Als »Wissenschaft des Regierens« und »Kunst der Verwaltung« definiert ein Lexikon aus dem 18. Jahrhundert die Politik, 2000 Jahre früher machte Aristoteles das »glückselige und edle Leben« als Zweck des Staates aus. Ein Blick auf die Rituale der Berliner Republik zeigt, wie weit sich die praktische Politik von diesen Idealen entfernt hat: Es geht weniger um die Glückseligkeit der Bürger als um Parteienproporz und Lobbyinteressen, das zähe Ringen um Reformen hat mit großer Kunst wenig gemeinsam. Wie es trotzdem immer wieder gelingt, die Fiktion einer idealen Politik aufrechtzuerhalten, ist das Thema der Studie von Wolfgang Fach: Charismatische Persönlichkeiten »veredeln« die graue Routine, demokratische Wahlen sollen das politische Tagesgeschäft »reinigen«. Wo diese Verfahren nicht weiterhelfen, muß die Politik neu erfunden werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008Verdruss ist Vertrauen
Die Politik ist am Ende? Aber welche? Wolfgang Fach zeigt, wie und warum wir „wahre” von „gemeiner” Politik unterscheiden Von Jens-Christian Rabe
Kaum etwas wird im Nachdenken über die Gegenwart genüsslicher und ausdauernder beschworen als das „Ende der Politik”. Vermeintliche Anlässe gibt es mehr als genug. Sei es die fortschreitende Globalisierung und der damit verbundene Machtgewinn international agierender Wirtschaftskonzerne, sei es die zu beinahe jeder Wahl attestierte allgemeine „Politikverdrossenheit”, sei es der wachsende schlechte Einfluss „der Medien” oder auch einfach nur der Auftritt eines jungen, charismatischen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, der es bislang geschickt versteht, allzu detaillierten sachlichen Erwägungen aus dem Weg zu gehen. Wer das Ende der Politik gültig gekommen sieht, der wähnt sich diskurstaktisch auf der unerhörten, also richtigen, wichtigen, gewichtigen Seite.
Mit der gebotenen Kälte angesichts der aufgehitzten Verhältnisse, so scheint es dann, seziert da einer die Lage. Und erstmal ist man durchaus dabei. Politik-Emphase ist schließlich besser nicht die Sache des modernen aufgeklärten Zeitdiagnostikers. Trotzdem hängt ganz unschön bald eine seltsame Unbekannte ins Bild, die Frage nämlich, auf was für einem Politikbegriff diese scheinbar so überlegene Apokalyptik eigentlich fußt.
Meist stellt sich heraus, dass dieser Politikbegriff reichlich diffus ist. Bürokratie-Abscheu mischt sich mit Kritik an Prozessen der Willensbildung, Demos-Ekel mit schlechten Erfahrungen mit Mitgliedern der politischen Kaste. In seinem Kern hat dieses Politikverständnis jedoch eine ältere, sehr alte Quelle. Bewusst oder unbewusst geht es zurück auf Überlegungen des Aristoteles. Politik gilt dem Platon-Schüler neben der Philosophie als vornehmste Tätigkeit überhaupt, im denkbar besten Sinne versteht er darunter die unmittelbare Selbstregierung von freien und gleichen Bürgern.
Hintergrund dieser Konzeption wiederum waren die zu Aristoteles’ Lebzeiten bereits im Niedergang begriffenen Verhältnisse in Athen zwischen dem späten sechsten und späten vierten Jahrhundert vor Christus. In dieser Zeit herrschte in dem antiken Stadtstaat die erste und konsequenteste direkte Demokratie der Welt: An der gesetzgebenden und alle wichtigen Entscheidungen treffenden Volksversammlung konnte jeder Bürger teilnehmen – Frauen, Sklaven und ortsansässige Fremde gehörten freilich nicht dazu; jeder Bürger besaß Rederecht, alle Ämter wurden gewählt, gar nicht wenige schlicht per Los vergeben. Demokratischer sollte nie mehr regiert werden.
Kritik an moderner Politik spielt gerne an auf solche idealen Verhältnisse. Von der athenischen Polis aus gesehen macht schließlich noch die jede zeitgenössische Massendemokratie einen dürftigen Eindruck. Eine ganz ähnliche Strategie verfolgte der konservative Rechtstheoretiker Carl Schmitt in seiner berühmten, 1923 erschienenen Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus”. Der eigentlich stramme politische Dezisionist Schmitt spielt darin genuin demokratische Werte gegen die Demokratie selbst aus (und nicht wenige weit Liberalere oder gar Linke tun es bis heute mit ihm): „Öffentlichkeit und Diskussion (sind) in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden”. „Engere und engste” Ausschüsse von Parteien und Parteikoalitionen beschlössen hinter verschlossenen Türen und noch wichtiger sei vielleicht, was Vertreter „großkapitalistischer Interessenverbände im engsten Komitee” abmachten.
