In diesem Roman zeigt Wolfgang Koeppen am Schicksal eines Einzelnen, des Oppositions-Abgeordneten Keetenheuve, die Anonymität politischer Mechanismen: das »Treibhaus«-Klima von Wahlkampf, Diplomatie und Parteiopportunismus, politische Praxis als Selbstzweck, als Geschäft. Wer sich nicht anpasst, scheitert.
Das Treibhaus gehört zu den drei Romanen Koeppens (Tauben im Gras, 1951; Das Treibhaus, 1953; Der Tod in Rom, 1954), die als erste kritische Bestandsaufnahme der Bundesrepublik zu den wichtigsten Dokumenten der deutschen Nachkriegsliteratur gehören.
Das Treibhaus gehört zu den drei Romanen Koeppens (Tauben im Gras, 1951; Das Treibhaus, 1953; Der Tod in Rom, 1954), die als erste kritische Bestandsaufnahme der Bundesrepublik zu den wichtigsten Dokumenten der deutschen Nachkriegsliteratur gehören.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.05.2009DAS HÖRBUCH
Frei Flattern im Nichts
Wolfgang Koeppens „Trilogie des Scheiterns” als Hörspiel
„Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer”, heißt es am Beginn des Romans „Tauben im Gras” aus dem Jahr 1951. „ Die Auguren lächelten. Niemand blickte zum Himmel auf.” Aufbruch und Neubeginn klingen anders. Da muss es dem vorwitzigen Spätgeborenen scheinen, als hätte Wolfgang Koeppen sich gründlich geirrt, als hätte er seine drei großen Nachkriegsromane Ängsten abgetrotzt, die von heute ausgesehen seltsam irreal wirken. Was er fürchtete, trat nicht ein. Zu einer Militarisierung der bundesdeutschen Gesellschaft ist es so wenig gekommen wie zu einem neuen Krieg; das braune Gesindel bleibt ohne politische Kraft; dem Gedenken an die NS-Opfer wie einer durchgreifenden Zivilisierung des Alltags hat sich das Land seit Jahrzehnten erfolgreich verschrieben. Nun gut, mag man einwenden, die Gefahr sei dagewesen, als die junge Republik die alten Nazi-Eliten großzügig integrierte und zur Wiederbewaffnung schritt. Und wer wisse schon, wie es ohne die kritischen Stimmen ausgegangen sei.
Mit der einen wie mit der anderen Ansicht kann der Leser sich zurücklehnen, beruhigt im „Treibhaus” oder dem „Tod in Rom” blättern und sich freuen, dass wir es weit gebracht haben. Jubiläumsstimmung. Als Geburtstagsgeschenke lassen sich auch die drei Hörspiele nach Wolfgang Koeppens Romanen verstehen. Sie setzen zum Glück auf Formsinn statt auf Gesinnung. Wer sich ihrem Sog hingibt, aufmerksam lauscht, der merkt rasch, dass er es nicht mit Tendenzliteratur zu tun hat. Von hier geht kein Appell zur Änderung der Welt aus. Die Frage lautet nicht „Wohin treibt die Bundesrepublik?”, sondern „Wie treibt sie?”. Das Gesellschaftskritische ist bei Koeppen ein künstlerisches Verfahren unter anderen. Es ging ihm um „das Gültige”, „die Essenz des Daseins, das Klima der Zeit, die Temperatur des Tages”.
Danach sucht er in jedem der drei zwischen 1951 und 1954 erschienenen Romane. Um es zu finden, entwirft er hochartifizielle Welten. Manches spricht dafür, München als Schauplatz von „Tauben im Gras” zu identifizieren. Aber Koeppen hatte seine Gründe, der Stadt keinen Namen zu geben. Allgemeines sollte gezeigt, aus Sprache ein Universum erschaffen werden, der Redestrom sollte Figuren erstehen lassen. Das ist für jede Hörspielfassung, die notwendig kürzen muss, ein Risiko. Leonhard Koppelmann und Wolfgang Adler haben es mit großem Geschick auf sich genommen, behutsam inszeniert und Schauspieler gefunden, die in der Lage sind, allein mit ihrer Stimme Gegenwärtigkeit zu erzeugen.
„Tauben im Gras” hat keine durchgehende Handlung, führt in kurzen Episoden, aus verschiedenen Perspektiven erzählt, menschliche Verhaltensweisen vor. Die Hörfassung konzentriert sich ganz auf das Geschehen zwischen Besatzungssoldaten und Besetzten, auf die Geschäfte, die Liebeleien, den alltäglichen Rassismus, auf Missgunst, Mangel, Illusionen. Während derart zugespitzt, die Zahl der Figuren vermindert wurde, hat man – was wunderbar funktioniert – die Erzählerstimmen vervielfacht.
