Wer ist der Mann, der den meisten Deutschen als ihr größtes Vorbild gilt, noch vor Benedikt XVI. – und den Chinas KP-Führung als Vaterlandsverräter beschimpft? Ein Erleuchteter, weltentrückt heilig und jenseits aller Kritik? Oder ein politisch kühl kalkulierender Machtmensch? Vertraut er seinen morgendlichen BBC-Nachrichten oder den Würfeln, die er gelegentlich wirft? Was ist das Vermächtnis Seiner Heiligkeit, für seine Heimat Tibet, für den »Rest der Menschheit«? Im Gegensatz zu den vielen halb religiösen, halb esoterischen, zusammenhanglos versammelten Zitatenschätzen in Buchform, die unter den Namen des Dalai Lama auf dem Markt sind, zeigt Erich Follath den »wahren« Dalai Lama: seine Bedenken hinsichtlich einer allzu schnell wachsenden buddhistischen Gemeinde in Europa und den USA, seine Pläne für die tibetische Heimat, wo die Kompromissbereitschaft gegenüber Peking trotz des Schwurs der Gewaltlosigkeit endet; seine Befürchtungen, die KP Chinas könne, nach der Wahl des eigenen Panchen Lama, nun bald auch einen zweiten Dalai Lama bestimmen; seine Skepsis gegenüber einem Nachfolger und seine Gedanken darüber, wo denn – wenn überhaupt – eine Reinkarnation gefunden werden könnte.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Durchweg zufrieden ist Rezensentin Angela Köckritz mit diesen Aufzeichnungen über eine Reise zum Dalai Lama, die aus ihrer Sicht vieles auf einmal zwischen zwei Buchdeckeln zu bieten hat: nämlich ein Reisetagebuch durch Tibet, "ein wenig Reportage", eine "Lehrstunde in tibetischer Geschichte" sowie buddhistischer Religion. Und Interviews mit dem tibetischen Präsidenten der Exilregierung, dem Dalai Lama und seinem Staatsorakel. Manchmal staunt die Rezensentin über sich selbst, dass die schnellen Schnitte zwischen Orten und Jahrhunderten auf sie nicht störend wirken, sondern im Gegenteil, diese Potpourri-Technik ihr sehr unterschiedliche Aspekte von Geschichte und Gegenwart Tibets erzählen können. Follath zeichne außerdem ein "schillerndes Sittengemälde" Lhasas und Dharamsalas und erzähle zudem einen spannenden Politikrimi über die Beziehung Tibets zu China. Die Fragen allerdings, die zu beantworten Erich Follath aufgebrochen sei, blieben aus Sicht der Rezensentin zum Teil unbeantwortet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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