Dwayne Koster ist ein amerikanischer Literaturprofessor um die fünfzig. Erlebt in der verrottenden Autostadt Detroit (der passend depressiven Kulissefür seine große Krise), er ist geschieden, hat ein Techtelmechtel mit einer unglaublichjungen Studentin, und seine Exfrau Susan hat sich ausgerechnet mitseinem größten Widersacher eingelassen.Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Gewiss kein Zufall, denn derErzähler ist ein französischer Autor, der einen Roman nach amerikanischemVorbild schreiben will, um endlich berühmt zu werden. Was fehlt ihm alsonoch, diesem Dwayne in der Midlifecrisis, zum amerikanischen Romanhelden?Eine klare zeitgenössische Verankerung (der Tod Kennedys, der 11. September,der Irakkrieg), ein Hang zum Alkohol und zum Glücksspiel, endlose Highways,die passende Filmmusik und maskuline Selbsterfahrung in freier Natur.Doch währendder Erzähler sich selbst beim Erfinden eines Romans zuschaut,muss er erleben, wie seine Figuren lebendig werden und sich auf und davonmachen.Wie in einem gekrümmten Spiegel reflektiert dieser intelligente und sehrkomische Roman sich selbst, er dehnt und verzerrt, quetscht und überzeichnet.Virtuos und höchst unterhaltsam bespielt Tanguy Viel seine parodistischeKlaviatur.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Literaturanwärter und -anwärterinnen können sich die Semester in Leipzig und Hildesheim nach der Lektüre von Tanguy Viels neuem Roman "Das Verschwinden des Jim Sullivan" sparen, glaubt Rezensent Jochen Schimmang, der hier nicht nur einen äußerst amüsantes Buch, sondern auch einen aufschlussreichen Metaroman über das Erfolgsrezept amerikanischer Romane gelesen hat. Denn genau jenes liefert Viel gleich mit, informiert der Kritiker und notiert fleißig, dass ein international erfolgreicher Roman stets in Amerika spielen müsse, am besten mit einem Akademiker aufwartet, Roadmovie-Themen, Alkohol und leidenschaftliche Verwicklungen nicht fehlen lässt und mit der Ermordung Kennedys und dem elften September auch noch amerikanische Zeitgeschichte einbringt. Das ist dank Viels lakonischer, eleganter und temporeicher Erzählweise auch noch sehr vergnüglich zu lesen, lobt Schimmang und fügt erfreut hinzu, dass der Franzose Viel im Gegensatz zu seinen amerikanischen Kollegen Pynchon, Franzen oder Eggers dafür nur 120 Seiten benötigt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2014Man nehme Kaktus, Dodge und Zeitkolorit
Ein guter Roman über Amerika braucht Versatzstücke. Wer sie richtig mischt, der hat einen Hit: Der Franzose Tanguy Viel führt das mit "Das Verschwinden des Jim Sullivan" sehr witzig vor.
Nun liegt es auch auf Deutsch vor, das optimale Creativewritingmanual, getarnt als Roman. Geschrieben hat es der Franzose Tanguy Viel, der uns zuletzt mit dem ebenso perfekten Antifamilienroman "Paris - Brest" beglückte. Sein neues Buch erspart den jungen hoffnungsfrohen Autoren und Autorinnen der Zukunft mehrere Semester Leipzig oder Hildesheim, zumindest wenn sie sich auf dem immer härter umkämpften Romanmarkt behaupten wollen.
Denn, so weiß Viel, wer dort Erfolg haben will, muss einen "internationalen" Roman schreiben, einen jener Romane, "die man in sämtliche Sprachen der Welt übersetzt findet und die in vielen Buchhandlungen verkauft werden". Und der internationale Roman ist selbstverständlich der amerikanische (wie wir in dieser Saison gerade wieder an Dave Eggers erfahren), weshalb die Gattungsbezeichnung von Viels neuem Buch auch nicht einfach Roman, sondern "Ein amerikanischer Roman" lautet. Franzosen können so etwas nicht schreiben, nicht so lange jedenfalls, wie sie ihre Bücher in Frankreich ansiedeln, denn "die Hauptfigur eines amerikanischen Romans würde niemals zu Füßen der Kathedrale von Chartres wohnen". Es nützt aber auch nichts, in andere Städte von la douce France auszuweichen, "weil es in mehr oder weniger allen Städten Kathedralen gibt und ringsum Straßen mit Kopfsteinpflaster, die die internationale Dimension der Örtlichkeiten zerstören".
