Der 35-jährige Ratz, Sohn eines österreichischen Ministers, ist das, was man einen Versager nennt. Und er hasst seinen korrupten sozialdemokratischen Vater, der die Familie verlassen hat. Eines Tages erhält Ratz einen geheimnisvollen Anruf von seiner Jugendliebe Mimi. Ratz kommt auf ihre Bitte hin nach New York, ohne zu wissen, was ihn dort erwartet. Bald ist klar: Er soll helfen, das Versteck von Mimis Großonkel auszubauen, einem alten Nazi, der sich seit 32 Jahren im Keller eines Hauses verbirgt.
Rupert Kramer, genannt Ratz, ist der Sohn eines österreichischen Ministers. Er ist 35 Jahre alt und das, was man einen Versager nennt. Nächtelang sitzt Ratz vor dem Computer, um ein abstruses Vatervernichtungsspiel zu entwickeln. Er hasst seinen korrupten sozialdemokratischen Vater, der seine Familie wegen einer jungen Frau verlassen hat.
Im November 1999 erhält Ratz einen geheimnisvollen Anruf von Mimi, seiner Jugendliebe. Ratz fliegt nach New York, ohne zu wissen, was ihn erwartet. Bald ist klar: Er soll helfen, das Versteck von Mimis Großonkel auszubauen, einem alten Nazi, der an der Hinrichtung litauischer Juden beteiligt war. Seit 32 Jahren verbirgt er sich im Keller eines Hauses auf Long Island. Dort kommt es zu einer unheimlichen Begegnung mit dem verwahrlosten Mann.
Anschaulich und fesselnd erzählt Josef Haslinger vom Schicksal dreier Familien: einer jüdischen Familie, die bei den Massakern der Nazis in Litauen vernichtet wird, der Familie der Täter, die sich nach Amerika retten kann und dort einen grotesken Zusammenhalt bewahrt, sowie von Ratz eigener, sozialdemokratischer Familie, die sich im Wien der neunziger Jahre erbärmlich auflöst. Bestechend genau beleuchtet Haslinger die Verwerfungen des vergangenen Jahrhunderts und macht eindringlich spürbar, dass man der Geschichte nicht entkommen kann.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Rupert Kramer, genannt Ratz, ist der Sohn eines österreichischen Ministers. Er ist 35 Jahre alt und das, was man einen Versager nennt. Nächtelang sitzt Ratz vor dem Computer, um ein abstruses Vatervernichtungsspiel zu entwickeln. Er hasst seinen korrupten sozialdemokratischen Vater, der seine Familie wegen einer jungen Frau verlassen hat.
Im November 1999 erhält Ratz einen geheimnisvollen Anruf von Mimi, seiner Jugendliebe. Ratz fliegt nach New York, ohne zu wissen, was ihn erwartet. Bald ist klar: Er soll helfen, das Versteck von Mimis Großonkel auszubauen, einem alten Nazi, der an der Hinrichtung litauischer Juden beteiligt war. Seit 32 Jahren verbirgt er sich im Keller eines Hauses auf Long Island. Dort kommt es zu einer unheimlichen Begegnung mit dem verwahrlosten Mann.
Anschaulich und fesselnd erzählt Josef Haslinger vom Schicksal dreier Familien: einer jüdischen Familie, die bei den Massakern der Nazis in Litauen vernichtet wird, der Familie der Täter, die sich nach Amerika retten kann und dort einen grotesken Zusammenhalt bewahrt, sowie von Ratz eigener, sozialdemokratischer Familie, die sich im Wien der neunziger Jahre erbärmlich auflöst. Bestechend genau beleuchtet Haslinger die Verwerfungen des vergangenen Jahrhunderts und macht eindringlich spürbar, dass man der Geschichte nicht entkommen kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2000Die Familienfalle
Josef Haslingers "Vatervernichtungsspiel" · Von Thomas Steinfeld
Alle Einwände, die gegen dieses Buch geltend gemacht werden, hätten auch gegen seinen Vorgänger angeführt werden können. Die Geschichte wirkt konstruiert, der Autor schweift immer wieder weit ab ins Detail, ein Verbrechen geschieht, und es sprengt alle Dimensionen. Aber der "Opernball" aus dem Jahr 1995, Josef Haslingers Debüt als Romancier, wurde zu einem großen Erfolg, beim Publikum wie bei der Kritik. Und dieser Erfolg darf sich offenbar nicht wiederholen. Dabei hätte der neue Roman des österreichischen Schriftstellers das Zeug für einen Bestseller. "Das Vaterspiel" ist ein kluges Buch, das auf hohem Niveau unterhält, und wenn die Geschichte zuweilen etwas steifbeinig und kalkhaltig daherkommt, dann liegt darin eine literarische Schwäche, die Josef Haslinger mit seiner Entscheidung für das Genre der kriminalistisch inspirierten Fallgeschichte in Kauf genommen hat.
