Die Macht der Schönheit ist die Macht eines ihrer Wahrnehmung eingeschriebenen Versprechens. Menninghaus' Studie untersucht elementare Bestimmungen dieses Versprechens und Eckdaten seiner Geschichte bis hin zum heutigen Kult von styling und shaping. Stendhal hat das Versprechen der Schönheit bündig das »Versprechen des Glücks« genannt. Ein Versprechen ist aber nicht zugleich die Einlösung dessen, was es verspricht. Daher ist nicht nur nach der Verheißung der Schönheit, sondern auch nach den Kosten, Kehrseiten und dem möglichen Scheitern der mit Schönheit assoziierten Versprechen zu fragen: Warum etwa müssen die Protagonisten antiker Schönheitsmythen meist eines frühen Todes sterben? Warum setzt sich der Pfau, das emblematische Tier der Darwinschen Ästhetik der Evolution, mit seinem spektakulären Federschmuck den Gefahren verminderter Beweglichkeit und erhöhter Sichtbarkeit für Beutetiere aus? Und ist, umgekehrt, die Schönheit ein evolutionsbiologischer Vorteil? Was verheißt die Schönheit, was ist ihr Versprechen?
Die Studie kombiniert die Lektüre von Schönheitsmythen mit einer umfassenden Sichtung evolutionstheoretischer Theorien zur Funktion ästhetischen Unterscheidens, einer Neubestimmung von Theoremen der philosophischen Ästhetik und geschichtlichen Perspektivierungen von Schönheitseffekten.
Die Studie kombiniert die Lektüre von Schönheitsmythen mit einer umfassenden Sichtung evolutionstheoretischer Theorien zur Funktion ästhetischen Unterscheidens, einer Neubestimmung von Theoremen der philosophischen Ästhetik und geschichtlichen Perspektivierungen von Schönheitseffekten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003Beim Walfisch herrscht noch Damenwahl
Winfried Menninghaus’ Studie über Adonis, die Pfauendame, Darwin und Shaping
Alle Schönheit verspricht Glück, und doch berichten die Mythen über die Schönsten unter der Sonne von asozialer Kälte, Schwäche, frühem Tod. Wir haben uns angewöhnt, unsere Kultur eine phallozentrische zu nennen, und vergessen dabei, dass der im Vergleich zu anderen Primaten exorbitante menschliche Phallus einen Mangel anzeigt, das Fehlen männlicher Kontrolle über das weibliche Geschlecht. Wir glauben gern, dass den Gutaussehenden alles leicht wird, und müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es um deren Wohlbefinden in statistisch relevanter Häufigkeit nicht zum besten bestellt ist. Das Schöne ist ein starker sexueller Reiz, und doch gelten die Organe maximalen Lustgewinns allgemein nicht als schön. Und doch soll, so die Philosophen, schön sein, was ohne Interesse gefällt.
Nur ein Tollkühner mag es auf sich nehmen, Thesen der Evolutionsbiologie und der Psychoanalyse, Motive der philosophischen Ästhetik und Mythendeutung in einer Studie zusammenzufassen. Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus hat es getan. Mit Genauigkeit und Scharfsinn überwindet er leicht das Misstrauen, das sich einstellt, wenn Darwin und Adonis, Kant und Schönheitschirurgen in einem Buch auftreten. Er behandelt jedes Phänomen, jede Theorie für sich und vermag eben dadurch verblüffende Parallellen aufzuzeigen. In diesem Buch geschieht etwas Seltenes: Natur- und Kulturgeschichte der Schönheit erhellen einander.
Was hat es mit dem Versprechen des Schönen auf sich, wie steht es um seine Einlösung? Der erste Held der Studie ist Adonis, der griechische Jüngling, von dem wir wissen, dass er schön war, nichts als schön, dass alles wegen seiner Schönheit geschah, dass er eine Frucht des Inzest, mithin geschwächt, ist, nie Vater oder Held wird, jung stirbt. Er erliegt einem Eber, der besitzt, was Adonis in seiner „nicht-phallischen Schönheit” fehlt: „Virilität, Fruchtbarkeit, Kampfkraft”.
