Produktdetails
- Verlag: Brinkmann u. Bose
- 2000.
- Seitenzahl: 500
- Deutsch
- Abmessung: 250mm x 155mm
- Gewicht: 942g
- ISBN-13: 9783922660774
- ISBN-10: 3922660770
- Artikelnr.: 12150146
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2001Hier Heidegger, wer spricht? Hallöchen, hier ist das Sein
Avital Ronell erklärt den Geist des Telefons aus dem Wesen der Philosophie: Vom naht- und drahtlosen Anschluss des Subjekts an das Herrschaftssystem
Henri Magritte lieferte einst Michel Foucault die bildliche Vorlage für einen Text über die Logik der Diskurse: die Zeichnung einer Pfeife, eingerahmt von dem Satz: „Dies ist keine Pfeife”. Für Avital Ronells „Das Telefonbuch”, das zwölf Jahre nach der amerikanischen Ausgabe endlich auf deutsch in der fulminanten Übersetzung von Rike Felka vorliegt, gilt dasselbe: Dieses Telefonbuch ist k/ein Telefonbuch, auch wenn einige graphische Elemente – etwa der Umschlag in Postgelb mit baushäuslich- sachlicher Gestaltung oder die witzigen Anleihen beim Inhaltsverzeichnis („Telefonauskunft”), der Anmerkungsapparat („Branchenverzeichnis” auf dem Gelbpapier der „Gelben Seiten”) und das vorgeschaltete „Benutzerhandbuch” – den Eindruck eines Telefonverzeichnisses zu vermitteln suchen.
Doch bereits die ersten Abbildungen – Joseph Beuys‘ „Erdtelephon” sowie der für die Firma Ericsson entwickelte phallische Telefonapparat „Ericofon” – belehren den Leser eines Besseren. Avital Ronell, die zu den Stars der amerikanischen Cultural Studies zählt, zielt auf nichts weniger als auf eine umfassende kulturphilosophische Beschreibung und Rekonstruktion der libidinösen Ökonomie des Telefon-Systems von seiner Erfindung durch Alexander Graham Bell und Thomas A. Watson bis zur „Schizoanalyse” des „Anti-Ödipus” von Gilles Deleuze und Felix Guattari.
Der Untertitel des Bandes: „Technik - Schizophrenie – Elektrische Rede” gibt dabei zugleich die drei Themenschwerpunkte des Telefon-Buches vor. Es handelt sich hierbei um vielfältig und häufig auf unvorhersehbare Weise aufeinander einwirkende Gravitationsfelder der Telefonik, doch sie alle lassen sich auf ein nicht immer leicht auszumachendes thematisches Epizentrum beziehen. Für Ronell schafft das in der gesamten Gesellschaft ausgelegte Netz von Telefonverbindungen eine eigentümliche Struktur der Kommunikation, die logisch und sachlich den Sprechhandlungen von Anrufer und Angerufenem vorausgeht.
Sprecher und Hörer werden auf diese Weise zu Systemstellen der telefonischen Technik und zu Schnittstellen der von dieser Technik erzeugten Energieströme. Indem es verbindet, trennt es, indem es Entfernungen überbrückt, schafft es Distanz. Es ist jenes „Zwischen”, das nicht auf ein Zentrum, etwa ein cartesianisches Subjekt in Abgrenzung der Welt der „Objekte”, verweist, sondern im Gegenteil nur unter Einbeziehung des Anderen, der Alterität denkbar ist. Das Telefonieren ist daher laut Ronell nur denkbar als Anschluß an ein „Anderes”, das sich dem „Eigenen” entzieht.
Diese Struktur der Vernetzung und der Entgrenzung des Subjekts, die bereits Deleuze und Guattari in den siebziger Jahren als schizoide Signatur des Kapitalismus identifiziert hatten, versucht Ronell jedoch technologisch zu konkretisieren. Im ersten Abschnitt des Buches, der sich mit dem Wesen der Telefon-Technik befasst, ruft sie die Philosophie Martin Heideggers an. Heidegger erscheint bei Ronell doch zunächst nicht als der Frager nach dem Wesen der Technik. Sondern er soll von einem anderen Anruf berichten. Es geht um jenen folgenschweren Anruf aus der Sturmzentrale der SA 1933, den Heidegger annahm und der ihn zum Funktionsträger im Nationalsozialistischen System hat werden lassen.
Was aber für Heidegger ein selbst philosophisch nicht weiter thematisierte Vorfall blieb, ist für Ronell Ausgangspunkt für die Existentialanalyse der Telefon-Technik, die sie mit Hilfe der Heideggerschen Überlegungen zum Zeug-Zusammenhang der Welt skizziert. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie den Passagen etwa aus „Sein und Zeit”, in denen Heidegger den „Ruf” des Gewissens ans Dasein beschreibt, der ursprungslos und lautlos, aber doch deutlich vernehmbar sei und der das Man aus seiner „Verfallenheit” auf das eigentliche Seinkönnen in der Eigentlichkeit zurückwende. Ein solcher Anruf an das Dasein, der von diesem Sein selbst her erfolgt, eröffnet ein neues schizoides Seinsverständnis, das sich durch die Bereitschaft zu anderen Möglichkeiten des Seinkönnens auszeichnet.
Es ist sicher nicht selbstverständlich, Heideggers Daseinsanalyse auf eine konkrete Technologie wie die Telefonie zu übertragen. Denn das Telefon ist wohl doch eher ein Medium und nicht ein Modus des Seinkönnens; es konstituiert sich allererst aufgrund seiner Technizität. Dennoch erscheint Ronells Deutung zumindest assoziativ reizvoll. Sie kann darauf verweisen, dass die SA Heidegger telefonisch aufrufen konnte und dass dieser den Anruf nicht nur vernommen, sondern ihm „geantwortet” hat. Versteht man mit Ronell die Gewissensanalyse des frühen Heidegger als einen wesentlichen Beitrag zur „Schizogenisierung” der Technik, dann ist Heideggers Bereitschaft, den Ruf der SA zu erwidern, der sich mit der Nazi-Bewegung in verdächtiger Weise identifizierte, eine Art Verrat. Es ist der Anschluss des Subjekts an das Herrschaftssystem dank der Technik, verbunden mit Unterwerfung und taub für den Ruf des Anderen und das signifikante Rauschen.
Technik der Telefonie
Das von Heideggers Technikphilosophie eröffnete kritische Potential der Telefonie erkennt Ronell vielmehr in den Deterritorialisierungen und der Anschlussvielfalt der Rede von Schizophrenen. Im zweiten Teil ihres Buches referiert sie dazu noch einmal Heidegger, diesmal aber in Gestalt des Schizo-Philosophen der uneinholbaren Sprache, der sich mit Hölderlin und Trakl nunmehr dem Anruf der Macht zu entziehen versteht. Der Anspruch des Seins und der Aufruf der Ontotheologie zur Stille lassen Heidegger erkennen, dass sich die Frage nach dem Wesen der Technik nur mehr als eine ihrem Wesen nach nichttechnische Frage stellen lässt. Diese Überlegung immunisiert ihn dann gegen jeden Anruf der Macht. Ausführlich kommen sodann schizophrene Patienten zu Wort, in deren eigenen oder den Analytikern zu Protokoll gegebenen Aufzeichnungen häufig genug telefonische Motive eine zentrale Rolle spielen.
Freilich erscheint Ronells Nachzeichung solcher Berichte zuweilen überstrapaziert, besonders in ihrer telefontechnologischen Redeweise über den vielleicht nur metaphorischen Gebrauch solcher Termini wie „Anruf” und der Anschlussvielfalt, des Rauschens und der Verwandlung des Schizokörpers in einen organischen Telefonhörer. Keinesfalls lässt sich die Logik des Schizos nicht auf den Code des telefonischen Anschlusses reduzieren.