Denn von einem Fall erzählt auch dieses Buch, oder genauer gesagt: von drei Fällen. Der erste handelt von der Familie eines österreichischen Sozialisten, der in den sechziger Jahren als politischer Aufrührer beginnt, in den achtziger Jahren zum Minister und Meister von hundert Aufsichtsräten wird und am Ende so tief stürzt, wie man in einem geschlossenen System der Bestechlichkeit nur fallen kann. Der zweite Fall erzählt von einem jüdischen Jungen, der in Klaipeda zur deutschen Schule geht, bis seine Eltern vor der einmarschierenden Sowjetarmee nach Kaunas fliehen müssen, wo die Familie nach der Eroberung Litauens durch die Wehrmacht den Massakern zum Opfer fällt, die Deutsche und Litauer gemeinsam an der jüdischen Bevölkerung verüben. Nur der Junge überlebt, zieht in die Vereinigten Staaten und erkennt irgendwann den Litauer wieder, mit dessen Auftreten der Mord an seiner Familie begann. Der dritte Fall schließlich ist die Geschichte dieses Litauers und seiner Nichte - und diese lernt irgendwann (das Buch hat schon knapp das zweite Drittel seines Umfangs erreicht) den Sohn jenes österreichischen Ministers kennen.
Von drei Familien erzählt dieser Roman. Er berichtet davon, wie keiner der Beteiligten seiner Familie entkommt, wie jeder am Ende in diesen engen Kreis zurückkehrt, wie jede große Entscheidung, auch die scheinbar politische, auf privatem Grund steht - und davon, wie hilflos am Ende jede dieser Entscheidungen ist. Drei Väter gibt es in dieser Geschichte: zuerst den österreichischen Minister, einen Phrasendrescher, einen Ehrgeizling und Karrieristen, dann den Vater des jüdischen Knaben, einen treusorgenden Rechtsanwalt, und schließlich den litauischen Massenmörder, der es in den Vereinigten Staaten kurz zu einem kleinen Vermögen bringt - aber der ist nur eine Art Stiefvater. Der erste begeht Selbstmord, als sein Mogelimperium zusammenbricht, der zweite wird von der litauischen Miliz an der einzigen Tankstelle von Kaunas erschlagen, und der dritte, auch er der Sohn eines Politikers, verbringt die letzten drei Jahrzehnte als lebender Toter in einem Keller auf Long Island, aus Angst, der zum Journalisten gewordene jüdische Junge sei auf seine Spur gekommen. Eine vaterlose Gesellschaft ist da zusammengekommen, und das heißt, nicht nur psychoanalytisch betrachtet: Es gibt hier keine Werte, die einem den Weg durch das Leben weisen könnten, keine philosophische Haltung, die sich von einer Generation auf die nächste übertragen ließe, und Recht und Unrecht laufen auf verhängnisvolle Weise ineinander.
Eine Figur ist wichtiger als alle anderen: Helmut Kramer, der Sohn des sozialistischen Ministers gleichen Namens. Seine Geschichte - und das heißt: der Haß auf seinen Vater - hält dieses Buch zusammen. Der junge Helmut, der sich später "Rupert" nennt, ist ein enger Verwandter der Helden von Michel Houellebecq: Ein blasser Kerl mit schütterem roten Haar, dünnem Bart und vorstehender Oberlippe, ein Mensch also, dessen Gesicht so sehr dem einer Ratte ähnelt, daß er nur "der Ratz" gerufen wird. Er bummelt sich durch ein Studium der Publizistik, keine Frau will ihn erhören, er versinkt in dicken Schwaden von Haschischrauch, und mit dem einzigen Freund, den er für eine kurze Zeit behalten darf, teilt er die Vorliebe für ein Lied der populären Musik: "Losing My Religion" heißt der Song der amerikanischen Rockgruppe "R. E. M.", und darin singt Michael Stipe: "I thought that I heard you laughing / I thought that I hear you sing / I think I thought I saw you try . . ." Man hat diesem Buch seine Weitschweifigkeit vorgeworfen. Es gibt sie, das ist wahr. Aber diese Weitschweifigkeit ist kein Verstoß gegen die Ökonomie des Lesens, im Gegenteil: Das Buch handelt davon - nicht nur von den Schwierigkeiten, im Rausch das Gefühl für die Zeit zu bewahren, sondern auch von der Unfähigkeit, im Leben einen Halt zu finden.