Adonis ist schön und sonst gar nichts. In diesem Mangel an Individualität, in der Merkmallosigkeit sieht Menninghaus ein wesentliches Moment der Schönheit. Adonis ist „Nicht-Mann, Nicht-Held, Nicht-Krieger. Deshalb wird er als „idealer Phallus”, als bloß Schöner, dessen sprichwörtliche Einfältigkeit ihn bloß reizender macht, begehrt.
Hier liegt einer der Punkte, an denen Mythos und Evolutionsbiologie sich berühren. Im Tierreich herrscht meist Damenwahl. Die „Verbindung schöner Männlichkeit und weiblicher Wahl” ist das „mit Abstand verbreitetste Paarungsmuster sexueller Lebewesen”.
Im atemraubend witzigen Fortgang seiner Studie liest Menninghaus Darwins 1871 erschienenes, zweites Hauptwerk „The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex” als eine „Urgeschichte ,ästhetischen Urteilens‘”. Darwin wollte körperliche Mutationen erklären, die kaum oder doch nicht unmittelbar als Vorteile in der Umweltanpassung erklärt werden konnten. Die prächtigen Federn des Pfaus erhöhen die Sichtbarkeit für Feinde und erschweren das Fliegen. Die Vorteile, die das „Ornament” bietet, müssen groß sein, um diese Nachteile aufzuwiegen. Vorausgesetzt ist, dass die Pfauendamen über einen „almost human degree of taste” (Darwin) verfügen. Sie wählen. Zumindest dürfen wir stabile ästhetische Präferenzen annehmen. Nur dann können durch sexuelle Selektion die auffallenden sexuellen Dimorphismen der Tierarten entstehen und verstärkt werden, Die bevorzugten Merkmale sexueller Körper verkörpern zwangsläufig den „Geschmack” des anderen Geschlechts. Das gewählte Geschlecht, das „Schönheit” ausbildet, weil es auf sie angewiesen ist, besitzt die größten Mißerfolgschancen in Sachen Paarung und Reproduktion. Die „Macht der Schönheit ist an eine Position struktureller Schwäche gebunden”.
Schwer fällt es, den Menschen dabei einzuordnen. In der Regel gehören Schönheit und größere Kraft zusammen. Beim Menschen sind beide entkoppelt, ein seltener Fall in der Welt sexueller Lebewesen. Wir müssen wohl von tendenziell beidseitiger Wahl ausgehen.
Ästhetische Präferenzen waren einst ein Motor der Evolution des menschlichen Körpers und seiner sexuellen Dimorphismen. Sie sind es nicht mehr. Die „evolutionäre Kraft des Ästhetischen” aber überlebt in der Mode. Die „Evolutionstherie attraktiven Aussehens nach Darwin” entfaltet vor allem den Gedanken, dass auffallende, „schöne” Merkmale dort ausgebildet werden, wo die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns, die Chance leer auszugehen, hoch ist.
Freud liefert das Stichwort, um die Verschiebung des Begehrens ins Imaginäre zu behandeln und mithin jene Verschlingung von Begehren und fast suizidaler Sublimierung. Und schließlich kann man erleben, wie die Pfauendame nach Kant korrekt sich verhält: Sie verschränkt ihre sinnliche Wahrnehmung des schönen Rades mit dem begrifflich nicht klaren, aber subjektiv bestimmten Inhalt, dass der Träger des Rades gut für ihre eigenen Reproduktionsinteressen ist. Solchen Witz erreichen die Bemerkungen über unsere Kultur des Shaping und der Attraktivitätsstatistiken nur selten. Aber sie protokollieren doch, was alles wegen der Schönheit geschieht.
