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Das Kino als Ort der Erotik, als Ort der Hoffnung auf ein anderes Leben: Die Prostituierte Maria sucht Zuflucht bei dem Kartenabreißer und Platzanweiser Juan, mit dem sie ihren Traum von einem einfachen Leben in der kleinen Wohnung über dem Kino verwirklichen möchte. Mit der ihr eigenen Sprache schildert Maria ihren Alltag mit dem groben, hinkenden Juan, der so gar nicht ihren Wunschvorstellungen entspricht - das "traute Glück" der beiden steuert am Ende unaufhaltsam auf ein Verbrechen zu ... Die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe als psychologischer Kriminalroman.

Produktbeschreibung
Das Kino als Ort der Erotik, als Ort der Hoffnung auf ein anderes Leben: Die Prostituierte Maria sucht Zuflucht bei dem Kartenabreißer und Platzanweiser Juan, mit dem sie ihren Traum von einem einfachen Leben in der kleinen Wohnung über dem Kino verwirklichen möchte. Mit der ihr eigenen Sprache schildert Maria ihren Alltag mit dem groben, hinkenden Juan, der so gar nicht ihren Wunschvorstellungen entspricht - das "traute Glück" der beiden steuert am Ende unaufhaltsam auf ein Verbrechen zu ... Die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebe als psychologischer Kriminalroman.
Autorenporträt
Javier Tomeo wurde 1932 in Quicena, einem kleinen Ort in der spanischen Provinz Huesca geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und Kriminologie an der Universität von Barcelona und arbeitete für einen internationalen Schreibmaschinenhersteller. 1967 veröffentlichte er seinen ersten Roman und gehört seither zu den meistgelesenen europäischen Autoren der Gegenwart, dessen Romane und Erzählungen in zahlreiche Sprachen übersetzt sind. Auch mit seinen Theaterstücken war Tomeo bei Publikum und Kritik erfolgreich. 1994 wurde er mit dem renommierten Premio Aragón ausgezeichnet. Tomeo lebte zuletzt als freier Schriftsteller in Barcelona, wo er 2013 starb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.1996

Gulasch vom Stier
Deftig: Bei Flavier Tomeo sind Kino und Leben eins

In Woody Allens "The purple rose of Cairo" steigt der Kinoheld von der Leinwand herab, umarmt seine Verehrerin, die sich abendelang nach ihm verzehrt hatte, und brennt mit ihr ins wirkliche Leben durch. Der Schulterschluß zwischen dem Phantastischen und Realen scheint zu glücken, wenigstens für eine kurze, selige Weile.

Der phantastische Zufall führt auch in Javier Tomeos Roman "Das Verbrechen im Orientkino" Regie. Als die Prostituierte Maria nicht mehr weiß wohin mit ihrem verpfuschten Leben, bleibt ihr als letzter Zufluchtsort das Kino. Mit knapper Not und einem blauen Auge ist sie ihrem prügelnden Liebhaber entkommen, und während sie sich von einem Liebesfilm verzaubern läßt, trifft sie die Liebe wie ein Blitzschlag: in Gestalt des mickrigen, hinkenden Türstehers und Platzanweisers Juan. Ganz gefangen von ihrer sexuellen Aura bietet er ihr seine schäbige Wohnung über dem Orientkino als gemeinsames Zuhause an. Ihr kommt das Ganze wie ein Traum vor: "Einmal ein Zuhause zu haben, wie es Gott gefällt, und sei es mit Schrott eingerichtet, das war es, was ich mir immer schon gewünscht hatte." Der Film greift ins tatsächliche Leben ein, er setzt die Geschichte des ungleichen Paars in Gang. Und jeder neue Film, der gespielt wird, hat unmittelbare Folgen für die beiden Bewohner des Kinos.