Ohnehin wird im Verlaufe des Buches deutlich, dass Ronell nicht immer strikt zwischen dem Telefonsystem als einer spezifischen Technologie der industriellen Gesellschaft und einer tiefer liegenden Logik (oder, Heideggerisch gesprochen, dem Wesen) des Technischen als konstitutivem Moment des In-der-Welt-seins unterscheidet. Dies wird besonders im letzten Teil ihrer Buches deutlich, in dem sie sich ausführlich mit der Entstehungsgeschichte der elektrischen Telefonie und den (Auto)-Biographien ihrer Erfinder Bell und Watson beschäftigt. Es ist in der Tat frappierend, dass sich Watson in seiner Jugend mit Reinkarnationslehren beschäftigte und an spiritistischen Seancen teilnahm. Weniger beeindruckend erscheint demgegenüber der Umstand, dass Bell einer Familie bedeutender Sprachorthopäden entstammte und mit dem Telephon eine Prothese zu schaffen versuchte, um den Taubstummen eine Stimme zu geben. Sicherlich ist diese Elektrifizierung der Stimmwerkzeuge auch ein Akt der Schizophrenisierung. Dass diese Erfindung zu einem autonom agierenden Netzwerk auswuchern würde, in dem die Position des Subjekts aufgesprengt erscheint und in das „das Andere” in seiner Unverfügbarkeit einwandern konnte, war weder biographisch vorgezeichnet noch technologisch determiniert, sondern doch wohl in erster Linie den spezifischen Eigenschaften der Elektrizität geschuldet.
Dieses Telefonbuch ist also (k)ein Telefon-Buch. Ronells Anruf schaltet den Leser mit der Glossolalie des Netzes zusammen, den zerhackten Gesprächen und dem Rauschen der elektrischen Energieströme. Ronell verbindet uns aber noch weitgehend mit der Technik der Analogien. Aber dadurch sind ihre Einträge ins Telefonbuch nicht veraltet. Auch im Zeitalter des digitalen Word Wide Web geht es noch um dasselbe: den Anruf der Technik.
MATTHIAS KROSS
AVITAL RONELL: Das Telefonbuch. Technik, Schizophrenie, Elektrische Rede. Verlag Brinkmann & Bose, Berlin 2001. 484 Seiten mit Abb., 85 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Avital Ronell erklärt den Geist des Telefons aus dem Wesen der Philosophie: Vom naht- und drahtlosen Anschluss des Subjekts an das Herrschaftssystem
Henri Magritte lieferte einst Michel Foucault die bildliche Vorlage für einen Text über die Logik der Diskurse: die Zeichnung einer Pfeife, eingerahmt von dem Satz: „Dies ist keine Pfeife”. Für Avital Ronells „Das Telefonbuch”, das zwölf Jahre nach der amerikanischen Ausgabe endlich auf deutsch in der fulminanten Übersetzung von Rike Felka vorliegt, gilt dasselbe: Dieses Telefonbuch ist k/ein Telefonbuch, auch wenn einige graphische Elemente – etwa der Umschlag in Postgelb mit baushäuslich- sachlicher Gestaltung oder die witzigen Anleihen beim Inhaltsverzeichnis („Telefonauskunft”), der Anmerkungsapparat („Branchenverzeichnis” auf dem Gelbpapier der „Gelben Seiten”) und das vorgeschaltete „Benutzerhandbuch” – den Eindruck eines Telefonverzeichnisses zu vermitteln suchen.
Doch bereits die ersten Abbildungen – Joseph Beuys‘ „Erdtelephon” sowie der für die Firma Ericsson entwickelte phallische Telefonapparat „Ericofon” – belehren den Leser eines Besseren. Avital Ronell, die zu den Stars der amerikanischen Cultural Studies zählt, zielt auf nichts weniger als auf eine umfassende kulturphilosophische Beschreibung und Rekonstruktion der libidinösen Ökonomie des Telefon-Systems von seiner Erfindung durch Alexander Graham Bell und Thomas A. Watson bis zur „Schizoanalyse” des „Anti-Ödipus” von Gilles Deleuze und Felix Guattari.
Der Untertitel des Bandes: „Technik - Schizophrenie – Elektrische Rede” gibt dabei zugleich die drei Themenschwerpunkte des Telefon-Buches vor. Es handelt sich hierbei um vielfältig und häufig auf unvorhersehbare Weise aufeinander einwirkende Gravitationsfelder der Telefonik, doch sie alle lassen sich auf ein nicht immer leicht auszumachendes thematisches Epizentrum beziehen. Für Ronell schafft das in der gesamten Gesellschaft ausgelegte Netz von Telefonverbindungen eine eigentümliche Struktur der Kommunikation, die logisch und sachlich den Sprechhandlungen von Anrufer und Angerufenem vorausgeht.