Ganz verkehrt ist das alles natürlich nicht, aber eben längst auch etwas wohlfeil. Vor allem aber steht es einem hinreichenden Verständnis der mitunter unauflösbaren Komplexität der Politik in modernen Massendemokratien auf eklatante Weise im Weg. Das neue Buch „Das Verschwinden der Politik” des Politikwissenschaftlers und Ideenhistorikers Wolfgang Fach erscheint unter diesen so mächtigen wie fatalen Umständen umso nötiger. Anders als der Titel zunächst vermuten lässt, geht es dem 64-jährigen Leipziger Professor um alles andere als eine weitere finale Klage über die zeitgenössische Politik und ihre Protagonisten. Fach hat es vielmehr auf den ambivalenten Bedeutungsumfang des Begriffs abgesehen. Einerseits also die „wahre POLITIK, verstanden als transzendentale Sorge fürs Ganze”, andererseits „gemeine Politik, wie sie von selbsternannten Machiavellisten betrieben wird, deren Denken in moralfreiem Schachern und perspektivlosem Schieben versumpft – wenn nicht gar Leichen ihren Weg pflastern”. So weit, so trivial.
Die erste Pointe des Buchs besteht aber in einer daraus abgeleiteten Frage, die für sich genommen kaum bahnbrechende Originalität beanspruchen kann, aber viel zu selten gestellt wird. Die Frage nämlich, wie es sein kann, dass trotz des scheinbar übermächtigen Verdrusses die Demokraten aller Länder immer noch und vor allem immer wieder und doch in recht großer Zahl zur Wahl gehen: „Leben wir also in einer Art Doppelstaat, in dem die POLITIK ihre häßliche Schwester aufs ganze gesehen ,verdeckt” und im entscheidenden Moment, der Wahl, sogar ,verschwinden’ läßt?”
Man darf diese Frage mit Wolfgang Fach getrost mit Ja beantworten. Wir können das alles offenbar tatsächlich gleichzeitig: „das eine (POLITIK) verhimmeln, das andere (Politik) verachten” – und diese Verachtung trotzdem immer wieder vergessen, verdrängen, also gleichsam „verschwinden” lassen, wenn wir dem gleichsam „magischen Effekt” der POLITIK erliegen. Vom profanen „Verstecken”, also den einfachen Verbergen etwa der Postenschacherei im politischen Betrieb, will der Autor das interessantere „Verschwinden” gut unterschieden wissen: „Im Urteil von Zeitgenossen oder der Nachwelt wird die Gemeinheit ausgeblendet, soll heißen: verkleinert, entschuldigt, begründet, verteidigt. Politik gilt als Preis der POLITIK.” So schaffe die Fiktion, solange sich die Zuschauer, Wähler, Bürger verzaubern ließen, unwiederuflich Fakten. Und so möchte Fach sein Buch verstanden wissen als eines über die faktische Kraft dessen in der Politik, was doch eigentlich eher im Reich der Fiktion siedelt.
Das Buch bietet danach einen äußerst instruktiven Gang durch zentrale Aspekte der politische Ideengeschichte. In den Blick Fachs gerät etwa Max Webers Konzept der Verantwortungsethik als spezifisches Modell, ordinäre Politik hinter ihrem „hohen Pendant” verschwinden zu lassen. Nicht jeder Zweck heilige aus verantwortungsethischer Sicht die Mittel, der gute jedoch – und darauf kommt es an – beinahe alles. Gesetzt der Fall natürlich, ein, aus welchen Gründen auch immer für charismatisch erachteter „großer Geist” an der Staatsspitze bürgt. Oder Jean-Jacques Rousseaus staatstheoretische Überlegungen: Sie werden von Fach als Plädoyer dafür gelesen, dass es auch tendenziell Prozesse, Gesetze, verfassungsmäßige Regeln sein können, die die niedere Politik verschwinden lassen. Ein Umstand, der nicht zuletzt dann einleuchtet, wenn man an Ernst-Wolfgang Böckenfördes Diktum denkt, dass der moderne Staat, von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Das ist wahr, ebenso wahr ist jedoch auch, dass das Korsett der Verfassung offenbar dennoch das allgemeine Bedürfnis befriedigt nach der Illusion Idealpolitik. Das Verschwinden – und damit die Rede vom Ende der Politik – werde erst aus der Politik verschwinden, so Fach, wenn die Menschen ihre Affinität zu dieser Illusion verlieren würden. Angesichts der Banalität des Lebens, sei damit jedoch wohl vorerst nicht zu rechnen.
