausgabe Abstand genommen hat, oder über die Brauchbarkeit der Erläuterungen, zu denen sie sich im Rahmen eines mächtigen Personen- und Ortsregisters entschlossen hat, kann man lange streiten. Doch diesen Streit hätte man leicht vermeiden können, hätte man sich für eine reine Leseausgabe entschieden.
Harry Graf Kessler: "Das Tagebuch". Zweiter Band. Herausgegeben von Günther Riederer und Jörg Schuster. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 777 S., geb., 58,- [Euro] (Subskriptionspreis bei Abnahme aller Bände 49,- [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Harry Graf Kessler in seinen frühen Tagebüchern
Man muß sich die postume Karriere des reichen Harry Graf Kessler vergegenwärtigen, um zu ermessen, was es bedeutet, daß jetzt der erste von neun Bänden einer kompletten Edition seiner Tagebücher erscheint (zusätzlich und mit weiteren Apparaten auf CD-ROM). Als 1961 eine Auswahl aus seinen Tagebüchern der Jahre 1918 bis 1937 im Insel Verlag veröffentlicht wurde, kam dies einer kleinen Sensation gleich. Das Buch mußte rasch in mehreren Auflagen gedruckt werden. Der Verfasser war ein Unbekannter, nur wenige der noch Lebenden hatten zu ihm seinerzeit Verbindung gehabt. Man erfuhr, daß er ein großer Mäzen gewesen war, die Zeitschrift "Pan" mitgegründet, die moderne Kunst nach Weimar und die Cranach-Presse als bibliophile Anstalt gegründet hatte. Immer mehr seiner Aktivitäten wurden wieder ans Licht gezogen. Seine Tagebücher wiesen ihn als Gebildeten von bemerkenswerter europäischer Mobilität, die Einträge trugen in rascher Folge die Ortsnamen Berlin, Warschau, Zürich, Locarno, Amsterdam, Capri, Rapallo und so fort in schier nicht enden wollender Litanei. Das war also der Europäer - mit schweizerischen, französischen, persischen Vorfahren -, der sich in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht hatte durchsetzen können.
Zweifellos war es dieses Europäertum, das die deutschen Leser am Anfang der sechziger Jahre faszinierte und was sie auf ihre Weise mit wachsendem Wohlstand zu goutieren begannen. Kessler, der Pionier des neudeutschen Europäertums. Zweifellos hat diese postume Perspektive auf ihn zu seinem späten Ruhm beigetragen. Man mußte aber auch zur Kenntnis nehmen, wie merkwürdig isoliert dieser Mann in einer Zeit geblieben war, als es in Politik und Kunstleben nur wenige gab, die er nicht kannte - in ganz Europa. Von dem "roten Grafen", der mit dem Sozialismus sympathisierte, ohne dessen Ideologie anzuhängen, von seinen Europaideen und Völkerbundplänen hatte man nie gehört. Jetzt tauchte unerwartet ein Europa auf, das dem, wie es die Deutschen der Gegenwart sich wünschten, erstaunlich ähnlich sah. Das plötzlich aufwallende Interesse an diesem Mann wird rückblickend noch verständlicher, wenn man seinen Lebensstil ins Auge faßt. Er hatte in eindrucksvoller Form gelebt, was sich die Wohlstandsgesellschaft, sofern sie noch kultiviert sein wollte, erträumte.
Einer Sensation kam auch gleich, als 1987 die fehlenden Tagebücher vor 1918 in einem Safe auf Mallorca gefunden wurden, der nach der Verfügung des Grafen Kessler fünfzig Jahre nach seinem Tod geöffnet werden sollte. Nun war, mit einigen ergänzenden Funden, die Kontinuität nach rückwärts bis 1880 gesichert. Man sprach mit Recht vom größten zusammenhängenden Tagebuchwerk der Epoche. In den kommenden Jahren werden wir nun in dichter Folge Einblick erhalten in die Welt eines sehr reichen Mannes, der auf der Suche nach seinem Lebensberuf ist, der die Nähe zu den Künstlern der europäischen Moderne sucht, der als Mäzen an der modernen Kunstbewegung teilnimmt, der politisch hellwach den Untergang der wilhelminischen Gesellschaft erlebt und am Ende ratlos den Zusammenbruch auch der Weimarer Republik von ferne zur Kenntnis nimmt.
Der unsichtbare Zeuge
In zwei Biographien und einer Reihe von Einzelstudien, die schon vom Tagebuchfund profitierten, ist das Leben von Harry Graf Kessler mittlerweile gut ausgeleuchtet. Das Merkwürdige aber ist, daß die Gestalt schattenhaft bleibt, mehr Gefäß als Inhalt. Wie viele Zeitgenossen hat Kessler flüchtig porträtiert - über Rathenau hat er ein ganzes Buch geschrieben -, ihnen in seinen Tagebüchern ein Unterkommen verschafft, aber wie wenige haben ihn charakterisiert. Munch und Liebermann malten ihn, aber kein Zeitgenosse hat ihm ein literarisches Denkmal gesetzt. Einzig von Hugo von Hofmannsthal, mit dem Kessler zusammenarbeitete und in Briefwechsel stand, sind einige Äußerungen überliefert, die an die seelische Verfassung des Mannes rühren: Kessler sei "ein Narr und armer Narr, zuweilen ein unleidlicher Narr" oder: "Ein jugendlicher Liebhaber, der hinauf will, und der sich die Regie was kosten läßt." Aber dies sind vereinzelte Äußerungen, von eigener Verletztheit nicht ganz frei, so daß man nach wie vor von dem inzwischen zwar nicht mehr unbekannten, aber immer noch unsichtbaren Grafen sprechen kann.
Diese Asymmetrie zwischen Kesslers Wahrnehmung des Weltpersonals und dessen Aufmerksamkeit auf ihn führt direkt zu seinem Tagebuch. Denn dieses seltsame Faktum beruhte nicht auf der Gleichgültigkeit seiner Umgebung, sondern war Ausdruck seiner Haltung zu ihr: seiner unpersönlichen Anwesenheit. Wollte man sein Tagebuch mit einem einzigen Wort charakterisieren, so wäre dies: Unpersönlichkeit, zuerst und vor allem sich selbst gegenüber. Man kann sich kaum einen Tagebuchschreiber vorstellen, der weniger auf sich selbst acht gegeben hätte als Harry Graf Kessler, der schon als junger Mann kaum etwas von sich selbst preisgab. Das Tagebuch, das er als Zehnjähriger begonnen hatte, war nie als Selbstgespräch gedacht, sondern als ein Protokoll seiner äußeren Bemühungen um sich und andere, als Beweis, daß er sein Pensum bewältigt hatte.
Der vorliegende Band beginnt mit einer Weltreise. Das Verzeichnis der sogenannten "Schreiborte", wie die Herausgeber dies nennen, also der Plätze, an denen Kessler sein Tagebuch führte, ist schier atemberaubend: Perugia, Philadelphia, Plombières, Popocatepetl, Potsdam...und so fort, seitenlang, Europa, Asien, Amerika. Der Leser weiß nicht, worüber er mehr staunen soll, über die Mühelosigkeit, mit der abenteuerliche Reiserouten bewältigt werden, oder die routinierte Aufzeichnung seiner Erlebnisse - als handelte es sich um Spaziergänge im Bois de Boulogne. Und alles finanziert aus dem atemberaubenden Vermögen des Vaters, zu dem Waldbesitz in Kanada von der Größe Bayerns gehört haben soll. Man kann diese Aufzeichnungen nur verstehen, wenn man zumindest den Versuch macht, sich die Optik eines sehr Reichen zu eigen zu machen, dessen Verhältnis zu seinem Reichtum ganz ungetrübt ist, ohne schlechtes Gewissen. Er sieht nur, was sich mit dieser Welt des Reichtums verträgt, auch wenn er gelegentlich ein paar Worte mit einfachen Leuten wechselt.
