Vor 20 Jahren hat der Hochstapler Lajos, Eszters große und einzige Liebe, nicht nur sie, sondern auch ihre übrige Familie mit Charme und List bezaubert. Eszter hat es ihm nicht verziehen, dass er ihre Schwester Vilma geheiratet hat. Nun kehrt er zurück, um die tragischen Ereignisse von damals zu klären und die offenen Rechnungen zu begleichen. Bei dieser Gelegenheit kommen drei Briefe zum Vorschein, die für Eszter gedacht waren, die sie aber nie erhalten hatte ... Nach dem Welterfolg von Sándor Márais Roman "Die Glut" ein weiteres Meisterwerk des großen ungarischen Autors.
"Mit großem Geschick, in einer aufs Wesentliche verknappten und suggestiv aufgeladenen Sprache, verknüpft Sándor Márai die Fäden einer desaströsen Liebes- und Lebensgeschichte, die in einem existenziellen Kampf gipfelt, den die Frage bestimmt: Wird Lajos wieder siegen und seinen letzten großen Betrug erfolgreich abschließen?", Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2000Eszter empfängt einen Liebhaber
Verspäteter Besuch: Sándor Márais "Vermächtnis der Eszter"
Der kleine Roman "Das Vermächtnis der Eszter", in der deutschen Version ganze 165 Seiten lang, teilt uns am Ende das Jahr seiner Fertigstellung mit: 1938. Es handelt sich also um ein recht altes Werk, das irgendwie im Zeitenfluß des zwanzigsten Jahrhunderts beiseite gespült worden war. Besieht man sich die Ereignisse, die den Lebenslauf des Autors begleiteten, so werden einem die Gründe deutlich (F.A.Z. vom 13. Januar).
Sándor Márai, aus dem damals ungarischen, heute slowakischen Kassa gebürtig, entstammt dem Jahrgang 1900. Alle Katastrophen, die im Schoße des beginnenden Säkulums warteten, wurden zu seiner Gegenwart, betrafen ihn mehr oder weniger unmittelbar. Seine früheste Geschichte nimmt sich noch recht zivil aus: In den zwanziger Jahren studierte Márai in Frankfurt am Main und in Berlin, ging später nach Paris, arbeitete in Deutschland wie in Frankreich als Zeitungskorrespondent, übersetzte Georg Trakl und Franz Kafka. Im Jahr 1928 kehrte er nach Ungarn zurück, errang mit ersten literarischen Arbeiten Popularität. Der Zweite Weltkrieg war ihm eine böse Zäsur, und danach, im kommunistischen Ungarn, verbot man ihm jede publizistische Arbeit. 1948 emigrierte er, erst nach Italien, dann in die Vereinigten Staaten. 1989, als im kommunistischen Teil Europas, auch in der ungarischen Heimat, die große Wende begann, schied Márai aus dem Leben.
Es ist nicht so, daß Europas verlorener Sohn im Exil der Literatur entsagt hätte. Aber die Breitenwirkung seiner Anfänge, die in einem friedlichen Daheim wohl noch gewachsen wären, war in der Neuen Welt auf alte Weise nicht zu haben. Márai hatte seine frühen Leser beeindruckt durch den psychologischen Blick tief hinein in die Probleme der sterbenden europäischen Bürgerklasse. In Amerika fand er ein anderes Lebensgefühl vor, an dem sich die Nachkriegsgesellschaft Europas zwar nach und nach orientierte, doch bis dahin vergingen noch einige Jahre. Márai lebte also wie nach einer Revolution, die sich auf der angestammten Seite des Atlantiks noch nicht einmal richtig angebahnt hatte. Ein Schriftsteller tauscht seine Prägungen nicht wie das tägliche Hemd. All diese ungünstigen Umstände haben dazu beigetragen, ihn vom Erfolgsautor zum Geheimtip für literarische Experten machen.
Wie wird man Sándor Márai im gewandelten Europa aufnehmen, jetzt, da er heimzukehren scheint? Der Erfolg seines zuletzt ins Deutsche übersetzten Romans "Die Glut" läßt Positives erwarten. Die Melancholie des Zerfalls, der wir auch hier begegnen, hat offenbar keinen gegenwärtigen Leser befremdet. Vielleicht wohnen ja, aller amerikanisierten Ursprungsferne zum Trotz, noch immer die alten Schatten in unseren Seelen. Wäre es so, würde das auch der Neuerscheinung zugute kommen, in der wir gleichfalls unsere Gegenwart nicht finden, weder in der Fabel noch in deren Verarbeitung.
