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Sina Arnolds Buch ist eine fesselnde Studie über Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken, die zugleich einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis des globalen Antisemitismus im 21. Jahrhundert leistet.
Das Verhältnis linker Bewegungen zum Antisemitismus ist ein polarisierendes Thema. Auch in den USA stehen nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September 2001 Bewegungen wie Occupy Wall Street, die Friedensbewegung oder pro-palästinensische Gruppen unter Antisemitismusverdacht. Häufig sind es ihre Kritik an Israel und damit verbundene Aktionen, die Anlass für hitzige…mehr

Produktbeschreibung
Sina Arnolds Buch ist eine fesselnde Studie über Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken, die zugleich einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis des globalen Antisemitismus im 21. Jahrhundert leistet.

Das Verhältnis linker Bewegungen zum Antisemitismus ist ein polarisierendes Thema. Auch in den USA stehen nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September 2001 Bewegungen wie Occupy Wall Street, die Friedensbewegung oder pro-palästinensische Gruppen unter Antisemitismusverdacht. Häufig sind es ihre Kritik an Israel und damit verbundene Aktionen, die Anlass für hitzige Debatten in den Medien, an Universitäten, innerhalb sozialer Bewegungen und der jüdisch-amerikanischen Community geben.

Aufbauend auf einer empirisch-ethnografischen Studie analysiert Sina Arnold die Sichtweisen von Aktivist_innen der US-amerikanischen Linken auf das Judentum und den Antisemitismus, auf Anschlussdiskurse wie den Holocaust, den Antirassismus, die Kapitalismuskritik, die Politik der USA sowie auf Israel und den Nahostkonflikt.

Die Analyse linker Antisemitismusdiskurse beleuchtet die gegenwärtige Verfasstheit der amerikanischen Gesellschaft in Zeiten ökonomischer und politischer Krisen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Sina Arnold, Dr. phil., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2016

Geschürte Angst vor übermäßiger Macht
Der neulinke amerikanische Antisemitismus ist weltweit uralt und zugleich rechts

Die Legende, Antisemitismus wäre nur ein rechtes und keinesfalls auch linkes Phänomen, ist häufig widerlegt worden. Sowohl durch die Wirklichkeit als auch die Wissenschaft. Schon der Urlinke Karl Marx war - obwohl jüdischer Herkunft - alles andere als immun gegen Judenfeindlichkeit. In der kommunistischen Welt des Ostblocks, natürlich auch in der DDR, gehörten zunächst liquidatorischer und dann "nur" diskriminierender Antisemitismus seit Stalin zum schlechten guten Ton. Die Neue Linke setzte im Westen seit den 1960er Jahren diese keineswegs nur diskriminierende Tradition fort. Man erinnere sich, dass der RAF-Terror bereits seit 1969 und später mehrfach auf jüdische Einrichtungen in Deutschland zielte.

Zunächst, allerdings nicht dauerhaft, fand Westeuropas Neue Linke jüdische Mitstreiter als willkommenes Alibi. Antisemitische Alibijuden gibt es auch in den 16 Miniorganisationen der in diesem Buch untersuchten Linken in den Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Megaterroranschlag des 11. Septembers 2001 ("9/11"). Die Autorin analysiert Aktivisten der amerikanischen Antikriegs-, Pro-Palästina- und Occupy-Wall-Street-Bewegung sowie linksjüdischer Gruppen und Anarchisten oder "queere" Einzelpersonen. Als Ethnographin bedient sie sich der teilnehmenden Beobachtung, "Bewegungsliteratur", "Expert_inneninterviews" (der das Maskulinum ums Femininum durchgehend ergänzende Unterstrich markiert die marktgängige Genderkorrektheit der Autorin) sowie "qualitativer Leitfadeninterviews" bei 30 Befragten.

Teil eins des Buches beleuchtet die theoretischen und historischen Hintergründe. Den unerlässlichen Begriffsbestimmungen folgen ein faktenreicher historischer Überblick des keineswegs unbedeutenden Antisemitismus in den Vereinigten Staaten, eine präzise Darstellung der Traditionslinien linksamerikanischer Antisemitismusdiskurse sowie eine interpretierende Diagnose der Linken nach 9/11.

