Es geschah am hellichten Tag ...
Eigentlich sollte sich Kommissar Matthai, der auf der Höhe seiner Karriere angelangt ist, zum Flug nach Jordanien fertigmachen, um dort ein ehrenvolles Amt zu übernehmen. Da erreicht ihn ein Anruf aus Mägendorf, einem kleinen Ort bei Zürich. Ein ihm unbekannter Hausierer teilt ihm mit, er habe im Wald die Leiche eines grausam verstümmelten Mädchens gefunden. Obwohl Matthais Abflug kurz bevor steht, fährt er nach Mägendorf und verspricht den Eltern des Kindes nicht zu rasten, bis er den Täter entlarvt hat.
Eigentlich sollte sich Kommissar Matthai, der auf der Höhe seiner Karriere angelangt ist, zum Flug nach Jordanien fertigmachen, um dort ein ehrenvolles Amt zu übernehmen. Da erreicht ihn ein Anruf aus Mägendorf, einem kleinen Ort bei Zürich. Ein ihm unbekannter Hausierer teilt ihm mit, er habe im Wald die Leiche eines grausam verstümmelten Mädchens gefunden. Obwohl Matthais Abflug kurz bevor steht, fährt er nach Mägendorf und verspricht den Eltern des Kindes nicht zu rasten, bis er den Täter entlarvt hat.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2006 Band 5
Zufälle gibt es nicht
Friedrich Dürrenmatt: „Das Versprechen”
Der Kriminalroman tat bis nach dem Zweiten Weltkrieg Dienst am seelischen Gleichgewicht des Lesers. Das Böse war vom Guten leicht zu unterscheiden, es wurde aufgedeckt und gerächt. Die von allen Detektiven praktizierte Methode des logischen Schlussfolgerns, mit der auch psychologische Beweggründe mathematischen Variablen gleich behandelt wurden, hatte etwas kolossal Beruhigendes an sich.
Weniger den Lesern als vielmehr den Autoren selbst ging die unzweideutig aufklärbare Krimi-Welt allmählich auf die Nerven. In „Das Versprechen” hat Friedrich Dürrenmatt einen alten erbitterten Schweizer Polizeikommandanten die künstliche Teleologie des Kriminalromans bloßstellen lassen. Auf einer Zugfahrt entspinnt sich ein Gespräch zwischen diesem und einem Schriftsteller. Der Polizist hat nichts dagegen, dass Verbrecher im Roman ihre Strafe finden: „Denn jedes Publikum und jeder Steuerzahler hat ein Anrecht auf seine Helden und sein Happy-End, und dies zu liefern sind wir von der Polizei und ihr von der Schriftstellerei gleicherweise verpflichtet. Nein, ich ärgere mich vielmehr über die Handlung in euren Romanen.” Da „spielt der Zufall keine Rolle, und wenn etwas nach Zufall aussieht, ist es gleich Schicksal und Fügung gewesen”. Sagts und erzählt eine Geschichte, die ihm in seiner Amtszeit unterkam und deren Ausgang ganz vom Zufall bestimmt wird.
Das Gritli ist ermordet worden, ein kleines Mädchen im roten Rock. Und es war nicht das erste Mal, dass so ein Mord in dem Kanton vorgekommen ist. Der Hausierer, der die Leiche des Kindes fand, wird alsgleich verdächtigt. Nachdem einige Indizien - Vorstrafe und Vorlieben des Mannes - sich gegen ihn verdichtet haben, bringt er sich in der Untersuchungshaft um. Der Fall ist in aller Augen geklärt. Nur einer kann sich damit nicht abfinden: Kommissar Matthäi, ein großer Kriminalist, „ein Genie”, wie der Polizeikommandant dem Schriftsteller sagt, „und das in einem größeren Maße als einer eurer Detektive”.
Logisch wie Conan Doyle und einfühlsam wie Simenon entwickelt Dürrenmatt die Geschichte, die schließlich zur Entdeckung - wenn auch nicht zur Ergreifung - des wahren Täters führt. Der Kommissar Matthäi scheitert, dem Anschein nach scheitert auch der Autor Dürrenmatt: Es gibt dramaturgische Regeln, die selbst er nicht unterlaufen kann. Anders als der Kommissar, hat der Autor sein scheinbares Scheitern aber virtuos inszeniert: Es spielt sich auf einer ironischen Metaebene jenseits der spannenden Kriminalgeschichte ab.
Zwar ist es der Zufall, der dem Kommissar eingibt, wie er den Mörder aufspüren kann, zwar ist es dann auch der Zufall, der Matthäi zu einer tragischen Figur werden lässt - und doch verliert der Zufall, kaum dass er dramaturgisch bearbeitet ist, sein eigentliches Wesen: Wahre Kontingenz kann es in einer Erzählung nur auf Kosten dieser Erzählung geben. Jede Geschichte folgt den ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten, wo es diese nicht gibt, gibt es keine Dramaturgie, mithin keine Geschichte.