Nur ein Talent hat der "Ratz", nämlich eine handwerkliche Begabung. Sie verhilft ihm zu seinem ersten und einzigen Beischlaf, als er einer Kommilitonin das Zimmer renoviert, sie läßt ihn als Autofahrer im Schneetreiben überleben, und sie führt ihn in die Vereinigten Staaten, wo er das Versteck des mittlerweile unter starker Knochenverkalkung leidenden litauischen Massenmörders behaglich ausstattet - eines Mannes, den er bald mag, obwohl er von seiner Vergangenheit weiß. Und es ist das handwerkliche Talent, das ihm den einzigen wirklichen Erfolg in seinem Leben beschert. Über Jahre hinweg hat er die Nächte am Computer verbracht, endlos spielend und schließlich selber Spiele entwerfend. Zuerst ist dabei ein Fußballspiel entstanden, in dem es keinen Ball gibt, sondern nur Bewegungen in eine definierte, aber leere Richtung - auch dies eine etwas aufdringliche Metapher. Dann entwickelt Rupert Kramer das "Vatervernichtungsspiel", ein Spiel der Todesarten, das fiktive Ausleben des ödipalen Konflikts, einschließlich der Opferung des Gehaßten auf einer überdimensional großen Zitronenpresse von Philippe Starck.
Rupert Kramer versucht, dieses Spiel mit Hilfe von Software-Unternehmen auf den Markt zu bringen, aber vergeblich. Erst als er jemanden kennenlernt, der mit dem "Internet" zu arbeiten versteht, mit dem freien, durch keine Hierarchie gegliederten Raum, bekommt das Spiel seine Chance: "The newest from Vienna, the city of Sigmund Freud: The Father Game. Check it out. It's a thrilling experience. And it's a lot of fun." Plötzlich hat der junge Mann Geld, er muß nicht mehr zu Hause betteln gehen, sondern mietet sich einen "Lincoln" und gibt an: "Dieses Auto wird meinen Vater überzeugen, daß wir in eine neue Weltordnung eingetreten sind, in der sein Geld ausgespielt hat. Sein Geld hat keine Macht mehr. Hier steht der Lincoln. Ich habe in der Familie die Macht übernommen. Ab sofort diktiere ich." Aber in diesem Augenblick ist der Vater schon beinahe tot, und ernst gemeint war diese Euphorie der Macht wohl nicht - denn schon hört man im Hintergrund die Mutter weinen.
Über fünfhundert Seiten hat dieses Buch, und das ist mehr, als manche Rezensenten ertragen wollten. Manche dieser Seiten sind voller Stereotypen, voller greller, überdeutlicher, übertrieben einfacher Ideen wie die von der Macht des Vaters, die sich in einem allzu großen Automobil kundtut. Oft gehen die Dialoge daneben, und dann reden die Figuren miteinander, als schrieben sie einander Briefe. Josef Haslinger kann trotzdem schreiben, mit lakonischer Eleganz: "Ich hätte langsamer fahren sollen, aber ich tat es nicht. Ich hatte einen Auftrag, und ich wollte ihm gewachsen sein." Das "Vaterspiel" ist ein Thesenroman, und er funktioniert als solcher - und wenn es sein muß, also um der Wahrheitsfindung willen, gegen das Literarische an der Literatur. Michel Houellebecqs Roman "Elementarteilchen" aus dem vergangenen Jahr war offensichtlich nur ein Vorbote: Das romantische Genre des Reflexionsromans ist zurückgekehrt. Und wie vor fast zweihundert Jahren heißt das nicht, daß die Dichtung darunter zu leiden hat.
