Hinter der Gender-Debatte steht die Überzeugung: In der Moderne inszeniert sich der Mann als rationales Alphatier, die Frau gilt als seine andere: als emotional und minderwertig. Diesen Mythos dekonstruiert Christoph Kucklick mit einem systemtheoretischen close reading kanonischer Texte zum Geschlechterverhältnis aus der Zeit um 1800. Er bringt eine ganz andere Redeordnung ans Licht: die negative Andrologie, in der der Mann als abschreckendes Produkt der Modernisierung erscheint: als gewalttätig, unmoralisch und triebgesteuert. Sogar Fichtes Deduktion der Ehe - bislang gelesen als Manifest des Machismo - kann so neu verstanden werden: als Anleitung zur Zivilisierung der »bösen Männer«.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2008Jenseits der Lustreisenmentalität
Sind so arme Kerle, mit negativen Botschaften überversorgt: Neues und Altbekanntes aus der Männerdämmerung
Sind „die Männer” derzeit wirklich in der Krise? Wozu brauchen wir all die Diagnosen vom Identitätsverlust „des Mannes”? Sicher: Jungen sind in der Schule schlechter als Mädchen. Ja: Es gibt angsteinflößende und geschmacklose männerhasserische Pamphlete. Stimmt: die Lebenserwartung von Männern ist statistisch geringer als diejenige von Frauen. Und natürlich: Die Berufstätigkeit der eigenen Frau verlangt ein Nachbessern an der liebgewonnenen Rolle des heroischen Ernährers. Doch genau besehen kann man diese verschiedenen gesellschaftlichen Phänomene und Krisensymptome nur mit einiger Phantasie in der einen Männerdämmerungsinszenierung zusammenbringen.
Dass vorschnell Heterogenes miteinander in Verbindung gebracht wird, ist das große Problem des Männerkrisendiskurses. Damit entsteht nämlich leicht eine latent verschwörungstheoretische Stimmungslage. Das ist auch bei Walter Hollsteins Buch „Was vom Manne übrig blieb” der Fall. Hollstein ist, wie viele Publikationen belegen, Experte für diese Fragen und Gutachter des Europarats für Männer und Geschlechterfragen.
In seinem statistikreichen Buch tritt er geradezu als ein Lobbyist des umfassenden Männlichkeitsschutzes auf und formuliert seine Thesen entsprechend deutlich. Etwa: Junge Männer sind eine gefährdete Spezies, sie driften automatisch in eine kulturelle Orientierungslosigkeit, sind durchweg die Verlierer des Bildungssystems. Sogar Witze darf man ungestraft über sie erzählen!
Und gleichzeitig werde diese fatale Entwicklung weitgehend ignoriert: Positive Antworten auf das, was „männlich” ist, fehlen ihm in Öffentlichkeit und Politik: „Stattdessen werden Jungen und Männer mit negativen Botschaften zuhauf versorgt, und ihre Glaubenssätze von Stärke, Bedeutung und Vitalität werden brutal entmythologisiert.”
So geht’s in unserem Lande also zu. Doch auch wenn es richtig ist, dass einige junge Männer sehr gewalttätig werden können und sich vor lauter Versagensängsten in den Armen chauvinistischer Nationalismen trösten lassen – hat das wirklich etwas mit der „Krise des Mannes” zu tun?
Hier liegen doch in erster Linie soziale, ausbildungstechnische und berufliche Probleme vor. Der Verlust von konkreten Perspektiven, das Gefühl von Nutzlosigkeit und Überflüssigkeit sind die Gründe von ernstzunehmenden Identitätskrisen. Das hat sicher Auswirkungen auf das Mannseinkönnen. Doch ist dies ein Symptom unter anderen einer weiterreichenden sozialen Krise und nicht deren Ursache. Wenn man hier nicht klar unterscheidet, dann wird schnell suggeriert, zwischen der wachsenden Zahl von Frauen in Führungspositionen und aggressiven jungen Männern gebe es einen irgendwie kausalen Zusammenhang. Jede Generation hat mit sozialen Umbrüchen zu tun und muss ihr Wertesystem gegenüber der vorigen neu justieren. Und wenn man dann über den Verlust „männlicher Tugenden” redet, so bleiben Verantwortungsbewusstsein, Zivilcourage, Standfestigkeit, Aufrichtigkeit Haltungen, an denen sich auch der heutige Mann prima orientieren kann.
