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Ea von Allesch, die "Königin des Cafe Central" in Wien, zu erobern, war alles andere als einfach. Sie war von Verehrern umlagert, zu denen Robert Musil, Franz Blei, Peter Altenberg, Rainer Maria Rilke und Alfred Polgar gehörten. Vor dem Ersten Weltkrieg war sie als "femme fatale" gefürchtet und als "femme fragile" verwöhnt worden. 1920 bat die fünfundvierzigjährige Ea von Allesch ihren Freund Hermann Broch, damals Mitte Dreißig, für sie ein Tagebuch zu führen, und dies in Briefform. Broch ging auf den Wunsch ein. Er schrieb es während eines halben Jahres; es war die Zeit seiner heftigen…mehr

Produktbeschreibung
Ea von Allesch, die "Königin des Cafe Central" in Wien, zu erobern, war alles andere als einfach. Sie war von Verehrern umlagert, zu denen Robert Musil, Franz Blei, Peter Altenberg, Rainer Maria Rilke und Alfred Polgar gehörten. Vor dem Ersten Weltkrieg war sie als "femme fatale" gefürchtet und als "femme fragile" verwöhnt worden. 1920 bat die fünfundvierzigjährige Ea von Allesch ihren Freund Hermann Broch, damals Mitte Dreißig, für sie ein Tagebuch zu führen, und dies in Briefform. Broch ging auf den Wunsch ein. Er schrieb es während eines halben Jahres; es war die Zeit seiner heftigen Werbung um diese selbständige "femme emancipee", die zu dieser Zeit das Modereferat bei der Wiener Kulturzeitschrift Moderne Welt und der tschechischen Tageszeitung Prager Presse leitete und als Feuilletonistin in ihren Beiträgen zum Thema der Mode einen dezidiert feministischen Ton anschlug.
Autorenporträt
Hermann Broch wuchs in Wien auf, leitete zwanzig Jahre lang die Textilfabrik seiner Familie, begann 1927 mit dem Leben als freier Schriftsteller, musste als Jude nach dem 'Anschluss' von 1938 aus Österreich fliehen. Er emigrierte im gleichen Jahr in die USA, wo er anfänglich in New York lebte. 1942 wurde Princeton, New Jersey, sein fester Wohnsitz. 1949 siedelte er über nach New Haven, Connecticut, wo er Kontakte zur Fakultät der Yale University hatte; im dortigen German Department wurde er Lektor ehrenhalber. 1951 erlag er einem Herzschlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.1995

Der Bolschewismus kann warten
Die Reise nach Karlsbad geht vor - Hermann Broch wirbt um Ea von Allesch und schreibt ihr ein "Teesdorfer Tagebuch" Von Lorenz Jäger

"Es ist eigentlich lächerlich, das Tagebuch", schreibt Hermann Broch einmal an Ea von Allesch, "es sind doch nur Briefe an Dich." Tatsächlich dienen die 42 Eintragungen, niedergeschrieben zwischen dem Sommer 1920 und Januar 1921, nur in zweiter Linie der Beschreibung des Alltags; ihr Hauptzweck ist die Werbung. Die Umworbene war eine der ungekrönten Königinnen ihrer Zeit: aus engsten Verhältnissen kommend, hatte sie sich in Wien eine Stellung als erfolgreiche Modejournalistin geschaffen. Wer Gustav Klimts "Wasserschlangen"-Bild betrachtet, auf dem sie in lasziver Pose, mit vollem rotem Haar, den Betrachter anblickend, gezeigt wird, der versteht die Verehrung, die dieser Frau von Literaten wie Peter Altenberg und Alfred Polgar entgegengebracht wurde.

In Brochs Tagebuch bildet sie das Zentrum der Welt; die vielfältigen Aufgaben, denen er sich widmet - die Leitung der väterlichen Fabrik, die Verwaltung eines Landgutes, die Tätigkeit als Schlichter in Arbeitskämpfen, die flüchtig erwogene Kandidatur für die Sozialdemokratie -, werden nur benannt, in immer gleichen Formeln, um abgehakt zu werden; Ea von Allesch sollte bei der Lektüre die Gewißheit haben, daß um sie herum das Geschehen sich ordnet. Keine Gelegenheit läßt sich Broch entgehen, ihr seine höchste Aufmerksamkeit zu versichern, der gegenüber selbst die Weltgeschichte zweitrangig wird: Als die beiden eine Reise nach Karlsbad planen und gleichzeitig beunruhigende Nachrichten vom Kampf der Roten Armee in Polen gemeldet werden, schreibt er: "Ich hoffe nur, daß der Bolschewismus erst nach Karlsbad einsetzt."

