In seinem neuen Buch widmet sich François Jullien einem alten philosophischen Problem. Abseits der sinnlichen Oberfläche der Dinge verortete Kant das für die menschliche Anschauung unfassbare Ding an sich. Jullien nähert sich diesem Problem mit literarischen Mitteln - und über den Umweg der chinesischen Philosophie. Das Wesen der Dinge ist keineswegs in einer abstrakten Hinterwelt jenseits des Sinnlichen zu verorten. Es bedarf zwar einer minima metaphysica, aber diese Metaphysik muss eine diesseitige sein. Kern dieser Disziplin ist der Begriff des Unerhörten. Um die Dinge aus der Starre zu befreien, in die sie unsere Gewohnheit versetzt hat, müssen wir das Nichtintegrierbare aufspüren, jenen schwindelerregenden Rest, um den sich unsere Existenz insgeheim dreht - weil er das ist, was sie aus den Fugen geraten lässt. Nur im Zusammenspiel von Begriff, Metapher und individueller Imagination ist eine Annäherung an das Unerhörte möglich, das zwar nie in seiner Totalität fassbar ist, aber dennoch den Boden jeglicher Erkenntnis bereitet.