Eine gelegentlich etwas strengere Engführung der Argumente hätte dem Band allerdings gut getan. Die Gliederung wirkt fast symptomatisch. Das Buch in 13 gleichrangige Kapitel zu unterteilen, erscheint zunächst zwar angenehm übersichtlich, nicht zuletzt durch die sehr knappen Titel entsteht jedoch auch der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Man hätte sich hier einen entschlosseneren, insgesamt zwingenderen ersten Aufriss des Themas gewünscht. Auch die vielen Klammern und manch stilistisch arg Ungelenkes – „und/oder”, „resp.” – erinnern stark an die stilistischen Gepflogenheiten in den eilig um Kürze und größtmögliche Vollständigkeit bemühten Arbeitsblättern des akademischen Tagesgeschäfts. Dennoch: Die große Stärke des Bandes, seine nüchterne Sensibilität und sein im besten Sinne zähes, unnachgiebiges, überzeugendes Beharren auf der Unvermeidlichkeit eines heterogenen Politikbegriffs bleibt davon unberührt. Allen, die der Politik allzu schnell den Totenschein austellen wollen, sei mit diesem Buch erst einmal gleichsam ein Blick auf deren Geburtsurkunde geraten.
Wolfgang Fach
Das Verschwinden der Politik Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 248 Seiten, 10 Euro.
Demokratischer als im alten Athen wurde nie wieder regiert
Bevor man einen Totenschein ausstellt, sollte man auf die Geburtsurkunde schauen
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Die Politik ist am Ende? Aber welche? Wolfgang Fach zeigt, wie und warum wir „wahre” von „gemeiner” Politik unterscheiden Von Jens-Christian Rabe
Kaum etwas wird im Nachdenken über die Gegenwart genüsslicher und ausdauernder beschworen als das „Ende der Politik”. Vermeintliche Anlässe gibt es mehr als genug. Sei es die fortschreitende Globalisierung und der damit verbundene Machtgewinn international agierender Wirtschaftskonzerne, sei es die zu beinahe jeder Wahl attestierte allgemeine „Politikverdrossenheit”, sei es der wachsende schlechte Einfluss „der Medien” oder auch einfach nur der Auftritt eines jungen, charismatischen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, der es bislang geschickt versteht, allzu detaillierten sachlichen Erwägungen aus dem Weg zu gehen. Wer das Ende der Politik gültig gekommen sieht, der wähnt sich diskurstaktisch auf der unerhörten, also richtigen, wichtigen, gewichtigen Seite.
Mit der gebotenen Kälte angesichts der aufgehitzten Verhältnisse, so scheint es dann, seziert da einer die Lage. Und erstmal ist man durchaus dabei. Politik-Emphase ist schließlich besser nicht die Sache des modernen aufgeklärten Zeitdiagnostikers. Trotzdem hängt ganz unschön bald eine seltsame Unbekannte ins Bild, die Frage nämlich, auf was für einem Politikbegriff diese scheinbar so überlegene Apokalyptik eigentlich fußt.
Meist stellt sich heraus, dass dieser Politikbegriff reichlich diffus ist. Bürokratie-Abscheu mischt sich mit Kritik an Prozessen der Willensbildung, Demos-Ekel mit schlechten Erfahrungen mit Mitgliedern der politischen Kaste. In seinem Kern hat dieses Politikverständnis jedoch eine ältere, sehr alte Quelle. Bewusst oder unbewusst geht es zurück auf Überlegungen des Aristoteles. Politik gilt dem Platon-Schüler neben der Philosophie als vornehmste Tätigkeit überhaupt, im denkbar besten Sinne versteht er darunter die unmittelbare Selbstregierung von freien und gleichen Bürgern.