Der amerikanische Autor dagegen kann seine Story sogar in Kentucky oder Montana ansiedeln und von Maisfeldern und Hühnerfarmen, vom Jagen und Angeln und Brennholzmachen schreiben und kriegt doch immer noch einen internationalen Roman hin. Deshalb verlegt Viel den internationalen Roman, den er schreiben würde, nach Detroit und stattet ihn mit amerikanischem Personal aus.
Das ist ein überzeugendes Programm, und es wird ebenso überzeugend umgesetzt. Der Roman entsteht, während sein Autor uns erzählt, wie der amerikanische Roman aussehen würde, den er schreiben würde. Es handelt sich also um einen Metaroman. Zum Glück hat diese Brechung nichts Akademisches und nichts Neunmalkluges, nicht einmal etwas Postmodernes, weil dieser Autor ein Meister der Lakonik ist, ein zügiges Tempo vorlegt und seine Geschichte nach 120 Seiten zu Ende erzählt hat. Das unterscheidet ihn, beiläufig bemerkt, von den amerikanischen Autoren amerikanischer Romane.
Man nehme also: den Literaturprofessor Dwayne Koster, um die fünfzig, der in Ann Arbor lehrt und über den Einfluss von "Moby Dick" auf den zeitgenössischen Roman promoviert hat; seinen Rivalen Alex Dennis, dessen Seminare viel besser besucht sind und der eines Tages Dwaynes Frau Susan verführt; seine dreißig Jahre jüngere Studentin Milly Hartway, die zur Finanzierung ihres Studiums in einem Diner jobbt und Dwayne in seiner Freizeit in irgendwelchen Motels vögelt, bevor man entspannt über William Faulkner plaudert; den einflussreichen Geschäftsmann und Politiker Lee Matthews, Republikaner natürlich, eine Mixtur aus Nixon und Dick Cheney, der Dwayne anbietet, seinen Rivalen aus der Welt schaffen zu lassen, wenn Dwayne ihm im Gegenzug einen Gefallen tut. Dann weiß man, dass hier ein echt amerikanisches Epos entsteht, auf dessen letzter Umschlagseite stehen wird: "Ein regelrechtes Gemälde, das uns auf die verschlungenen Pfade des menschlichen Lebens führt."
Dass das Ganze auch ein Roadmovie ist, versteht sich von selbst, und Dwaynes Wagen, ein alter Dodge Coronet, ist ebenso einer der Protagonisten wie die Hütte ganz weit draußen, die ihm Lee Matthews eine Weile zur Verfügung stellt. Es beginnt im behüteten akademischen Milieu, denn immer ist in amerikanischen Romanen "eine Hauptfigur Professor an der Uni", und endet schließlich in New Mexico, wo Dwayne den 1975 unter nie geklärten Umständen verschwundenen Sänger Jim Sullivan aufspürt. "Da klettert Dwayne aus dem immer noch rauchenden Dodge und folgt Jim zwischen den Kakteen hindurch, er geht durch die rissige Wüste, und dann, ja dann, es ist eben in Amerika, dann verschwindet Dwayne, er verschwindet in der Ferne." Damit ist der amerikanische Roman zu Ende.
Aber ich habe noch gar nicht erwähnt, dass Dwayne immer ein bisschen zu viel Jack Daniels trinkt. Auch nicht, dass er als Kind seine Mutter mit einem Liebhaber erwischt hat, nicht an einem beliebigen Tag, sondern am 22. November 1963, dem Tag der Kennedy-Ermordung, "eines jener Ereignisse, an denen man als Amerikaner nicht vorbeikommt, ich meine, als amerikanischer Schriftsteller, eines jener Ereignisse, die über einem Buch schweben und dafür sorgen, dass die Figuren mit den Problemen ihrer Zeit zu tun bekommen". Als Dwayne in der Psychiatrie ist, sieht er im Fernsehen die Zwillingstürme zusammenfallen, und die Haupthandlung des Buches spielt zur Zeit des zweiten Irak-Kriegs, versteht sich.