Die Flucht in den kurzen Prozess
Gerade in diesem Roman schreibt Koeppen ein sehr schönes, wortreiches, musikalisches Deutsch – und doch liegt über allem eine Atmosphäre des Unausgesprochenen, Verdrucksten, des Nicht-Zu-Wort-Kommens. Nicht nur der Schriftsteller Philipp leidet unter Ausdrucksnot. Den Figuren scheint selbst der Zugang zum eigenen Ich auf vielerlei Art verstellt. Zum diesem freudlosen, lieblosen Leben gehört Gewaltbereitschaft, die Flucht in den kurzen Prozess.
Ohne Ausweg ist auch das Schicksal des Bundestagsabgeordneten Keetenheuve im „Treibhaus” der kleinen Bundeshauptstadt. Hüten sollte man sich, die Geschichte als Schlüsselroman zu verstehen. Im Wechselspiel der Stimmen des Erzählers – Axel Milberg – und des Abgeordneten – Rüdiger Vogler – wird Ohnmacht zur Erfahrung. Satire und Kritik sind eher Teil des Problems als Wege zum Handeln und Wirken. Der gegen die Wiederbewaffnung streitende Abgeordnete – Dilettant in der Liebe, beim Baudelaire-Übersetzen wie in der Politik – ist kein Sympathieträger. Seine Melancholie wie seine Geilheit sind Teil der Adenauer-Zeit, nicht deren Widerpart. Gerade die Selbstmordszene am Schluss geizt nicht mit Kitsch und Kolportage. Koeppen will zeigen, nicht belehren. Er erzählt mit den Figuren.
Das ist im letzten der drei Romane anders. „Der Tod in Rom”, eine Wiederaufnahme Thomas Mannscher Motive, wirkt in vielem überzeichnet, überladen von Nazi-Trash und fahler Symbolik. Täter, Opfer und Kinder des Dritten Reiches treffen in Rom aufeinander. Dank der grandiosen Sprecher wirkt das Hörspiel überzeugender als der Roman. Thomas Thieme nimmt dem SS-Mann Judejahn das Satyrspielhafte, als fanatisch Getriebener wird der Mann plausibel. Dessen Sohn, Adolf, gewinnt durch Markus Meyer berührende Naivität. So triumphiert auch in der operettenhaften Geschichte ein Grundmotiv der drei ästhetisch waghalsigen Romane: Erlösungsbedürftigkeit. JENS BISKY
WOLFGANG KOEPPEN: Tauben im Gras. Das Treibhaus. Der Tod in Rom. Hörspielbearbeitung und Regie: Leonhard Koppelmann, Walter Adler. Sprecher: Ulrich Noethen, Axel Milberg, Thomas Thieme, Irm Hermann u.v.a. Der Hörverlag, München 2009. 6 CD, ca. 425 Minuten, 29,95 Euro.
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Frei Flattern im Nichts
Wolfgang Koeppens „Trilogie des Scheiterns” als Hörspiel
„Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer”, heißt es am Beginn des Romans „Tauben im Gras” aus dem Jahr 1951. „ Die Auguren lächelten. Niemand blickte zum Himmel auf.” Aufbruch und Neubeginn klingen anders. Da muss es dem vorwitzigen Spätgeborenen scheinen, als hätte Wolfgang Koeppen sich gründlich geirrt, als hätte er seine drei großen Nachkriegsromane Ängsten abgetrotzt, die von heute ausgesehen seltsam irreal wirken. Was er fürchtete, trat nicht ein. Zu einer Militarisierung der bundesdeutschen Gesellschaft ist es so wenig gekommen wie zu einem neuen Krieg; das braune Gesindel bleibt ohne politische Kraft; dem Gedenken an die NS-Opfer wie einer durchgreifenden Zivilisierung des Alltags hat sich das Land seit Jahrzehnten erfolgreich verschrieben. Nun gut, mag man einwenden, die Gefahr sei dagewesen, als die junge Republik die alten Nazi-Eliten großzügig integrierte und zur Wiederbewaffnung schritt. Und wer wisse schon, wie es ohne die kritischen Stimmen ausgegangen sei.
Mit der einen wie mit der anderen Ansicht kann der Leser sich zurücklehnen, beruhigt im „Treibhaus” oder dem „Tod in Rom” blättern und sich freuen, dass wir es weit gebracht haben. Jubiläumsstimmung. Als Geburtstagsgeschenke lassen sich auch die drei Hörspiele nach Wolfgang Koeppens Romanen verstehen. Sie setzen zum Glück auf Formsinn statt auf Gesinnung. Wer sich ihrem Sog hingibt, aufmerksam lauscht, der merkt rasch, dass er es nicht mit Tendenzliteratur zu tun hat. Von hier geht kein Appell zur Änderung der Welt aus. Die Frage lautet nicht „Wohin treibt die Bundesrepublik?”, sondern „Wie treibt sie?”. Das Gesellschaftskritische ist bei Koeppen ein künstlerisches Verfahren unter anderen. Es ging ihm um „das Gültige”, „die Essenz des Daseins, das Klima der Zeit, die Temperatur des Tages”.
