Das Väterbuch des Kiewer Höhlenklosters – ein Meisterwerk der altrussischen Literatur
Diese in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene Sammlung von Erzählungen über die Gründer und die ersten Mönche des Kiewer Höhlenklosters gilt allgemein als ein Meisterwerk der altrussischen
Literatur. Sie zeigt, welche Höhe die Erzählkunst bereits wenige Generationen nach der Einführung des…mehrDas Väterbuch des Kiewer Höhlenklosters – ein Meisterwerk der altrussischen Literatur
Diese in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene Sammlung von Erzählungen über die Gründer und die ersten Mönche des Kiewer Höhlenklosters gilt allgemein als ein Meisterwerk der altrussischen Literatur. Sie zeigt, welche Höhe die Erzählkunst bereits wenige Generationen nach der Einführung des Christentums und der ostslawischen Schriftsprache in der Kiewer Rus erreicht hatte. Zugleich wird eine kulturgeschichtlich und in ihrem Milieu einmalige Atmosphäre eingefangen, deren Unmittelbarkeit noch den Leser von heute anzuziehen vermag. Die Erzählungen vermitteln uns in lebendigen Bildern viele wertvolle Informationen über die Anfänge des Klosters, über die durch das ständige Hinzukommen von Mönchen entstandene Enge und den daraufhin groß angelegten Ausbau, über anfängliche Armut, über die Aufgabenverteilung unter den Mönchen und ihre tägliche Arbeit sowie ihre Gottesdienste, über die Anziehungskraft des Klosters und seine Ausstrahlung in alle Bistümer des Kiewer Staates – zahlreiche Bischöfe gingen aus diesem Kloster hervor –, über die Sonderstellung des Klosters im Rahmen der Russischen Kirche und über das zum Teil sehr kritische Verhältnis zu den Kiewer Großfürsten.
Bunt ist die soziale Zusammensetzung im Kloster: Neben den Armen finden sich einstige Handwerker und Kaufleute, Weltgeistliche, ja sogar Bojarensöhne und einen Fürsten, die sich alle demütig in die Mönchsgemeinschaft einfügten. Breit ist auch der Fächer der menschlichen Eigenschaften: In den Erzählungen ist die Rede von großer Demut, von Nächstenliebe, Hilfs- und Opferbereitschaft, von Fleiß, Mut und Treue, aber auch in Einzelfällen von allzumenschlichen Entgleisungen. Schließlich gibt es Berichte von Wundern und Offenbarungen, aber auch von den verschiedensten Versuchungen und Teufelsvisionen, mit denen die Mönche zu kämpfen hatten. So ist das Väterbuch ein Spiegelbild des täglichen Lebens im Kloster, zugleich aber auch ein Spiegelbild der Vorgänge im Kiewer Staat während der Blütezeit –und des sich allmählich abzeichnenden Verfalls – dieses Großreiches.
Die einzelnen Erzählungen legen deutlich Zeugnis ab von der großen Belesenheit, von dem umfangreichen Wissen, von der christusgemäßen Spiritualität und großen Weltoffenheit ihrer Verfasser. Die 38 Erzählungen werden mit dieser Ausgabe (erschienen 1988) erstmals vollständig in einer Übersetzung zugänglich gemacht. Entstanden ist die Übersetzung in Zusammenarbeit von Slawisten des Zentralinstituts für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg. Die reich kommentierte Ausgabe ist mit 46 ganzseitigen Holzschnitten illustriert, die schon die erste im Höhlenkloster selbst gedruckte altrussische Ausgabe von 1661 zierten.