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Ein Resumee am EndeEines Tages, gegen Ende des achten Monates meiner Reise, stehe ich wieder, nun das viertemal schon in meinem Leben, auf dem Roten Platz zu Füßen der Kremlmauer im alten heiligen Moskau. Es ist ein frostiger, von Eis klirrender Aprilnachmittag. Tausend Menschen reihen sich im Zug von der Basilius-Kathedrale an, stapfen langsam vorwärts, einem viereckigen, niederen, dunkelroten Holzbau zu, der bei der Mauer errichtet ist, nicht weit von dem Tor, das die alte Kapelle der Iberischen Mutter Gottes zwischen ihren Bogen trägt. Am Fuße der Kremlmauer, dort, wo die Gräber der…mehr

Produktbeschreibung
Ein Resumee am EndeEines Tages, gegen Ende des achten Monates meiner Reise, stehe ich wieder, nun das viertemal schon in meinem Leben, auf dem Roten Platz zu Füßen der Kremlmauer im alten heiligen Moskau. Es ist ein frostiger, von Eis klirrender Aprilnachmittag. Tausend Menschen reihen sich im Zug von der Basilius-Kathedrale an, stapfen langsam vorwärts, einem viereckigen, niederen, dunkelroten Holzbau zu, der bei der Mauer errichtet ist, nicht weit von dem Tor, das die alte Kapelle der Iberischen Mutter Gottes zwischen ihren Bogen trägt. Am Fuße der Kremlmauer, dort, wo die Gräber der Revolutionshelden unter dem Schnee verschwinden, birgt das rote Holzmausoleum den Sarg und den Körper Lenins. Langsam bewegt sich der Zug dem Mausoleum zu. Es dauert lange, bis wir den Eingang erreicht haben. Zwischen einem Spalier stummer Rotgardisten steigen wir langsam die Stufen zum Grabgewölbe hinab. Es sind viele Stufen, denn der Raum mit Lenins Leichnam liegt tief unter dem Straßenniveau. -Als dieses Mausoleum gebaut wurde, hat der Verkehr der Straße tagelang gestockt. Man mußte die wichtigste Trambahnlinie, die die beiden Ufer der Moskwa miteinander verbindet, verlegen, denn das Mausoleum wurde mitten auf die Trambahnstrecke gestellt. Der Verkehr, das symbolische Leben der uralten Stadt, des weiten heiligen Reiches stockte, der Herzschlag, der Puls stockte, wie der Verkehr der Stadt. Tag und Nacht ritten, auf schwarzen Rossen, in stürmischem Galopp, Reiter der Roten Armee unaufhörlich um dieses Mausoleum herum. Ritten, ritten, ritten Tag und Nacht, in nie aufhörendem Galopp, schwarz und schweigend, um den dunkelroten Holzbau, der den Leichnam des toten Führers in der Tiefe birgt. Schwer und schweigend steigen wir die vielen Stufen unter die Erde hinab, zwischen den stummen, mit vor sich hingestellten Gewehren schwer dastehenden Soldaten. In einem hellbeleuchteten Glassarkophag liegt Lenin, so wie ich ihn zuletzt vor drei Jahren auf dem Podium des Kremlsaales gesehenhabe - es war das letztemal, da er, schon todkrank, aber noch Herr seiner Energie und geistigen Vollkraft, vor den Delegierten des Kongresses der Dritten Internationale sprach - schwere Worte, die zum letztenmal in die Zukunft eine Bresche zu schlagen versuchten, die uns einen Weg zu zeigen suchten, den wir der Menschheit weisen sollten. So schritt der große Führer, schon todkrank, die irdische Auflösung vor Augen, seinen Weg in die unbegrenzte Zukunft, in die Ewigkeit vorwärts. [Textauszug]
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Autorenporträt
Arthur Holitscher (1869-1941), ungarischer Reiseschriftsteller, Essayist, Romancier und Dramatiker, stammte aus einer großbürgerlichen, jüdischen Kaufmannsfamilie und erhielt bei einem Hauslehrer Unterricht in Deutsch sowie Religionsunterricht bei einem Rabbiner. Nach seiner Reifeprüfung wurde er auf Wunsch seiner Eltern in Budapest, Fiume und Wien Bankangestellter. Diesen Beruf gab er nach sechs Jahren wieder auf. Ab 1890 begann er kleine Erzählungen, Novelletten im Stile der deutschen Naturalisten zu schreiben. Sein Interesse galt Gerhart Hauptmann, Arno Holz und Johannes Schlaf. Beeinflußt durch seine persönliche und literarische Bekanntschaft mit Pariser Anarchisten und seiner Lektüre Knut Hamsuns wurde Holitscher ab 1895 freier Schriftsteller in Paris. Im Herbst 1895 übernahm der Münchner Verleger Albert Langen seinen ersten Roman »Weiße Liebe«. 1896 zog Holitscher deshalb nach München und wurde Redakteur für Langens Zeitschrift Simplicissimus. 1907 übersiedelte Holitscher nach Berlin und wurde Lektor bei Cassirer. Als Reiseschriftsteller ging er zuerst in die USA, im Auftrag Samuel Fischers. Aus dieser Reise entstand sein berühmtestes Werk »Amerika Heute und Morgen«. Mit diesem Buch gelang ihm 1912 der schriftstellerische Durchbruch. Franz Kafka soll daraus manche Einzelheiten für seinen Roman Amerika entlehnt haben. 1933 wurden Holitschers Bücherauf von den Nazis verbrannt. Er floh nach Paris und später nach Genf. Ab 1939 lebte er verarmt und verlassen in einem Quartier der Heilsarmee in Genf, wo er am 14. Oktober 1941 im Alter von 72 Jahren starb. Die Grabrede auf ihn hielt Robert Musil.