Universum des Geschmacks
Das Gleichmaß des Registrierens wird nur unterbrochen, wenn der Reisende einen Einfall über die künftige Verschmelzung der Geschmackskulturen aufzeichnet und dem Gedanken eines modernen Kunstgewerbes nachhängt, das sich japanischer Formen, oder einer modernen Architektur, die sich mexikanischer Formen bedienen wird. Das Universum dieses jungen Mannes ist beherrscht von der Idee eines alles zum Ausgleich bringenden umfassenden neuen Geschmacks, alles wird auf seine Tauglichkeit für eine endlich geschmackvolle Welt hin angesehen. Deswegen auch darf intim Persönliches nicht störend eingreifen. Wie ein Filter legt sich das Geschmackspostulat vor die wirklichen Eindrücke, und nicht alles darf sie passieren. Wirklichkeit ist Geschmack. Deswegen unterliegt die Wahrnehmung dieses vielgerühmten Beobachters einer Zensur: der Diktatur des Geschmacks.
An Harry Graf Kessler, dem Bewunderer so vieler moderner Künstler, der wohl als einer der ersten die überragende Begabung des jungen Max Beckmann wie vieler anderer erkannte, muß verwundern, daß er die zerfallende Kunstwelt noch in ein in sich geschlossenes und von Zweifeln nicht erschüttertes Geschmacksuniversum integrieren zu können glaubte. Der Leser dieses Tagebuchs sieht ihn nicht nur Nietzsche, sondern die symbolistische Ästhetik und auch den neuen Stil der Kunstkommentare mühelos in geläufige Formulierungen gießen, als sei das alles nur gedacht oder gemalt, um sich miteinander zu vertragen und eine Welt integren Geschmacks heraufzuführen. Man kann nicht umhin, ein tiefes Mißverständnis der modernen Kunstbewegung anzunehmen, an der Kessler so intensiv teilhatte. Seine Beziehungen zur Moderne sind völlig frei von jenen Feindschaften, die in ihr eine so große Rolle spielten. Der Mann, der als erster in Deutschland an einem Schreibtisch von Henry van de Velde saß, versuchte sein Lebensideal der Spannungslosigkeit durch Mäzenatentum zu verwirklichen.
Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit der modernen Kunst, die Kessler schon bei seiner ersten Berührung mit ihr zu erkennen gab, entsprang seinem mäzenatischen Erleben, in das sich ein bloßer Ausstellungsbesucher nur schwer hineindenken kann. Aber ganz ohne Spannung ging es sogar bei Kessler nicht ab. Sein Geschmack war ein Gegengeschmack gegen die, wie er mit ungewöhnlicher Deutlichkeit sagte, "Perversität" des wilhelminischen Geschmacks. Hier haßte sogar Kessler, der in allem sonst vermittelnd fühlte. Die Politik trat in sein Leben nicht als Haß auf die wilhelminische Politik, sondern auf den wilhelminischen Geschmack, und die Spannungslosigkeit seiner Beziehung zur Moderne entstand aus der Polarität zum Wilhelminismus. Schärfer pflegte sich Harry Graf Kessler nie zu äußern als in Fragen des Zusammenhangs von Geschmack und Politik.
Der Leser, der in diesen Tagebüchern intime Enthüllungen erwartet - Hofmannsthal gestand Kessler herablassend allenfalls eine "Allerweltsintimität" zu -, der intellektuelles Temperament und plötzliche, umstürzende Einfälle sucht, wird enttäuscht werden. Von all dem bietet das Tagebuch wenig. Aber es kann mit Gewinn gelesen werden als ein Dokument über die Wahrnehmungsweise der ganz Reichen, von Mäzenen, über die Sicht der Welt als Kunstgewerbe. Dann wird man an Harry Graf Kessler die schöpferische Unruhe nicht vermissen. Ihre Stelle nimmt bei ihm der Geschmack ein, immerhin in seiner damals avanciertesten Variante. Nicht umsonst erfüllten sich Kesslers Bemühungen um die Kunst schließlich am eindrucksvollsten in seiner Cranach-Presse, dem schön gedruckten und künstlerisch anspruchsvoll illustrierten Buch.
Dieses Vermächtnis des Helden haben Verlag und Editoren leider in den Wind geschlagen. Der Band, den sie jetzt vorlegen, läßt an einen juristischen Kommentar denken. Trostloser noch ist das Schriftbild, das seine Herkunft aus dem Computer nicht verleugnen kann. Über die Wünschbarkeit von Stellenkommentaren, von denen diese Edition mit Blick auf die elektronische Ausgabe Abstand genommen hat, oder über die Brauchbarkeit der Erläuterungen, zu denen sie sich im Rahmen eines mächtigen Personen- und Ortsregisters entschlossen hat, kann man lange streiten. Doch diesen Streit hätte man leicht vermeiden können, hätte man sich für eine reine Leseausgabe entschieden.
Harry Graf Kessler: "Das Tagebuch". Zweiter Band. Herausgegeben von Günther Riederer und Jörg Schuster. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 777 S., geb., 58,- [Euro] (Subskriptionspreis bei Abnahme aller Bände 49,- [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2004Die Sünde der Trägheit
Tausend Bekannte: Der erste Band der Tagebücher von Harry Graf Kessler ist erschienen / Von Gerhard Schuster
Thomas Mann war entsetzt. Als er 1933 erfuhr, dass die Gestapo seine intimen Tagebücher gelesen haben könnte, und die Wachstuchhefte erst nach bangen Wochen zurückerhielt, verbrannte er sie eigenhändig. Zur gleichen Zeit mietet für die seinen Harry Graf Kessler einen Safe in Palma di Mallorca – für die Dauer von fünfzig Jahren. Als die Bank den Safe 1983 öffnet, kommt nicht das Pandämonium eines Schriftstellerlebens zutage, sondern die Requisitenkammer einer ganzen Epoche: ein brillantes Protokoll von Personen, Ereignissen, Lektüren, Atmosphären aus der Sicht eines selten Beteiligten, aber immer Unabhängigen. Er ist von Beruf nur Zeitgenosse gewesen.
Niemand von den „tausend Bekannten”, für die Hofmannsthal seinen Freund gelegentlich verhöhnt, hat gewusst, mit welcher Energie Kessler diese Aufzeichnungen lebenslang bis wenige Wochen vor seinem Tode am 30. November 1937 fast ohne Unterbrechung niederschrieb. Dass es sich dabei nicht um einen Beichtspiegel der eigenen Seele handelt, sondern um eine Verbuchung alles dessen, was Kessler wahrnimmt und voranzutreiben glaubt, hat erstmals Wolfgang Pfeiffer-Belli in seiner einbändigen Auswahl aus dem Zeitraum 1918-1937 sichtbar gemacht – nach den eilig hergestellten Abschriften wahlloser Hefte, die ihm Kesslers ängstliche Schwester Wilma de Brion und ihre törichte Freundin Dora von Bodenhausen – ein rechtes duo infernal – am Teetisch in Ascona gnädig zureichten. Was 1961 mit tatkräftiger Hilfe des Lektors Fritz Arnold im Insel-Verlag zutage kam, begründet Kesslers Ruhm als meistzitierter Augenzeuge der Zwanziger und Dreißiger Jahre.