Ich habe immer noch nicht alles aufgeführt, aber klar genug ist jetzt wohl, dass so spezielle Autoren wie Thomas Pynchon, Jonathan Franzen oder eben Dave Eggers aus diesen 120 Seiten sechs- bis achthundert gemacht hätten. Tanguy Viel aber ist eben doch kein amerikanischer Autor, und deshalb wohnt er nach wie vor - nicht mal in Paris, sondern in dem hübschen Örtchen Meung-sur-Loire, wo es auch Kopfsteinpflaster und eine Kirche gibt (aus dem elften oder zwölften Jahrhundert), wo der gesellschaftliche Höhepunkt der sonntägliche Markt ist und wo Kommissar Maigret sich zur Ruhe setzen wollte, wenn Simenon ihn denn gelassen hätte. Von solchem Ort aus lässt sich das Skelett des erfolgreichen amerikanischen Romans vermutlich besser freilegen als unterwegs auf einem amerikanischen Highway, und ebendas hat Viel getan. Dafür sei ihm gedankt, denn seine Gebrauchsanweisung ist nicht nur perfekt, sie ist auch - auf elegantem sprachlichem Niveau - überaus amüsant. Und erspart, wie gesagt, dem Autorennachwuchs einige Semester Schreibschule.
JOCHEN SCHIMMANG
Tanguy Viel: "Das Verschwinden des Jim Sullivan". Ein amerikanischer Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014. 120 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein guter Roman über Amerika braucht Versatzstücke. Wer sie richtig mischt, der hat einen Hit: Der Franzose Tanguy Viel führt das mit "Das Verschwinden des Jim Sullivan" sehr witzig vor.
Nun liegt es auch auf Deutsch vor, das optimale Creativewritingmanual, getarnt als Roman. Geschrieben hat es der Franzose Tanguy Viel, der uns zuletzt mit dem ebenso perfekten Antifamilienroman "Paris - Brest" beglückte. Sein neues Buch erspart den jungen hoffnungsfrohen Autoren und Autorinnen der Zukunft mehrere Semester Leipzig oder Hildesheim, zumindest wenn sie sich auf dem immer härter umkämpften Romanmarkt behaupten wollen.
Denn, so weiß Viel, wer dort Erfolg haben will, muss einen "internationalen" Roman schreiben, einen jener Romane, "die man in sämtliche Sprachen der Welt übersetzt findet und die in vielen Buchhandlungen verkauft werden". Und der internationale Roman ist selbstverständlich der amerikanische (wie wir in dieser Saison gerade wieder an Dave Eggers erfahren), weshalb die Gattungsbezeichnung von Viels neuem Buch auch nicht einfach Roman, sondern "Ein amerikanischer Roman" lautet. Franzosen können so etwas nicht schreiben, nicht so lange jedenfalls, wie sie ihre Bücher in Frankreich ansiedeln, denn "die Hauptfigur eines amerikanischen Romans würde niemals zu Füßen der Kathedrale von Chartres wohnen". Es nützt aber auch nichts, in andere Städte von la douce France auszuweichen, "weil es in mehr oder weniger allen Städten Kathedralen gibt und ringsum Straßen mit Kopfsteinpflaster, die die internationale Dimension der Örtlichkeiten zerstören".
Der amerikanische Autor dagegen kann seine Story sogar in Kentucky oder Montana ansiedeln und von Maisfeldern und Hühnerfarmen, vom Jagen und Angeln und Brennholzmachen schreiben und kriegt doch immer noch einen internationalen Roman hin. Deshalb verlegt Viel den internationalen Roman, den er schreiben würde, nach Detroit und stattet ihn mit amerikanischem Personal aus.
Das ist ein überzeugendes Programm, und es wird ebenso überzeugend umgesetzt. Der Roman entsteht, während sein Autor uns erzählt, wie der amerikanische Roman aussehen würde, den er schreiben würde. Es handelt sich also um einen Metaroman. Zum Glück hat diese Brechung nichts Akademisches und nichts Neunmalkluges, nicht einmal etwas Postmodernes, weil dieser Autor ein Meister der Lakonik ist, ein zügiges Tempo vorlegt und seine Geschichte nach 120 Seiten zu Ende erzählt hat. Das unterscheidet ihn, beiläufig bemerkt, von den amerikanischen Autoren amerikanischer Romane.
