Nichts wird von der intellektuellen Klasse schärfer kritisiert und tiefer verachtet als der alles und jeden durchdringende Konsum. Dabei stellt der massenhafte Konsum einen unverzichtbaren Bestandteil jeder auf Wohlstand abzielenden Wirtschaftsordnung dar. Dennoch einigt die Ablehnung einer »materialistischen Einstellung« Rechte wie Linke, Avantgardisten wie Bildungsbürger, Verfechter einer Elite wie Vertreter der Mittelschicht.Thomas Hecken zeichnet in seinem Essay die Geschichte dieser Versagung von Böll bis Habermas, von der KPD bis zur CDU und von der FAZ bis zur »konkret« nach. Er entlarvt die zwiespältigen Versuche der Pop-Linken und der Neoliberalen, daran etwas zu ändern - und unternimmt schließlich selbst eine Verteidigung von Konsum und Materialismus.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.01.2011Freuden der Unterschicht
Thomas Hecken verteidigt den Konsum gegen seine Verächter
Wird dieses Buch begeisterte Leser finden? Der Untertitel lautet: „Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter“. Klassische Konsumbefürworter wie Wirtschaftsvertreter werden von dieser Publikation im kulturwissenschaftlichen Verlag Transcript wohl kaum Kenntnis nehmen – und wenn doch, dann erschiene ihnen eine Verteidigung des Konsumierens als höchst redundant. Diejenigen aber, die – etwa in Universitäts- oder Berliner Theorie-Buchhandlungen – den schmalen Band entdecken, dürften Aversionen empfinden. Denn was scheint affirmativer zu sein als ein Lobpreis des Kaufens? Und überhaupt: Wie zeitgemäß ist so ein Pamphlet heute, da die klassische Warenkritik etwa der Frankfurter Schule längst vergessen ist und nur noch von akademischen Mini-Sekten rezipiert wird?
Den weitaus größten Teil des Buches nimmt denn auch eine historische Darstellung der Konsumkritik in Deutschland nach 1945 ein. Thomas Hecken, Privatdozent für Neue deutsche Literaturwissenschaft in Dortmund, zeigt sich hier wieder einmal als fleißiger Leser. Schon für seine letzten Veröffentlichungen über Avantgarde-Bewegungen, Pop und Gegenkultur zog er immens viele Texte, kanonische wie obskure, heran. Und so versammelt er auch im aktuellen Buch eine sehr große Menge an intellektuellen Äußerungen zum Thema Konsum.
Das Ergebnis: In der Ablehnung des Konsums sind sich die Denker aller politischen Lager einig. Die Kommunisten schmähen ihn als Befriedigung künstlicher Bedürfnisse; Adorno erregt sich über die Gleichförmigkeit der kulturindustriellen Erzeugnisse und die Verdinglichung im Allgemeinen; die Anhänger der Gegenkultur in den sechziger Jahren konsumieren zwar fleißig, sehen prinzipiell im Konsum aber nichts als Ablenkung von der Revolution. Aber auch Heideggerianer, Konservative und Marktliberale beäugen das Geldausgeben mit Argwohn. Zwar wird von Letzteren der Wohlstand abstrakt gelobt, zugleich wird aber auch – etwa von der ordoliberalen Schule – vor den destruktiven Tendenzen einer konsumistischen Massenkultur gewarnt. Diese Klagen schwellen in den sechziger Jahren noch einmal deutlich an – als klar wird, dass auf den freien Märkten des Westens eben auch allzu Freizügiges reißenden Absatz findet.
Thomas Hecken zeigt den gemeinsamen Nenner dieser lagerübergreifenden Verachtung: sowohl den Rechten, den Linken als auch den Fürsprechern der Hochkultur graut es vor dem Konsumenten. Denn der ist, da in sinnlicher Befriedigung gefangen, passiv und damit indifferent gegenüber traditionellen Bindungen, politischem Kampf oder sublimierten Kulturgenüssen – oder wird zumindest so imaginiert.