Josef Haslinger: "Das Vaterspiel". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 575 Seiten, geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Josef Haslingers "Vatervernichtungsspiel" · Von Thomas Steinfeld
Alle Einwände, die gegen dieses Buch geltend gemacht werden, hätten auch gegen seinen Vorgänger angeführt werden können. Die Geschichte wirkt konstruiert, der Autor schweift immer wieder weit ab ins Detail, ein Verbrechen geschieht, und es sprengt alle Dimensionen. Aber der "Opernball" aus dem Jahr 1995, Josef Haslingers Debüt als Romancier, wurde zu einem großen Erfolg, beim Publikum wie bei der Kritik. Und dieser Erfolg darf sich offenbar nicht wiederholen. Dabei hätte der neue Roman des österreichischen Schriftstellers das Zeug für einen Bestseller. "Das Vaterspiel" ist ein kluges Buch, das auf hohem Niveau unterhält, und wenn die Geschichte zuweilen etwas steifbeinig und kalkhaltig daherkommt, dann liegt darin eine literarische Schwäche, die Josef Haslinger mit seiner Entscheidung für das Genre der kriminalistisch inspirierten Fallgeschichte in Kauf genommen hat.
Denn von einem Fall erzählt auch dieses Buch, oder genauer gesagt: von drei Fällen. Der erste handelt von der Familie eines österreichischen Sozialisten, der in den sechziger Jahren als politischer Aufrührer beginnt, in den achtziger Jahren zum Minister und Meister von hundert Aufsichtsräten wird und am Ende so tief stürzt, wie man in einem geschlossenen System der Bestechlichkeit nur fallen kann. Der zweite Fall erzählt von einem jüdischen Jungen, der in Klaipeda zur deutschen Schule geht, bis seine Eltern vor der einmarschierenden Sowjetarmee nach Kaunas fliehen müssen, wo die Familie nach der Eroberung Litauens durch die Wehrmacht den Massakern zum Opfer fällt, die Deutsche und Litauer gemeinsam an der jüdischen Bevölkerung verüben. Nur der Junge überlebt, zieht in die Vereinigten Staaten und erkennt irgendwann den Litauer wieder, mit dessen Auftreten der Mord an seiner Familie begann. Der dritte Fall schließlich ist die Geschichte dieses Litauers und seiner Nichte - und diese lernt irgendwann (das Buch hat schon knapp das zweite Drittel seines Umfangs erreicht) den Sohn jenes österreichischen Ministers kennen.
Von drei Familien erzählt dieser Roman. Er berichtet davon, wie keiner der Beteiligten seiner Familie entkommt, wie jeder am Ende in diesen engen Kreis zurückkehrt, wie jede große Entscheidung, auch die scheinbar politische, auf privatem Grund steht - und davon, wie hilflos am Ende jede dieser Entscheidungen ist. Drei Väter gibt es in dieser Geschichte: zuerst den österreichischen Minister, einen Phrasendrescher, einen Ehrgeizling und Karrieristen, dann den Vater des jüdischen Knaben, einen treusorgenden Rechtsanwalt, und schließlich den litauischen Massenmörder, der es in den Vereinigten Staaten kurz zu einem kleinen Vermögen bringt - aber der ist nur eine Art Stiefvater. Der erste begeht Selbstmord, als sein Mogelimperium zusammenbricht, der zweite wird von der litauischen Miliz an der einzigen Tankstelle von Kaunas erschlagen, und der dritte, auch er der Sohn eines Politikers, verbringt die letzten drei Jahrzehnte als lebender Toter in einem Keller auf Long Island, aus Angst, der zum Journalisten gewordene jüdische Junge sei auf seine Spur gekommen. Eine vaterlose Gesellschaft ist da zusammengekommen, und das heißt, nicht nur psychoanalytisch betrachtet: Es gibt hier keine Werte, die einem den Weg durch das Leben weisen könnten, keine philosophische Haltung, die sich von einer Generation auf die nächste übertragen ließe, und Recht und Unrecht laufen auf verhängnisvolle Weise ineinander.
Eine Figur ist wichtiger als alle anderen: Helmut Kramer, der Sohn des sozialistischen Ministers gleichen Namens. Seine Geschichte - und das heißt: der Haß auf seinen Vater - hält dieses Buch zusammen. Der junge Helmut, der sich später "Rupert" nennt, ist ein enger Verwandter der Helden von Michel Houellebecq: Ein blasser Kerl mit schütterem roten Haar, dünnem Bart und vorstehender Oberlippe, ein Mensch also, dessen Gesicht so sehr dem einer Ratte ähnelt, daß er nur "der Ratz" gerufen wird. Er bummelt sich durch ein Studium der Publizistik, keine Frau will ihn erhören, er versinkt in dicken Schwaden von Haschischrauch, und mit dem einzigen Freund, den er für eine kurze Zeit behalten darf, teilt er die Vorliebe für ein Lied der populären Musik: "Losing My Religion" heißt der Song der amerikanischen Rockgruppe "R. E. M.", und darin singt Michael Stipe: "I thought that I heard you laughing / I thought that I hear you sing / I think I thought I saw you try . . ." Man hat diesem Buch seine Weitschweifigkeit vorgeworfen. Es gibt sie, das ist wahr. Aber diese Weitschweifigkeit ist kein Verstoß gegen die Ökonomie des Lesens, im Gegenteil: Das Buch handelt davon - nicht nur von den Schwierigkeiten, im Rausch das Gefühl für die Zeit zu bewahren, sondern auch von der Unfähigkeit, im Leben einen Halt zu finden.
