Eine wunderbare Hommage an die Kraft des Fabulierens
Franz Hohlers Urgroßvater machte sich eines Tages auf den Weg nach Basel. Fünf Stunden dauerte der Fußmarsch, und in Basel schaute er sich dann die Herbstmesse an. Besonders das menschliche Schaustück, die »dicke Berta«, gefiel ihm. Bevor er sich am Abend im Mondschein auf den langen Rückweg machte, wollte er sich noch einmal in einem Lokal stärken. Aber wie erstaunt waren Großvater, Kellner und die anderen Gäste im Lokal, als ihm statt einer Wurst ein Buch serviert wird ...
Liebevoll illustriert von Hans Traxler.
Ausstattung: mit Illustrationen von Hans Traxler
Franz Hohlers Urgroßvater machte sich eines Tages auf den Weg nach Basel. Fünf Stunden dauerte der Fußmarsch, und in Basel schaute er sich dann die Herbstmesse an. Besonders das menschliche Schaustück, die »dicke Berta«, gefiel ihm. Bevor er sich am Abend im Mondschein auf den langen Rückweg machte, wollte er sich noch einmal in einem Lokal stärken. Aber wie erstaunt waren Großvater, Kellner und die anderen Gäste im Lokal, als ihm statt einer Wurst ein Buch serviert wird ...
Liebevoll illustriert von Hans Traxler.
Ausstattung: mit Illustrationen von Hans Traxler
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.06.2009Urgroßvater verspeist ein Buch
So war es: Eine Geschichte aus dem vorvorigen Jahrhundert
Wenn man früher einen riesenhaften Feind erledigt hatte, dann war es sinnvoll, dessen Herz zu essen, um die Riesenkraft sich einzuverleiben. Etwas später aß man dann nicht mehr das Herz von überwundenen Feinden, sondern das von erlegten Tieren, um vom Hirsch die Schnelligkeit und vom Löwen die Kraft verliehen zu bekommen. Franz Hohler erzählt die wundersam-wunderbare Geschichte vom Urgroßvater, der in einer Schweizer Gastwirtschaft ein Buch serviert bekam und verspeiste. Und davon, was sich danach zutrug.
Der Urgroßvater ging zu Fuß, es war gegen Ende des vorvorigen Jahrhunderts, von einem kleinen Dorf am Oberlauf des Rheins nach Basel, um dort die Herbstmesse zu besuchen. Das brauchte einige Stunden, das Einkehren zwischendurch hatte gute Hungergründe und als der Urgroßvater sich auf der Messe die Siouxindianer und die Riesendame angeschaut, sich Bartwichse gekauft und für seine Frau eine Seidennelke geschossen hatte, da wollte er sich vor der Rückwanderung stärken. In der vom Urgroßvater zur Stärkung auserwählten Wirtschaft am Rande von Basel vor fünf Stunden Fußmarsch bei Vollmond am Rhein wurde ihm jedoch ebenso erstaunlicher- wie erklärbarerweise (auch Kurzsichtigkeit spielt eine Rolle) ein in sämiger, weißer Soße eingekochtes Buch, genauer: Ein italienisches Kochbuch, mit einem Schweizer Schüblig vorgesetzt.
Der Urgroßvater aß alles bedächtig auf – wie gut und warum überhaupt er anschließend Italienisch sprechen konnte und noch einiges Geld aus der Wirtschaft mitnahm ohne zu stehlen (denn das hätte der Urgroßvater nie getan), welche Rolle ein lombardischer Bartwichsenhändler dabei spielte und warum der Urgroßvater heil und froh nach Hause kam, das sollte man in diesem Buch nicht nur unbedingt lesen, sondern man sollte es aus ihm vorlesen oder sich vorlesen lassen. Denn einen schöneren, leichteren, ohne muffige Sentimentalität ins vorvorige Jahrhundert entrückenden Erzählton, der Leser wie Hörer in das feine Gespinst der Rückblenden, Anklänge, Aus- und Abschweifungen, Verweise und Einverständniserheischungen wärmend einhüllt, wird man lange suchen müssen. Es ist eine ganz einfache kleine Geschichte – die aber genau das leistet, was eine Geschichte leisten soll: Sie führt uns eine Welt vor Augen und nimmt uns mit hin-ein. Und die farbigen Meisterzeichnungen von Hans Traxler lassen keinen Zweifel aufkommen: Genau so war es, damals, als der Urgroßvater nach Basel ging und vor dem Rückweg durch einige Buchseiten im Bauch auf einmal Italienisch konnte. STEPHAN OPITZ
FRANZ HOHLER: Das verspeiste Buch. Mit Illustrationen von Hans Traxler. Sammlung Luchterhand, München 2008. 96 Seiten, 10 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
So war es: Eine Geschichte aus dem vorvorigen Jahrhundert
Wenn man früher einen riesenhaften Feind erledigt hatte, dann war es sinnvoll, dessen Herz zu essen, um die Riesenkraft sich einzuverleiben. Etwas später aß man dann nicht mehr das Herz von überwundenen Feinden, sondern das von erlegten Tieren, um vom Hirsch die Schnelligkeit und vom Löwen die Kraft verliehen zu bekommen. Franz Hohler erzählt die wundersam-wunderbare Geschichte vom Urgroßvater, der in einer Schweizer Gastwirtschaft ein Buch serviert bekam und verspeiste. Und davon, was sich danach zutrug.
