Wenn es Abend wird in Shanghai ...
Wenn es Abend wird in Shanghai ...
... versammeln sich die Bewohner der Roten Gasse um die schwarze Wandtafel. Die hier vermerkten Errungenschaften der Partei interessieren sie wenig, sie sind gekommen, um über Konfuzius und die Welt zu plaudern. Da ist der Professor, der Krabben über alles liebt; der junge Stahlarbeiter, der mit einem Gedicht über Tofu zu hohen schriftstellerischen Würden gelangt ...
Spannender und vielgestaltiger als in diesen 23 Geschichten, die zwischen 1949 und 2008 spielen, kann ein halbes Jahrhundert chinesischer Alltag kaum erzählt werden.
Wenn es Abend wird in Shanghai ...
... versammeln sich die Bewohner der Roten Gasse um die schwarze Wandtafel. Die hier vermerkten Errungenschaften der Partei interessieren sie wenig, sie sind gekommen, um über Konfuzius und die Welt zu plaudern. Da ist der Professor, der Krabben über alles liebt; der junge Stahlarbeiter, der mit einem Gedicht über Tofu zu hohen schriftstellerischen Würden gelangt ...
Spannender und vielgestaltiger als in diesen 23 Geschichten, die zwischen 1949 und 2008 spielen, kann ein halbes Jahrhundert chinesischer Alltag kaum erzählt werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2010Gasse in Schanghai
Der 1953 in Schanghai geborene und seit 1988 in den Vereinigten Staaten lebende Qiu Xiaolong spürt in 23 Episoden seiner in den revolutionären Wirren verlorenen Jugend, aber auch der Nostalgie Alt-Schanghais nach. So wird Chinas Geschichte wie die Anfänge der Volksrepublik, die Bodenreform, die Kulturrevolution und die "sozialistische Marktwirtschaft" aus dem Mikrokosmos einer Gasse gelesen. Der Autor arbeitet mit Anspielungen auf klassische Romane und versteckten Analogien. So erinnert in "Als ich gezeugt wurde" das letzte Krebsbankett von auf die "schwarze Liste der neuen Gesellschaft" geratenen reichen Fabrikanten mit seinen gebrochenen Beinen und zerschmetterten Panzern an das Schlachtfeld, von dem sich die Nationalisten 1949 zurückzogen. Qiu kleidet den entfesselten Alltag, als die Gasse zum Ort der Agitation der Roten Garden wird, in auf indirekte Weise drastische Texte. Tragikomisch ist die Episode, in der ein "Rechtsabweichler" nach 21 Jahren Haft beim ersten Freigang mit dem Wort "Sonderangebot" und der schönen neuen Welt des Konsums im Jahr 1979 wenig anzufangen weiß. Die Anekdoten über Konfliktfelder wie Konfuzianismus, Kommunismus und Kapitalismus, die "neuen Reichen" und "neuen Armen" laufen im Spiel mit der Ironie der Geschichte auf eine Pointe zu: So kommt der Held in "Die Eiserne Reisschale", wie man die sozialistische Grundversorgung nannte, mit der Privatisierung auf die Geschäftsidee, Reisschalen aus Edelstahl zu produzieren. In der Weltsicht der Gasse, die "in einem Sandkorn die Welt" zu lesen vermag, erscheinen die Ismen und Ideologien austauschbar. (Qiu Xiaolong: "Das Tor zur Roten Gasse". Erzählungen. Aus dem Englischen von Susanne Hornfeck und Sonja Hauser. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 224 S., br., 9,95 [Euro].) sg
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Der 1953 in Schanghai geborene und seit 1988 in den Vereinigten Staaten lebende Qiu Xiaolong spürt in 23 Episoden seiner in den revolutionären Wirren verlorenen Jugend, aber auch der Nostalgie Alt-Schanghais nach. So wird Chinas Geschichte wie die Anfänge der Volksrepublik, die Bodenreform, die Kulturrevolution und die "sozialistische Marktwirtschaft" aus dem Mikrokosmos einer Gasse gelesen. Der Autor arbeitet mit Anspielungen auf klassische Romane und versteckten Analogien. So erinnert in "Als ich gezeugt wurde" das letzte Krebsbankett von auf die "schwarze Liste der neuen Gesellschaft" geratenen reichen Fabrikanten mit seinen gebrochenen Beinen und zerschmetterten Panzern an das Schlachtfeld, von dem sich die Nationalisten 1949 zurückzogen. Qiu kleidet den entfesselten Alltag, als die Gasse zum Ort der Agitation der Roten Garden wird, in auf indirekte Weise drastische Texte. Tragikomisch ist die Episode, in der ein "Rechtsabweichler" nach 21 Jahren Haft beim ersten Freigang mit dem Wort "Sonderangebot" und der schönen neuen Welt des Konsums im Jahr 1979 wenig anzufangen weiß. Die Anekdoten über Konfliktfelder wie Konfuzianismus, Kommunismus und Kapitalismus, die "neuen Reichen" und "neuen Armen" laufen im Spiel mit der Ironie der Geschichte auf eine Pointe zu: So kommt der Held in "Die Eiserne Reisschale", wie man die sozialistische Grundversorgung nannte, mit der Privatisierung auf die Geschäftsidee, Reisschalen aus Edelstahl zu produzieren. In der Weltsicht der Gasse, die "in einem Sandkorn die Welt" zu lesen vermag, erscheinen die Ismen und Ideologien austauschbar. (Qiu Xiaolong: "Das Tor zur Roten Gasse". Erzählungen. Aus dem Englischen von Susanne Hornfeck und Sonja Hauser. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 224 S., br., 9,95 [Euro].) sg
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