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'Wenn ich danach gefragt werde, sage ich manchmal, dass dieses Buch von Folter handelt. Und dann herrscht meistens Stille, als hätte ich einen Stein in einen tiefen, tiefen Brunnen geworfen.' Nick Flynn hält das Ultraschallfoto seiner ungeborenen Tochter in Händen. Ein Bild, das ihm nicht nur die Welt zum Leuchten bringt, sondern auch seine Sinne schärft, sowohl für das Schöne wie auch das Böse unter der Sonne. Dann, auf der Fahrt nach Hause, ist im Autoradio die Rede von ganz anderen, ungeheuerlichen Bildern, die im Irak aufgenommen wurden. Von einer jungen Amerikanerin, die in einem…mehr

Produktbeschreibung
'Wenn ich danach gefragt werde, sage ich manchmal, dass dieses Buch von Folter handelt. Und dann herrscht meistens Stille, als hätte ich einen Stein in einen tiefen, tiefen Brunnen geworfen.'
Nick Flynn hält das Ultraschallfoto seiner ungeborenen Tochter in Händen. Ein Bild, das ihm nicht nur die Welt zum Leuchten bringt, sondern auch seine Sinne schärft, sowohl für das Schöne wie auch das Böse unter der Sonne. Dann, auf der Fahrt nach Hause, ist im Autoradio die Rede von ganz anderen, ungeheuerlichen Bildern, die im Irak aufgenommen wurden. Von einer jungen Amerikanerin, die in einem Gefängnis einen Mann an einer Leine führt. Später, im Fernsehen, werden diese Bilder sichtbar. Und mit einem Schlag wird Nick Flynn bewusst, dass sich mitten in der Welt, in die seine Tochter geboren werden soll, ein unfassbarer Abgrund geöffnet hat.

Wie schon in 'Bullshit Nights', der aufsehenerregenden Geschichte mit seinem Vater, erweist sich Nick Flynn in Das Ticken ist die Bombe abermals als sprachmächtiger Zeuge all jener, die vom Weg abgekommen sind und etabliert sich damit endgültig als aufwühlendste Stimme der jungen amerikanischen Literatur.
Autorenporträt
Nick Flynn, geb. 1960, hat als 'field poet' am viel beachteten Dokumentarfilm 'Darwin's Nightmare' mitgewirkt. Texte von ihm erschienen u.a. im New Yorker, in der Paris Review und der New York Times Book Review. Nick Flynn lehrt ein Semester im Jahr an der University of Houston und ist die restliche Zeit auf Reisen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Was Fridtjof Küchemann an Nick Flynns vorigem Buch geschätzt hat, "Stringenz" und eine gelungene Dramaturgie die aus der inneren Dringlichkeit entsteht, vermisst er schmerzlich in dessen jüngstem Werk. Der Autor verbindet darin den Entschluss zur Gründung einer Familie mit dem Abu Ghraib-Folterskandal, es ist also genauso ein Buch über Folter wie eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Vaterwerden und seiner Stellung als Schriftsteller, erklärt der Rezensent. Herausgekommen ist  - bei aller bewundernswerten "Radikalität", bedingungslosen "Subjektivität" und "Kühnheit" - aber leider ein "biografisches Potpourri", beklagt sich Küchemann, der sich eine klarere Struktur in diesem Genremix aus Reportage, Essay, Erinnerungen und Gedichten gewünscht hätte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2010

Die Vermischung der Welt
Ein Jahr politisch und persönlich ausloten: Nick Flynn scheitert am Ehrgeiz

Sein Vater hatte mit vierundzwanzig bereits die erste Bank ausgeraubt, seine Mutter nahm sich das Leben. Verständlich, dass sich Nick Flynn fragte, welcher Schicksalsschlag ihn an seinem Vierundzwanzigsten ereilen würde. Im Jahr 2004 war das, damals hatte der amerikanische Autor nach zwei Gedichtbänden sein erstes Prosawerk veröffentlicht, "Bullshit Nights". Das Buch erzählt, wie Flynn in seiner Zeit als Streetworker nach zwanzig Jahren den Vater wiedertrifft, der obdachlos geworden ist. Wie er ihm helfen will und sich zugleich vor ihm retten muss, in der Angst, das eigene prekäre Leben könnte dadurch vollends aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist ein eindrucksvoller Text, in seiner Schonungslosigkeit, in seinem poetischen Farb-, Klang- und Rhythmusspektrum.