Man nehme also: den Literaturprofessor Dwayne Koster, um die fünfzig, der in Ann Arbor lehrt und über den Einfluss von "Moby Dick" auf den zeitgenössischen Roman promoviert hat; seinen Rivalen Alex Dennis, dessen Seminare viel besser besucht sind und der eines Tages Dwaynes Frau Susan verführt; seine dreißig Jahre jüngere Studentin Milly Hartway, die zur Finanzierung ihres Studiums in einem Diner jobbt und Dwayne in seiner Freizeit in irgendwelchen Motels vögelt, bevor man entspannt über William Faulkner plaudert; den einflussreichen Geschäftsmann und Politiker Lee Matthews, Republikaner natürlich, eine Mixtur aus Nixon und Dick Cheney, der Dwayne anbietet, seinen Rivalen aus der Welt schaffen zu lassen, wenn Dwayne ihm im Gegenzug einen Gefallen tut. Dann weiß man, dass hier ein echt amerikanisches Epos entsteht, auf dessen letzter Umschlagseite stehen wird: "Ein regelrechtes Gemälde, das uns auf die verschlungenen Pfade des menschlichen Lebens führt."
Dass das Ganze auch ein Roadmovie ist, versteht sich von selbst, und Dwaynes Wagen, ein alter Dodge Coronet, ist ebenso einer der Protagonisten wie die Hütte ganz weit draußen, die ihm Lee Matthews eine Weile zur Verfügung stellt. Es beginnt im behüteten akademischen Milieu, denn immer ist in amerikanischen Romanen "eine Hauptfigur Professor an der Uni", und endet schließlich in New Mexico, wo Dwayne den 1975 unter nie geklärten Umständen verschwundenen Sänger Jim Sullivan aufspürt. "Da klettert Dwayne aus dem immer noch rauchenden Dodge und folgt Jim zwischen den Kakteen hindurch, er geht durch die rissige Wüste, und dann, ja dann, es ist eben in Amerika, dann verschwindet Dwayne, er verschwindet in der Ferne." Damit ist der amerikanische Roman zu Ende.
Aber ich habe noch gar nicht erwähnt, dass Dwayne immer ein bisschen zu viel Jack Daniels trinkt. Auch nicht, dass er als Kind seine Mutter mit einem Liebhaber erwischt hat, nicht an einem beliebigen Tag, sondern am 22. November 1963, dem Tag der Kennedy-Ermordung, "eines jener Ereignisse, an denen man als Amerikaner nicht vorbeikommt, ich meine, als amerikanischer Schriftsteller, eines jener Ereignisse, die über einem Buch schweben und dafür sorgen, dass die Figuren mit den Problemen ihrer Zeit zu tun bekommen". Als Dwayne in der Psychiatrie ist, sieht er im Fernsehen die Zwillingstürme zusammenfallen, und die Haupthandlung des Buches spielt zur Zeit des zweiten Irak-Kriegs, versteht sich.
Ich habe immer noch nicht alles aufgeführt, aber klar genug ist jetzt wohl, dass so spezielle Autoren wie Thomas Pynchon, Jonathan Franzen oder eben Dave Eggers aus diesen 120 Seiten sechs- bis achthundert gemacht hätten. Tanguy Viel aber ist eben doch kein amerikanischer Autor, und deshalb wohnt er nach wie vor - nicht mal in Paris, sondern in dem hübschen Örtchen Meung-sur-Loire, wo es auch Kopfsteinpflaster und eine Kirche gibt (aus dem elften oder zwölften Jahrhundert), wo der gesellschaftliche Höhepunkt der sonntägliche Markt ist und wo Kommissar Maigret sich zur Ruhe setzen wollte, wenn Simenon ihn denn gelassen hätte. Von solchem Ort aus lässt sich das Skelett des erfolgreichen amerikanischen Romans vermutlich besser freilegen als unterwegs auf einem amerikanischen Highway, und ebendas hat Viel getan. Dafür sei ihm gedankt, denn seine Gebrauchsanweisung ist nicht nur perfekt, sie ist auch - auf elegantem sprachlichem Niveau - überaus amüsant. Und erspart, wie gesagt, dem Autorennachwuchs einige Semester Schreibschule.
JOCHEN SCHIMMANG
Tanguy Viel: "Das Verschwinden des Jim Sullivan". Ein amerikanischer Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014. 120 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein literarisches Kleinod. Zweifellos das lebendigste Buch von Tanguy Viel!« Le Figaro