Diesen Kern der Konsumkritik – die Abwertung des Sinnlich-Passiven – vermag Hecken auch in der Gegenwart zu erkennen. Zwar ist die Öffentlichkeit heute viel konsumorientierter als noch vor ein paar Jahrzehnten. In so gut wie allen Magazinen finden sich Produktstrecken in Hülle und Fülle, kulturindustrielle Produkte werden längst auch im Feuilleton gewürdigt. Hecken wendet jedoch ein, dass es stets nur eine gewisse Art des Konsums ist, die intellektuell affirmiert wird – die nämlich, die sich zur Distinktion eignet: exklusive Hotels, theoretisierbarer Pop oder interessante Mode. Geht es jedoch um echte Massenprodukte, herrsche nach wie vor der alte, ablehnende Konsens, jedoch mit einer leichten Modifikation: Den verwerflichen Konsum entdecken Warner wie Peter Sloterdijk heute bei der sogenannten Unterschicht. Dem Hartz-IV-Empfänger wird Heißhunger auf Flachbildschirme, Alkohol und Zigaretten, ungesunde Lebensmittel, Pornographie und gewalttätige Computerspiele attestiert. Und allzu oft trägt man die Verdammung des konsumistischen Lebens derer da unten vor, um Kürzungen bei den Sozialleistungen zu fordern.
Diesen durchschaubaren Manövern stellt der Autor eine bedingungslose Affirmation des Konsumierens entgegen. Er ist damit nicht der Erste; vor ein paar Jahren veröffentlichte der Medienphilosoph Norbert Bolz, der sich gern als Tabubrecher sieht, ein „konsumistisches Manifest“. Darin aber war der Konsum nur Mittel zum Zweck: Indem er den Massen als Ersatzreligion diene, verhindere er eine Ausbreitung religiöser Fanatismen. Ganz anders argumentiert Hecken: Er redet dem Konsumieren um seiner selbst willen das Wort. Da es evident sei, dass die Menschen nun einmal am Konsumieren so eine Freude hätten, diese aber, entgegen allen wertkonservativen Befürchtungen, nicht zum Untergang des Abendlandes geführt habe, sei es schlicht Spielverderberei, ihnen das Kaufen madig machen zu wollen. Das emotionale Zentrum in Heckens Argumentation ist jedoch die Sympathie mit der Unterschicht. Der Konsum sei oft die letzte Freude, die die Abgehängten in unserer Gesellschaft hätten. Sie um jene zu bringen, vollende die Grausamkeit der Klassengesellschaft.
Seine Kritik an der Konsumkritik sichert Hecken politisch dadurch ab, dass er fordert, die unleugbar negativen Folgen des Massenkonsums – Lohndumping und Umweltverschmutzung – müsse der Staat in Zaum halten. Dieses Argument wirkt dann doch etwas naiv. Denn eine Gesellschaft, die durch Gesetze derart reguliert wäre, dass für Arbeit gerechter Lohn gezahlt würde, dass die von Hecken so ins Herz gefasste Unterschicht bezahlbaren, attraktiven Wohnraum zur Verfügung hätte und dass Umweltverschmutzung drastisch minimiert würde, wäre schlicht eine andere als die, in der die Gesetze des Marktes eine derart breite Diversifikation des Warenangebots zur Folge haben, wie wir sie beobachten können. Diesen gewaltigen Widerspruch verschweigt Thomas Hecken. Und trotzdem hat sein Buch einen positiven Effekt: Wer es gelesen hat, ist sich dessen bewusst, dass die schöngeistige Ablehnung des Konsums in erster Linie ein Geschmacksurteil der Bessergestellten ist. PAUL-PHILIPP HANSKE
THOMAS HECKEN: Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter. Transcript Verlag, Bielefeld 2010. 250 Seiten, 21,80 Euro.