Das Tagebuch versetzt die Liebe in die Sphäre des Wissens. Brochs philosophische Bildung, die er bescheiden als "Lernen" und "Exzerpieren" deklariert, war ebenso umfangreich wie eklektisch; Ea von Allesch, die als Graphologin gearbeitet hatte, verfügte über eine beträchtliche Intuition. Bezieht man in die Betrachtung den sozialen Umkreis ein, so erscheint diese Liebesgeschichte geradezu als Schnittpunkt der divergierenden Wissensarten, die sämtlich von Broch zu irgendeinem Zeitpunkt ins Tagebuch eingeführt werden: die Boudoirweisheiten des Ancien régime vertritt Franz Blei, die kommunistische Ethik Georg Lukács, mit dem sich Broch zu geschichtsphilosophischen Debatten trifft. Für die Psychoanalyse steht Alfred Adler, für die Hellseherei das befreundete Ehepaar Eckstein, das einem privaten Okkultismus frönt. Johannes von Allesch, der Noch-Ehemann, arbeitet als akademischer Psychologe, ein anderer Verehrer Eas erforscht Hypnose und Suggestion.

So paart sich in diesem Verhältnis das legitim erworbene und begründete Wissen mit dem illegitimen; zur Ethik tritt die Indiskretion (Broch las, ohne ihre Erlaubnis, Briefe Ea von Alleschs an ihren Mann), zur Logik die Ahnung. Es war dieses Milieu von intensiven, hochreflektierten, sozusagen wissenssüchtigen Beziehungen, in dem Freuds Überlegungen zur Telepathie plausibel wirken konnten. Angetrieben wurde die "Sucht nach "Klarheit'" von Brochs maßloser Eifersucht, die im Tagebuch unter dem Titel "Komplex" in allen Facetten analysiert wird.

Seine Angst vor der Vereinsamung traf hier auf Liebesverhältnisse, die in der Tat der Klärung bedurften; nicht nur waren beide Partner noch verheiratet - Broch mit Franziska von Rothermann, die durchweg nur "die Frau F." genannt wird -, sondern auch mit Konkurrenten aus der Verehrer-Riege war weiterhin zu rechnen. Einer hatte gar den Plan gefaßt, Eas Tochter aus erster Ehe zu heiraten, um mit seiner "Schwiegermutter" legal zusammenleben zu können. Brochs Furcht vor der Irrationalität war nicht ganz unbegründet.

Auffällig sind die stilistischen Blößen, die er sich in den Aufzeichnungen gibt. Neben den liebenswürdigsten Koseworten finden sich peinliche Diminutiva - im Preis von "Stimmi", "Herzi", "Handi" und "Kopfi" der Geliebten kann er sich nicht genug tun -, die einen sprachlichen Kniefall signalisieren: vor der hohen Frau legt der Schriftsteller seine Waffen ab. Zugleich durchziehen schwerfällige Philosopheme die Werbung, und schon die erste Eintragung verspricht, für die Liebe einen "stringenten Beweis" zu geben. Gern formuliert er seine Liebeserklärungen in der sperrigen Terminologie der Werttheorie. Broch selbst kann bei der Abfassung nicht verborgen geblieben sein, daß er in Wahrheit keine Sprache der Liebe besaß, der er hätte trauen können - aber gerade sie war es, die er zeitlebens suchte, in der frühen Konversion zu einem marianisch geprägten Katholizismus ebenso wie in seiner späteren Dauer-Psychoanalyse.

Was er in den großen Romanen, den "Schlafwandlern" und den "Schuldlosen", behauptete und zu gestalten vermochte: daß die Liebenden stets das unpassende Wort bereit haben oder gänzlich verstummen - das erscheint im Tagebuch als unmittelbares Faktum seines Lebens. Trotzdem war die Werbung um Ea von Allesch schließlich erfolgreich; die Mischung von Energie und rührender, unbeholfener Wahrhaftigkeit, die in den Aufzeichnungen erkennbar wird, konnte ihre Wirkung nicht verfehlen.

Paul Michael Lützeler hat für eine vorbildliche Kommentierung des Bandes gesorgt. Schade nur, daß selbst ein so kompetenter Forscher sich inzwischen zum Dogma von der unbedingten Opferrolle der Frau in seiner schlichtesten Observanz bekennt: im "Circulus vitiosus der Angst- und Wunschträume der zahlreichen Verehrer" sei Ea von Allesch "mehr Opfer als Täterin" gewesen. Ganz ohne ein credo quia absurdum geht es auch bei dieser neuen Glaubensrichtung nicht ab. "Ihre Erscheinung, ihr Gang waren königlich", berichtet eine Zeitgenossin. "Wie Diana, jungfräulich und kühl, schritt sie durch die Reihen ihrer Bewunderer. Diese junge Frau hatte sich Kindlichkeit, Freiheit des Herzens und des Geistes bewahrt" - und ausgerechnet dieser Schilderung will Lützeler entnehmen, daß Ea von Allesch "nicht als gleichberechtigt, nicht als Partner" gesehen worden sei. Offenbar ist der Anblick des Charismas, das von einer selbständigen Lebensführung ausgeht, so schwer zu ertragen wie eh und je. Der Schutzschild aber, der heute "political correctness" heißt, hieß früher Ressentiment.

Hermann Broch: "Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch". Herausgegeben von Paul Michael Lützeler unter Mitwirkung von H. F. Broch de Rothermann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. 247 S., geb., Abb., 40,- DM.

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