Wollte man "Eszters Vermächtnis" kurz charakterisieren, könnte man sagen: Es ist zum Staunen, daß eine Geschichte, mit deren Einzelheiten moderne Leser sich kaum recht identifizieren können, einen so starken Eindruck hinterläßt. Ein großes Maß dieser Wirkung rührt vom Stil her, der elegant ist, aber nicht kühl, detailfreudig, aber nie geschwätzig, und den die Übersetzerin Christina Viragh ohne Einbußen dem deutschen Leser vermittelt. Was aber erzählt uns der Roman? Eine Frau im vorgerückten Alter erwartet den Besuch des Mannes, den allein sie auf dieser Welt geliebt hat. Von dem sie aber, und das schürzt den dramatischen Knoten, schmerzhaft enttäuscht wurde. Lajos hat Eszter ausgenutzt, um Geld und Gut betrogen, schließlich ihre Schwester Vilma geheiratet. Eszter lebte seither mehr schlecht als recht von dem, was Lajos ihr ließ. Streng verwahrt in ihrer Seele lebt noch immer die alte Neigung, aber auch alter Groll, den ihre Wohngefährtin Nunu sowie ein paar Verwandte ständig mit Vernunftreden nähren.
Eszter fürchtet sich vor dem Besuch, empfängt aber dennoch den inzwischen verwitweten Gaunercharmeur. Bis hierhin wissen wir uns mit ihr einig, auch darin, daß sie den betrügerischen Schönschwätzer ein letztes Mal sprechen will: Vielleicht tut es ihr ja gut, sich endlich von der Seele zu reden, was sie so lange bedrückt hat. Aber da haben wir mit Zitronen gehandelt. Wider alle Vernunft verfängt sich Eszter auch diesmal in Lajos' Leimruten. Am Ende hält der Bursche ein notariell beglaubigtes Dokument in der Hand, mit dem die so oft Betrogene ihm nun auch noch Häuschen und Garten überschreibt, ihren letzten Besitz. Ihr bleibt nur ein Platz im Heim für mittellose alte Damen. Was hat sie so weit getrieben? Nichts als drei flehende Liebesbriefe, die Lajos ihr schrieb, als er noch nicht verheiratet war, und die die egozentrische Vilma unterschlug. Jetzt dienen sie ihm als Beweis dafür, daß Eszter den Lauf der Dinge verschuldet hat, weil sie ihrer Verantwortung gegenüber seinem Verlangen und ihren Gefühlen nicht gerecht wurde.
Aber sie hat die Briefe doch nie bekommen? Gleichgültig, das ändert nicht die damalige Situation. Und wieso war Lajos nicht Manns genug für eigene Entscheidungen? Eszter wußte um seine Unvollkommenheiten und hätte ihn vor sich selbst und vor der bösen Schwester retten müssen. Sogar die vernünftige Nunu akzeptiert schließlich diese Beweisführung, das verprellt uns am meisten, denn anders als Eszter ist Nunu nicht von alter Liebe blind. Wenn wir das Buch zuschlagen, empfinden wir eine Mischung von Mitleid und empörter Ablehnung. Wir haben einen versunkenen Kosmos kennengelernt, interessant in der Sache und schön in der Form. Aber Eszters sozialer Selbstmord leuchtet uns nicht ein, weder unter existentiellen noch unter emotionalen Aspekten. Daß Charaktere wie sie für das Frauenbild einer Gesellschaft standen, ist vielleicht doch schon zu lange her.
SABINE BRANDT
Sándor Márai: "Das Vermächtnis der Eszter". Roman. Piper Verlag, München 2000. 165 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verspäteter Besuch: Sándor Márais "Vermächtnis der Eszter"
Der kleine Roman "Das Vermächtnis der Eszter", in der deutschen Version ganze 165 Seiten lang, teilt uns am Ende das Jahr seiner Fertigstellung mit: 1938. Es handelt sich also um ein recht altes Werk, das irgendwie im Zeitenfluß des zwanzigsten Jahrhunderts beiseite gespült worden war. Besieht man sich die Ereignisse, die den Lebenslauf des Autors begleiteten, so werden einem die Gründe deutlich (F.A.Z. vom 13. Januar).
Sándor Márai, aus dem damals ungarischen, heute slowakischen Kassa gebürtig, entstammt dem Jahrgang 1900. Alle Katastrophen, die im Schoße des beginnenden Säkulums warteten, wurden zu seiner Gegenwart, betrafen ihn mehr oder weniger unmittelbar. Seine früheste Geschichte nimmt sich noch recht zivil aus: In den zwanziger Jahren studierte Márai in Frankfurt am Main und in Berlin, ging später nach Paris, arbeitete in Deutschland wie in Frankreich als Zeitungskorrespondent, übersetzte Georg Trakl und Franz Kafka. Im Jahr 1928 kehrte er nach Ungarn zurück, errang mit ersten literarischen Arbeiten Popularität. Der Zweite Weltkrieg war ihm eine böse Zäsur, und danach, im kommunistischen Ungarn, verbot man ihm jede publizistische Arbeit. 1948 emigrierte er, erst nach Italien, dann in die Vereinigten Staaten. 1989, als im kommunistischen Teil Europas, auch in der ungarischen Heimat, die große Wende begann, schied Márai aus dem Leben.