Javier Tomeo erzählt nicht selber, er läßt die Vorgänge, die innerhalb von nur acht Tagen auf ein rasantes Finale zusteuern, von Maria erzählen. Sie ist Anfang Vierzig, ein derbes, sinnliches Geschöpf mit offenkundig starkem Geschlechtstrieb (dem der kümmerliche Juan beileibe nicht gewachsen ist) und einer tyrannischen Sehnsucht nach Glück. Aber das Glück will sich einfach nicht einstellen, obwohl Maria alle erdenklichen Anstrengungen unternimmt. Sie kocht für Juan Gulasch vom Stier (ohne den gewünschten Erfolg), wäscht seine Hemden (was er kaum wahrnimmt) und schmückt die heruntergekommene Wohnung mit Margeriten (die er in einem Anfall von Wut verschlingt). Genauso wie in dem ziemlich deprimierenden Film, der inzwischen läuft, sind Erwartung und Alltag offenbar zwei ganz verschiedene Dinge.

Der Ahnung, daß Juan einfach nicht normal sei, leistet sie entschlossen Widerstand. Sie will nicht wahrhaben, daß er ein hemmungsloser Säufer und gieriger Spanner ist, der in Filzpantoffeln Jagd auf die handarbeitenden Pärchen im Kino macht und sein sexuelles Versagen mit obszönen Sprüchen kompensiert. Lieber betrachtet sie alte Familienfotos und bittet die Toten, ihr einen guten Rat aus dem Jenseits zu geben. Je unerträglicher die alltägliche Monotonie mit einem versoffenen und erotisch unattraktiven Liebhaber für sie wird, desto mehr nimmt die Unwirklichkeit zu.

Und damit das diffuse Vorgefühl einer Katastrophe, das beide beherrscht. Es spiegelt sich in den Gegenständen und Landschaften, Topologien des Grauens: Die Glühbirne an der Zimmerdecke sieht aus "wie ein Mann mit brennenden Kutteln", der Mond hinter den Friedhofszypressen ist "knallrot wie eine Tomate", im schwarzen Wasser unter der Brücke flitzen Ratten umher. Weil Maria und Juan zu zweit einsamer sind als allein, führt jeder ein Doppelleben. Er sucht nachts eine Dirne auf, um seiner durch das Trinken erlahmten Männlichkeit Auftrieb zu geben, und sie läßt sich vom Pförtner der gegenüberliegenden Fabrik wenigstens aus der Entfernung mit Blicken und Pfiffen begehren.

Während sie in ihrer armseligen Behausung den Kinogeschichten zuhört (von der Leinwand trennen sie nur ein paar Meter), halluziniert sie sich in das laufende Geschehen, eine deftige Horrorstory, hinein. Sie entfremdet sich vom Gewöhnlichen, und da sie Phantasie von Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann, verwandelt sie Phantastisches in etwas Wirkliches. In unfreiwilliger Komplizenschaft handelt sie wie jene Frau im Film, die einen Mann mit einem Werwolf verwechselt. Damit nimmt ihre und Juans Existenz die grelle, jämmerliche Wende eines entsetzlichen Dramas.

Der Roman ist mit makabrem Witz, Tempo und Spannung erzählt. Seine Sprache ist milieugesättigt, kraftvoll, derb und unverstellt. Wie in seinen früheren Büchern - im "Marquis" (1984), in "Mütter und Söhne" (1986) oder der "Taubenstadt" (1991) - variiert der 1932 geborene spanische Romancier, fast obsessiv, sein Hauptthema: daß Vorstellungen, Bilder, Phantasien eine enorme, fatalistische Kraft des Faktischen besitzen. Nichts ist wirklicher als das Unwirkliche, nichts stiftet mehr Realität als das Imaginäre, das ist Tomeos schriftstellerisches Programm und das Gesetz, unter dem er seine Figuren leben läßt. BEATE PINKERNEIL

Javier Tomeo: "Das Verbrechen im Orientkino". Roman. Aus dem Spanischen von Heinrich v. Berenberg, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1996, 152 Seiten, geb., 36,- DM.

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