Durch schöne Anstrengung mit sich selbst bekannter geworden, legt der Leser das Buch aus der Hand und hofft, dass Menninghaus bald Gelegenheit findet, die Folgestudie über die fundamentale Tatsache des Ehebruchs zu schreiben, eine Geschichte des Fremdgehens bei Pfauen, Griechen, Romanhelden und Sportlern.
JENS BISKY
WINFRIED MENNINGHAUS: Das Versprechen der Schönheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 383 Seiten, 24,90 Euro. Das Buch wird am 15. Oktober ausgeliefert.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Winfried Menninghaus’ Studie über Adonis, die Pfauendame, Darwin und Shaping
Alle Schönheit verspricht Glück, und doch berichten die Mythen über die Schönsten unter der Sonne von asozialer Kälte, Schwäche, frühem Tod. Wir haben uns angewöhnt, unsere Kultur eine phallozentrische zu nennen, und vergessen dabei, dass der im Vergleich zu anderen Primaten exorbitante menschliche Phallus einen Mangel anzeigt, das Fehlen männlicher Kontrolle über das weibliche Geschlecht. Wir glauben gern, dass den Gutaussehenden alles leicht wird, und müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es um deren Wohlbefinden in statistisch relevanter Häufigkeit nicht zum besten bestellt ist. Das Schöne ist ein starker sexueller Reiz, und doch gelten die Organe maximalen Lustgewinns allgemein nicht als schön. Und doch soll, so die Philosophen, schön sein, was ohne Interesse gefällt.
Nur ein Tollkühner mag es auf sich nehmen, Thesen der Evolutionsbiologie und der Psychoanalyse, Motive der philosophischen Ästhetik und Mythendeutung in einer Studie zusammenzufassen. Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus hat es getan. Mit Genauigkeit und Scharfsinn überwindet er leicht das Misstrauen, das sich einstellt, wenn Darwin und Adonis, Kant und Schönheitschirurgen in einem Buch auftreten. Er behandelt jedes Phänomen, jede Theorie für sich und vermag eben dadurch verblüffende Parallellen aufzuzeigen. In diesem Buch geschieht etwas Seltenes: Natur- und Kulturgeschichte der Schönheit erhellen einander.
Was hat es mit dem Versprechen des Schönen auf sich, wie steht es um seine Einlösung? Der erste Held der Studie ist Adonis, der griechische Jüngling, von dem wir wissen, dass er schön war, nichts als schön, dass alles wegen seiner Schönheit geschah, dass er eine Frucht des Inzest, mithin geschwächt, ist, nie Vater oder Held wird, jung stirbt. Er erliegt einem Eber, der besitzt, was Adonis in seiner „nicht-phallischen Schönheit” fehlt: „Virilität, Fruchtbarkeit, Kampfkraft”.
Adonis ist schön und sonst gar nichts. In diesem Mangel an Individualität, in der Merkmallosigkeit sieht Menninghaus ein wesentliches Moment der Schönheit. Adonis ist „Nicht-Mann, Nicht-Held, Nicht-Krieger. Deshalb wird er als „idealer Phallus”, als bloß Schöner, dessen sprichwörtliche Einfältigkeit ihn bloß reizender macht, begehrt.
Hier liegt einer der Punkte, an denen Mythos und Evolutionsbiologie sich berühren. Im Tierreich herrscht meist Damenwahl. Die „Verbindung schöner Männlichkeit und weiblicher Wahl” ist das „mit Abstand verbreitetste Paarungsmuster sexueller Lebewesen”.