Hintergrund dieser Konzeption wiederum waren die zu Aristoteles’ Lebzeiten bereits im Niedergang begriffenen Verhältnisse in Athen zwischen dem späten sechsten und späten vierten Jahrhundert vor Christus. In dieser Zeit herrschte in dem antiken Stadtstaat die erste und konsequenteste direkte Demokratie der Welt: An der gesetzgebenden und alle wichtigen Entscheidungen treffenden Volksversammlung konnte jeder Bürger teilnehmen – Frauen, Sklaven und ortsansässige Fremde gehörten freilich nicht dazu; jeder Bürger besaß Rederecht, alle Ämter wurden gewählt, gar nicht wenige schlicht per Los vergeben. Demokratischer sollte nie mehr regiert werden.
Kritik an moderner Politik spielt gerne an auf solche idealen Verhältnisse. Von der athenischen Polis aus gesehen macht schließlich noch die jede zeitgenössische Massendemokratie einen dürftigen Eindruck. Eine ganz ähnliche Strategie verfolgte der konservative Rechtstheoretiker Carl Schmitt in seiner berühmten, 1923 erschienenen Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus”. Der eigentlich stramme politische Dezisionist Schmitt spielt darin genuin demokratische Werte gegen die Demokratie selbst aus (und nicht wenige weit Liberalere oder gar Linke tun es bis heute mit ihm): „Öffentlichkeit und Diskussion (sind) in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden”. „Engere und engste” Ausschüsse von Parteien und Parteikoalitionen beschlössen hinter verschlossenen Türen und noch wichtiger sei vielleicht, was Vertreter „großkapitalistischer Interessenverbände im engsten Komitee” abmachten.
Ganz verkehrt ist das alles natürlich nicht, aber eben längst auch etwas wohlfeil. Vor allem aber steht es einem hinreichenden Verständnis der mitunter unauflösbaren Komplexität der Politik in modernen Massendemokratien auf eklatante Weise im Weg. Das neue Buch „Das Verschwinden der Politik” des Politikwissenschaftlers und Ideenhistorikers Wolfgang Fach erscheint unter diesen so mächtigen wie fatalen Umständen umso nötiger. Anders als der Titel zunächst vermuten lässt, geht es dem 64-jährigen Leipziger Professor um alles andere als eine weitere finale Klage über die zeitgenössische Politik und ihre Protagonisten. Fach hat es vielmehr auf den ambivalenten Bedeutungsumfang des Begriffs abgesehen. Einerseits also die „wahre POLITIK, verstanden als transzendentale Sorge fürs Ganze”, andererseits „gemeine Politik, wie sie von selbsternannten Machiavellisten betrieben wird, deren Denken in moralfreiem Schachern und perspektivlosem Schieben versumpft – wenn nicht gar Leichen ihren Weg pflastern”. So weit, so trivial.
Die erste Pointe des Buchs besteht aber in einer daraus abgeleiteten Frage, die für sich genommen kaum bahnbrechende Originalität beanspruchen kann, aber viel zu selten gestellt wird. Die Frage nämlich, wie es sein kann, dass trotz des scheinbar übermächtigen Verdrusses die Demokraten aller Länder immer noch und vor allem immer wieder und doch in recht großer Zahl zur Wahl gehen: „Leben wir also in einer Art Doppelstaat, in dem die POLITIK ihre häßliche Schwester aufs ganze gesehen ,verdeckt” und im entscheidenden Moment, der Wahl, sogar ,verschwinden’ läßt?”
Man darf diese Frage mit Wolfgang Fach getrost mit Ja beantworten. Wir können das alles offenbar tatsächlich gleichzeitig: „das eine (POLITIK) verhimmeln, das andere (Politik) verachten” – und diese Verachtung trotzdem immer wieder vergessen, verdrängen, also gleichsam „verschwinden” lassen, wenn wir dem gleichsam „magischen Effekt” der POLITIK erliegen. Vom profanen „Verstecken”, also den einfachen Verbergen etwa der Postenschacherei im politischen Betrieb, will der Autor das interessantere „Verschwinden” gut unterschieden wissen: „Im Urteil von Zeitgenossen oder der Nachwelt wird die Gemeinheit ausgeblendet, soll heißen: verkleinert, entschuldigt, begründet, verteidigt. Politik gilt als Preis der POLITIK.” So schaffe die Fiktion, solange sich die Zuschauer, Wähler, Bürger verzaubern ließen, unwiederuflich Fakten. Und so möchte Fach sein Buch verstanden wissen als eines über die faktische Kraft dessen in der Politik, was doch eigentlich eher im Reich der Fiktion siedelt.