Gesichter und Zeiten
Flankiert wird dieses Tagebuchwerk von einer geradezu krakenarmigen Korrespondenz, die bis heute in den publizierten Briefwechseln mit Eberhard von Bodenhausen, Hugo von Hofmannsthal, Andre Gide und Edward Gordon Craig erst bruchstückhaft vorliegt. Als Kessler Deutschland nach dem Reichstagsbrand verlässt, begleiten ihn seine frühen ledergebundenen Tagebücher nach Spanien, wo er die Memoiren „Gesichter und Zeiten” weiterzuführen hofft, deren erster Teil unter dem Nietzsche-Titel „Völker und Vaterländer” noch 1935 erscheint. Weitere Tagebuchbände, mutmaßlich in der Berliner Wohnung gestohlen, tauchten seit den sechziger Jahren bei zwielichtigen Kulturgut-Schiebern auf. Hartnäckig hat Bernhard Zeller, der Gründungsdirektor des Deutschen Literaturarchivs, bis 1984 jede dieser Spuren verfolgt und über die Umstände der Auffindung in seinen „Marbacher Memorabilien” diskret geschwiegen.
Als ich 1987 dem Deutschen Literaturarchiv eine Jahres-Ausstellung über dieses „Tagebuch eines Weltmannes” vorschlug, führte eine Recherche-Reise in die Auvergne. Kesslers Neffe Jacques de Michel-Duroc Marquis de Brion trat uns dort wie ein französischer Dubslav von Stechlin entgegen. Jeden Mittag saßen wir zwischen schnatternden Schulkindern mit dem respektvoll begrüßten Dorfherrn und seinem uralten Pudel Nausikaa vor einer grauen foie gras im armseligen Gasthaus von Fournels (Departement Lozère). Melancholisch zeigte er auf einen unbeschrankten Bahnübergang – dies sei die Stelle, wohin „mon oncle Arry” sich nach 1933 immer einmal habe bringen lassen, schon todkrank, um dem vorüberbrausenden Fernzug Marseille-Paris nachzusehen. Im halb zerfallenen Cinderella-Schloss der Brions, die einst Napoleon zu Herzögen von Friaul erhob, fanden sich weitere Teile des Nachlasses, zerfledderte Briefschaften, Photos, Broschüren. Beim Zusammenscharren auf dem Dachboden, wohin die Papiere 1937 geraten waren, stießen wir uns im Halbdunkel den Kopf an etwas seltsam Ungefügem – der arabische Damensattel von Kesslers Mutter hing mit baumelnden Steigbügeln überm Gebälk. Zwischen Taubenfedern und Mäusedreck hielt ich plötzlich das erste Tagebuchheft des Zwölfjährigen von 1880 in Händen.
Von da an schien die Rekonstruktion dieses romanhaften Lebens nur noch eine Kleinigkeit zu sein. Kaum sind siebzehn Jahre vergangen, liegt tatsächlich der erste Band vor. Soviel Ordnung Kessler in seinem Leben auch schreibend gehalten hat – hier wird mit dem Zeitraum von 1892 bis 1897 begonnen und der von 1880 bis 1891 erscheint zuletzt. Die Begründung? „Um dem langersehnten Tagebuchwerk mit einem Text ans Licht der Welt zu helfen, der bislang noch unbekannt ist.” In diesem Stil, durchweg, werden wir hier geholfen.
Ein starker Band von fast 800 Seiten. Darin eine Weltreise 1892, eine riskante Expedition durch Nordamerika und Mexiko 1896/97, Jura-Studium und einjähriger Militärdienst als Garde-Ulan in Potsdam. Dazwischen die Aufbrüche des modernen Denkens und Sehens, die Mitgründung der Kunstzeitschrift „Pan”, erste Arbeitsbündnisse mit Bodenhausen, Julius Meier-Graefe und Edvard Munch, mit Liebermann und Klinger, das Erlebnis Gerhart Hauptmanns und der Philosophie Nietzsches, die umstürzenden Reflexionen über Henri de Regnier.
Kessler, der gelangweilte Rechtsreferendar am Berliner Kammergericht und heimliche Großdiplomat in spe, will zu jenem Zeitpunkt noch Alles. Bevorzugt man nicht Formeln wie die Alfred Webers vom „Renten-Intellektuellen” (und der wäre am Ende so verächtlich nicht wie ein Gehalts-Intellektueller), ist er als weltläufiger Flaneur geeigneter denn als reichsdeutscher Untertan. Kessler kann sich entweder zu nichts oder nur für zuviel entscheiden; und genau das bleibt lebenslang seine Qualität. Die Einleitung des Bandes nennt ihn – frei nach Martin Doerry – einen „Wilhelminer auf großer Fahrt” und stolpert staunend nicht nur den ehemaligen Lebensstationen des Diaristen hinterdrein, sondern vielfach auch dem aktuellen Forschungsstand.
Dass man ein so singuläres Dokument Zeile für Zeile kommentiert wissen möchte, wie dies Inge Jens bei Thomas Mann oder Adolf Frisé bei Robert Musil ohne viel Aufhebens nahezu allein geleistet haben, versteht sich. Dass sich die Marbacher Herausgeber selbst jeden Stellenkommentar verbieten, weil sonst der „Tagebuchtext unter der Überfülle der Anmerkungen verschwände”, ist leichter dahingesagt als plausibel formuliert: „Hier galt es Zurückhaltung zu üben und die spezifischen Möglichkeiten unterschiedlicher Publikationsmedien zu nutzen.”
Angeschaute Seelen
Und geübt wird in der Tat allenthalben. Gönnerhaft vermerkt das Vorwort: „Das Tagebuch Harry Graf Kesslers ist eine hoch bedeutsame Forschungsquelle, es spricht aber auch ein interessiertes Lesepublikum an, das an manchen Stellen Verständnishilfen braucht.” Aber obwohl – ein archivarischer Glücksfall – der gesamte erhaltene Nachlass Kesslers in Marbach liegt, wird auf alles verzichtet, was für die Rekonstruktion der Lebensbeziehungen bei einiger Kennerschaft so leicht machbar wie zwingend notwendig wäre: die Zusammenführung und Auswertung der brieflichen Überlieferung. Viele Abbreviaturen in den Tagebuchaufzeichnungen ergeben sich aus Korrespondenzen mit Künstlern, Politikern, Theaterleuten, die wohlgeordnet in den Archiven von Chicago, Paris und London liegen, von deutschen Sammlungen zu schweigen. Bleibt dieser Reichtum auch in den Folgebänden, für die Zeiträume rastloser Aktivität Kesslers zwischen Museumsarbeit und Buchkunst, Tagespolitik und Völkerbundsideen, unberücksichtigt?
Wer Harry Graf Kessler als bloßen Aufpasser und Mitschreiber seiner Zeit versteht, dessen Einsichten es gar „an den Ergebnissen der Geschichtsforschung zu überprüfen” gelte, der ignoriert in großspuriger Negation methodische Impulse, wie sie 1905 schon Hofmannsthal vermittelt: „Warum ist Kessler kein Künstler? Er wäre etwa kein großer, und so ist er etwas mehr: er ist ein Künstler in lebendigem Material: verschafft Seelen einen Anblick, führt Erscheinungen einander zu. Erwarte von Kessler: Anleitung, fremde Charaktere zu genießen.”
Viel Erwartung, aber nichts von Anblick, geschweige denn Genuss oder gar Kunst. Die Arbeitsstelle prunkt zwar (unter www.dla-marbach.de/einricht/projekte/hgk) im handelsüblichen EDV-Schwulst, verwechselt aber eine – vermutlich pfiffige – Software mit Editionsprinzipien, die dem Gewimmel zeitgenössischer und historischer Personen gewachsen wären. Als könnten mustergültige Tagebuch-Ausgaben von Joseph Goebbels bis Thea Sternheim nur irritieren, ist trotz des immerhin millionenschweren Vorhabens jeder Seitenblick auf dergleichen Standards vermieden.