Der Urgroßvater ging zu Fuß, es war gegen Ende des vorvorigen Jahrhunderts, von einem kleinen Dorf am Oberlauf des Rheins nach Basel, um dort die Herbstmesse zu besuchen. Das brauchte einige Stunden, das Einkehren zwischendurch hatte gute Hungergründe und als der Urgroßvater sich auf der Messe die Siouxindianer und die Riesendame angeschaut, sich Bartwichse gekauft und für seine Frau eine Seidennelke geschossen hatte, da wollte er sich vor der Rückwanderung stärken. In der vom Urgroßvater zur Stärkung auserwählten Wirtschaft am Rande von Basel vor fünf Stunden Fußmarsch bei Vollmond am Rhein wurde ihm jedoch ebenso erstaunlicher- wie erklärbarerweise (auch Kurzsichtigkeit spielt eine Rolle) ein in sämiger, weißer Soße eingekochtes Buch, genauer: Ein italienisches Kochbuch, mit einem Schweizer Schüblig vorgesetzt.
Der Urgroßvater aß alles bedächtig auf – wie gut und warum überhaupt er anschließend Italienisch sprechen konnte und noch einiges Geld aus der Wirtschaft mitnahm ohne zu stehlen (denn das hätte der Urgroßvater nie getan), welche Rolle ein lombardischer Bartwichsenhändler dabei spielte und warum der Urgroßvater heil und froh nach Hause kam, das sollte man in diesem Buch nicht nur unbedingt lesen, sondern man sollte es aus ihm vorlesen oder sich vorlesen lassen. Denn einen schöneren, leichteren, ohne muffige Sentimentalität ins vorvorige Jahrhundert entrückenden Erzählton, der Leser wie Hörer in das feine Gespinst der Rückblenden, Anklänge, Aus- und Abschweifungen, Verweise und Einverständniserheischungen wärmend einhüllt, wird man lange suchen müssen. Es ist eine ganz einfache kleine Geschichte – die aber genau das leistet, was eine Geschichte leisten soll: Sie führt uns eine Welt vor Augen und nimmt uns mit hin-ein. Und die farbigen Meisterzeichnungen von Hans Traxler lassen keinen Zweifel aufkommen: Genau so war es, damals, als der Urgroßvater nach Basel ging und vor dem Rückweg durch einige Buchseiten im Bauch auf einmal Italienisch konnte. STEPHAN OPITZ
FRANZ HOHLER: Das verspeiste Buch. Mit Illustrationen von Hans Traxler. Sammlung Luchterhand, München 2008. 96 Seiten, 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
So soll es sein, meint Stephan Opitz hoch erfreut. Eine einfache kleine Geschichte mit großer Kraft sieht er in Franz Hohlers Text vom wandernden Großvater, der einmal ein italienisches Kochbuch verspeiste, weshalb er plötzlich Italienisch sprechen konnte. Wer sich den Text vorlesen lässt, erklärt Opitz, den nimmt der Autor mit ins vorvorige Jahrhundert, leicht getragen von einem alles andere als geradlinigen Erzählstrom. Und das ist kein Tadel. Es zieht den Rezensenten förmlich hinein in die Geschichte. Die Zeichnungen von Hans Traxler verstärken für ihn den Eindruck: Genauso hat es sich zugetragen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Unterhaltsam, spannend, sehr lesenswert.« SWR-Nachtkultur