Wenn man demgegenüber die kümmerliche Lustreisenmentalität mancher Vorstandsmitglieder gewisser Konzerne abgeschmackt findet, dann mag sich immer noch jemand in seinem Selbstverständnis als Mann getroffen fühlen. Mitleidseinforderungen würde man zu Recht als Larmoyanz bezeichnen.
Als eine Antwort auf die düstere These, dass Männlichkeit heute nur noch negativ bewertet werde, liest sich „Das unmoralische Geschlecht” von Christoph Kucklicks sehr erfrischend. Kucklick zeigt in seiner Doktorarbeit über den Geschlechterdiskurs um 1800, dass auch dieses Thema ein alter Hut ist: Der Mann ist schon damals nicht nur der strahlende Held der Arbeit und der Familie, der von seinem Heimchen am Herd die Pantoffeln gebracht bekommt, sondern er gilt vielfach als eine Gefährdung der Gesellschaft. Seine Triebhaftigkeit und Stumpfsinnigkeit kann das Zusammenleben unterminieren.
Diese Etablierung eines negativen Diskurses über den Mann und die Männlichkeit nennt Kucklick „negative Andrologie”; er liest für seine These noch einmal all die philosophischen und anthropologischen Schriften der Umbruchszeit um 1800 Zeit, vor allem diejenigen Johann Gottlieb Fichtes, und kann immer wieder überraschend zeigen, dass oft nicht die Frau, sondern hin und wieder auch der Mann das Andere der Vernunft verkörperte.
Vielleicht hilft diese Einsicht ja auch bei der Gefühlsverwirrung in den derzeitigen virilen Standortbestimmungsversuchen. OLIVER MÜLLER
WALTER HOLLSTEIN: Was vom Manne übrig blieb. Krise und Zukunft des starken Geschlechts. Aufbau Verlag. Berlin 2008. 304 S., 19,95 Euro.
CHRISTOPH KUCKLICK: Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008. 380 S., 13 Euro.
Fluch der Männlichkeit: Johnny Depp als Jack Sparrow Foto: Reuters
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Sind so arme Kerle, mit negativen Botschaften überversorgt: Neues und Altbekanntes aus der Männerdämmerung
Sind „die Männer” derzeit wirklich in der Krise? Wozu brauchen wir all die Diagnosen vom Identitätsverlust „des Mannes”? Sicher: Jungen sind in der Schule schlechter als Mädchen. Ja: Es gibt angsteinflößende und geschmacklose männerhasserische Pamphlete. Stimmt: die Lebenserwartung von Männern ist statistisch geringer als diejenige von Frauen. Und natürlich: Die Berufstätigkeit der eigenen Frau verlangt ein Nachbessern an der liebgewonnenen Rolle des heroischen Ernährers. Doch genau besehen kann man diese verschiedenen gesellschaftlichen Phänomene und Krisensymptome nur mit einiger Phantasie in der einen Männerdämmerungsinszenierung zusammenbringen.
Dass vorschnell Heterogenes miteinander in Verbindung gebracht wird, ist das große Problem des Männerkrisendiskurses. Damit entsteht nämlich leicht eine latent verschwörungstheoretische Stimmungslage. Das ist auch bei Walter Hollsteins Buch „Was vom Manne übrig blieb” der Fall. Hollstein ist, wie viele Publikationen belegen, Experte für diese Fragen und Gutachter des Europarats für Männer und Geschlechterfragen.
In seinem statistikreichen Buch tritt er geradezu als ein Lobbyist des umfassenden Männlichkeitsschutzes auf und formuliert seine Thesen entsprechend deutlich. Etwa: Junge Männer sind eine gefährdete Spezies, sie driften automatisch in eine kulturelle Orientierungslosigkeit, sind durchweg die Verlierer des Bildungssystems. Sogar Witze darf man ungestraft über sie erzählen!
Und gleichzeitig werde diese fatale Entwicklung weitgehend ignoriert: Positive Antworten auf das, was „männlich” ist, fehlen ihm in Öffentlichkeit und Politik: „Stattdessen werden Jungen und Männer mit negativen Botschaften zuhauf versorgt, und ihre Glaubenssätze von Stärke, Bedeutung und Vitalität werden brutal entmythologisiert.”