In ulkiger Begrifflichkeit werden die rund zehntausend erwähnten Namen in aufsteigender Bedeutung als „Bildungsgut”, „Komparsen”, „Akteure” und „Dramatis personae” klassifiziert. Kunterbunt mischen sich in verlorenen Fußnoten die Identifizierungshilfen für das Register (Hamlet siehe unter Shakespeare und Parsifal unter, ja, Wolfram von Eschenbach) mit Belangen der Textkritik, wobei der gedruckte Wortlaut nur eine Lesefassung bietet. Eine Wiedergabe sämtlicher Entwürfe, Streichungen, Einschübe und Korrekturstufen ist für eine „Hybrid-Edition” (gesprochen „Hai-Pritt”) auf CD-Rom reserviert. Sämtliche Verständnisfragen bei einem (als Handschrift mühelos entzifferbaren) Wortlaut von insgesamt rund 10 000 Manuskriptseiten soll einzig ein monumentales Register beantworten, das in diesem Band 250 Seiten umfasst, im Idealfall also eine Art von Kessler-Lexikon.
Dass seiner Anlage im gedruckten Buch jeweils soviel Aufmerksamkeit widerfahren würde wie den Sitzfleisch-Problemen der Textkonstitution, ist freilich eine irrige Erwartung. Wohl findet, wer in der Not seines schwindenden Erinnerungsvermögens von diesem Index ausgeht, unter dem Datumseintrag eine Entsprechung. Umgekehrt ist das schwierig, und nach Stichproben her und hin resigniert man bald.
Da ein Anmerkungsapparat fehlt, wo das für Spürnasen immer provokante „Nicht ermittelt” stünde, fällt demnach stillschweigend unter den Tisch des legendären Gastgebers, was den Bearbeitern als uneindeutig erscheint. Und das sind nicht bloß Quisquilien. Bereits die Anlage als „Namensregister” erschwert jede Orientierung. Geographica werden zwischen Personen einsortiert, und „Plätze” (Notre Dame oder eine Garnisonkirche) unter den Städten geführt, analog zu Werktiteln bei Autoren. Wo die Einleitung das Hohelied des Globetrotters singt, erklingt im Register das Echo eines alphabetischen Gänsemarschs: Calcutta rangiert zwischen Cäsar und Calderon, aber Charlottenburg steht unter Berlin. Aufgenommen bei diesem chronisch Reisenden werden Orte nur dann, wenn sich damit die Erwähnung einer „Körperschaft” verbindet. Vergleicht Kessler am 11. März 1892 die „reiche u. leberkranke” Gesellschaft von Palatka in Florida mit der ihm ebenfalls bekannten von Monte Carlo und Nizza, oder denkt er am 14. Juni 1892 in Darjeeling angesichts des Himalaya an den Rigi, so fällt das – und nicht nur dieses – durch die Raster der gelangweilten Aufmerksamkeit.
Beschreibt er, wie am 7. März 1892, die Niagara-Fälle, so sucht man den Nachweis der unvergesslichen Passage vergebens – sie wird einzig in einem nützlichen „Register der Schreiborte” berücksichtigt. Merke demnach: Tagebucheinträge über Orte, die an eben diesem Ort erfolgen, suche nicht, wenn, wie beim Wasserfall, zugleich keine Körperschaft erwähnt ist.
Tout Berläng
Da man Lokalitäten durchweg ohne erläuternden Zusatz führt, bleibt es der Situationskomik in einer Erwähnung überlassen, ob Kessler mit dem „Römischen Bad” Schinkels Gebäudekomplex im Park von Sanssouci meint oder die gleichnamige Berliner Sauna als Stricher-Treffpunkt. Vermerkt er, wie tagelang im Februar 1894, „In der Bibliothek gearbeitet”, tippen die Bearbeiter auf häusliche Verhältnisse, aber gemeint ist nur der Lesesaal der berühmten „Kommode” Unter den Linden. Dass man die Garnisonkirchen von Potsdam und Berlin verwechselt, muss wohl durchgehen, da beide Gebäude ohnehin heute nicht mehr erhalten sind.
Dass einem leidenschaftlichen Theaterhabitué wie Harry Graf Kessler, dem Tamara Barzantny soeben eine Monographie gewidmet hat, nicht das Glück zuteil wird, alle von ihm beehrten Spielstätten hier wieder versammelt zu wissen, obwohl jeder zeitgenössische Baedeker sie aufzählt, ist ärgerlich, denn die gesehenen Revuen, Operetten und Stücke sind ja aus der Tagespresse mühselig eruiert. Für Historiker ist also diese Erschließung wenig hilfreich. Cafés, Restaurants und Hotels in Berlin, Leipzig und anderswo gelten zwar als Körperschaften, sind aber nach einem undurchschaubaren Appetitprinzip berücksichtigt. Als Aufnahmekriterium ließe sich vermuten, dass man preiswerten Häusern den Vorzug gab.
Gerade in diesen neunziger Jahren knüpft sich Kesslers soziales Netz aus den Koordinaten der preußisch-deutschen Adelsgesellschaft und ihrer Salons, „Tout Berläng”, mit Max Liebermann zu reden. Trotzdem frönt die Edition der Unart, selbst nachgeordnete Mitglieder regierender Fürstenhäuser unter ihren Vornamen anzusetzen. Keine Rede von Preußen oder Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg oder Clarence and Avondale oder Sachsen-Altenburg im Bündel des jeweiligen Familienclans. Sondern Eitel-Friedrich und Irene, Ernst Günther und Albert Viktor, Helene und Aribert Joseph Alexander – Prinzen, Dukes und Herzoginnen in irrlichternder Streuung. Füge doch, wer wissen will, wie damals die Macht des Mondänen mit- und untereinander zusammenhängt, sich beim interaktiven Blättern selbst die nostalgischen Verweise ein.
Der Friedenskaiser
Auch die Charakterisierungskunst der Register-Einträge fällt hinter die physiognomische Treffkraft ihres Protagonisten Kessler zurück. Zum Beispiel? „Wilhelm II. (. . .) Vorliebe für Uniformen, Kostüme, Hoffeste u. Paraden; seine unkontrollierten Reden u. Taktlosigkeiten waren sprichwörtlich, sein Dilettieren in den Schönen Künsten berüchtigt; (. . .) ließ sich beim silbernen Regierungsjubiläum 1913 als ,Friedenskaiser‘ feiern; ermunterte in der Julikrise 1914 Österreich zur Kraftprobe mit Serbien.” Was wird da bei Friedrich Ebert, Walther Rathenau, Gustav Stresemann, Hindenburg oder Hitler zu lesen sein?
Wer so anspruchsvoll wäre, ein Sachregister zu vermissen, in dem sich Begriffe wie Antisemitismus und Sezession, Buchkunst, Moderne und Naturalismus, Völkerbund oder Pazifismus fänden, der möge Kesslers eigenen Stichwortzetteln nachtrauern, mit denen er sich einst die zentralen Impulse seines Lebens im Rückblick strukturiert hat; denn Feinhermeneutik lässt sich eben computertechnisch noch nicht indizieren. Wen die Grundlinien der ästhetischen Projekte und politischen Phantasien interessieren, der studiere nach Kesslers Essays und Erinnerungen die Biographie von Peter Grupp oder das Wunderbuch von John Dieter Brinks über den Gründer der legendären Cranach-Presse; aus diesem wird auch ersichtlich, wie wenig dessen typographische Sorgfalt den Buchgestaltern seiner postumen Tagebuch-Edition imponiert. Es sei die Trägheit gewesen, erzählte Jacques de Brion versonnen, vor der sich der „homme vapeur” als einer Zivilisationskrankheit zeitlebens am meisten gefürchtet habe . . .
Aber ist das nicht alles vollkommen gleichgültig, gemessen an dem Wunder, dass wir diese nach den Tagebüchern Varnhagen von Enses zweite große Grundurkunde deutscher Zeitgeschichte in diesem Leben überhaupt noch lesen dürfen? Zwei Bände erscheinen jetzt jährlich, insgesamt neun sind es bis 2007. Wir sollen dankbar sein dafür, dass der Herausgabezeitraum nicht wieder einmal länger dauert als die seinerzeitige Erlebnislänge. Und dankbar vor allem dafür, dass man sich nicht mit der einst ernsthaft erörterten Absicht einer Auswahl-Ausgabe durch wissenschaftliche Betreuer begnügen muss, die sich selbst in Kesslers Kosmos ungefähr so bewegen wie erschöpfte Touristen in den Ruinen von Pompeji. Und dankbar sein wollen wir außerdem, dass es, erstmals beim dritten Band und dann am Ende der Reihe noch einmal, eine CD-Rom geben soll, mit den „nötigen Suchwerkzeugen”. Das wird nötig sein.
Die erste dieser glitzernden Scheiben dürfte man bei Ausgabe der zweiten – in sagen wir zehn Jahren – technisch nicht mehr lesen können, aber sie bietet ja ohnehin, tröstet man uns schon heute, noch keinen „zitierfähigen” Text. Als Lesezeichen in den ungeschlachten roten Bänden, zu deren in jeder Zeile aufregenden Lektüre sich eine Liegestuhl-Bibliothek und ausreichende Surf-Zeit empfiehlt, mag sie immerhin dienlich sein. Was sind, fragt Rudolf Borchardt, die größten Blumenfeinde? „Mehltau, Mäuse und Gärtner”.
HARRY GRAF KESSLER: Das Tagebuch 1880-1937. Hrsg. von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott, unter Beratung von Hans-Ulrich Simon, Werner Volke(†) und Bernhard Zeller. Zweiter Band 1892-1897. Hrsg. von Günter Riederer und Jörg Schuster unter Mitarbeit von Christoph Hilse, begonnen von Angelika Lochmann. (Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft, Bd. 50.2) Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 771 Seiten, 58 Euro.
Der Verfasser ist Herausgeber der dreibändigen „Gesammelten Schriften” Harry Graf Kesslers (Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1988) und Bearbeiter des Katalogs und der Ausstellung „Harry Graf Kessler. Tagebuch eines Weltmannes” (1988); er leitet das Rudolf Borchardt Archiv in Rotthalmünster.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Tausend Bekannte: Der erste Band der Tagebücher von Harry Graf Kessler ist erschienen / Von Gerhard Schuster
Thomas Mann war entsetzt. Als er 1933 erfuhr, dass die Gestapo seine intimen Tagebücher gelesen haben könnte, und die Wachstuchhefte erst nach bangen Wochen zurückerhielt, verbrannte er sie eigenhändig. Zur gleichen Zeit mietet für die seinen Harry Graf Kessler einen Safe in Palma di Mallorca – für die Dauer von fünfzig Jahren. Als die Bank den Safe 1983 öffnet, kommt nicht das Pandämonium eines Schriftstellerlebens zutage, sondern die Requisitenkammer einer ganzen Epoche: ein brillantes Protokoll von Personen, Ereignissen, Lektüren, Atmosphären aus der Sicht eines selten Beteiligten, aber immer Unabhängigen. Er ist von Beruf nur Zeitgenosse gewesen.
Niemand von den „tausend Bekannten”, für die Hofmannsthal seinen Freund gelegentlich verhöhnt, hat gewusst, mit welcher Energie Kessler diese Aufzeichnungen lebenslang bis wenige Wochen vor seinem Tode am 30. November 1937 fast ohne Unterbrechung niederschrieb. Dass es sich dabei nicht um einen Beichtspiegel der eigenen Seele handelt, sondern um eine Verbuchung alles dessen, was Kessler wahrnimmt und voranzutreiben glaubt, hat erstmals Wolfgang Pfeiffer-Belli in seiner einbändigen Auswahl aus dem Zeitraum 1918-1937 sichtbar gemacht – nach den eilig hergestellten Abschriften wahlloser Hefte, die ihm Kesslers ängstliche Schwester Wilma de Brion und ihre törichte Freundin Dora von Bodenhausen – ein rechtes duo infernal – am Teetisch in Ascona gnädig zureichten. Was 1961 mit tatkräftiger Hilfe des Lektors Fritz Arnold im Insel-Verlag zutage kam, begründet Kesslers Ruhm als meistzitierter Augenzeuge der Zwanziger und Dreißiger Jahre.
Gesichter und Zeiten
Flankiert wird dieses Tagebuchwerk von einer geradezu krakenarmigen Korrespondenz, die bis heute in den publizierten Briefwechseln mit Eberhard von Bodenhausen, Hugo von Hofmannsthal, Andre Gide und Edward Gordon Craig erst bruchstückhaft vorliegt. Als Kessler Deutschland nach dem Reichstagsbrand verlässt, begleiten ihn seine frühen ledergebundenen Tagebücher nach Spanien, wo er die Memoiren „Gesichter und Zeiten” weiterzuführen hofft, deren erster Teil unter dem Nietzsche-Titel „Völker und Vaterländer” noch 1935 erscheint. Weitere Tagebuchbände, mutmaßlich in der Berliner Wohnung gestohlen, tauchten seit den sechziger Jahren bei zwielichtigen Kulturgut-Schiebern auf. Hartnäckig hat Bernhard Zeller, der Gründungsdirektor des Deutschen Literaturarchivs, bis 1984 jede dieser Spuren verfolgt und über die Umstände der Auffindung in seinen „Marbacher Memorabilien” diskret geschwiegen.
Als ich 1987 dem Deutschen Literaturarchiv eine Jahres-Ausstellung über dieses „Tagebuch eines Weltmannes” vorschlug, führte eine Recherche-Reise in die Auvergne. Kesslers Neffe Jacques de Michel-Duroc Marquis de Brion trat uns dort wie ein französischer Dubslav von Stechlin entgegen. Jeden Mittag saßen wir zwischen schnatternden Schulkindern mit dem respektvoll begrüßten Dorfherrn und seinem uralten Pudel Nausikaa vor einer grauen foie gras im armseligen Gasthaus von Fournels (Departement Lozère). Melancholisch zeigte er auf einen unbeschrankten Bahnübergang – dies sei die Stelle, wohin „mon oncle Arry” sich nach 1933 immer einmal habe bringen lassen, schon todkrank, um dem vorüberbrausenden Fernzug Marseille-Paris nachzusehen. Im halb zerfallenen Cinderella-Schloss der Brions, die einst Napoleon zu Herzögen von Friaul erhob, fanden sich weitere Teile des Nachlasses, zerfledderte Briefschaften, Photos, Broschüren. Beim Zusammenscharren auf dem Dachboden, wohin die Papiere 1937 geraten waren, stießen wir uns im Halbdunkel den Kopf an etwas seltsam Ungefügem – der arabische Damensattel von Kesslers Mutter hing mit baumelnden Steigbügeln überm Gebälk. Zwischen Taubenfedern und Mäusedreck hielt ich plötzlich das erste Tagebuchheft des Zwölfjährigen von 1880 in Händen.
