Versorgerin, Businesswoman, Mom I'd like to fuck - Mütter sollen heute alles sein. Dass darunter ihr Wohlbefinden leidet, ist kein Wunder. Mareice Kaiser, Journalistin und selbst Mutter, stellt immer wieder fest: Das Mutterideal ist unerreichbar und voller Widersprüche. Nichts kann man richtig machen und niemandem etwas recht. Mutterschaft berührt dabei, natürlich, jeden Lebensbereich: Denn egal, ob es um Arbeit, Geld, Sex, Körper, Psyche oder Liebe geht - Stereotype, Klischees und gesellschaftlichen Druck gibt es überall, auf Instagram, im Bett und im Büro. Mareice Kaiser zeigt, wo Mütter heute stehen: noch immer öfter am Herd als in den Chefetagen. Und, wo sie stehen sollten: Dort, wo sie selbst sich sehen - frei und selbstbestimmt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kerstin Maria Pahl geht ins Detail bei Mareice Kaisers Buch über Mutterschaft im 21. Jahrhundert. Gegen die Mischung aus persönlichem Erfahrungsbericht und historischen Erkundungen zum Thema Mutterschaft, aus denen die Autorin laut Rezensentin recht allgemeine Forderungen nach mehr Familienfreundlichkeit und weniger "mutterschaftsbedingter" Benachteiligung ableitet, hat Pahl nichts. Schwer besorgniserregend aber findet sie den Umgang der Autorin mit ihren Quellen: Zitate ohne Anführungszeichen oder Verweise entdeckt Pahl gleich mehrere. Den Apparat des Bandes findet sie chaotisch. Pahl stößt auf fehlende Seiten- und Jahresangaben. Wann immer die Autorin aus dargelegten Daten und historischen Fakten Folgerungen zu ziehen versucht, wird es laut Pahl zudem holzschnittartig, so wenn Kaiser vom Fortwirken des Mutterbildes des Nationalsozialismus spricht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2021Ich habe Sex, ich habe Hunger, ich will alles verstehen
Mareice Kaiser sondiert Lasten der Mutterschaft und bedient sich allzu freizügig bei fremden Texten
Mareice Kaiser hat mit "Das Unwohlsein der modernen Mutter" ein bereits viel beachtetes Buch vorgelegt. In einer Mischung aus persönlichem Erfahrungsbericht und historischen Seitenblicken analysiert die Autorin die Sorgen der Mutterschaft im noch jungen 21. Jahrhundert. Mütter sind das Sprungbrett, doch Kaisers Blick reicht weiter: Der Text ist ein Debattenbeitrag, der sich gegen strukturelle Benachteiligung wie "mutterschaftsbedingte Lohneinbußen" richtet und ein Bewusstsein dafür wecken möchte, welche Last die Sorge für Kinder, alte und behinderte Menschen mit sich bringt.
Vieles klingt bekannt, etwa die Kritik daran, dass Frauen in Partnerschaften häufig für die Kleinigkeiten des Alltags zuständig sind und Mütter online gern vereinfachend als hyperkompetente Working Mum, asexuelle Maria oder Yummy Mummy kategorisiert werden. Natürlich darf auch Orna Donaths 2015 erschienene Studie "Regretting Motherhood" nicht fehlen, für die Frauen interviewt wurden, die es bereuten, Kinder bekommen zu haben.
Kaisers Vorschläge für mehr Familienfreundlichkeit sind dann auch so allgemein und konsensfähig, dass kaum jemand widersprechen kann: mehr Zeit für Familie, Freunde, Kultur, eine Arbeit, die Spaß macht, aber nicht zu viel Raum einnimmt - und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Widersprüche gibt es dennoch. Warum liest sich die ideale Woche einer Millennial wie die einer halbtags arbeitenden Gattin mit dem Staat in der Rolle des Versorgers? Wie verträgt sich die vage antikapitalistische Haltung mit der beschriebenen intensiven Nutzung eines Vorzeigeprodukts des Kapitalismus, nämlich der Dating-App und ihrer Wisch-und-weg-Technik der permanenten Optimierung?
Der Grund, warum das Buch nicht überzeugt, liegt jedoch nicht nur am Inhalt. Folgt man den Endnoten, stellt sich heraus, dass an einigen Stellen fremde Texte ohne Anführungszeichen wortwörtlich oder nahezu wortwörtlich wiedergegeben werden, und dies mit mangelhaften, zum Teil auch gar keinen Verweisen. Einige Beispiele: Kaiser zitiert aus Johanna Haarers Buch "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" von 1934, das noch bis 1987 unter dem Titel "Die Mutter und ihr erstes Kind" verlegt wurde.
Ihre Quelle ist nicht das Buch selbst, sondern die Ausgabe 39/2019 des Zeit-Magazins, in dem ein Interview mit Haarers Tochter Gertrud Haarer veröffentlicht wurde. Kaiser gibt jedoch nicht nur jene Stellen aus Haarers Buch wieder, die das Zeit-Magazin zitiert, sondern auch die Überleitungen der Zeit-Autoren. So heißt es bei Kaiser: "Haarer propagiert darin eine strenge und unerbittliche Erziehung von Kindern, und zwar von Anfang an: Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung getrennt werden, das Kind soll der Mutter im Wochenbett 'nur zum Stillen gereicht' werden." Im Zeit-Magazin ist zu lesen: "Und sie propagiert eine strenge Erziehung des Kindes von Anfang an. Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung getrennt werden, das Kind wird der Mutter im Wochenbett 'nur zum Stillen gereicht'."
Fast wortgleiche Übernahmen.
Wenig später liefert Kaiser eine Kurzdarstellung der Situation der Mütter in der DDR, die nahezu wortgleich mit zwei Texten ist, auf die nicht verwiesen wird. Der erste Teil gleicht dem Text "Ostdeutsche Mütter sind häufiger berufstätig" von Hedda Nier, veröffentlicht als Erläuterung einer Statistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie von Statista am 2. Oktober 2019. Der daran anschließende Teil ist fast wortgleich mit dem Bericht "Familienpolitik in Ost- und Westdeutschland und ihre langfristigen Auswirkungen" von Anke Domscheit-Berg vom 9. November 2016, der auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung verfügbar ist.
An anderer Stelle ist die Quelle zwar korrekt angegeben, doch der beinahe wortgleiche Text wird nicht in Anführungszeichen gesetzt, um ihn als Zitat zu kennzeichnen. So enthält ein Passus Teile des Artikels "Danke für die Blumen" von Alexander Hagelüken, der am 9. Mai 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Kaiser schreibt: "Die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott fand heraus, dass Arbeitnehmerinnen nach mehr als einem Jahr Elternzeit zehn Prozent weniger pro Stunde verdienen. [Anmerkung 26] Auch nach kürzerer Pause wird deutlich weniger bezahlt, so eine unveröffentlichte Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts. Dabei haben Mütter das Recht, in einen vergleichbaren Job zurückzukehren." In Hagelükens Text heißt es: "'Man schenkt zum Muttertag Pralinen und Blumen, aber eigentlich brauchen Mütter was anderes', sagt die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott. Sie fand heraus, dass Arbeitnehmerinnen nach mehr als einem Jahr Elternzeit zehn Prozent weniger pro Stunde verdienen. Auch nach kürzerer Pause wird deutlich weniger bezahlt, so eine unveröffentlichte Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts. Dabei haben Mütter das Recht, in einen vergleichbaren Job zurückzukehren." In Anmerkung 26 wird auf Hagelükens Text verwiesen, aber er wird nicht zitiert. Darüber hinaus gibt Kaiser Yvonne Lott als Verfasserin an.
An Twitter geschulte Sprache.
Zu den nicht oder unkorrekt gekennzeichneten Stellen, von denen es noch mehr gibt, kommen viele Ungenauigkeiten. Einmal wird in folgendem Satz aus dem Wikipedia-Artikel zu "Kunst" zitiert, aber ohne Verweis oder Nennung der Website: "Kunst wird definiert als 'Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind'." Um es klar zu sagen: Der Apparat ist in einem chaotischen Zustand. Manchmal fehlt die Seitenangabe, dann wieder sind die Angaben unzureichend. Anmerkung 76 verweist auf eine wissenschaftliche Zeitschrift und nennt den Jahrgang, doch es fehlen Band, Ausgabe und Seitenumfang. Anmerkung 84, die den Begriff "Fuckermother" referenziert, heißt einfach, ohne Angabe des Blognamens, der Website oder des letzten Abrufs, "Begriff von einem feministischen Blog der Historikerin Lisa Malisch".
Mareice Kaisers Stärke ist die persönliche und schonungslose Beschreibung der eigenen Situation. Das ist nicht ohne Charme, auch wenn sich ihre an Twitter geschulte Sprache - "Aber, Überraschung", "Aha. Ja, klar. 'Oh.' Aha!" - einigermaßen schnell erschöpft. Solange sie rhythmisch von ihrem Alltag schreibt, gibt es ein starkes "Ich", wobei die knappen Sätze die Kurzatmigkeit der alleinerziehenden Mutter spiegeln: "Ich mache Überweisungen, ich mache mir Gedanken. Ich habe Sex, ich habe Hunger, ich will alles verstehen. Ich rede, ich höre zu, ich unterbreche, und ich lasse mich unterbrechen."
Doch wenn Kaiser historische Zusammenhänge darlegt und Zahlen und Daten präsentiert, um daraus Folgerungen zu ziehen, wird es holzschnittartig, gelegentlich auch falsch. Die These, dass in Deutschland nach wie vor unterschwellig das Mutterbild der Zeit des Nationalsozialismus weiterwirke, ist zu weitreichend und gut erforscht, um daraus eine schlichte Genealogie zu machen. Die Beobachtung, dass Porträts vor 1900 "statt rotznäsiger Kleinkinder und verweinter Mutteraugen pures Familienidyll" zeigten - nahezu wortgleich mit einem angeführten, aber nicht wörtlich zitierten Artikel -, ist mitnichten ein Beweis dafür, dass es vor der Moderne keine Diskussionen über die Ambivalenzen der Mutterrolle gab.
Diese Stellen, zu denen sich weitere gesellen, illustrieren ein grundlegendes Problem: Kaiser will die Struktur offenlegen, die das Individuelle bestimmt. Doch wenn die Anmerkungen ein Hinweis sind, dann beschränkt sich ihre Recherche weitestgehend auf Zeitungsartikel und online verfügbare Quellen. Insbesondere die Bundeszentrale für politische Bildung wird häufig konsultiert. So finden sich - ohne Verweis - auf zwei Seiten Absätze, die nahezu wortgleich sind mit Teilen aus Kerstin Wolffs Artikel "Hausarbeit als Nebenwiderspruch? Die internationale 'Lohn für Hausarbeit'-Debatte der 1970er Jahre in der Bundesrepublik" vom 30. Oktober 2020.
Die Literaturliste besteht aus Autoren gleicher politischer Meinung. Aus einem der wenigen wissenschaftlichen Bücher, die Kaiser zitiert, Élisabeth Badinters Klassiker "Die Mutterliebe" von 1981, übernimmt sie jene These, die von der Forschung längst widerlegt ist, nämlich die Behauptung, es habe vor Jean-Jacques Rousseau kein Konzept der Kindheit gegeben. Ein klassischer Fall von "confirmation bias": Man hat eine Meinung oder Haltung und wählt dann jene Quellen, die sie bestätigen. Insofern untergräbt Mareice Kaiser die eigene Glaubwürdigkeit mit bemerkenswerter Konsequenz. Ein überzeugender Debattenbeitrag sieht anders aus. KERSTIN MARIA PAHL.
Mareice Kaiser: "Das Unwohlsein der modernen Mutter".
Rowohlt Polaris Verlag, Hamburg 2021. 256 S., br., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mareice Kaiser sondiert Lasten der Mutterschaft und bedient sich allzu freizügig bei fremden Texten
Mareice Kaiser hat mit "Das Unwohlsein der modernen Mutter" ein bereits viel beachtetes Buch vorgelegt. In einer Mischung aus persönlichem Erfahrungsbericht und historischen Seitenblicken analysiert die Autorin die Sorgen der Mutterschaft im noch jungen 21. Jahrhundert. Mütter sind das Sprungbrett, doch Kaisers Blick reicht weiter: Der Text ist ein Debattenbeitrag, der sich gegen strukturelle Benachteiligung wie "mutterschaftsbedingte Lohneinbußen" richtet und ein Bewusstsein dafür wecken möchte, welche Last die Sorge für Kinder, alte und behinderte Menschen mit sich bringt.
Vieles klingt bekannt, etwa die Kritik daran, dass Frauen in Partnerschaften häufig für die Kleinigkeiten des Alltags zuständig sind und Mütter online gern vereinfachend als hyperkompetente Working Mum, asexuelle Maria oder Yummy Mummy kategorisiert werden. Natürlich darf auch Orna Donaths 2015 erschienene Studie "Regretting Motherhood" nicht fehlen, für die Frauen interviewt wurden, die es bereuten, Kinder bekommen zu haben.
Kaisers Vorschläge für mehr Familienfreundlichkeit sind dann auch so allgemein und konsensfähig, dass kaum jemand widersprechen kann: mehr Zeit für Familie, Freunde, Kultur, eine Arbeit, die Spaß macht, aber nicht zu viel Raum einnimmt - und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Widersprüche gibt es dennoch. Warum liest sich die ideale Woche einer Millennial wie die einer halbtags arbeitenden Gattin mit dem Staat in der Rolle des Versorgers? Wie verträgt sich die vage antikapitalistische Haltung mit der beschriebenen intensiven Nutzung eines Vorzeigeprodukts des Kapitalismus, nämlich der Dating-App und ihrer Wisch-und-weg-Technik der permanenten Optimierung?
Der Grund, warum das Buch nicht überzeugt, liegt jedoch nicht nur am Inhalt. Folgt man den Endnoten, stellt sich heraus, dass an einigen Stellen fremde Texte ohne Anführungszeichen wortwörtlich oder nahezu wortwörtlich wiedergegeben werden, und dies mit mangelhaften, zum Teil auch gar keinen Verweisen. Einige Beispiele: Kaiser zitiert aus Johanna Haarers Buch "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" von 1934, das noch bis 1987 unter dem Titel "Die Mutter und ihr erstes Kind" verlegt wurde.
Ihre Quelle ist nicht das Buch selbst, sondern die Ausgabe 39/2019 des Zeit-Magazins, in dem ein Interview mit Haarers Tochter Gertrud Haarer veröffentlicht wurde. Kaiser gibt jedoch nicht nur jene Stellen aus Haarers Buch wieder, die das Zeit-Magazin zitiert, sondern auch die Überleitungen der Zeit-Autoren. So heißt es bei Kaiser: "Haarer propagiert darin eine strenge und unerbittliche Erziehung von Kindern, und zwar von Anfang an: Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung getrennt werden, das Kind soll der Mutter im Wochenbett 'nur zum Stillen gereicht' werden." Im Zeit-Magazin ist zu lesen: "Und sie propagiert eine strenge Erziehung des Kindes von Anfang an. Mutter und Kind sollen direkt nach der Entbindung getrennt werden, das Kind wird der Mutter im Wochenbett 'nur zum Stillen gereicht'."
Fast wortgleiche Übernahmen.
Wenig später liefert Kaiser eine Kurzdarstellung der Situation der Mütter in der DDR, die nahezu wortgleich mit zwei Texten ist, auf die nicht verwiesen wird. Der erste Teil gleicht dem Text "Ostdeutsche Mütter sind häufiger berufstätig" von Hedda Nier, veröffentlicht als Erläuterung einer Statistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie von Statista am 2. Oktober 2019. Der daran anschließende Teil ist fast wortgleich mit dem Bericht "Familienpolitik in Ost- und Westdeutschland und ihre langfristigen Auswirkungen" von Anke Domscheit-Berg vom 9. November 2016, der auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung verfügbar ist.
An anderer Stelle ist die Quelle zwar korrekt angegeben, doch der beinahe wortgleiche Text wird nicht in Anführungszeichen gesetzt, um ihn als Zitat zu kennzeichnen. So enthält ein Passus Teile des Artikels "Danke für die Blumen" von Alexander Hagelüken, der am 9. Mai 2019 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Kaiser schreibt: "Die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott fand heraus, dass Arbeitnehmerinnen nach mehr als einem Jahr Elternzeit zehn Prozent weniger pro Stunde verdienen. [Anmerkung 26] Auch nach kürzerer Pause wird deutlich weniger bezahlt, so eine unveröffentlichte Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts. Dabei haben Mütter das Recht, in einen vergleichbaren Job zurückzukehren." In Hagelükens Text heißt es: "'Man schenkt zum Muttertag Pralinen und Blumen, aber eigentlich brauchen Mütter was anderes', sagt die Sozialwissenschaftlerin Yvonne Lott. Sie fand heraus, dass Arbeitnehmerinnen nach mehr als einem Jahr Elternzeit zehn Prozent weniger pro Stunde verdienen. Auch nach kürzerer Pause wird deutlich weniger bezahlt, so eine unveröffentlichte Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts. Dabei haben Mütter das Recht, in einen vergleichbaren Job zurückzukehren." In Anmerkung 26 wird auf Hagelükens Text verwiesen, aber er wird nicht zitiert. Darüber hinaus gibt Kaiser Yvonne Lott als Verfasserin an.
An Twitter geschulte Sprache.
Zu den nicht oder unkorrekt gekennzeichneten Stellen, von denen es noch mehr gibt, kommen viele Ungenauigkeiten. Einmal wird in folgendem Satz aus dem Wikipedia-Artikel zu "Kunst" zitiert, aber ohne Verweis oder Nennung der Website: "Kunst wird definiert als 'Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind'." Um es klar zu sagen: Der Apparat ist in einem chaotischen Zustand. Manchmal fehlt die Seitenangabe, dann wieder sind die Angaben unzureichend. Anmerkung 76 verweist auf eine wissenschaftliche Zeitschrift und nennt den Jahrgang, doch es fehlen Band, Ausgabe und Seitenumfang. Anmerkung 84, die den Begriff "Fuckermother" referenziert, heißt einfach, ohne Angabe des Blognamens, der Website oder des letzten Abrufs, "Begriff von einem feministischen Blog der Historikerin Lisa Malisch".
Mareice Kaisers Stärke ist die persönliche und schonungslose Beschreibung der eigenen Situation. Das ist nicht ohne Charme, auch wenn sich ihre an Twitter geschulte Sprache - "Aber, Überraschung", "Aha. Ja, klar. 'Oh.' Aha!" - einigermaßen schnell erschöpft. Solange sie rhythmisch von ihrem Alltag schreibt, gibt es ein starkes "Ich", wobei die knappen Sätze die Kurzatmigkeit der alleinerziehenden Mutter spiegeln: "Ich mache Überweisungen, ich mache mir Gedanken. Ich habe Sex, ich habe Hunger, ich will alles verstehen. Ich rede, ich höre zu, ich unterbreche, und ich lasse mich unterbrechen."
Doch wenn Kaiser historische Zusammenhänge darlegt und Zahlen und Daten präsentiert, um daraus Folgerungen zu ziehen, wird es holzschnittartig, gelegentlich auch falsch. Die These, dass in Deutschland nach wie vor unterschwellig das Mutterbild der Zeit des Nationalsozialismus weiterwirke, ist zu weitreichend und gut erforscht, um daraus eine schlichte Genealogie zu machen. Die Beobachtung, dass Porträts vor 1900 "statt rotznäsiger Kleinkinder und verweinter Mutteraugen pures Familienidyll" zeigten - nahezu wortgleich mit einem angeführten, aber nicht wörtlich zitierten Artikel -, ist mitnichten ein Beweis dafür, dass es vor der Moderne keine Diskussionen über die Ambivalenzen der Mutterrolle gab.
Diese Stellen, zu denen sich weitere gesellen, illustrieren ein grundlegendes Problem: Kaiser will die Struktur offenlegen, die das Individuelle bestimmt. Doch wenn die Anmerkungen ein Hinweis sind, dann beschränkt sich ihre Recherche weitestgehend auf Zeitungsartikel und online verfügbare Quellen. Insbesondere die Bundeszentrale für politische Bildung wird häufig konsultiert. So finden sich - ohne Verweis - auf zwei Seiten Absätze, die nahezu wortgleich sind mit Teilen aus Kerstin Wolffs Artikel "Hausarbeit als Nebenwiderspruch? Die internationale 'Lohn für Hausarbeit'-Debatte der 1970er Jahre in der Bundesrepublik" vom 30. Oktober 2020.
Die Literaturliste besteht aus Autoren gleicher politischer Meinung. Aus einem der wenigen wissenschaftlichen Bücher, die Kaiser zitiert, Élisabeth Badinters Klassiker "Die Mutterliebe" von 1981, übernimmt sie jene These, die von der Forschung längst widerlegt ist, nämlich die Behauptung, es habe vor Jean-Jacques Rousseau kein Konzept der Kindheit gegeben. Ein klassischer Fall von "confirmation bias": Man hat eine Meinung oder Haltung und wählt dann jene Quellen, die sie bestätigen. Insofern untergräbt Mareice Kaiser die eigene Glaubwürdigkeit mit bemerkenswerter Konsequenz. Ein überzeugender Debattenbeitrag sieht anders aus. KERSTIN MARIA PAHL.
Mareice Kaiser: "Das Unwohlsein der modernen Mutter".
Rowohlt Polaris Verlag, Hamburg 2021. 256 S., br., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Sentimentale, das Gewünschte, die Visionen über (arbeitende) Mütter zur Seite zu schieben und über das zu schreiben, was ist - ich kenne keine Autorin, der das so gelingt wie Mareice Kaiser. Kein Flausch-Buch, aber dafür voller Sehnsucht nach einer Welt, die mehr hält als sie verspricht. Julia Mohn Working Woman Newsletter 20210503