So geht’s in unserem Lande also zu. Doch auch wenn es richtig ist, dass einige junge Männer sehr gewalttätig werden können und sich vor lauter Versagensängsten in den Armen chauvinistischer Nationalismen trösten lassen – hat das wirklich etwas mit der „Krise des Mannes” zu tun?
Hier liegen doch in erster Linie soziale, ausbildungstechnische und berufliche Probleme vor. Der Verlust von konkreten Perspektiven, das Gefühl von Nutzlosigkeit und Überflüssigkeit sind die Gründe von ernstzunehmenden Identitätskrisen. Das hat sicher Auswirkungen auf das Mannseinkönnen. Doch ist dies ein Symptom unter anderen einer weiterreichenden sozialen Krise und nicht deren Ursache. Wenn man hier nicht klar unterscheidet, dann wird schnell suggeriert, zwischen der wachsenden Zahl von Frauen in Führungspositionen und aggressiven jungen Männern gebe es einen irgendwie kausalen Zusammenhang. Jede Generation hat mit sozialen Umbrüchen zu tun und muss ihr Wertesystem gegenüber der vorigen neu justieren. Und wenn man dann über den Verlust „männlicher Tugenden” redet, so bleiben Verantwortungsbewusstsein, Zivilcourage, Standfestigkeit, Aufrichtigkeit Haltungen, an denen sich auch der heutige Mann prima orientieren kann.
Wenn man demgegenüber die kümmerliche Lustreisenmentalität mancher Vorstandsmitglieder gewisser Konzerne abgeschmackt findet, dann mag sich immer noch jemand in seinem Selbstverständnis als Mann getroffen fühlen. Mitleidseinforderungen würde man zu Recht als Larmoyanz bezeichnen.
Als eine Antwort auf die düstere These, dass Männlichkeit heute nur noch negativ bewertet werde, liest sich „Das unmoralische Geschlecht” von Christoph Kucklicks sehr erfrischend. Kucklick zeigt in seiner Doktorarbeit über den Geschlechterdiskurs um 1800, dass auch dieses Thema ein alter Hut ist: Der Mann ist schon damals nicht nur der strahlende Held der Arbeit und der Familie, der von seinem Heimchen am Herd die Pantoffeln gebracht bekommt, sondern er gilt vielfach als eine Gefährdung der Gesellschaft. Seine Triebhaftigkeit und Stumpfsinnigkeit kann das Zusammenleben unterminieren.
Diese Etablierung eines negativen Diskurses über den Mann und die Männlichkeit nennt Kucklick „negative Andrologie”; er liest für seine These noch einmal all die philosophischen und anthropologischen Schriften der Umbruchszeit um 1800 Zeit, vor allem diejenigen Johann Gottlieb Fichtes, und kann immer wieder überraschend zeigen, dass oft nicht die Frau, sondern hin und wieder auch der Mann das Andere der Vernunft verkörperte.
Vielleicht hilft diese Einsicht ja auch bei der Gefühlsverwirrung in den derzeitigen virilen Standortbestimmungsversuchen. OLIVER MÜLLER
WALTER HOLLSTEIN: Was vom Manne übrig blieb. Krise und Zukunft des starken Geschlechts. Aufbau Verlag. Berlin 2008. 304 S., 19,95 Euro.
CHRISTOPH KUCKLICK: Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008. 380 S., 13 Euro.
Fluch der Männlichkeit: Johnny Depp als Jack Sparrow Foto: Reuters
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angetan ist Rezensent Oliver Müller von Christoph Kucklicks Buch "Das unmoralische Geschlecht". Er schätzt diese Doktorarbeit über den Geschlechterdiskurs um 1800 als anregende Antwort auf die Klage, dass Männlichkeit heute nur noch negativ bewertet wird. Kucklick habe für seine Studie über die Genese des negativen Diskurses über den Mann ("negative Andrologie") die einschlägigen philosophischen und anthropologischen Schriften der Umbruchszeit um 1800 verarbeitet. Deutlich wird für Müller dabei, dass auch der Männerkrisendiskurs ein "alter Hut" ist. Er bescheinigt Kucklick, überzeugend vor Augen zu führen, dass der Mann schon damals nicht nur als heroischer, von seiner Frau liebevoll verwöhnter Ernäher der Familie verehrt wurde, sondern auch wegen seiner Triebhaftigkeit und Stumpfsinnigkeit in der Kritik stand.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH