Produktdetails
- Piper Taschenbuch
- Verlag: Piper
- Seitenzahl: 206
- Abmessung: 189mm x 120mm x 13mm
- Gewicht: 177g
- ISBN-13: 9783492230001
- Artikelnr.: 24151498
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.1999Zwischen den Fronten
Eva Zeller hält das Manuskript versiegelt
Die Schriftstellerin Eva Zeller gehört zu den Zeitgenossen, die man gern als "Zeugen des Jahrhunderts" bezeichnet. 1923 geboren, kann sie Kunde geben davon, wie die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts im Alltag ihre Gegenwart formten oder verformten. Damit beschäftigt sie sich in ihren Büchern, deren erstes 1965 erschien.
So auch in ihrer jüngsten Veröffentlichung, die der Umschlag als Roman ausweist, obwohl sie nach Konstruktion und Format eine Novelle zu nennen wäre. Das Buch heißt "Das versiegelte Manuskript" und mischt Erlebtes, Mitgefühltes und Durchdachtes zu einem Zeit- und Zeitgenossenporträt. Die Romanhandlung trägt sich in der Gegenwart zu, ragt aber mit zahlreichen Wurzeln weit in die europäische Vergangenheit der Diktaturen und ihrer Kriege, der ideologiegestützten Verbrechen am Individuum. Die Heldin Bea ist rund zwei Jahrzehnte jünger als ihre literarische Schöpferin, verfügt jedoch über Wissensquellen, die den Mangel an Erfahrung mit der fatalen Jahrhundertmitte kompensieren. Eine der beiden wichtigsten Quellen ist ein versiegeltes Manuskript, die Niederschrift einer Frau, die bei Kriegsende dem Moloch Stalinismus zum Opfer fiel und lange in dem sibirischen Lager litt, in dem Beas Mutter zugrunde ging. Dazu kommen die Mitteilungen von Beas jüdischem Geliebten Jakob, der als Kind die nazistische Verfolgung überlebte, dessen Familie aber vernichtet wurde.
Beide Schreckensgeschichten bilden die Basis der Handlung. Es geht um die Konkurrenz zweier politischer Mordszenarien: In dem einen vernichten die sowjetischen Sieger Beas Mutter durch Arbeit, Kälte und Hunger, weil sie eine Deutsche ist. In dem anderen müssen Jakobs Eltern den Spießrutenweg von der Verfemung bis zur Auslöschung gehen, weil sie Juden sind, und ihr Kind verdankt weniger der Hilfsbereitschaft deutscher Mitbürger als der Solidarität eines französischen Kriegsgefangenen sein Überleben. Bea und Jakob hätten einander manches mitzuteilen, was ihr gegenseitiges Verständnis fördern könnte: Schließlich sind sie beide Erben derselben schlimmen Ära, wurden beide von krimineller Politik zu Waisen gemacht.
Aber da wirkt eine Befangenheit, von der die Autorin sich nicht lösen kann, weshalb es auch ihre Romanhelden nicht vermögen. Jakobs Leidensgeschichte trägt den Stempel der Unschuld, er und seine Familie können nichts für ihr Unglück. Beas Mutter dagegen geriet deshalb in die tödliche Sowjetfalle, weil sie im Februar 1945 in einem hinterpommerschen Wehrmachtslazarett ihren Mann besuchen wollte, einen Hitlersoldaten, der an der abscheulichen Belagerung Leningrads teilgenommen hatte. Die Autorin Zeller sagt es nicht expressis verbis, aber sie bringt einen dazu, es zu denken: Die Schicksale der Bea- wie der Jakob-Sippe gehen auf dasselbe Konto, nämlich auf das der Bea-Leute.
Weil Bea dergleichen fühlt, wagt sie lange Zeit nicht, sich ihrem Jakob zu offenbaren. Nun muß ja ein Liebespaar in seinen Gesprächen nicht unbedingt die Weltgeschichte bis in ihre Tiefen abhandeln. Aber wie diese zwei sich voreinander in belanglosen Alltagskulissen verstecken, wie Jakob der Bea seine Psychosen zumutet und sie das aus historisch motivierter Gewissensnot demütig schluckt, das alles jagt dem Leser Schauer über den Rücken und läßt ihn nach einem Seelenarzt rufen. Schließlich begreift auch der Einfältigste, daß Liebe mit so vielen Knebeln in den Mündern schlecht gedeihen kann. Warum, wenn sie einander wirklich etwas bedeuten, sollte Beas Mutter dem Jakob nicht ebenso leid tun wie Jakobs Eltern der Bea?
Übrigens empfindet Jakob am Ende ja auch Erbarmen, und daß dies nicht eher geschah, muß nicht er verantworten, sondern seine Freundin. Das Paar hatte eine Weihnachtsreise nach Sankt Petersburg unternommen, in die Weltgegend also, in der einst Beas Vater seinen Anteil an Schuld auf sich lud, in der das Winterklima aber auch an den sibirischen Untergang der Mutter erinnert. Auf dem Heimflug dann wagt es Bea, ihrem Liebsten das entsiegelte Manuskript zu geben, bangt aber derartig vor dessen Wirkung, daß sie sich während Jakobs Lektüre im Bordklo versteckt. Doch Jakob ist, aller Verstörung zum Trotz, nicht dermaßen auf das eigene Unglück fixiert, daß er anderer Leute Unglück für gar nichts rechnen würde. Er empfindet Erbarmen mit dem Opfer der anderen Seite und in der Folge auch Zuneigung für dessen Hinterbliebene.
Ein Happy-End? Gewissermaßen, soweit es den politisch-moralischen Aspekt der Angelegenheit betrifft. Aber wir haben es ja auch mit einer Liebesgeschichte zu tun, und da möchte man doch nach der Haltbarkeit einer Bindung fragen, in der das Recht zur beglückenden Umarmung aus der richtigen Frontstellung der Vorfahren abgeleitet wird. SABINE BRANDT
Eva Zeller: "Das versiegelte Manuskript". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998. 207 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eva Zeller hält das Manuskript versiegelt
Die Schriftstellerin Eva Zeller gehört zu den Zeitgenossen, die man gern als "Zeugen des Jahrhunderts" bezeichnet. 1923 geboren, kann sie Kunde geben davon, wie die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts im Alltag ihre Gegenwart formten oder verformten. Damit beschäftigt sie sich in ihren Büchern, deren erstes 1965 erschien.
So auch in ihrer jüngsten Veröffentlichung, die der Umschlag als Roman ausweist, obwohl sie nach Konstruktion und Format eine Novelle zu nennen wäre. Das Buch heißt "Das versiegelte Manuskript" und mischt Erlebtes, Mitgefühltes und Durchdachtes zu einem Zeit- und Zeitgenossenporträt. Die Romanhandlung trägt sich in der Gegenwart zu, ragt aber mit zahlreichen Wurzeln weit in die europäische Vergangenheit der Diktaturen und ihrer Kriege, der ideologiegestützten Verbrechen am Individuum. Die Heldin Bea ist rund zwei Jahrzehnte jünger als ihre literarische Schöpferin, verfügt jedoch über Wissensquellen, die den Mangel an Erfahrung mit der fatalen Jahrhundertmitte kompensieren. Eine der beiden wichtigsten Quellen ist ein versiegeltes Manuskript, die Niederschrift einer Frau, die bei Kriegsende dem Moloch Stalinismus zum Opfer fiel und lange in dem sibirischen Lager litt, in dem Beas Mutter zugrunde ging. Dazu kommen die Mitteilungen von Beas jüdischem Geliebten Jakob, der als Kind die nazistische Verfolgung überlebte, dessen Familie aber vernichtet wurde.
Beide Schreckensgeschichten bilden die Basis der Handlung. Es geht um die Konkurrenz zweier politischer Mordszenarien: In dem einen vernichten die sowjetischen Sieger Beas Mutter durch Arbeit, Kälte und Hunger, weil sie eine Deutsche ist. In dem anderen müssen Jakobs Eltern den Spießrutenweg von der Verfemung bis zur Auslöschung gehen, weil sie Juden sind, und ihr Kind verdankt weniger der Hilfsbereitschaft deutscher Mitbürger als der Solidarität eines französischen Kriegsgefangenen sein Überleben. Bea und Jakob hätten einander manches mitzuteilen, was ihr gegenseitiges Verständnis fördern könnte: Schließlich sind sie beide Erben derselben schlimmen Ära, wurden beide von krimineller Politik zu Waisen gemacht.
Aber da wirkt eine Befangenheit, von der die Autorin sich nicht lösen kann, weshalb es auch ihre Romanhelden nicht vermögen. Jakobs Leidensgeschichte trägt den Stempel der Unschuld, er und seine Familie können nichts für ihr Unglück. Beas Mutter dagegen geriet deshalb in die tödliche Sowjetfalle, weil sie im Februar 1945 in einem hinterpommerschen Wehrmachtslazarett ihren Mann besuchen wollte, einen Hitlersoldaten, der an der abscheulichen Belagerung Leningrads teilgenommen hatte. Die Autorin Zeller sagt es nicht expressis verbis, aber sie bringt einen dazu, es zu denken: Die Schicksale der Bea- wie der Jakob-Sippe gehen auf dasselbe Konto, nämlich auf das der Bea-Leute.
Weil Bea dergleichen fühlt, wagt sie lange Zeit nicht, sich ihrem Jakob zu offenbaren. Nun muß ja ein Liebespaar in seinen Gesprächen nicht unbedingt die Weltgeschichte bis in ihre Tiefen abhandeln. Aber wie diese zwei sich voreinander in belanglosen Alltagskulissen verstecken, wie Jakob der Bea seine Psychosen zumutet und sie das aus historisch motivierter Gewissensnot demütig schluckt, das alles jagt dem Leser Schauer über den Rücken und läßt ihn nach einem Seelenarzt rufen. Schließlich begreift auch der Einfältigste, daß Liebe mit so vielen Knebeln in den Mündern schlecht gedeihen kann. Warum, wenn sie einander wirklich etwas bedeuten, sollte Beas Mutter dem Jakob nicht ebenso leid tun wie Jakobs Eltern der Bea?
Übrigens empfindet Jakob am Ende ja auch Erbarmen, und daß dies nicht eher geschah, muß nicht er verantworten, sondern seine Freundin. Das Paar hatte eine Weihnachtsreise nach Sankt Petersburg unternommen, in die Weltgegend also, in der einst Beas Vater seinen Anteil an Schuld auf sich lud, in der das Winterklima aber auch an den sibirischen Untergang der Mutter erinnert. Auf dem Heimflug dann wagt es Bea, ihrem Liebsten das entsiegelte Manuskript zu geben, bangt aber derartig vor dessen Wirkung, daß sie sich während Jakobs Lektüre im Bordklo versteckt. Doch Jakob ist, aller Verstörung zum Trotz, nicht dermaßen auf das eigene Unglück fixiert, daß er anderer Leute Unglück für gar nichts rechnen würde. Er empfindet Erbarmen mit dem Opfer der anderen Seite und in der Folge auch Zuneigung für dessen Hinterbliebene.
Ein Happy-End? Gewissermaßen, soweit es den politisch-moralischen Aspekt der Angelegenheit betrifft. Aber wir haben es ja auch mit einer Liebesgeschichte zu tun, und da möchte man doch nach der Haltbarkeit einer Bindung fragen, in der das Recht zur beglückenden Umarmung aus der richtigen Frontstellung der Vorfahren abgeleitet wird. SABINE BRANDT
Eva Zeller: "Das versiegelte Manuskript". Roman. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998. 207 S., geb., 36,- DM.
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