Es ist nicht so, daß Europas verlorener Sohn im Exil der Literatur entsagt hätte. Aber die Breitenwirkung seiner Anfänge, die in einem friedlichen Daheim wohl noch gewachsen wären, war in der Neuen Welt auf alte Weise nicht zu haben. Márai hatte seine frühen Leser beeindruckt durch den psychologischen Blick tief hinein in die Probleme der sterbenden europäischen Bürgerklasse. In Amerika fand er ein anderes Lebensgefühl vor, an dem sich die Nachkriegsgesellschaft Europas zwar nach und nach orientierte, doch bis dahin vergingen noch einige Jahre. Márai lebte also wie nach einer Revolution, die sich auf der angestammten Seite des Atlantiks noch nicht einmal richtig angebahnt hatte. Ein Schriftsteller tauscht seine Prägungen nicht wie das tägliche Hemd. All diese ungünstigen Umstände haben dazu beigetragen, ihn vom Erfolgsautor zum Geheimtip für literarische Experten machen.
Wie wird man Sándor Márai im gewandelten Europa aufnehmen, jetzt, da er heimzukehren scheint? Der Erfolg seines zuletzt ins Deutsche übersetzten Romans "Die Glut" läßt Positives erwarten. Die Melancholie des Zerfalls, der wir auch hier begegnen, hat offenbar keinen gegenwärtigen Leser befremdet. Vielleicht wohnen ja, aller amerikanisierten Ursprungsferne zum Trotz, noch immer die alten Schatten in unseren Seelen. Wäre es so, würde das auch der Neuerscheinung zugute kommen, in der wir gleichfalls unsere Gegenwart nicht finden, weder in der Fabel noch in deren Verarbeitung.
Wollte man "Eszters Vermächtnis" kurz charakterisieren, könnte man sagen: Es ist zum Staunen, daß eine Geschichte, mit deren Einzelheiten moderne Leser sich kaum recht identifizieren können, einen so starken Eindruck hinterläßt. Ein großes Maß dieser Wirkung rührt vom Stil her, der elegant ist, aber nicht kühl, detailfreudig, aber nie geschwätzig, und den die Übersetzerin Christina Viragh ohne Einbußen dem deutschen Leser vermittelt. Was aber erzählt uns der Roman? Eine Frau im vorgerückten Alter erwartet den Besuch des Mannes, den allein sie auf dieser Welt geliebt hat. Von dem sie aber, und das schürzt den dramatischen Knoten, schmerzhaft enttäuscht wurde. Lajos hat Eszter ausgenutzt, um Geld und Gut betrogen, schließlich ihre Schwester Vilma geheiratet. Eszter lebte seither mehr schlecht als recht von dem, was Lajos ihr ließ. Streng verwahrt in ihrer Seele lebt noch immer die alte Neigung, aber auch alter Groll, den ihre Wohngefährtin Nunu sowie ein paar Verwandte ständig mit Vernunftreden nähren.
Eszter fürchtet sich vor dem Besuch, empfängt aber dennoch den inzwischen verwitweten Gaunercharmeur. Bis hierhin wissen wir uns mit ihr einig, auch darin, daß sie den betrügerischen Schönschwätzer ein letztes Mal sprechen will: Vielleicht tut es ihr ja gut, sich endlich von der Seele zu reden, was sie so lange bedrückt hat. Aber da haben wir mit Zitronen gehandelt. Wider alle Vernunft verfängt sich Eszter auch diesmal in Lajos' Leimruten. Am Ende hält der Bursche ein notariell beglaubigtes Dokument in der Hand, mit dem die so oft Betrogene ihm nun auch noch Häuschen und Garten überschreibt, ihren letzten Besitz. Ihr bleibt nur ein Platz im Heim für mittellose alte Damen. Was hat sie so weit getrieben? Nichts als drei flehende Liebesbriefe, die Lajos ihr schrieb, als er noch nicht verheiratet war, und die die egozentrische Vilma unterschlug. Jetzt dienen sie ihm als Beweis dafür, daß Eszter den Lauf der Dinge verschuldet hat, weil sie ihrer Verantwortung gegenüber seinem Verlangen und ihren Gefühlen nicht gerecht wurde.
Aber sie hat die Briefe doch nie bekommen? Gleichgültig, das ändert nicht die damalige Situation. Und wieso war Lajos nicht Manns genug für eigene Entscheidungen? Eszter wußte um seine Unvollkommenheiten und hätte ihn vor sich selbst und vor der bösen Schwester retten müssen. Sogar die vernünftige Nunu akzeptiert schließlich diese Beweisführung, das verprellt uns am meisten, denn anders als Eszter ist Nunu nicht von alter Liebe blind. Wenn wir das Buch zuschlagen, empfinden wir eine Mischung von Mitleid und empörter Ablehnung. Wir haben einen versunkenen Kosmos kennengelernt, interessant in der Sache und schön in der Form. Aber Eszters sozialer Selbstmord leuchtet uns nicht ein, weder unter existentiellen noch unter emotionalen Aspekten. Daß Charaktere wie sie für das Frauenbild einer Gesellschaft standen, ist vielleicht doch schon zu lange her.
SABINE BRANDT
Sándor Márai: "Das Vermächtnis der Eszter". Roman. Piper Verlag, München 2000. 165 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main