Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 4,00 €
  • Broschiertes Buch

Mit steter Regelmäßigkeit wird die Psychoanalyse für tot, antiquiert, unwissenschaftlich oder viel zu teuer erklärt. Für ihre Kritiker mag es so scheinen, als ob sich seit Freuds mittleren Jahren tatsächlich nichts mehr getan hätte und alle heutigen Psychoanalytiker lediglich mit der Exegese von Freuds Werken beschäftigt wären. Daß dies mitnichten der Fall ist und Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen sich mit zahlreichen aktuellen gesellschaftlichen wie klinischen Phänomenen auseinandersetzen, und dabei - wie es sich für Wissenschaft gehört - im Streit miteinander um bessere Erklärungen…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Mit steter Regelmäßigkeit wird die Psychoanalyse für tot, antiquiert, unwissenschaftlich oder viel zu teuer erklärt. Für ihre Kritiker mag es so scheinen, als ob sich seit Freuds mittleren Jahren tatsächlich nichts mehr getan hätte und alle heutigen Psychoanalytiker lediglich mit der Exegese von Freuds Werken beschäftigt wären. Daß dies mitnichten der Fall ist und Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen sich mit zahlreichen aktuellen gesellschaftlichen wie klinischen Phänomenen auseinandersetzen, und dabei - wie es sich für Wissenschaft gehört - im Streit miteinander um bessere Erklärungen für die untersuchten Probleme ringen, will dieses Buch in kurzen - aber nicht verkürzten - Darstellungen demonstrieren.In diesem Sinn greift Micha Hilgers aktuelle psychoanalytische Themen und Fragestellungen mit gesellschaftspolitischem Bezug auf, die er in allgemeinverständlicher Form erläutert: die Dynamik von Jugendgewalt und Rechtsradikalismus, Psychotherapie von Kindern und von alten Menschen, zwanghafter Drogenkonsum, psychische Probleme und Chancen bei Migration, die Fähigkeit, sich zu verlieben, der Umgang mit Zeit und Muße, Möglichkeiten und Grenzen der Therapie Pädophiler und die Motive ihres Handelns, Gewaltkriminalität, die kriegerische Dynamik despotischer Regime und andere Themen.Die Artikel basieren auf einer Serie der Frankfurter Rundschau und sind in journalistischem Stil gehalten, um dem Leser den Einblick in moderne Psychoanalyse kurzweilig zu gestalten.
Autorenporträt
Hilgers, Micha
Studium der Psychologie, des Niederländischen und der Politischen Wissenschaften in Amsterdam und Marburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2000

Lesetipp zum Wochenende
Ungeheures
Hilgers’ Lob der Psychoanalyse
Freud-Bashing ist eine Kampfsportart. Man zieht ein paar Ungereimtheiten der frühen Psychoanalyse heran und bindet sie mit einigen Widersprüchen aus dem Leben ihres Gründers zusammen – schon hat man eine Schlagwaffe gegen die heutige psychoanalytische Praxis. Jeder halbwegs selbstbewusste Rationalismus schmückt sich mit einem Ressentiment gegen Freud & Co. Und er kann kaum verbergen, dass ihn besonders der Zweifel am autonomen, alles vermögenden Vernunftsubjekt dabei ärgert.
So muss in unregelmäßigen Abständen ein Psychoanalytiker aufstehen und sein Erbe verteidigen. Der eine tut es, indem er die Vorzüge psychoanalytischer Kulturtheorie rühmt, der andere, indem er demonstriert, wie zeitgemäß diese Lehre ist. Micha Hilgers, 46, Analytiker und Publizist aus Aachen, hat sich für Letzteres entschieden. Seiner fast polemikfreien, leicht lesbaren Streitschrift „Das Ungeheure in der Kultur” ist es gut bekommen, dass sie ursprünglich als Zeitungsserie entworfen wurde.
In zwölf Kapiteln zeigt Hilgers, auf welchen gesellschaftlichen Problemfeldern die Psychoanalyse sich fortgesetzt als nützlich erweist. In ihrer Begrifflichkeit und Perspektive diskutiert er Kriegs- und Friedenspolitik, Drogenkonsum, Migrationsprobleme, Fremdenfeindlichkeit und Pädophilie ebenso wie das fernsehgeleitete Kinderspiel, das in blutige Realität umschlagen kann. Auch die Liebe mit ihren Bindungsfallen wird zum Thema. Nicht minder die Frage nach neuer „Zeitstrukturierung”; hier skizziert der Autor, wie die „sozialökologische Wende” – hin zu Langsamkeit, Muße – auch innerpsychisch gelingen könnte. Viel gibt es zu tun für Psychoanalytiker, die mehr als nur eine „sprechende Attrappe” sein wollen, wie Hilgers mit einem Wort seines Kollegen Tilmann Moser sagt. „Die Aufgaben gestalten sich bunt: gewalttätige und rechte Jugendliche, Beratung und Fortbildung von Polizei, Feuerwehr oder Richtern, Coaching von Managern und Umweltschützern, sowie Beratung in sozialen Brennpunkten mit multikulturellen Konflikten. ”
In der Hilgersschen Form ist die Psychoanalyse weitaus heutiger als sämtliche Vorurteile gegen sie. Sie hängt nicht mehr dem Freudschen Triebmodell aus den zwanziger Jahren an und kommt ohne Biologismus aus. Einige nachfreudianische Revisionen wurden ihr eingefügt, etwa Melanie Kleins Begriff der „projektiven Identifikation”. Damit ist klar: Vorrang haben immer die alltäglichen Sozialbeziehungen. Die Psychoanalyse soll außerdem nicht vergessen, dass sie neben einem individualtherapeutischen Instrumentarium auch über ein gesellschaftskritisches Vokabular verfügt.
Der Buchtitel spielt auf einen Klassiker von Freud an – „Das Unbehagen in der Kultur” von 1930. Mit dem Begriff des Ungeheuren weist Hilgers auf jenen Anteil des Irrationalen, Destruktiven und Angsterzeugenden hin, der bisher noch jede Kultur unterschwellig mitbeherrscht hat. Auf jenen unberechenbaren Rest also, der den Anhängern der Plan- und Machbarkeit ein Dorn im Auge ist. Ihn zu erkennen, über ihn aufzuklären, braucht Zeit – mehr als eine andauernd beschleunigende Welt zu besitzen glaubt, weshalb ihr die Psychoanalyse auch zu ineffizient und teuer erscheint.
Anders als die Systemtheorie, die längst auch in die Humanwissenschaften eingedrungen ist, hält die Psychoanalyse ganz unpathetisch dem Menschen die Treue: seiner Ganzheit, seiner Unvollkommenheit, seiner imaginären Innenwelt. Wenn sie schon vielen missliebig geworden ist, sollte sie sich zu dieser Missliebigkeit mit Lust bekennen und ein vergnügter Stachel im Fleisch des falschen Fortschritts sein.
Doch nicht die Analyse von Fehlleistungen oder die Traumdeutung scheint heute das Pfund, mit dem sie wuchern kann: Ihre „Hauptaussage” ist vielmehr, wie Hilgers richtig erkennt, die gern vergessene Tatsache, „dass individuelles und gesellschaftliches Leben durch unbewusste Konflikte geprägt ist – und damit unbewusste Be-Deutung besitzt, die durch Deutung bewusst werden kann. ”
KURT OESTERLE
MICHA HILGERS: Das Ungeheure in der Kultur. Psychoanalytische Aufschlüsse zum Alltagsleben. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999. 109 Seiten, 29 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr