Sie gehören zu den beliebtesten Vogelarten in unseren Gärten und Parks: die Meisen. Klug und anpassungsfähig haben sie sich mit uns Menschen bestens arrangiert und erfreuen uns das ganze Jahr mit ihrem Gesang. Dennoch gibt es vieles im Leben der possierlichen Vögel, das uns bislang verborgen blieb.
Wussten Sie zum Beispiel, dass Meisen der Vielweiberei frönen, Fledermäuse töten, weil deren Gehirn besonders lecker schmeckt, und sich in der Luft wie fliegende Dinosaurier verhalten? Andreas Tjernshaugen, Ornithologe aus Leidenschaft, hat ein Jahr lang aus nächster Nähe ihre Gewohnheiten beobachtet und zeigt, was wir über diese Vögel alles nicht wissen, und enthüllt uns eine faszinierende Welt direkt vor unseren Augen.
Wussten Sie zum Beispiel, dass Meisen der Vielweiberei frönen, Fledermäuse töten, weil deren Gehirn besonders lecker schmeckt, und sich in der Luft wie fliegende Dinosaurier verhalten? Andreas Tjernshaugen, Ornithologe aus Leidenschaft, hat ein Jahr lang aus nächster Nähe ihre Gewohnheiten beobachtet und zeigt, was wir über diese Vögel alles nicht wissen, und enthüllt uns eine faszinierende Welt direkt vor unseren Augen.
»... Andreas Tjernshaugen [hat] ein lesenswertes Buch geschrieben. ... Laien dürften die große Leistungsfähigkeit der kleinen Vögel bestaunen und sich über den Anhang mit Tipps für künftige Hobby-Ornithologen freuen.« Kai Spanke Frankfurter Allgemeine Zeitung 20171208
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2017Die Meisen darf man sich nicht vermiesen lassen
Warum Spinnen besonders bekömmlich für den Nachwuchs sind und andere Fragen: Andreas Tjernshaugen bestaunt die große Leistungsfähigkeit der kleinen Vögel
Wenn ein Sperber über eine Meise am Futterhaus herfällt, ist das Entsetzen der Beobachter oft groß. War der possierliche Singvogel gerade noch damit beschäftigt, einen zwischen die Füße geklemmten Sonnenblumenkern aufzuhacken, so ist er im nächsten Moment schon gerupft und verspeist. Die wenigsten ahnen, dass sich auch Kohlmeisen manchmal über andere Vögel hermachen. Beispielsweise wurde beobachtet, wie ein Exemplar unseren kleinsten Vogel, das Wintergoldhähnchen, tötete und dann sein Gehirn fraß. In Ungarn haben Kohlmeisen gelernt, Fledermäuse zu jagen. Den Opfern werden bei lebendigem Leib Stücke aus den Eingeweiden und dem Kopf gepickt.
Wer sich von solchen Geschichten die Meisen nicht vermiesen lässt, wird, so er sich eingehender mit dieser sechsundfünfzig Arten umfassenden Familie aus der Ordnung der Sperlingsvögel beschäftigt, in eine faszinierende Welt eintauchen. Der Norweger Andreas Tjernshaugen, von Haus aus Soziologe, hat mit "Das verborgene Leben der Meisen" nun ein in doppelter Hinsicht schönes Buch zum Thema vorgelegt. Erstens wartet es mit fabelhaften Fotografien und Zeichnungen auf, zweitens ist es in einem Duktus gehalten, der auch unter der Last wissenschaftlicher Fakten nicht leidet.
Das gelingt vor allem deshalb, weil der Autor immer wieder zum Ausgangspunkt persönlicher Anekdoten und Reflexionen zurückkehrt. Wir erfahren etwa, dass ein Vortrag über das Verhältnis von Anlage und Umwelt bei Meisen Tjernshaugen dazu anregte, tiefer in die Materie einzutauchen. Rasch fasste er den Plan, eine Abhandlung zu schreiben, deren roter Faden die direkte Tuchfühlung mit den Tieren sein sollte. Also hängte er zwei Nistkästen in seinem Garten auf und installierte in einem davon eine Kamera. Im folgenden Jahr beobachtete er gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern die Routinen und Dramen im Leben der neuen Nachbarn. Zwar spielen dabei so elegante Vertreter wie Tannen-, Sumpf- und Haubenmeise eine kleine Rolle. Eindeutige Protagonisten sind gleichwohl Kohl- und Blaumeise, die dank ihrer Verbreitung und Zutraulichkeit nicht nur in Norwegen, sondern auch bei uns zu den bekanntesten Vögeln überhaupt zählen.
Wie die seit 2005 vom Naturschutzbund Deutschland und vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern organisierten Vogelzählungen ergaben, besuchen neben Haussperling und Amsel vorwiegend diese beiden Arten den hiesigen Durchschnittsgarten.