In Teil zwei werden die (nur) 30 Interviews ausgewertet und durch die erwähnten Zusatzmethoden analytisch ergänzt. Die Repräsentativität dieser Methode darf bezweifelt werden. Daran ändert auch die penetrante Dominanz des fachsprachlichen Jargons der Autorin wenig. Dennoch sind ihre Befunde ebenso aufschlussreich wie interpretatorisch überzeugend, denn sie ist mit der allgemeinen, universalhistorischen Antisemitismus-Thematik in ihren vielfachen und oft sehr speziellen Ausprägungen erkennbar bestens vertraut. Das gilt auch bezogen auf Kenntnisse innerjüdischer Welten und die amerikanische Gesellschaft oder Politik.

Geschickt charakterisiert und kommentiert Sina Arnold bereits mit dem ersten Satz des Buches das juden- und nahostpolitische Selbstbild der Linken in den Vereinigten Staaten: "If you have not been called anti-Semitic, you are not working hard enough for justice in Palestine." Die Autorin fragt, wie es zu erklären sei, dass Streiter "für eine Gesellschaft jenseits von Rassismus und Diskriminierung stolz darauf" sein könnte, "als antisemitisch bezeichnet zu werden". Arnold gibt detaillierte, stets belegte, ebenso kritische wie dennoch unpolemische, analytische und dadurch vom Leser nachvollziehbare Antworten. Einige seien erwähnt.

Anders als beim herkömmlichen Antisemitismus fehlen stereotypische Bilder "des Juden" und vermeintlich jüdischer Eigenschaften. Wie im traditionellen Antisemitismus glauben (nicht nur) die amerikanischen Neulinken an übermäßige jüdische Macht und Einflussnahme. Das ist der fruchtbare Boden für (Welt-)"Verschwörungstheorien". Diese "Kunst" beherrschen sie so vollendet wie einst der Geheimdienst des russischen Zaren, der durch die "Protokolle der Weisen von Zion" der Welt weismachen wollte, "die" Juden strebten nach Weltherrschaft. Eine Legende, die jüngst ein südwestdeutscher AfD-Parlamentarier aufgriff. So gesehen, ist der neulinke Antisemitismus weltweit uralt und zugleich rechts.

Keiner der vielen mindestens ebenso gefährlichen Weltkonflikte beschäftigt die amerikanische Linke so sehr wie der palästinensisch-israelische. Diese Disproportionalität ist ebenfalls weder nur links noch exklusiv amerikanisch. Nicht nur hier wäre eine etwas intensivere Einbettung der Entwicklung in den Vereinigten Staaten mit Westeuropa wünschenswert gewesen. Sie bleibt aber nicht unerwähnt und muss daher nicht grundsätzlich angemahnt werden. Wie ihre westeuropäischen Glaubensgeschwister pflegen die neulinken Amerikaner Israel gegenüber einen (un)moralischen Doppelstandard: Palästinensische Gewalt stößt auf Verständnis und gilt ihnen als legitim, israelische Gewalt wird verständnis- und vor allem empathielos verdammt.

Das Holocaust-Trauma werde von Israel und den diasporajüdischen Repräsentanten allein nahostpolitisch instrumentalisiert, behaupten Neulinke jenseits und diesseits des Atlantiks. "Anstatt über Antisemitismus sprechen Linke über Antisemitismusvorwürfe und über den ,Missbrauch' von Antisemitismus [...]. Beim Reden über Antisemitismus wird also kaum gefragt, ob dieser die Menschenrechte jüdischer Minderheiten verletzt oder ob er Gefühle von Unsicherheit und Ungerechtigkeit bei Juden" auslöst. "Aufgrund ihres Weißseins werden Juden [...] in Israel wie in den USA als absolut überprivilegiert wahrgenommen"; sie würden, wie "die" Vereinigten Staaten, als Rassisten und Imperialisten verunglimpft. Dem ist nur hinzuzufügen, dass die Autorin nicht gegen die humanitäre Substanz des neulinken Weltbildes polemisiert, sie analysiert deren Missbrauch. Wer mehr über den neuen Antisemitismus wissen möchte, lese dieses Buch.

MICHAEL WOLFFSOHN

Sina Arnold: Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11. Hamburger Edition, Hamburg 2016, 487 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016

Worüber man nicht spricht
Sina Arnolds starke Studie zur US-Linken und „ihrem“ Antisemitismus
Im August 1991 ereignete sich im Stadtteil Crown Heights in Brooklyn ein Unfall: Der Chauffeur eines chassidischen Rabbis fuhr an einer Kreuzung zwei schwarze Kinder an. Der siebenjährige Junge kam ums Leben, seine Cousine wurde schwer verletzt. In den folgenden Tagen fanden heftige Auseinandersetzungen und Straßenkämpfe statt. Ein jüdischer Australier erlag seinen Verletzungen, nachdem er von Schwarzen angegriffen worden war. Der Historiker Edward Shapiro bezeichnete die Crown Heights Riots später als den „einzigen antisemitischen Aufstand“ in den Vereinigten Staaten. Zwar war das Verhältnis zwischen der schwarzen und der jüdischen Community seit der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre nicht mehr so kooperativ wie zuvor, doch hat es weder davor noch danach ein vergleichbares Ereignis gegeben.
  In den USA war Antisemitismus nie Staatspolitik, und seitdem der Staat Israel existiert, wird er von US-Regierungen unterstützt. Denkt man über Antisemitismus nach, fallen einem zunächst andere Länder ein. Um diesen blinden Fleck auszuleuchten, hat sich die Berliner Ethnologin Sina Arnold die Antisemitismusdiskurse in den USA vorgenommen. Sie konzentriert sich auf die amerikanische Linke, in der Antisemitismus gerade seit den 2000er-Jahren vermehrt eine Rolle spiele.
  Sina Arnold wirft zunächst einen Blick in die amerikanische Geschichte: Im 17. Jahrhundert erfuhren Jüdinnen und Juden Benachteiligung als Nicht-Protestanten. Während des Bürgerkrieges war das Bild der „jüdischen Wurzellosigkeit“ verbreitet und damit der Verdacht, Juden mangele es an Loyalität gegenüber den USA. Osteuropäische Juden, die bis 1914 einreisten, waren einer „diskriminatorischen Grundstimmung“ ausgesetzt. Mittlerweile war der Antisemitismus allerdings nicht mehr religiös motiviert, vielmehr war nun von „jüdischen Kapitalisten“ und „geldgierigen Bankiers“ die Rede. Auch nach dem Ersten Weltkrieg, der den Nationalismus verstärkt hatte, und später nach dem Holocaust stiegen antisemitische Einstellungen an, etwa weil man den Juden vorwarf, sie hätten die USA in den Krieg hineingezogen. Antikatholizismus und Rassismus gegen Schwarze waren historisch jedoch die dominanteren Phänomene.
  Nun ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts immer häufiger von einem „neuen Antisemitismus“ die Rede, auch in den USA. Antisemitische Straftaten und antiisraelische Einstellungen haben zugenommen. Die Diagnose eines „neuen Antisemitismus“ tauchte schon früher auf, hauptsächlich in Europa, etwa nach dem Sechstagekrieg. Israel wurde seither, gerade von vielen Linken, deutlich kritischer gesehen, nämlich als „imperialistischer“ Akteur. Auch der „neue Antisemitismus“ sei natürlich nicht völlig neu, so Arnold, doch im Unterschied zu früheren Bewegungen gehe es nur noch selten um eine „rassische“ Überlegenheit. In erster Linie drücke er sich in antizionistischen Aussagen aus. Arnold befasst sich in ihrer Studie dabei zum einen mit Antisemitismus und dem Reden über Antisemitismus in der amerikanischen Linken seit dem 11. September 2001. Zum anderen hat sie allgemeine Veränderungen in linken sozialen Bewegungen in den 2000er-Jahren im Blick – ein Jahrzehnt, das für die USA von einer politischen und einer ökonomischen Krise gerahmt war.
  Die politische Krise, die mit dem 11. September 2001 ihren Ausgang nahm, habe nicht nur die USA und ihre Außenpolitik beeinflusst, sondern auch die Linke. Verschwörungstheorien, der israelische Geheimdienst sei für die Anschläge verantwortlich, trieben zwar vor allem die Rechte um, aber nicht nur. Die Kriege der Bush-Regierung veränderten auch die politische Agenda der Linken: Die Kritik am Neoliberalismus oder an der Globalisierung traten in den Hintergrund, während antiimperialistische Einstellungen und Antikriegsproteste bestimmend wurden. Im Zuge der Finanzkrise 2008 und von Occupy Wall Street bekamen antisemitische Positionen weiter Aufwind. In Krisenzeiten sind Verschwörungstheorien und Antisemitismus bekanntlich populär, während ökonomischer Krisen erst recht. Schließlich führt Arnold verschiedene Entwicklungen in linken Nichtregierungsorganisationen an: den Umstand etwa, dass Zionismus immer häufiger mit Rassismus gleichgesetzt werde; aber auch das Erstarken von Boykott-Kampagnen gegen Israel seit dem Beginn der Zweiten Intifada im Jahr 2000.
  Sina Arnold hat Veranstaltungen und Demonstrationen besucht, linke Zeitschriften, Zeitungen und Flugblätter ausgewertet, Interviews mit Aktivistinnen und Aktivisten geführt, unter anderem aus der Antikriegsbewegung, aus der propalästinensischen Bewegung und von Occupy Wall Street. Sie stellt dar, wie über Antisemitismus gesprochen wird und welche Topoi bestimmend sind. Während die schwarze und die jüdische Community lange Zeit Verbündete im Kampf um gesellschaftliche Gleichberechtigung gewesen seien, herrsche in der Vorstellungswelt vieler Linker mittlerweile ein Konkurrenzverhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus. „In der Linken kann man nicht über Antisemitismus reden, sonst giltst du als Rassist, weil du gegen die Palästinenser bist“, so ein interviewter Anarchist. Verbreitet ist die Vorstellung, Jüdinnen und Juden seien dank ihrer ökonomischen Erfolge privilegiert. Ansonsten spielt der Nahostkonflikt eine zentrale Rolle. Auch wenn das Existenzrecht Israels nicht infrage gestellt werde, gelte der Staat zuverlässig als der „Aggressor“. Insgesamt ist das diskursive Spektrum groß: Von Sprüchen auf Demonstrationen wie „Jeder Israeli, der am Genozid in Gaza beteiligt ist, ist ein Hitler“ bis hin zu besorgten Aussagen wie „Ich denke, Antisemitismus ist ein großes Problem in den USA“.
  Am Ende kann Arnold zeigen, dass manifeste antisemitische Stereotype in der amerikanischen Linken die Ausnahme sind. Antisemitismus sei allerdings ein unsichtbares Vorurteil, und zwar in zweifacher Hinsicht: Er artikuliere sich erstens über Andeutungen, und zweitens handele es sich um „ein Vorurteil, über das nicht gesprochen werden darf“. Die Autorin bezeichnet das als eine Trivialisierung, denn Antisemitismus werde „generell übersehen, unwidersprochen akzeptiert oder verharmlost“. Diese Beobachtung gilt nicht nur für die Vereinigten Staaten und nicht nur für die Linke – das macht dieses Buch zeitdiagnostisch wichtig. Und das trifft auch auf andere Beobachtungen Arnolds zu: Wenn ein Antisemitismusvorwurf im Raum steht, setze oft die stets gleiche Dynamik ein: Erst werde reflexartig abgewehrt, danach heiße es, der Vorwurf sei strategisch gewesen. Am Ende reden alle über den Vorwurf und den „Missbrauch“ von Antisemitismus, nicht jedoch über die Sache an sich.
  Die amerikanische Linke ist eine unübersichtliche Szene. Die große Leistung der Autorin liegt auch darin, die Bewegungen und Diskurse zu systematisieren; etwa wenn sie die Unterschiede zwischen der liberalen, der sozialistischen und der libertären Linken herausarbeitet. Tatsächlich ist ihre Studie viel breiter angelegt, als ihr Titel vermuten lässt. Sie sollte gerade in einer Zeit gelesen werden, in der sich der Blick zunehmend auf einen ganz anderen Bereich des politischen Spektrums verengt. Sieht es doch so aus, als werde die US-Linke in den nächsten Jahren dringend gebraucht.
ISABELL TROMMER
Übersehen, verharmlosen,
unwidersprochen akzeptieren –
so werden Vorwürfe trivialisiert
Steve McCurry begann als Kriegsfotograf, heute sieht er sich als
Geschichtenerzähler: Kinder in Moukhtara, Libanon.

  
  
Sina Arnold: Das
unsichtbare Vorurteil.
Antisemitismusdiskurse in
der US-amerikanischen
Linken nach 9/11.
Hamburger Edition,
Hamburg 2016. 488 Seiten,
38 Euro. E-Book 29,99 Euro.
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