Das Buch bietet danach einen äußerst instruktiven Gang durch zentrale Aspekte der politische Ideengeschichte. In den Blick Fachs gerät etwa Max Webers Konzept der Verantwortungsethik als spezifisches Modell, ordinäre Politik hinter ihrem „hohen Pendant” verschwinden zu lassen. Nicht jeder Zweck heilige aus verantwortungsethischer Sicht die Mittel, der gute jedoch – und darauf kommt es an – beinahe alles. Gesetzt der Fall natürlich, ein, aus welchen Gründen auch immer für charismatisch erachteter „großer Geist” an der Staatsspitze bürgt. Oder Jean-Jacques Rousseaus staatstheoretische Überlegungen: Sie werden von Fach als Plädoyer dafür gelesen, dass es auch tendenziell Prozesse, Gesetze, verfassungsmäßige Regeln sein können, die die niedere Politik verschwinden lassen. Ein Umstand, der nicht zuletzt dann einleuchtet, wenn man an Ernst-Wolfgang Böckenfördes Diktum denkt, dass der moderne Staat, von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Das ist wahr, ebenso wahr ist jedoch auch, dass das Korsett der Verfassung offenbar dennoch das allgemeine Bedürfnis befriedigt nach der Illusion Idealpolitik. Das Verschwinden – und damit die Rede vom Ende der Politik – werde erst aus der Politik verschwinden, so Fach, wenn die Menschen ihre Affinität zu dieser Illusion verlieren würden. Angesichts der Banalität des Lebens, sei damit jedoch wohl vorerst nicht zu rechnen.
Eine gelegentlich etwas strengere Engführung der Argumente hätte dem Band allerdings gut getan. Die Gliederung wirkt fast symptomatisch. Das Buch in 13 gleichrangige Kapitel zu unterteilen, erscheint zunächst zwar angenehm übersichtlich, nicht zuletzt durch die sehr knappen Titel entsteht jedoch auch der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Man hätte sich hier einen entschlosseneren, insgesamt zwingenderen ersten Aufriss des Themas gewünscht. Auch die vielen Klammern und manch stilistisch arg Ungelenkes – „und/oder”, „resp.” – erinnern stark an die stilistischen Gepflogenheiten in den eilig um Kürze und größtmögliche Vollständigkeit bemühten Arbeitsblättern des akademischen Tagesgeschäfts. Dennoch: Die große Stärke des Bandes, seine nüchterne Sensibilität und sein im besten Sinne zähes, unnachgiebiges, überzeugendes Beharren auf der Unvermeidlichkeit eines heterogenen Politikbegriffs bleibt davon unberührt. Allen, die der Politik allzu schnell den Totenschein austellen wollen, sei mit diesem Buch erst einmal gleichsam ein Blick auf deren Geburtsurkunde geraten.
Wolfgang Fach
Das Verschwinden der Politik Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 248 Seiten, 10 Euro.
Demokratischer als im alten Athen wurde nie wieder regiert
Bevor man einen Totenschein ausstellt, sollte man auf die Geburtsurkunde schauen
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angesichts des unreflektierten Politik-Begriffs in der Debatte um die stets aufs Neue beschworene Politikverdrossenheit begrüßt Rezensent Jens-Christian Rabe nachdrücklich Wolfgang Fachs jüngstes Buch. Der Autor unterscheidet darin zwei Ideen von Politik, einmal als philosophischen Begriff von der "transzendentalen Sorge fürs Ganze", der "POLITIK", und der alltäglichen, von Postenschacherei und Machterhalt geprägten "gemeinen Politik", erklärt der Rezensent. Der Clou in Fachs Gedankengang besteht darin zu zeigen, dass die gemeine Politik gerade in Wahlzeiten von der idealistischen Politik überdeckt wird und er damit dieser eigentlich als "Fiktion" verstandenen idealistischen Politik eine Macht zuschreiben kann, die dann auch auf die gemeine Politik wirkt, legt der Rezensent interessiert dar. Zudem biete das Buch einen erhellenden Abriss der Ideengeschichte der Politik, lobt Rabe weiter. Weniger überzeugend findet er den strukturellen Aufbau des Buches in 13 gleich gewichtete Kapitel: diese Struktur verleiht dem Ganzen eine gewisse "Beliebigkeit", meint Rabe, den zudem der etwas ungelenke Stil des Buchs gestört hat. Das soll aber den Wert des differenzierten heterogenen Politik-Begriffs, den Fach hier entwickelt, keinesfalls mindern, wie der Rezensent betont.
© Perlentaucher Medien GmbH
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