Die Kohlmeise ist uns auch akustisch vertraut, im Spätwinter kündigt ihr mechanisch heruntergepfiffener, aber wohltönender Gesang den Frühling an. Peter Berthold, ehemals Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, bekannte kürzlich, die erste singende Kohlmeise im Jahr erwecke bei ihm zuverlässig den Eindruck, als öffneten sich die Himmelspforten. Wesentlich komplexer als der Gesang sind jedoch die Rufe der Meisen, ein Umstand, der sich bei vielen Singvögeln genau andersherum verhält und den Tjernshaugen zu diskutieren versäumt. Tatsächlich gehen manche Forscher so weit, Meisenrufe mit der menschlichen Sprache zu vergleichen, werden sie doch genutzt, um sich über allerlei auszutauschen: Gefahren, Futterquellen, sogar Absichten.
Andere Informationen liefert das Federkleid. Während Männchen und Weibchen der Blaumeise für uns fast gleich aussehen, nehmen die Vögel untereinander markante Kontraste zwischen den Geschlechtern wahr. Das liegt an ihrer Fähigkeit, Ultraviolett als eigene Gefiederfarbe zu registrieren. Finden zwei Blaumeisen schließlich zusammen, verköstigen sie ihren Nachwuchs für einige Zeit bevorzugt mit Spinnen. Warum? Weil die Achtbeiner reichlich Taurin enthalten, einen Stoff, der die Ausbildung des Gehirns unterstützt. Junge Blaumeisen, die bei einem Versuch mit Taurin gedopt wurden, entwickelten ein herausragendes Erinnerungsvermögen und einen Hang zum Wagemut.
Apropos Futter: Obwohl sich der Autor insgesamt bestens informiert zeigt, betont er, im Sommerhalbjahr sei "die Fütterung für die Vögel weniger wichtig". Das stimmt nicht. Insektenschwund und ausgeräumte Landschaften bringen selbst so robuste Arten wie die Kohlmeise gerade während des Brutgeschäfts in immer größere Schwierigkeiten. Man halte sich vor Augen, dass ein Elternpaar seine Küken nur dann erfolgreich aufziehen kann, wenn es drei Wochen lang täglich rund dreihundertfünfzigmal die Höhle mit geeigneter, mühsam zusammengesuchter Nahrung anfliegt. Da der Flug mehr als das Zwanzigfache des Grundumsatzes verbraucht, profitieren Vögel besonders im Frühling und Sommer von Fettfutter, das die permanent beanspruchte Brustmuskulatur schnell mit neuer Energie versorgt.
Trotz kleiner Schwächen hat Andreas Tjernshaugen ein lesenswertes Buch geschrieben. Meisenkenner werden ein Literaturverzeichnis vermissen, aber Gefallen an den ungezwungenen Ausführungen finden; Laien dürften die große Leistungsfähigkeit der kleinen Vögel bestaunen und sich über den Anhang mit Tipps für künftige Hobby-Ornithologen freuen. Am interessantesten wäre es natürlich für die einen wie die anderen, mit einem Fernglas vor die Tür zu treten und zu versuchen, selbst einen Blick hineinzuwerfen - ins verborgene Leben der Meisen.
KAI SPANKE
Andreas Tjernshaugen: "Das verborgene Leben der Meisen".
Aus dem Norwegischen von Paul Berf.
Insel Verlag, Berlin 2017. 243 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum Spinnen besonders bekömmlich für den Nachwuchs sind und andere Fragen: Andreas Tjernshaugen bestaunt die große Leistungsfähigkeit der kleinen Vögel
Wenn ein Sperber über eine Meise am Futterhaus herfällt, ist das Entsetzen der Beobachter oft groß. War der possierliche Singvogel gerade noch damit beschäftigt, einen zwischen die Füße geklemmten Sonnenblumenkern aufzuhacken, so ist er im nächsten Moment schon gerupft und verspeist. Die wenigsten ahnen, dass sich auch Kohlmeisen manchmal über andere Vögel hermachen. Beispielsweise wurde beobachtet, wie ein Exemplar unseren kleinsten Vogel, das Wintergoldhähnchen, tötete und dann sein Gehirn fraß. In Ungarn haben Kohlmeisen gelernt, Fledermäuse zu jagen. Den Opfern werden bei lebendigem Leib Stücke aus den Eingeweiden und dem Kopf gepickt.
Wer sich von solchen Geschichten die Meisen nicht vermiesen lässt, wird, so er sich eingehender mit dieser sechsundfünfzig Arten umfassenden Familie aus der Ordnung der Sperlingsvögel beschäftigt, in eine faszinierende Welt eintauchen. Der Norweger Andreas Tjernshaugen, von Haus aus Soziologe, hat mit "Das verborgene Leben der Meisen" nun ein in doppelter Hinsicht schönes Buch zum Thema vorgelegt. Erstens wartet es mit fabelhaften Fotografien und Zeichnungen auf, zweitens ist es in einem Duktus gehalten, der auch unter der Last wissenschaftlicher Fakten nicht leidet.