Im atemraubend witzigen Fortgang seiner Studie liest Menninghaus Darwins 1871 erschienenes, zweites Hauptwerk „The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex” als eine „Urgeschichte ,ästhetischen Urteilens‘”. Darwin wollte körperliche Mutationen erklären, die kaum oder doch nicht unmittelbar als Vorteile in der Umweltanpassung erklärt werden konnten. Die prächtigen Federn des Pfaus erhöhen die Sichtbarkeit für Feinde und erschweren das Fliegen. Die Vorteile, die das „Ornament” bietet, müssen groß sein, um diese Nachteile aufzuwiegen. Vorausgesetzt ist, dass die Pfauendamen über einen „almost human degree of taste” (Darwin) verfügen. Sie wählen. Zumindest dürfen wir stabile ästhetische Präferenzen annehmen. Nur dann können durch sexuelle Selektion die auffallenden sexuellen Dimorphismen der Tierarten entstehen und verstärkt werden, Die bevorzugten Merkmale sexueller Körper verkörpern zwangsläufig den „Geschmack” des anderen Geschlechts. Das gewählte Geschlecht, das „Schönheit” ausbildet, weil es auf sie angewiesen ist, besitzt die größten Mißerfolgschancen in Sachen Paarung und Reproduktion. Die „Macht der Schönheit ist an eine Position struktureller Schwäche gebunden”.
Schwer fällt es, den Menschen dabei einzuordnen. In der Regel gehören Schönheit und größere Kraft zusammen. Beim Menschen sind beide entkoppelt, ein seltener Fall in der Welt sexueller Lebewesen. Wir müssen wohl von tendenziell beidseitiger Wahl ausgehen.
Ästhetische Präferenzen waren einst ein Motor der Evolution des menschlichen Körpers und seiner sexuellen Dimorphismen. Sie sind es nicht mehr. Die „evolutionäre Kraft des Ästhetischen” aber überlebt in der Mode. Die „Evolutionstherie attraktiven Aussehens nach Darwin” entfaltet vor allem den Gedanken, dass auffallende, „schöne” Merkmale dort ausgebildet werden, wo die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns, die Chance leer auszugehen, hoch ist.
Freud liefert das Stichwort, um die Verschiebung des Begehrens ins Imaginäre zu behandeln und mithin jene Verschlingung von Begehren und fast suizidaler Sublimierung. Und schließlich kann man erleben, wie die Pfauendame nach Kant korrekt sich verhält: Sie verschränkt ihre sinnliche Wahrnehmung des schönen Rades mit dem begrifflich nicht klaren, aber subjektiv bestimmten Inhalt, dass der Träger des Rades gut für ihre eigenen Reproduktionsinteressen ist. Solchen Witz erreichen die Bemerkungen über unsere Kultur des Shaping und der Attraktivitätsstatistiken nur selten. Aber sie protokollieren doch, was alles wegen der Schönheit geschieht.
Durch schöne Anstrengung mit sich selbst bekannter geworden, legt der Leser das Buch aus der Hand und hofft, dass Menninghaus bald Gelegenheit findet, die Folgestudie über die fundamentale Tatsache des Ehebruchs zu schreiben, eine Geschichte des Fremdgehens bei Pfauen, Griechen, Romanhelden und Sportlern.