Von da an schien die Rekonstruktion dieses romanhaften Lebens nur noch eine Kleinigkeit zu sein. Kaum sind siebzehn Jahre vergangen, liegt tatsächlich der erste Band vor. Soviel Ordnung Kessler in seinem Leben auch schreibend gehalten hat – hier wird mit dem Zeitraum von 1892 bis 1897 begonnen und der von 1880 bis 1891 erscheint zuletzt. Die Begründung? „Um dem langersehnten Tagebuchwerk mit einem Text ans Licht der Welt zu helfen, der bislang noch unbekannt ist.” In diesem Stil, durchweg, werden wir hier geholfen.
Ein starker Band von fast 800 Seiten. Darin eine Weltreise 1892, eine riskante Expedition durch Nordamerika und Mexiko 1896/97, Jura-Studium und einjähriger Militärdienst als Garde-Ulan in Potsdam. Dazwischen die Aufbrüche des modernen Denkens und Sehens, die Mitgründung der Kunstzeitschrift „Pan”, erste Arbeitsbündnisse mit Bodenhausen, Julius Meier-Graefe und Edvard Munch, mit Liebermann und Klinger, das Erlebnis Gerhart Hauptmanns und der Philosophie Nietzsches, die umstürzenden Reflexionen über Henri de Regnier.
Kessler, der gelangweilte Rechtsreferendar am Berliner Kammergericht und heimliche Großdiplomat in spe, will zu jenem Zeitpunkt noch Alles. Bevorzugt man nicht Formeln wie die Alfred Webers vom „Renten-Intellektuellen” (und der wäre am Ende so verächtlich nicht wie ein Gehalts-Intellektueller), ist er als weltläufiger Flaneur geeigneter denn als reichsdeutscher Untertan. Kessler kann sich entweder zu nichts oder nur für zuviel entscheiden; und genau das bleibt lebenslang seine Qualität. Die Einleitung des Bandes nennt ihn – frei nach Martin Doerry – einen „Wilhelminer auf großer Fahrt” und stolpert staunend nicht nur den ehemaligen Lebensstationen des Diaristen hinterdrein, sondern vielfach auch dem aktuellen Forschungsstand.
Dass man ein so singuläres Dokument Zeile für Zeile kommentiert wissen möchte, wie dies Inge Jens bei Thomas Mann oder Adolf Frisé bei Robert Musil ohne viel Aufhebens nahezu allein geleistet haben, versteht sich. Dass sich die Marbacher Herausgeber selbst jeden Stellenkommentar verbieten, weil sonst der „Tagebuchtext unter der Überfülle der Anmerkungen verschwände”, ist leichter dahingesagt als plausibel formuliert: „Hier galt es Zurückhaltung zu üben und die spezifischen Möglichkeiten unterschiedlicher Publikationsmedien zu nutzen.”
Angeschaute Seelen
Und geübt wird in der Tat allenthalben. Gönnerhaft vermerkt das Vorwort: „Das Tagebuch Harry Graf Kesslers ist eine hoch bedeutsame Forschungsquelle, es spricht aber auch ein interessiertes Lesepublikum an, das an manchen Stellen Verständnishilfen braucht.” Aber obwohl – ein archivarischer Glücksfall – der gesamte erhaltene Nachlass Kesslers in Marbach liegt, wird auf alles verzichtet, was für die Rekonstruktion der Lebensbeziehungen bei einiger Kennerschaft so leicht machbar wie zwingend notwendig wäre: die Zusammenführung und Auswertung der brieflichen Überlieferung. Viele Abbreviaturen in den Tagebuchaufzeichnungen ergeben sich aus Korrespondenzen mit Künstlern, Politikern, Theaterleuten, die wohlgeordnet in den Archiven von Chicago, Paris und London liegen, von deutschen Sammlungen zu schweigen. Bleibt dieser Reichtum auch in den Folgebänden, für die Zeiträume rastloser Aktivität Kesslers zwischen Museumsarbeit und Buchkunst, Tagespolitik und Völkerbundsideen, unberücksichtigt?
Wer Harry Graf Kessler als bloßen Aufpasser und Mitschreiber seiner Zeit versteht, dessen Einsichten es gar „an den Ergebnissen der Geschichtsforschung zu überprüfen” gelte, der ignoriert in großspuriger Negation methodische Impulse, wie sie 1905 schon Hofmannsthal vermittelt: „Warum ist Kessler kein Künstler? Er wäre etwa kein großer, und so ist er etwas mehr: er ist ein Künstler in lebendigem Material: verschafft Seelen einen Anblick, führt Erscheinungen einander zu. Erwarte von Kessler: Anleitung, fremde Charaktere zu genießen.”
Viel Erwartung, aber nichts von Anblick, geschweige denn Genuss oder gar Kunst. Die Arbeitsstelle prunkt zwar (unter www.dla-marbach.de/einricht/projekte/hgk) im handelsüblichen EDV-Schwulst, verwechselt aber eine – vermutlich pfiffige – Software mit Editionsprinzipien, die dem Gewimmel zeitgenössischer und historischer Personen gewachsen wären. Als könnten mustergültige Tagebuch-Ausgaben von Joseph Goebbels bis Thea Sternheim nur irritieren, ist trotz des immerhin millionenschweren Vorhabens jeder Seitenblick auf dergleichen Standards vermieden.
In ulkiger Begrifflichkeit werden die rund zehntausend erwähnten Namen in aufsteigender Bedeutung als „Bildungsgut”, „Komparsen”, „Akteure” und „Dramatis personae” klassifiziert. Kunterbunt mischen sich in verlorenen Fußnoten die Identifizierungshilfen für das Register (Hamlet siehe unter Shakespeare und Parsifal unter, ja, Wolfram von Eschenbach) mit Belangen der Textkritik, wobei der gedruckte Wortlaut nur eine Lesefassung bietet. Eine Wiedergabe sämtlicher Entwürfe, Streichungen, Einschübe und Korrekturstufen ist für eine „Hybrid-Edition” (gesprochen „Hai-Pritt”) auf CD-Rom reserviert. Sämtliche Verständnisfragen bei einem (als Handschrift mühelos entzifferbaren) Wortlaut von insgesamt rund 10 000 Manuskriptseiten soll einzig ein monumentales Register beantworten, das in diesem Band 250 Seiten umfasst, im Idealfall also eine Art von Kessler-Lexikon.
Dass seiner Anlage im gedruckten Buch jeweils soviel Aufmerksamkeit widerfahren würde wie den Sitzfleisch-Problemen der Textkonstitution, ist freilich eine irrige Erwartung. Wohl findet, wer in der Not seines schwindenden Erinnerungsvermögens von diesem Index ausgeht, unter dem Datumseintrag eine Entsprechung. Umgekehrt ist das schwierig, und nach Stichproben her und hin resigniert man bald.
Da ein Anmerkungsapparat fehlt, wo das für Spürnasen immer provokante „Nicht ermittelt” stünde, fällt demnach stillschweigend unter den Tisch des legendären Gastgebers, was den Bearbeitern als uneindeutig erscheint. Und das sind nicht bloß Quisquilien. Bereits die Anlage als „Namensregister” erschwert jede Orientierung. Geographica werden zwischen Personen einsortiert, und „Plätze” (Notre Dame oder eine Garnisonkirche) unter den Städten geführt, analog zu Werktiteln bei Autoren. Wo die Einleitung das Hohelied des Globetrotters singt, erklingt im Register das Echo eines alphabetischen Gänsemarschs: Calcutta rangiert zwischen Cäsar und Calderon, aber Charlottenburg steht unter Berlin. Aufgenommen bei diesem chronisch Reisenden werden Orte nur dann, wenn sich damit die Erwähnung einer „Körperschaft” verbindet. Vergleicht Kessler am 11. März 1892 die „reiche u. leberkranke” Gesellschaft von Palatka in Florida mit der ihm ebenfalls bekannten von Monte Carlo und Nizza, oder denkt er am 14. Juni 1892 in Darjeeling angesichts des Himalaya an den Rigi, so fällt das – und nicht nur dieses – durch die Raster der gelangweilten Aufmerksamkeit.
Beschreibt er, wie am 7. März 1892, die Niagara-Fälle, so sucht man den Nachweis der unvergesslichen Passage vergebens – sie wird einzig in einem nützlichen „Register der Schreiborte” berücksichtigt. Merke demnach: Tagebucheinträge über Orte, die an eben diesem Ort erfolgen, suche nicht, wenn, wie beim Wasserfall, zugleich keine Körperschaft erwähnt ist.
Tout Berläng
Da man Lokalitäten durchweg ohne erläuternden Zusatz führt, bleibt es der Situationskomik in einer Erwähnung überlassen, ob Kessler mit dem „Römischen Bad” Schinkels Gebäudekomplex im Park von Sanssouci meint oder die gleichnamige Berliner Sauna als Stricher-Treffpunkt. Vermerkt er, wie tagelang im Februar 1894, „In der Bibliothek gearbeitet”, tippen die Bearbeiter auf häusliche Verhältnisse, aber gemeint ist nur der Lesesaal der berühmten „Kommode” Unter den Linden. Dass man die Garnisonkirchen von Potsdam und Berlin verwechselt, muss wohl durchgehen, da beide Gebäude ohnehin heute nicht mehr erhalten sind.
Dass einem leidenschaftlichen Theaterhabitué wie Harry Graf Kessler, dem Tamara Barzantny soeben eine Monographie gewidmet hat, nicht das Glück zuteil wird, alle von ihm beehrten Spielstätten hier wieder versammelt zu wissen, obwohl jeder zeitgenössische Baedeker sie aufzählt, ist ärgerlich, denn die gesehenen Revuen, Operetten und Stücke sind ja aus der Tagespresse mühselig eruiert. Für Historiker ist also diese Erschließung wenig hilfreich. Cafés, Restaurants und Hotels in Berlin, Leipzig und anderswo gelten zwar als Körperschaften, sind aber nach einem undurchschaubaren Appetitprinzip berücksichtigt. Als Aufnahmekriterium ließe sich vermuten, dass man preiswerten Häusern den Vorzug gab.
Gerade in diesen neunziger Jahren knüpft sich Kesslers soziales Netz aus den Koordinaten der preußisch-deutschen Adelsgesellschaft und ihrer Salons, „Tout Berläng”, mit Max Liebermann zu reden. Trotzdem frönt die Edition der Unart, selbst nachgeordnete Mitglieder regierender Fürstenhäuser unter ihren Vornamen anzusetzen. Keine Rede von Preußen oder Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg oder Clarence and Avondale oder Sachsen-Altenburg im Bündel des jeweiligen Familienclans. Sondern Eitel-Friedrich und Irene, Ernst Günther und Albert Viktor, Helene und Aribert Joseph Alexander – Prinzen, Dukes und Herzoginnen in irrlichternder Streuung. Füge doch, wer wissen will, wie damals die Macht des Mondänen mit- und untereinander zusammenhängt, sich beim interaktiven Blättern selbst die nostalgischen Verweise ein.
Der Friedenskaiser
Auch die Charakterisierungskunst der Register-Einträge fällt hinter die physiognomische Treffkraft ihres Protagonisten Kessler zurück. Zum Beispiel? „Wilhelm II. (. . .) Vorliebe für Uniformen, Kostüme, Hoffeste u. Paraden; seine unkontrollierten Reden u. Taktlosigkeiten waren sprichwörtlich, sein Dilettieren in den Schönen Künsten berüchtigt; (. . .) ließ sich beim silbernen Regierungsjubiläum 1913 als ,Friedenskaiser‘ feiern; ermunterte in der Julikrise 1914 Österreich zur Kraftprobe mit Serbien.” Was wird da bei Friedrich Ebert, Walther Rathenau, Gustav Stresemann, Hindenburg oder Hitler zu lesen sein?
Wer so anspruchsvoll wäre, ein Sachregister zu vermissen, in dem sich Begriffe wie Antisemitismus und Sezession, Buchkunst, Moderne und Naturalismus, Völkerbund oder Pazifismus fänden, der möge Kesslers eigenen Stichwortzetteln nachtrauern, mit denen er sich einst die zentralen Impulse seines Lebens im Rückblick strukturiert hat; denn Feinhermeneutik lässt sich eben computertechnisch noch nicht indizieren. Wen die Grundlinien der ästhetischen Projekte und politischen Phantasien interessieren, der studiere nach Kesslers Essays und Erinnerungen die Biographie von Peter Grupp oder das Wunderbuch von John Dieter Brinks über den Gründer der legendären Cranach-Presse; aus diesem wird auch ersichtlich, wie wenig dessen typographische Sorgfalt den Buchgestaltern seiner postumen Tagebuch-Edition imponiert. Es sei die Trägheit gewesen, erzählte Jacques de Brion versonnen, vor der sich der „homme vapeur” als einer Zivilisationskrankheit zeitlebens am meisten gefürchtet habe . . .
Aber ist das nicht alles vollkommen gleichgültig, gemessen an dem Wunder, dass wir diese nach den Tagebüchern Varnhagen von Enses zweite große Grundurkunde deutscher Zeitgeschichte in diesem Leben überhaupt noch lesen dürfen? Zwei Bände erscheinen jetzt jährlich, insgesamt neun sind es bis 2007. Wir sollen dankbar sein dafür, dass der Herausgabezeitraum nicht wieder einmal länger dauert als die seinerzeitige Erlebnislänge. Und dankbar vor allem dafür, dass man sich nicht mit der einst ernsthaft erörterten Absicht einer Auswahl-Ausgabe durch wissenschaftliche Betreuer begnügen muss, die sich selbst in Kesslers Kosmos ungefähr so bewegen wie erschöpfte Touristen in den Ruinen von Pompeji. Und dankbar sein wollen wir außerdem, dass es, erstmals beim dritten Band und dann am Ende der Reihe noch einmal, eine CD-Rom geben soll, mit den „nötigen Suchwerkzeugen”. Das wird nötig sein.
Die erste dieser glitzernden Scheiben dürfte man bei Ausgabe der zweiten – in sagen wir zehn Jahren – technisch nicht mehr lesen können, aber sie bietet ja ohnehin, tröstet man uns schon heute, noch keinen „zitierfähigen” Text. Als Lesezeichen in den ungeschlachten roten Bänden, zu deren in jeder Zeile aufregenden Lektüre sich eine Liegestuhl-Bibliothek und ausreichende Surf-Zeit empfiehlt, mag sie immerhin dienlich sein. Was sind, fragt Rudolf Borchardt, die größten Blumenfeinde? „Mehltau, Mäuse und Gärtner”.
HARRY GRAF KESSLER: Das Tagebuch 1880-1937. Hrsg. von Roland S. Kamzelak und Ulrich Ott, unter Beratung von Hans-Ulrich Simon, Werner Volke(†) und Bernhard Zeller. Zweiter Band 1892-1897. Hrsg. von Günter Riederer und Jörg Schuster unter Mitarbeit von Christoph Hilse, begonnen von Angelika Lochmann. (Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft, Bd. 50.2) Cotta Verlag, Stuttgart 2004. 771 Seiten, 58 Euro.
Der Verfasser ist Herausgeber der dreibändigen „Gesammelten Schriften” Harry Graf Kesslers (Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1988) und Bearbeiter des Katalogs und der Ausstellung „Harry Graf Kessler. Tagebuch eines Weltmannes” (1988); er leitet das Rudolf Borchardt Archiv in Rotthalmünster.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Auf neun dicke Bände wird sich die Gesamtedition der Tagebücher von Harry Graf Kessler belaufen, teilt Hanno Helbling mit. Der erste wird als letzter erscheinen, weiß Helbling, dafür liegt nun der zweite Band aus den Jahren 1892 bis 1897 vor. 450 Seiten Text umfasst das Buch, hinzukommen 225 Seiten Namensregister, so Helbling, der dieses Seitenverhältnis höchst aufschlussreich findet: zum einen weist es darauf hin, dass Kessler viele Menschen kannte, deren Namen noch heute erwähnenswert ist, zum anderen sind die Erläuterungen in das Personenregister integriert, ein Umstand, den der Rezensent herzlich begrüßt, weil auf die Lektüre erschwerende Fußnoten fast gänzlich verzichtet wird. Ob nun die heutigen Leser alles wissen müssen, was Kessler notiert, hält Helbling für durchaus fraglich. Doch jene für ihn typische Mischung aus Gesellschaft und Bildung kann man halt nicht in Reinform haben, gibt er seufzend zu. Kessler war ein höchst diskreter Mensch, stellt der Rezensent fest: kein Hinweis auf seine Homosexualität, was wohl damit zu erklären ist, dass sie damals noch unter Strafe stand, wenig Tratsch, sondern mehr Protokoll des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, das erst in Ansätzen, meint Helbling, erkennen lasse, dass Kessler sich später der künstlerischen Avantgarde zurechnen und zuwenden wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Ende des positivistischen Fortschrittsglaubens, der das 19. Jahrhundert bestimmte, kündigt sich hier bereits an. Einem jungen Reisenden, einem weltläufigen Dandy, kommen Zweifel an der aufgeklärten Zivilisation, deren imperialistische Werte noch für unumstößlich gehalten werden. ... Kesslers Tagebuch ist somit als eine Art Jahrhundertfenster begreifbar, durch das man als Leser in das Bewusstsein einer vergangenen Ära zurückspringen und sein Gehirn in die Falten vergangener Zeiten zu legen vermag.« Jan Süselbeck, die tageszeitung, 24.8.2004 »Das Jahrhundertprotokoll ... Ein solches Monument des untergegangenen Europa ist Harry Graf Kesslers Tagebuch: Über siebenundfünfzig Jahre hin in höchster Disziplin und nie nachlassender Sorgfalt geführt, ist es ein Protokoll Europas in der Zeit seiner größten Kraftenfaltung, aber auch am Beginn seines Weges in den Abgrund. ... Das neue Europa wird sich ein neues Bild von sich selber machen müssen. Dazu gehören die Tagebücher von Harry Graf Kessler nicht weniger als die eines Victor Klemperer.« Karl Schlögel, Merkur, Juli 2004 »So nah kommt man einer Epoche selten. Die Tagebücher liefern ein Panorama - das ist nur im Ganzen zu haben: Auskünfte über Kunst, Mode, Literatur, über Lebensart und Geschichte zwischen 1880 und 1937. Harry Graf Kessler kommentiert seine Zeit - präzis und leicht ironisch. Er lebt sie so intensiv wie kaum einer und sieht sie doch mit distanziertem Blick.« Karin Grossmann, Sächsische Zeitung, 12.6.2004 »... die vorzügliche und einfache Organisation der Ausgabe muss man bewundern: Kein schwerer Apparat, nur die ständige, durch ganz wenige Fussnoten mitgelenkte Begleitung durch das informative Personenregister erschliesst den Text und erleichtert eine Lektüre, auf deren Fortsetzung man am Ende des Bandes schon fast mit Ungeduld wartet.« Hanno Helbling, Neue Zürcher Zeitung, 25.05.2004 »Kesslers Notate legen in ihrer geschliffnen Sprache, mit der Treffsicherheit des Urteils, dank des ungeheuren Kenntnisreichtums ihres Autors auf sämtlichen Gebieten des kulturellen und politischen Lebens ein so anschauliches Zeugnis zweier Epochen deutscher Geschichte - der wilhelminischen und der der Weimarer Republik - ab, wie dies weder vorher noch nahcher geschehen ist. ... In diesen Tagebüchern können wir nachvollziehen, wie in Deutschland die Moderne Einzug hält. ... Besser, also kundiger und spitzzüngiger, kriegen wir das nirgendwo geboten.« Tilman Krause, Die Welt, 24.4.2004 »Für Literaturnarren, für Wissbegierige nach Geschichte und Geschichten ist ein Fest angesagt: Endlich erscheinen als integrale Edition die ins Reich der Legenden und Gerüchte abgesunkenen Tagebücher von Harry Graf Kessler - einer der farbigsten (ja, gewiss, auch schillernden) Figuren des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den Höhepunkten seiner ruhmreichen Tätigkeit auf mancherlei Gebiet der Kunst und Politik in den zwanziger Jahren bis zum bitteren Ende des Emigranten 1937. ... Diese Edition zeichnet sich aus durch, falls das altmodische Wort erlaubt ist, Vornhemheit: Der Autor hat das Wort. Die Herausgeber wollen, dass wir nicht über, sondern von Harry Graf Kessler lesen.« Fritz J. Raddatz, Die Zeit, 22.4.2004 »Diese Aufzeichnungen sind eine einzigartige Quelle zur Mentalitäts- und Kulturgeschichte der Jahrhundertwende.« Sachbuch-Empfehlung aus Die Zeit, 22.4.2004 »Kesslers Tagebuch ist ein öffentlicher mondäner Ort. Wer zwischen Wilhelminismus und dem Ende Weimars seinen Kulturauftritt hatte, findet sich hier wieder. ... Es ist Nietzsches Traum des 'guten Europäers', den Kessler hier weiterträumt. Fernab von der verordneten und subventionierten Europa-Mentalität unserer Tage begegnet uns hier ein leidenschaftlicher Kultureuropäer.« Stephan Schlak, Frankfurter Rundschau, 21.4.2004 »Porentief präzis und mit einem Hauch Ironie hält er fest, was er sieht, wen er trifft. Und er trifft sie alle: die Schauspielerin Sarah Bernhardt und den Surrealisten Jean Cocteau, Otto Fürst von Bismarck ..., Albert Einstein und George Bernhard Shaw. Das sind nur fünf der weit über 10000 Kulturgrößen, die der Menschensammler Kessler gesehen, gesprochen und verewigt hat. ... 57 Hefte und Bücher, über 10000 Seiten penibel redigierte Manuskripte, die wie ein ungeheures Panorama Stimmung, Akteure und Schlüsselszenen einer ganzen Epoche festhalten.« Johannes Saltzwedel, Der Spiegel, 19.4.2004 »Seine Analyse gesellschaftlichen Verhaltens, vor allem, wenn sein Gegenüber posiert, ist beachtlich, seine kurzen Charakteristiken sind oft schonungslos, ohne daß in ihnen je auch nur ein Gran Häme wäre. ... Daß nun Kesslers Tagebücher, deren unprätentiöse Eleganz in Bann schlägt, tatsächlich insgesamt zugänglich gemacht werden, ist nicht nur ein Akt der Gerechtigkeit. Es ist ein großes Glück.« Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.4.2004