„Die Wahrheit wird seit jeher von euch Schriftstellern den dramaturgischen Regeln zum Fraße vorgeworfen.” Diese Klage des Polizeikommandanten ist das erste Gebot der schriftstellerischen Kunst.
FRANZISKA AUGSTEIN
Friedrich Dürrenmatt
Foto: Eduard Rieben
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Zufälle gibt es nicht
Friedrich Dürrenmatt: „Das Versprechen”
Der Kriminalroman tat bis nach dem Zweiten Weltkrieg Dienst am seelischen Gleichgewicht des Lesers. Das Böse war vom Guten leicht zu unterscheiden, es wurde aufgedeckt und gerächt. Die von allen Detektiven praktizierte Methode des logischen Schlussfolgerns, mit der auch psychologische Beweggründe mathematischen Variablen gleich behandelt wurden, hatte etwas kolossal Beruhigendes an sich.
Weniger den Lesern als vielmehr den Autoren selbst ging die unzweideutig aufklärbare Krimi-Welt allmählich auf die Nerven. In „Das Versprechen” hat Friedrich Dürrenmatt einen alten erbitterten Schweizer Polizeikommandanten die künstliche Teleologie des Kriminalromans bloßstellen lassen. Auf einer Zugfahrt entspinnt sich ein Gespräch zwischen diesem und einem Schriftsteller. Der Polizist hat nichts dagegen, dass Verbrecher im Roman ihre Strafe finden: „Denn jedes Publikum und jeder Steuerzahler hat ein Anrecht auf seine Helden und sein Happy-End, und dies zu liefern sind wir von der Polizei und ihr von der Schriftstellerei gleicherweise verpflichtet. Nein, ich ärgere mich vielmehr über die Handlung in euren Romanen.” Da „spielt der Zufall keine Rolle, und wenn etwas nach Zufall aussieht, ist es gleich Schicksal und Fügung gewesen”. Sagts und erzählt eine Geschichte, die ihm in seiner Amtszeit unterkam und deren Ausgang ganz vom Zufall bestimmt wird.
Das Gritli ist ermordet worden, ein kleines Mädchen im roten Rock. Und es war nicht das erste Mal, dass so ein Mord in dem Kanton vorgekommen ist. Der Hausierer, der die Leiche des Kindes fand, wird alsgleich verdächtigt. Nachdem einige Indizien - Vorstrafe und Vorlieben des Mannes - sich gegen ihn verdichtet haben, bringt er sich in der Untersuchungshaft um. Der Fall ist in aller Augen geklärt. Nur einer kann sich damit nicht abfinden: Kommissar Matthäi, ein großer Kriminalist, „ein Genie”, wie der Polizeikommandant dem Schriftsteller sagt, „und das in einem größeren Maße als einer eurer Detektive”.
Logisch wie Conan Doyle und einfühlsam wie Simenon entwickelt Dürrenmatt die Geschichte, die schließlich zur Entdeckung - wenn auch nicht zur Ergreifung - des wahren Täters führt. Der Kommissar Matthäi scheitert, dem Anschein nach scheitert auch der Autor Dürrenmatt: Es gibt dramaturgische Regeln, die selbst er nicht unterlaufen kann. Anders als der Kommissar, hat der Autor sein scheinbares Scheitern aber virtuos inszeniert: Es spielt sich auf einer ironischen Metaebene jenseits der spannenden Kriminalgeschichte ab.
Zwar ist es der Zufall, der dem Kommissar eingibt, wie er den Mörder aufspüren kann, zwar ist es dann auch der Zufall, der Matthäi zu einer tragischen Figur werden lässt - und doch verliert der Zufall, kaum dass er dramaturgisch bearbeitet ist, sein eigentliches Wesen: Wahre Kontingenz kann es in einer Erzählung nur auf Kosten dieser Erzählung geben. Jede Geschichte folgt den ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten, wo es diese nicht gibt, gibt es keine Dramaturgie, mithin keine Geschichte.
„Die Wahrheit wird seit jeher von euch Schriftstellern den dramaturgischen Regeln zum Fraße vorgeworfen.” Diese Klage des Polizeikommandanten ist das erste Gebot der schriftstellerischen Kunst.
FRANZISKA AUGSTEIN
Friedrich Dürrenmatt
Foto: Eduard Rieben
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Dürrenmatt geht es um das Verbrechen an sich, um die verbrecherische Anlage als klinisch-sozilogisches Problem, das keineswegs nur kleinbürgerlich-hintertreppige Früchte zu zeitigen braucht. Die Tat, Zürich
»Der Dialog mit Friedrich Dürrenmatt ist nicht zu Ende - er beginnt erst, und wir werden Mühe haben, in Friedrich Dürrenmatts mächtigem Schatten, ihn zu bestehen.« Walter Jens