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  • Buch

Produktdetails
  • Verlag: Olzog
  • ISBN-13: 9783789282652
  • ISBN-10: 3789282650
  • Artikelnr.: 24793757
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2009

Adolf der Vertragstreue
Gerd Schultze-Rhonhofs trüber Blick auf das Münchener Abkommen von 1938

In der im Oktober 1918 ausgerufenen tschechoslowakischen Republik fand das Vielvölkergebilde der Habsburgermonarchie seinen adäquaten Nachfolger. Sie umfasste die Industrieregionen Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien sowie die rückständigen Gebiete der Slowakei und der Karpatho-Ukraine. Das bei der Pariser Friedenskonferenz ein Jahr später offiziell aus der Taufe gehobene Staatsgebilde war damit genau das, was die Siegermächte des Ersten Weltkriegs nach der Maxime des Selbstbestimmungsrechts hatten vermeiden wollen. Es war ein bunt zusammengestückelter Nationalitätenstaat.

Von seinen rund 14 Millionen Einwohnern waren 6,7 Millionen Tschechen, denen eine Mehrheit von Minderheiten gegenüberstand: 2 Millionen Slowaken, 734000 Ungarn, 75000 Polen, 453000 Ruthenen, 180000 Juden und vor allem mehr als 3,1 Millionen Sudetendeutsche. Diese sprachen sich 1919 für die Angliederung an Deutschösterreich aus, das sich seinerseits zum "Bestandteil der deutschen Republik" erklärt hatte. Die Demonstrationen der Sudetendeutschen wurden im März 1919 von tschechischen Truppen gewaltsam aufgelöst und zusammengeschossen.

Seitdem herrschte ein scharfer Gegensatz zwischen den in einem zusammenhängenden Siedlungsgebiet wohnenden und eine kompakte Volksgruppe bildenden Sudetendeutschen und Prag. Die Konfrontation wurde unter dem Gründungspräsidenten Thomas Masaryk und dessen Außenminister und Nachfolger Edvard Benes weiter angeheizt. Dafür sorgten die im Februar 1920 von einer provisorischen Nationalversammlung verabschiedete zentralistische Gesamtstaatsverfassung, die Errichtung sogenannter "Tschechenschulen" in den Minderheitengebieten, ausgedehnte Landenteignungen zu Lasten der Sudetendeutschen und Ungarn sowie die Ansiedlung von Tschechen und Slowaken in den Grenzregionen. Grundlage hierfür war die außenpolitische Absicherung des Staates durch potente Schutzmächte.

Seit 1924 war die Tschechoslowakei Mitglied der "kleinen Entente" und damit in das antideutsche französische Paktsystem einbezogen; und seit 1935 war sie in einer Defensivallianz mit der Sowjetunion verbündet. Da die Tschechoslowakei geographisch weit in deutsches Gebiet hineinragte, bedeutete dies, dass sie für Luftangriffe von eminenter strategischer Bedeutung war. Herbert Hoover, der spätere Präsident und Mitglied der amerikanischen Verhandlungsdelegation in Versailles, brachte dies sowie das Bestreben Frankreichs, so viele Deutsche wie nur möglich zur Tschechoslowakei zu schlagen, um einen Keil zwischen Berlin und Prag zu treiben, auf die einprägsame Formel: "Sie machten aus dieser Nation einen Dolch, der auf die deutsche Flanke gerichtet war."

Die Bühne für das deutsch-tschechische Drama, das den Staat binnen zwei Jahrzehnten von der Landkarte tilgte, war bereitet. Gerd Schultze-Rhonhof, ein pensionierter Generalmajor der Bundeswehr, dessen Buch zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs ("1939 - Der Krieg, der viele Väter hatte") harsche Kritik erntete, versucht sich hier auf einem neuen Feld. In drei einführenden, die historischen Tatsachen reflektierenden Kapiteln tastet er sich an den eigentlichen Gegenstand seiner Untersuchung heran: die Jahre vor der Münchener Konferenz, als die Integration der Sudetendeutschen gescheitert war und Hitler den Staat mit ihrer Hilfe aufsprengen wollte.