Sprecher und Hörer werden auf diese Weise zu Systemstellen der telefonischen Technik und zu Schnittstellen der von dieser Technik erzeugten Energieströme. Indem es verbindet, trennt es, indem es Entfernungen überbrückt, schafft es Distanz. Es ist jenes „Zwischen”, das nicht auf ein Zentrum, etwa ein cartesianisches Subjekt in Abgrenzung der Welt der „Objekte”, verweist, sondern im Gegenteil nur unter Einbeziehung des Anderen, der Alterität denkbar ist. Das Telefonieren ist daher laut Ronell nur denkbar als Anschluß an ein „Anderes”, das sich dem „Eigenen” entzieht.
Diese Struktur der Vernetzung und der Entgrenzung des Subjekts, die bereits Deleuze und Guattari in den siebziger Jahren als schizoide Signatur des Kapitalismus identifiziert hatten, versucht Ronell jedoch technologisch zu konkretisieren. Im ersten Abschnitt des Buches, der sich mit dem Wesen der Telefon-Technik befasst, ruft sie die Philosophie Martin Heideggers an. Heidegger erscheint bei Ronell doch zunächst nicht als der Frager nach dem Wesen der Technik. Sondern er soll von einem anderen Anruf berichten. Es geht um jenen folgenschweren Anruf aus der Sturmzentrale der SA 1933, den Heidegger annahm und der ihn zum Funktionsträger im Nationalsozialistischen System hat werden lassen.
Was aber für Heidegger ein selbst philosophisch nicht weiter thematisierte Vorfall blieb, ist für Ronell Ausgangspunkt für die Existentialanalyse der Telefon-Technik, die sie mit Hilfe der Heideggerschen Überlegungen zum Zeug-Zusammenhang der Welt skizziert. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie den Passagen etwa aus „Sein und Zeit”, in denen Heidegger den „Ruf” des Gewissens ans Dasein beschreibt, der ursprungslos und lautlos, aber doch deutlich vernehmbar sei und der das Man aus seiner „Verfallenheit” auf das eigentliche Seinkönnen in der Eigentlichkeit zurückwende. Ein solcher Anruf an das Dasein, der von diesem Sein selbst her erfolgt, eröffnet ein neues schizoides Seinsverständnis, das sich durch die Bereitschaft zu anderen Möglichkeiten des Seinkönnens auszeichnet.
Es ist sicher nicht selbstverständlich, Heideggers Daseinsanalyse auf eine konkrete Technologie wie die Telefonie zu übertragen. Denn das Telefon ist wohl doch eher ein Medium und nicht ein Modus des Seinkönnens; es konstituiert sich allererst aufgrund seiner Technizität. Dennoch erscheint Ronells Deutung zumindest assoziativ reizvoll. Sie kann darauf verweisen, dass die SA Heidegger telefonisch aufrufen konnte und dass dieser den Anruf nicht nur vernommen, sondern ihm „geantwortet” hat. Versteht man mit Ronell die Gewissensanalyse des frühen Heidegger als einen wesentlichen Beitrag zur „Schizogenisierung” der Technik, dann ist Heideggers Bereitschaft, den Ruf der SA zu erwidern, der sich mit der Nazi-Bewegung in verdächtiger Weise identifizierte, eine Art Verrat. Es ist der Anschluss des Subjekts an das Herrschaftssystem dank der Technik, verbunden mit Unterwerfung und taub für den Ruf des Anderen und das signifikante Rauschen.
Technik der Telefonie
Das von Heideggers Technikphilosophie eröffnete kritische Potential der Telefonie erkennt Ronell vielmehr in den Deterritorialisierungen und der Anschlussvielfalt der Rede von Schizophrenen. Im zweiten Teil ihres Buches referiert sie dazu noch einmal Heidegger, diesmal aber in Gestalt des Schizo-Philosophen der uneinholbaren Sprache, der sich mit Hölderlin und Trakl nunmehr dem Anruf der Macht zu entziehen versteht. Der Anspruch des Seins und der Aufruf der Ontotheologie zur Stille lassen Heidegger erkennen, dass sich die Frage nach dem Wesen der Technik nur mehr als eine ihrem Wesen nach nichttechnische Frage stellen lässt. Diese Überlegung immunisiert ihn dann gegen jeden Anruf der Macht. Ausführlich kommen sodann schizophrene Patienten zu Wort, in deren eigenen oder den Analytikern zu Protokoll gegebenen Aufzeichnungen häufig genug telefonische Motive eine zentrale Rolle spielen.