JENS BISKY
WINFRIED MENNINGHAUS: Das Versprechen der Schönheit. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 383 Seiten, 24,90 Euro. Das Buch wird am 15. Oktober ausgeliefert.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2003Der Pfau kommt ganz gut rüber
Freud und Darwin. Bei Freud ist Winfried Menninghaus zu Hause, hier faßt er sich kurz ("Das Versprechen der Schönheit". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 400 S., geb., 24,90 [Euro]). Die Lust am Schönen sei, so Menninghaus, sublimierte Lust. Sie entstehe, wo durch Kulturleistung das sexuelle Begehren von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt wird. Genitalien sind nicht schön. Die Verhüllung des Körpers verschiebe das Schöne obendrein partiell ins Imaginäre. So werde die Schönheit zum Versprechen und die Lust zum unendlichen Aufschub. Nicht erklären könne Freud die bestimmte Ausrichtung des Schönheitsempfindens. Auch die gängige Evolutionstheorie könne das nicht. Sie nimmt die Schönheit als Versprechen des Reproduktionserfolges. Dabei stehen Schönheit und Kinderreichtum offenbar in keiner positiven Relation. Erst von Darwin selbst aus lasse sich Freud ergänzen. In seinem zweiten Hauptwerk, "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl", schreibt Darwin den Körper-Ornamenten und dem Geschmack beziehungsweise dem Schönheitssinn eine überragende Rolle für die Evolution zu. Tiere, näher die weiblichen Tiere wählen ihre Geschlechtspartner wesentlich nach ästhetischen Gesichtspunkten. Der Pfau mit den prachtvollsten Schwanzfedern ist zwar am besten für seine Feinde sichtbar und kann ihnen am schlechtesten entkommen. Dennoch hat er bei den Weibchen die größten Chancen. Und diese Selektion führt zu Pfauen mit immer prachtvolleren Schwanzfedern. Wie nach Marx' bekanntem Wort Darwin die bürgerliche Gesellschaft im Tierreich wiedergefunden hat, so auch deren Warenästhetik. Mode, Caprice, Neuheit, Vielfalt herrschen in der geschlechtlichen Zuchtwahl. Und wie der Sozialdarwinismus die vernatürlichte bürgerliche Gesellschaft ins Soziale zurückübersetzt, so Menninghaus die biologisierte Ästhetik. "Die Mode ist Verlängerung und Substitut der evolutionären Kraft des Ästhetischen." In Schönheitsfarmen und Fitneßcentern versuche der Mensch des kallozentristischen Konsumkapitalismus selber die evolutionäre Arbeit am Körper zu verrichten. Das Studium der Darwinschen Schriften hat Menninghaus merklich viel Spaß gebracht, und die gelehrte Ironie, mit der seine Darstellung den verschlungenen Wegen der neueren Evolutionstheorie folgt, hat erheblichen Charme. Doch was ist damit erklärt? Das als schön Empfundene wird gewählt. Warum es gewählt wird, bleibt ein Geheimnis. "Das Spektrum ästhetischer Präferenzen ist grundsätzlich arbiträr." Der Schein von Erklärung entsteht nur dadurch, daß Menninghaus unterderhand vom Subjekt zum Objekt wechselt. Wir begreifen mit Darwin, warum das Schöne entsteht, nicht jedoch, was es ist. Allenfalls könnte man sagen, schön ist das Erotisierende. Doch das ist entweder unplausibel: Manche Leute werden durch Dampflokomotiven oder benutzte Damenunterwäsche erotisiert, während es umgekehrt nicht leichtfällt, an der Schönheit einer Messe von Josquin oder der uckermärkischen Landschaft Erotisches auszumachen. Oder es bedeutet die Kapitulation des Denkens vor den Gegenständen: Schön ist, was als schön empfunden wird. Wahrscheinlich würde Menninghaus dem Satz sogar zustimmen. Einesteils entspricht er seiner Beobachterhaltung, sich nirgends an einer Beurteilung des Schönen zu beteiligen. Andernteils liegt er ganz auf der Linie seiner kryptoneoplatonistischen Metaphysik, die das Schöne als Korrelat des Begehrens in der ursprünglichen Differenz zwischen Subjekt und Objekt entspringen läßt. Die Beobachterhaltung allerdings ist künstlich. Natürlich glauben wir immer, daß das von uns als schön Empfundene auch schön ist. Das ästhetische Urteil erhebt Anspruch auf allgemeine Zustimmung. Und die Metaphysik ist defizitär, weil sie die Bestimmtheit nicht erklären kann. Dabei ließe sich gerade Darwins Lehre mit der klassischen Philosophie des Schönen leicht vereinen. Schön ist für Aristoteles das gut zu Überschauende, das leicht Aufzufassende. Am überschaubarsten aber ist ein Ganzes, das aus selbständigen Teilen gebaut ist. Genau das meint die überall wiederholte Organismusmetapher. Stirn, Augen, Nase, Wangen, Kinn sollen so charakteristisch ausgebildet sein, daß wir sie mit einem Blick deutlich als solche erfassen, und so proportioniert, daß wir sie zugleich als Teile eines Gesichts nehmen. Auch im Tierreich gibt es einen ausgeprägten Sinn für Symmetrie und Proportion. Und auch Darwins animalische Moden mögen ihren Sinn im Charakteristischen finden. Das Pfauenweibchen sucht sich den Pfau aus, der am pfauenhaftesten, am leichtesten als Pfau zu erkennen ist - das Ideal des Pfauen. Aus der Hemmung des Begehrens entsteht dann beim Menschen die Selbständigkeit des Schönheitssinns. Darwin und Freud. Nur ist das Schöne nicht schön, weil es begehrt wird, sondern es wird begehrt, weil es schön ist.
GUSTAV FALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Freud und Darwin. Bei Freud ist Winfried Menninghaus zu Hause, hier faßt er sich kurz ("Das Versprechen der Schönheit". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 400 S., geb., 24,90 [Euro]). Die Lust am Schönen sei, so Menninghaus, sublimierte Lust. Sie entstehe, wo durch Kulturleistung das sexuelle Begehren von seinem eigentlichen Ziel abgelenkt wird. Genitalien sind nicht schön. Die Verhüllung des Körpers verschiebe das Schöne obendrein partiell ins Imaginäre. So werde die Schönheit zum Versprechen und die Lust zum unendlichen Aufschub. Nicht erklären könne Freud die bestimmte Ausrichtung des Schönheitsempfindens. Auch die gängige Evolutionstheorie könne das nicht. Sie nimmt die Schönheit als Versprechen des Reproduktionserfolges. Dabei stehen Schönheit und Kinderreichtum offenbar in keiner positiven Relation. Erst von Darwin selbst aus lasse sich Freud ergänzen. In seinem zweiten Hauptwerk, "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl", schreibt Darwin den Körper-Ornamenten und dem Geschmack beziehungsweise dem Schönheitssinn eine überragende Rolle für die Evolution zu. Tiere, näher die weiblichen Tiere wählen ihre Geschlechtspartner wesentlich nach ästhetischen Gesichtspunkten. Der Pfau mit den prachtvollsten Schwanzfedern ist zwar am besten für seine Feinde sichtbar und kann ihnen am schlechtesten entkommen. Dennoch hat er bei den Weibchen die größten Chancen. Und diese Selektion führt zu Pfauen mit immer prachtvolleren Schwanzfedern. Wie nach Marx' bekanntem Wort Darwin die bürgerliche Gesellschaft im Tierreich wiedergefunden hat, so auch deren Warenästhetik. Mode, Caprice, Neuheit, Vielfalt herrschen in der geschlechtlichen Zuchtwahl. Und wie der Sozialdarwinismus die vernatürlichte bürgerliche Gesellschaft ins Soziale zurückübersetzt, so Menninghaus die biologisierte Ästhetik. "Die Mode ist Verlängerung und Substitut der evolutionären Kraft des Ästhetischen." In Schönheitsfarmen und Fitneßcentern versuche der Mensch des kallozentristischen Konsumkapitalismus selber die evolutionäre Arbeit am Körper zu verrichten. Das Studium der Darwinschen Schriften hat Menninghaus merklich viel Spaß gebracht, und die gelehrte Ironie, mit der seine Darstellung den verschlungenen Wegen der neueren Evolutionstheorie folgt, hat erheblichen Charme. Doch was ist damit erklärt? Das als schön Empfundene wird gewählt. Warum es gewählt wird, bleibt ein Geheimnis. "Das Spektrum ästhetischer Präferenzen ist grundsätzlich arbiträr." Der Schein von Erklärung entsteht nur dadurch, daß Menninghaus unterderhand vom Subjekt zum Objekt wechselt. Wir begreifen mit Darwin, warum das Schöne entsteht, nicht jedoch, was es ist. Allenfalls könnte man sagen, schön ist das Erotisierende. Doch das ist entweder unplausibel: Manche Leute werden durch Dampflokomotiven oder benutzte Damenunterwäsche erotisiert, während es umgekehrt nicht leichtfällt, an der Schönheit einer Messe von Josquin oder der uckermärkischen Landschaft Erotisches auszumachen. Oder es bedeutet die Kapitulation des Denkens