Das gelingt vor allem deshalb, weil der Autor immer wieder zum Ausgangspunkt persönlicher Anekdoten und Reflexionen zurückkehrt. Wir erfahren etwa, dass ein Vortrag über das Verhältnis von Anlage und Umwelt bei Meisen Tjernshaugen dazu anregte, tiefer in die Materie einzutauchen. Rasch fasste er den Plan, eine Abhandlung zu schreiben, deren roter Faden die direkte Tuchfühlung mit den Tieren sein sollte. Also hängte er zwei Nistkästen in seinem Garten auf und installierte in einem davon eine Kamera. Im folgenden Jahr beobachtete er gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern die Routinen und Dramen im Leben der neuen Nachbarn. Zwar spielen dabei so elegante Vertreter wie Tannen-, Sumpf- und Haubenmeise eine kleine Rolle. Eindeutige Protagonisten sind gleichwohl Kohl- und Blaumeise, die dank ihrer Verbreitung und Zutraulichkeit nicht nur in Norwegen, sondern auch bei uns zu den bekanntesten Vögeln überhaupt zählen.
Wie die seit 2005 vom Naturschutzbund Deutschland und vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern organisierten Vogelzählungen ergaben, besuchen neben Haussperling und Amsel vorwiegend diese beiden Arten den hiesigen Durchschnittsgarten.
Die Kohlmeise ist uns auch akustisch vertraut, im Spätwinter kündigt ihr mechanisch heruntergepfiffener, aber wohltönender Gesang den Frühling an. Peter Berthold, ehemals Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, bekannte kürzlich, die erste singende Kohlmeise im Jahr erwecke bei ihm zuverlässig den Eindruck, als öffneten sich die Himmelspforten. Wesentlich komplexer als der Gesang sind jedoch die Rufe der Meisen, ein Umstand, der sich bei vielen Singvögeln genau andersherum verhält und den Tjernshaugen zu diskutieren versäumt. Tatsächlich gehen manche Forscher so weit, Meisenrufe mit der menschlichen Sprache zu vergleichen, werden sie doch genutzt, um sich über allerlei auszutauschen: Gefahren, Futterquellen, sogar Absichten.
Andere Informationen liefert das Federkleid. Während Männchen und Weibchen der Blaumeise für uns fast gleich aussehen, nehmen die Vögel untereinander markante Kontraste zwischen den Geschlechtern wahr. Das liegt an ihrer Fähigkeit, Ultraviolett als eigene Gefiederfarbe zu registrieren. Finden zwei Blaumeisen schließlich zusammen, verköstigen sie ihren Nachwuchs für einige Zeit bevorzugt mit Spinnen. Warum? Weil die Achtbeiner reichlich Taurin enthalten, einen Stoff, der die Ausbildung des Gehirns unterstützt. Junge Blaumeisen, die bei einem Versuch mit Taurin gedopt wurden, entwickelten ein herausragendes Erinnerungsvermögen und einen Hang zum Wagemut.
Apropos Futter: Obwohl sich der Autor insgesamt bestens informiert zeigt, betont er, im Sommerhalbjahr sei "die Fütterung für die Vögel weniger wichtig". Das stimmt nicht. Insektenschwund und ausgeräumte Landschaften bringen selbst so robuste Arten wie die Kohlmeise gerade während des Brutgeschäfts in immer größere Schwierigkeiten. Man halte sich vor Augen, dass ein Elternpaar seine Küken nur dann erfolgreich aufziehen kann, wenn es drei Wochen lang täglich rund dreihundertfünfzigmal die Höhle mit geeigneter, mühsam zusammengesuchter Nahrung anfliegt. Da der Flug mehr als das Zwanzigfache des Grundumsatzes verbraucht, profitieren Vögel besonders im Frühling und Sommer von Fettfutter, das die permanent beanspruchte Brustmuskulatur schnell mit neuer Energie versorgt.
Trotz kleiner Schwächen hat Andreas Tjernshaugen ein lesenswertes Buch geschrieben. Meisenkenner werden ein Literaturverzeichnis vermissen, aber Gefallen an den ungezwungenen Ausführungen finden; Laien dürften die große Leistungsfähigkeit der kleinen Vögel bestaunen und sich über den Anhang mit Tipps für künftige Hobby-Ornithologen freuen. Am interessantesten wäre es natürlich für die einen wie die anderen, mit einem Fernglas vor die Tür zu treten und zu versuchen, selbst einen Blick hineinzuwerfen - ins verborgene Leben der Meisen.
KAI SPANKE
Andreas Tjernshaugen: "Das verborgene Leben der Meisen".
Aus dem Norwegischen von Paul Berf.
Insel Verlag, Berlin 2017. 243 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main