Freilich erscheint Ronells Nachzeichung solcher Berichte zuweilen überstrapaziert, besonders in ihrer telefontechnologischen Redeweise über den vielleicht nur metaphorischen Gebrauch solcher Termini wie „Anruf” und der Anschlussvielfalt, des Rauschens und der Verwandlung des Schizokörpers in einen organischen Telefonhörer. Keinesfalls lässt sich die Logik des Schizos nicht auf den Code des telefonischen Anschlusses reduzieren.
Ohnehin wird im Verlaufe des Buches deutlich, dass Ronell nicht immer strikt zwischen dem Telefonsystem als einer spezifischen Technologie der industriellen Gesellschaft und einer tiefer liegenden Logik (oder, Heideggerisch gesprochen, dem Wesen) des Technischen als konstitutivem Moment des In-der-Welt-seins unterscheidet. Dies wird besonders im letzten Teil ihrer Buches deutlich, in dem sie sich ausführlich mit der Entstehungsgeschichte der elektrischen Telefonie und den (Auto)-Biographien ihrer Erfinder Bell und Watson beschäftigt. Es ist in der Tat frappierend, dass sich Watson in seiner Jugend mit Reinkarnationslehren beschäftigte und an spiritistischen Seancen teilnahm. Weniger beeindruckend erscheint demgegenüber der Umstand, dass Bell einer Familie bedeutender Sprachorthopäden entstammte und mit dem Telephon eine Prothese zu schaffen versuchte, um den Taubstummen eine Stimme zu geben. Sicherlich ist diese Elektrifizierung der Stimmwerkzeuge auch ein Akt der Schizophrenisierung. Dass diese Erfindung zu einem autonom agierenden Netzwerk auswuchern würde, in dem die Position des Subjekts aufgesprengt erscheint und in das „das Andere” in seiner Unverfügbarkeit einwandern konnte, war weder biographisch vorgezeichnet noch technologisch determiniert, sondern doch wohl in erster Linie den spezifischen Eigenschaften der Elektrizität geschuldet.
Dieses Telefonbuch ist also (k)ein Telefon-Buch. Ronells Anruf schaltet den Leser mit der Glossolalie des Netzes zusammen, den zerhackten Gesprächen und dem Rauschen der elektrischen Energieströme. Ronell verbindet uns aber noch weitgehend mit der Technik der Analogien. Aber dadurch sind ihre Einträge ins Telefonbuch nicht veraltet. Auch im Zeitalter des digitalen Word Wide Web geht es noch um dasselbe: den Anruf der Technik.
MATTHIAS KROSS
AVITAL RONELL: Das Telefonbuch. Technik, Schizophrenie, Elektrische Rede. Verlag Brinkmann & Bose, Berlin 2001. 484 Seiten mit Abb., 85 Mark.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Avital Ronells "Telefonbuch" liegt jetzt - zwölf Jahre nach der amerikanischen Ausgabe - in einer, wie Matthias Kross findet, "fulminanten Übersetzung" von Rike Felka vor. Aufgemacht wie ein richtiges Telefonbuch komme es daher. Aber wie unser Rezensent betont: "Dies ist (k)ein Telefonbuch". Es handle sich vielmehr um eine umfassende Studie, die das Phänomen "Telefon" kulturphilosophisch in den Blick nehme. Ronell liefere darin eine ausnehmend komplexe Analyse des Wesens der Telefonie. Im Anschluss an Heideggers Analysen zum Zeug-Zusammenhang der Welt entwickle Ronell eine "Existenzialanalyse der Telefon-Technik". Soweit will Kross nicht mitgehen, ist das Telefon für ihn "wohl doch eher ein Medium und nicht ein Modus des Seinkönnens". Nichtsdestoweniger findet er Ronells Deutung "zumindest assoziativ reizvoll". Insgesamt erscheinen unserem Rezensenten Ronells Interpretationen bisweilen allerdings ein wenig "überstrapaziert".
© Perlentaucher Medien GmbH
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