vor den Gegenständen: Schön ist, was als schön empfunden wird. Wahrscheinlich würde Menninghaus dem Satz sogar zustimmen. Einesteils entspricht er seiner Beobachterhaltung, sich nirgends an einer Beurteilung des Schönen zu beteiligen. Andernteils liegt er ganz auf der Linie seiner kryptoneoplatonistischen Metaphysik, die das Schöne als Korrelat des Begehrens in der ursprünglichen Differenz zwischen Subjekt und Objekt entspringen läßt. Die Beobachterhaltung allerdings ist künstlich. Natürlich glauben wir immer, daß das von uns als schön Empfundene auch schön ist. Das ästhetische Urteil erhebt Anspruch auf allgemeine Zustimmung. Und die Metaphysik ist defizitär, weil sie die Bestimmtheit nicht erklären kann. Dabei ließe sich gerade Darwins Lehre mit der klassischen Philosophie des Schönen leicht vereinen. Schön ist für Aristoteles das gut zu Überschauende, das leicht Aufzufassende. Am überschaubarsten aber ist ein Ganzes, das aus selbständigen Teilen gebaut ist. Genau das meint die überall wiederholte Organismusmetapher. Stirn, Augen, Nase, Wangen, Kinn sollen so charakteristisch ausgebildet sein, daß wir sie mit einem Blick deutlich als solche erfassen, und so proportioniert, daß wir sie zugleich als Teile eines Gesichts nehmen. Auch im Tierreich gibt es einen ausgeprägten Sinn für Symmetrie und Proportion. Und auch Darwins animalische Moden mögen ihren Sinn im Charakteristischen finden. Das Pfauenweibchen sucht sich den Pfau aus, der am pfauenhaftesten, am leichtesten als Pfau zu erkennen ist - das Ideal des Pfauen. Aus der Hemmung des Begehrens entsteht dann beim Menschen die Selbständigkeit des Schönheitssinns. Darwin und Freud. Nur ist das Schöne nicht schön, weil es begehrt wird, sondern es wird begehrt, weil es schön ist.
GUSTAV FALKE
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Muss ausgerechnet ein Literaturwissenschaftler wie Winfried Menninghaus von der FU Berlin die darwinistische Evolutionstheorie bemühen, um ein Buch über das Naturschöne zu schreiben, meldet Ludger Heidbrink eingangs Zweifel an. Spricht das nicht für biologistische Verkürzungen und Vereinnahmungen, fragt er weiter. Bei einem wie Menninghaus nicht, gibt Heidbrink Entwarnung. Man müsse Menninghaus' Parallelisierung von evolutionärer und philosophischer Ästhetik nicht in allen Punkten zustimmen, erläutert der Rezensent, doch eröffne sie interessante Einsichten in den Schönheitswahn von heute. Eine seiner Einsichten lautet, führt Heidbrink als konkreten Erkenntnisgewinn an, dass ein Zuviel an physischer Attraktivität der beruflichen Karriere eher im Wege stünde und damit, führt er weiter aus, auch die These vom "survival of the prettiest" nicht ohne weiteres haltbar sei. Schönheit beziehungsweise Schönsein sei ebenso evolutionäres Überlebensprogramm wie auch eine autonome Kulturschöpfung und -leistung, heißt das Fazit Menninghaus'. Um bis zu diesem vorzudringen, müsse der Leser allerdings einen etwas mühseligen Stil und allerlei Assoziationsketten in Kauf nehmen, warnt Heidbrink.
© Perlentaucher Medien GmbH
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