2004, dieses neuralgische Jahr, spielt auch in Flynns neuem Buch eine zentrale Rolle: Der Autor muss entscheiden, mit welcher der beiden Geliebten er eine Familie gründen will. Und er muss den Schock der Folterfotos von Abu Ghraib verkraften, die zu jener Zeit in den Medien zirkulieren. Die Bilder betreffen Flynn als professionellen Schreiber: In den Büchern seiner Schriftstellerkollegen, die wie er eine PEN-Auszeichnung erhalten, finden sich Bekenntnisse zur Folter.

Sie berühren ihn als Amerikaner, dessen Land das irakische Gefängnis betreibt. Außerdem erzählte ihm sein Vater, er sei während der Haft in amerikanischen Gefängnissen misshandelt worden. Später wird ein Historiker bestätigen, dass die Vereinigten Staaten im eigenen Land Foltermethoden an Inhaftierten getestet haben. Nick Flynn hat Gedichte und Essays über die Folter geschrieben, er hatte 2007 Gelegenheit, in Istanbul einige der in Abu Ghraib gequälten Männer zu treffen und so nach den vielen rechtfertigenden und beschwichtigenden Erklärungen zu den Vorfällen aus diesem Gefängnis auch die Stimmen der Opfer zu hören. Er habe gehofft, erzählt Nick Flynn über die Arbeit an seinem neuen Buch, mit dem Thema Folter abschließen zu können, bevor seine Tochter im Januar 2008 geboren wird, und als das nicht möglich war, sei sie ein notwendiger Teil dieses Projekts geworden.

"Das Ticken ist die Bombe" ist also wieder ein Selbstvergewisserungsbuch geworden, eine umfassende Sammlung von Wahrnehmungsnotaten, Erinnerungen, Lektüreassoziationen, essayistischen Kleinigkeiten, Reportagepassagen und Gedichten. Das Textsortenensemble ist beeindruckend in seiner Radikalität, seiner Subjektivität, der Kühnheit, mit der die einzelnen Motive aufeinander bezogen werden, einander erhellen oder auch nur nebeneinanderstehen.

Doch wo den "Bullshit Nights" eine große Klammer dramaturgische Dringlichkeit gegeben hat, steht in "Das Ticken ist die Bombe", dem eintönigeren Werk, lediglich ein biographisches Potpourri. Natürlich ist es ein Buch über Folter, wie Nick Flynn selbst lakonisch resümiert. Aber es ist eben auch ein Buch über das Vaterwerden und das Sohnsein, über die Lebensangst und die Liebe, über die Beschämung und das Schreiben, dem, im Fall des vorliegenden Textes, Struktur und Stringenz fehlen.

Einmal, erzählt Nick Flynn in der Mitte des Buches, habe er die Kapitel von "Bullshit Nights" auf dem Fußboden ausgebreitet wie den Plan einer imaginären Stadt. "Nur so konnte ich ein Gefühl dafür bekommen, ob man sich in dem Buch zurechtfinden würde, ob der Stadtplan, den ich erstellte, einen Sinn ergab, ob man Lust hätte, an diesem Ort seine Zeit zu verbringen." Bei seinem neuen Buch, so scheint es, hat er sich diese Fragen leider nicht mehr gestellt.

FRIDTJOF KÜCHEMANN

Nick Flynn: "Das Ticken ist die Bombe".

Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Arche Literatur Verlag, Zürich, Hamburg 2009. 288 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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