Nur ein Talent hat der "Ratz", nämlich eine handwerkliche Begabung. Sie verhilft ihm zu seinem ersten und einzigen Beischlaf, als er einer Kommilitonin das Zimmer renoviert, sie läßt ihn als Autofahrer im Schneetreiben überleben, und sie führt ihn in die Vereinigten Staaten, wo er das Versteck des mittlerweile unter starker Knochenverkalkung leidenden litauischen Massenmörders behaglich ausstattet - eines Mannes, den er bald mag, obwohl er von seiner Vergangenheit weiß. Und es ist das handwerkliche Talent, das ihm den einzigen wirklichen Erfolg in seinem Leben beschert. Über Jahre hinweg hat er die Nächte am Computer verbracht, endlos spielend und schließlich selber Spiele entwerfend. Zuerst ist dabei ein Fußballspiel entstanden, in dem es keinen Ball gibt, sondern nur Bewegungen in eine definierte, aber leere Richtung - auch dies eine etwas aufdringliche Metapher. Dann entwickelt Rupert Kramer das "Vatervernichtungsspiel", ein Spiel der Todesarten, das fiktive Ausleben des ödipalen Konflikts, einschließlich der Opferung des Gehaßten auf einer überdimensional großen Zitronenpresse von Philippe Starck.
Rupert Kramer versucht, dieses Spiel mit Hilfe von Software-Unternehmen auf den Markt zu bringen, aber vergeblich. Erst als er jemanden kennenlernt, der mit dem "Internet" zu arbeiten versteht, mit dem freien, durch keine Hierarchie gegliederten Raum, bekommt das Spiel seine Chance: "The newest from Vienna, the city of Sigmund Freud: The Father Game. Check it out. It's a thrilling experience. And it's a lot of fun." Plötzlich hat der junge Mann Geld, er muß nicht mehr zu Hause betteln gehen, sondern mietet sich einen "Lincoln" und gibt an: "Dieses Auto wird meinen Vater überzeugen, daß wir in eine neue Weltordnung eingetreten sind, in der sein Geld ausgespielt hat. Sein Geld hat keine Macht mehr. Hier steht der Lincoln. Ich habe in der Familie die Macht übernommen. Ab sofort diktiere ich." Aber in diesem Augenblick ist der Vater schon beinahe tot, und ernst gemeint war diese Euphorie der Macht wohl nicht - denn schon hört man im Hintergrund die Mutter weinen.
Über fünfhundert Seiten hat dieses Buch, und das ist mehr, als manche Rezensenten ertragen wollten. Manche dieser Seiten sind voller Stereotypen, voller greller, überdeutlicher, übertrieben einfacher Ideen wie die von der Macht des Vaters, die sich in einem allzu großen Automobil kundtut. Oft gehen die Dialoge daneben, und dann reden die Figuren miteinander, als schrieben sie einander Briefe. Josef Haslinger kann trotzdem schreiben, mit lakonischer Eleganz: "Ich hätte langsamer fahren sollen, aber ich tat es nicht. Ich hatte einen Auftrag, und ich wollte ihm gewachsen sein." Das "Vaterspiel" ist ein Thesenroman, und er funktioniert als solcher - und wenn es sein muß, also um der Wahrheitsfindung willen, gegen das Literarische an der Literatur. Michel Houellebecqs Roman "Elementarteilchen" aus dem vergangenen Jahr war offensichtlich nur ein Vorbote: Das romantische Genre des Reflexionsromans ist zurückgekehrt. Und wie vor fast zweihundert Jahren heißt das nicht, daß die Dichtung darunter zu leiden hat.
Josef Haslinger: "Das Vaterspiel". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 575 Seiten, geb., 46,- DM.
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