Ein erster Abschnitt stellt die ethnischen und territorialen Grundlagen der Tschechoslowakei vor; ein zweiter ist den revolutionären Entstehungsbedingungen des Staates bis 1920 gewidmet; ein dritter den systemerhaltenden Maßnahmen der zwanziger Jahre, die in der Summe auf eine "Tschechisierung" des neuen Gebildes hinausliefen: dem "Gesetz zum Schutz der Republik", das Autonomie und Föderalismus hemmte; dem "Verwaltungsabbaugesetz", mit dem bis 1935 rund 60000 Sudetendeutsche aus dem Staatsdienst entfernt wurden, und dem "Sprachendurchführungsgesetz", das von Bewerbern für den Staatsdienst verlangte, "der Staatssprache vollkommen kundig" zu sein.

Problematisch wird die Darstellung, sobald Schultze-Rhonhof Vorgeschichte und Folgen der Münchener Konferenz vom September 1938 in den Blick nimmt. Zum einen blendet er die gesamte intensive Forschung zu diesem Komplex aus und stützt sich auf höchst zweifelhafte Literatur, subjektiv gefärbte Memoirenwerke und nationalsozialistische Dokumentensammlungen. Dieser Drall ins Zwielicht des Revisionismus kann auch dadurch nicht abgemildert werden, dass er gelegentlich offizielle Aktenpublikationen heranzieht.

Zum anderen ist das Buch, dem ohne Zweifel das Verdienst zukommt, das Integrationsdefizit der Tschechoslowakei bündig herauszuarbeiten, durchsetzt mit unhaltbaren Passagen und Urteilen. Dazu gehört die Gleichsetzung des Versailler Friedens mit dem Abkommen von München; die angebliche Konversion Konrad Henleins, des Führers der Sudetendeutschen Partei, vom loyalen Autonomisten zum Gefolgsmann Hitlers, der sich nur widerwillig als Sprengmeister andiente; sowie der Vorwurf einer angeblichen Dokumentenfälschung durch die Alliierten im Umfeld des Nürnberger Prozesses, um zu beweisen, dass man in Berlin schon Anfang 1937 auf einen Anschluss des Sudetenlandes zielte.

Vor allem aber bedient Schultze-Rhonhof Klischees, die von rechtsradikaler Seite hochgehalten werden: der "Lebensraum", den Hitler anstrebte, sei ausschließlich auf Österreich, Böhmen und Mähren beschränkt gewesen; die britische Aufrüstung sei ein Bruch des zwischen Premierminister Neville Chamberlain und Adolf Hitler geschlossenen Kriegsverzichts- und Konsultationspaktes vom 30. September 1938; und die im Münchener Abkommen übernommene Grenzgarantie des amputierten Staates sei von Hitler bei seinem "Griff nach Prag" im März 1939 nicht verletzt worden. Ein Blick in die ernst zunehmende Forschungsliteratur, von den Akten im Public Record Office und am Quai d'Orsay ganz zu schweigen, hätte den Autor eines Besseren belehren müssen.

RAINER F. SCHMIDT

Gerd Schultze-Rhonhof: Das tschechisch-deutsche Drama 1918-1939. Errichtung und Zusammenbruch eines Vielvölkerstaates als Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg. Olzog Verlag, München 2008. 409 S., 34,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kritisch geht Rainer F. Schmidt mit Gerd Schultze-Rhonhofs Buch "Das tschechisch-deutsche Drama 1918-1939" ins Gericht, das aus eher unerfindlichen Gründen seinen Platz auf den Sachbuch-Seiten der FAZ gefunden hat. Die Darstellung der ethnischen und territorialen Grundlagen der Tschechoslowakei, der revolutionären Entstehungsbedingungen des Staates bis 1920, der "Tschechisierung" des Gebiets und des Integrationsdefizit der Tschechoslowakei gehen für den Rezensenten dabei halbwegs in Ordnung. "Problematisch" aber findet er das Buch, wenn es um die Vorgeschichte und Folgen der Münchener Konferenz vom September 1938 geht. Schmidt hält dem Autor vor, die seriöse Forschung zu diesem Thema zu ignorieren und sich stattdessen auf höchst "zweifelhafte Literatur" zu stützen. Auch kommt er nicht umhin, ihm einen "Drall ins Zwielicht des Revisionismus" sowie zahlreiche "unhaltbare" Urteile anzukreiden. Außerdem bedient das Buch nach seiner Einschätzung Klischees, "die von rechtsradikaler Seite hochgehalten werden".

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