Danach sucht er in jedem der drei zwischen 1951 und 1954 erschienenen Romane. Um es zu finden, entwirft er hochartifizielle Welten. Manches spricht dafür, München als Schauplatz von „Tauben im Gras” zu identifizieren. Aber Koeppen hatte seine Gründe, der Stadt keinen Namen zu geben. Allgemeines sollte gezeigt, aus Sprache ein Universum erschaffen werden, der Redestrom sollte Figuren erstehen lassen. Das ist für jede Hörspielfassung, die notwendig kürzen muss, ein Risiko. Leonhard Koppelmann und Wolfgang Adler haben es mit großem Geschick auf sich genommen, behutsam inszeniert und Schauspieler gefunden, die in der Lage sind, allein mit ihrer Stimme Gegenwärtigkeit zu erzeugen.
„Tauben im Gras” hat keine durchgehende Handlung, führt in kurzen Episoden, aus verschiedenen Perspektiven erzählt, menschliche Verhaltensweisen vor. Die Hörfassung konzentriert sich ganz auf das Geschehen zwischen Besatzungssoldaten und Besetzten, auf die Geschäfte, die Liebeleien, den alltäglichen Rassismus, auf Missgunst, Mangel, Illusionen. Während derart zugespitzt, die Zahl der Figuren vermindert wurde, hat man – was wunderbar funktioniert – die Erzählerstimmen vervielfacht.
Die Flucht in den kurzen Prozess
Gerade in diesem Roman schreibt Koeppen ein sehr schönes, wortreiches, musikalisches Deutsch – und doch liegt über allem eine Atmosphäre des Unausgesprochenen, Verdrucksten, des Nicht-Zu-Wort-Kommens. Nicht nur der Schriftsteller Philipp leidet unter Ausdrucksnot. Den Figuren scheint selbst der Zugang zum eigenen Ich auf vielerlei Art verstellt. Zum diesem freudlosen, lieblosen Leben gehört Gewaltbereitschaft, die Flucht in den kurzen Prozess.
Ohne Ausweg ist auch das Schicksal des Bundestagsabgeordneten Keetenheuve im „Treibhaus” der kleinen Bundeshauptstadt. Hüten sollte man sich, die Geschichte als Schlüsselroman zu verstehen. Im Wechselspiel der Stimmen des Erzählers – Axel Milberg – und des Abgeordneten – Rüdiger Vogler – wird Ohnmacht zur Erfahrung. Satire und Kritik sind eher Teil des Problems als Wege zum Handeln und Wirken. Der gegen die Wiederbewaffnung streitende Abgeordnete – Dilettant in der Liebe, beim Baudelaire-Übersetzen wie in der Politik – ist kein Sympathieträger. Seine Melancholie wie seine Geilheit sind Teil der Adenauer-Zeit, nicht deren Widerpart. Gerade die Selbstmordszene am Schluss geizt nicht mit Kitsch und Kolportage. Koeppen will zeigen, nicht belehren. Er erzählt mit den Figuren.
Das ist im letzten der drei Romane anders. „Der Tod in Rom”, eine Wiederaufnahme Thomas Mannscher Motive, wirkt in vielem überzeichnet, überladen von Nazi-Trash und fahler Symbolik. Täter, Opfer und Kinder des Dritten Reiches treffen in Rom aufeinander. Dank der grandiosen Sprecher wirkt das Hörspiel überzeugender als der Roman. Thomas Thieme nimmt dem SS-Mann Judejahn das Satyrspielhafte, als fanatisch Getriebener wird der Mann plausibel. Dessen Sohn, Adolf, gewinnt durch Markus Meyer berührende Naivität. So triumphiert auch in der operettenhaften Geschichte ein Grundmotiv der drei ästhetisch waghalsigen Romane: Erlösungsbedürftigkeit. JENS BISKY
WOLFGANG KOEPPEN: Tauben im Gras. Das Treibhaus. Der Tod in Rom. Hörspielbearbeitung und Regie: Leonhard Koppelmann, Walter Adler. Sprecher: Ulrich Noethen, Axel Milberg, Thomas Thieme, Irm Hermann u.v.a. Der Hörverlag, München 2009. 6 CD, ca. 425 Minuten, 29,95 Euro.
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