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Thomas Hecken verteidigt den Konsum gegen seine Verächter
Wird dieses Buch begeisterte Leser finden? Der Untertitel lautet: „Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter“. Klassische Konsumbefürworter wie Wirtschaftsvertreter werden von dieser Publikation im kulturwissenschaftlichen Verlag Transcript wohl kaum Kenntnis nehmen – und wenn doch, dann erschiene ihnen eine Verteidigung des Konsumierens als höchst redundant. Diejenigen aber, die – etwa in Universitäts- oder Berliner Theorie-Buchhandlungen – den schmalen Band entdecken, dürften Aversionen empfinden. Denn was scheint affirmativer zu sein als ein Lobpreis des Kaufens? Und überhaupt: Wie zeitgemäß ist so ein Pamphlet heute, da die klassische Warenkritik etwa der Frankfurter Schule längst vergessen ist und nur noch von akademischen Mini-Sekten rezipiert wird?
Den weitaus größten Teil des Buches nimmt denn auch eine historische Darstellung der Konsumkritik in Deutschland nach 1945 ein. Thomas Hecken, Privatdozent für Neue deutsche Literaturwissenschaft in Dortmund, zeigt sich hier wieder einmal als fleißiger Leser. Schon für seine letzten Veröffentlichungen über Avantgarde-Bewegungen, Pop und Gegenkultur zog er immens viele Texte, kanonische wie obskure, heran. Und so versammelt er auch im aktuellen Buch eine sehr große Menge an intellektuellen Äußerungen zum Thema Konsum.
Das Ergebnis: In der Ablehnung des Konsums sind sich die Denker aller politischen Lager einig. Die Kommunisten schmähen ihn als Befriedigung künstlicher Bedürfnisse; Adorno erregt sich über die Gleichförmigkeit der kulturindustriellen Erzeugnisse und die Verdinglichung im Allgemeinen; die Anhänger der Gegenkultur in den sechziger Jahren konsumieren zwar fleißig, sehen prinzipiell im Konsum aber nichts als Ablenkung von der Revolution. Aber auch Heideggerianer, Konservative und Marktliberale beäugen das Geldausgeben mit Argwohn. Zwar wird von Letzteren der Wohlstand abstrakt gelobt, zugleich wird aber auch – etwa von der ordoliberalen Schule – vor den destruktiven Tendenzen einer konsumistischen Massenkultur gewarnt. Diese Klagen schwellen in den sechziger Jahren noch einmal deutlich an – als klar wird, dass auf den freien Märkten des Westens eben auch allzu Freizügiges reißenden Absatz findet.
Thomas Hecken zeigt den gemeinsamen Nenner dieser lagerübergreifenden Verachtung: sowohl den Rechten, den Linken als auch den Fürsprechern der Hochkultur graut es vor dem Konsumenten. Denn der ist, da in sinnlicher Befriedigung gefangen, passiv und damit indifferent gegenüber traditionellen Bindungen, politischem Kampf oder sublimierten Kulturgenüssen – oder wird zumindest so imaginiert.
Diesen Kern der Konsumkritik – die Abwertung des Sinnlich-Passiven – vermag Hecken auch in der Gegenwart zu erkennen. Zwar ist die Öffentlichkeit heute viel konsumorientierter als noch vor ein paar Jahrzehnten. In so gut wie allen Magazinen finden sich Produktstrecken in Hülle und Fülle, kulturindustrielle Produkte werden längst auch im Feuilleton gewürdigt. Hecken wendet jedoch ein, dass es stets nur eine gewisse Art des Konsums ist, die intellektuell affirmiert wird – die nämlich, die sich zur Distinktion eignet: exklusive Hotels, theoretisierbarer Pop oder interessante Mode. Geht es jedoch um echte Massenprodukte, herrsche nach wie vor der alte, ablehnende Konsens, jedoch mit einer leichten Modifikation: Den verwerflichen Konsum entdecken Warner wie Peter Sloterdijk heute bei der sogenannten Unterschicht. Dem Hartz-IV-Empfänger wird Heißhunger auf Flachbildschirme, Alkohol und Zigaretten, ungesunde Lebensmittel, Pornographie und gewalttätige Computerspiele attestiert. Und allzu oft trägt man die Verdammung des konsumistischen Lebens derer da unten vor, um Kürzungen bei den Sozialleistungen zu fordern.
Diesen durchschaubaren Manövern stellt der Autor eine bedingungslose Affirmation des Konsumierens entgegen. Er ist damit nicht der Erste; vor ein paar Jahren veröffentlichte der Medienphilosoph Norbert Bolz, der sich gern als Tabubrecher sieht, ein „konsumistisches Manifest“. Darin aber war der Konsum nur Mittel zum Zweck: Indem er den Massen als Ersatzreligion diene, verhindere er eine Ausbreitung religiöser Fanatismen. Ganz anders argumentiert Hecken: Er redet dem Konsumieren um seiner selbst willen das Wort. Da es evident sei, dass die Menschen nun einmal am Konsumieren so eine Freude hätten, diese aber, entgegen allen wertkonservativen Befürchtungen, nicht zum Untergang des Abendlandes geführt habe, sei es schlicht Spielverderberei, ihnen das Kaufen madig machen zu wollen. Das emotionale Zentrum in Heckens Argumentation ist jedoch die Sympathie mit der Unterschicht. Der Konsum sei oft die letzte Freude, die die Abgehängten in unserer Gesellschaft hätten. Sie um jene zu bringen, vollende die Grausamkeit der Klassengesellschaft.
Seine Kritik an der Konsumkritik sichert Hecken politisch dadurch ab, dass er fordert, die unleugbar negativen Folgen des Massenkonsums – Lohndumping und Umweltverschmutzung – müsse der Staat in Zaum halten. Dieses Argument wirkt dann doch etwas naiv. Denn eine Gesellschaft, die durch Gesetze derart reguliert wäre, dass für Arbeit gerechter Lohn gezahlt würde, dass die von Hecken so ins Herz gefasste Unterschicht bezahlbaren, attraktiven Wohnraum zur Verfügung hätte und dass Umweltverschmutzung drastisch minimiert würde, wäre schlicht eine andere als die, in der die Gesetze des Marktes eine derart breite Diversifikation des Warenangebots zur Folge haben, wie wir sie beobachten können. Diesen gewaltigen Widerspruch verschweigt Thomas Hecken. Und trotzdem hat sein Buch einen positiven Effekt: Wer es gelesen hat, ist sich dessen bewusst, dass die schöngeistige Ablehnung des Konsums in erster Linie ein Geschmacksurteil der Bessergestellten ist. PAUL-PHILIPP HANSKE
THOMAS HECKEN: Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter. Transcript Verlag, Bielefeld 2010. 250 Seiten, 21,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Paul-Philipp Hanske begrüßt Thomas Heckens Verteidigung des Konsums gegen seine Verächter. Er hat die von einer stupenden Belesenheit zeugenden Ausführungen des Literaturwissenschaftlers mit großer Zustimmung gelesen. Erhellend findet er Heckens historische Darstellung der Konsumkritik in Deutschland nach 1945, die mit zahllosen Äußerungen von Intellektuellen zum Thema Konsum aufwartet. Deutlich wird für ihn dabei, dass sich in der Ablehnung des Konsums Denker aller Richtungen, Linke, Konservative, Rechte, Hochkulturvertreter einig waren und sind. Den gemeinsamen Nenner dieser lagerübgreifenden Haltung erkenne der Autor in der Verachtung des sinnlich-passiven Konsumenten, der heute vor allem in der sogenannten Unterschicht vermutet wird. Dagegen setzt Hecken eine von der Sympathie für die Unterschicht getragene "bedingungslose Affirmation des Konsumierens", die Hanske einiges zu denken gegeben hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Buch [hat] einen positiven Effekt: Wer es gelesen hat, ist sich dessen bewusst, dass die schöngeistige Ablehnung des Konsums in erster Linie ein Geschmacksurteil der Bessergestellten ist.« Paul-Philipp Hanske, Süddeutsche Zeitung, 24.01.2011 Besprochen in: NZZ, 14.12.2010 Zeitschrift für Medienwissenschaft, 12 (2010), Martin Seeliger Radio Unerhört Marburg, 02.01.2011, Nils Greiten Deutschlandfunk-Büchermarkt, 09.03.2011, Thomas Palzer Hamburger Abendblatt, 19.04.2011, Thomas Andre www.literaturkritik.de, 5 (2011), Walter Delabar GERMANISTIK, 54/3-4 (2013) https://www.freitag.de, 04.04.2015, Katja Kullmann