Kommissar Erik Winter stehen kurz vor dem Jahrtausendwechsel wichtige persönliche Veränderungen ins Haus. Und doch muss er sein ganzes psychologisches Gespür aufbringen für die Ermittlung in einem grausigen Mordfall - erst recht, als der offensichtlich geistesgestörte Mörder beginnt, Winter selbst in den Fall zu verwickeln. Subtil, suggestiv und stilsicher geschrieben - mit 'Das vertauschte Gesicht' beweist Ake Edwardson erneut, dass seine Romane das Zeug haben, Krimi-Klassiker zu werden.
Mörderische Musik: Åke Edwardson löst die Endlosschleife auf
Das gnadenlose Gehämmer von Black Metal, ein infernalisches Dröhnen, begleitet von einer wenig kantablen, satanistischen Vokalspur, erfüllt Åke Edwardsons neuen Kriminalroman. Für Erik Winter, den Göteborger Kommissar, der an Beliebtheit seinem Kollegen aus der Kleinstadt, Wallander, kaum nachsteht, für den Jazzliebhaber, der schon an Tom Waits sanft herangeführt werden muß, ist das Gedröhne ein Kontrapunkt, das Böse. Symbol für eine nicht handhabbare Subkultur, von der man eigentlich nichts wissen will, die einem aber plötzlich ganz nahe rückt. So, wie Kommissar Winter auch die ganze Zeit nichts von dem ungastlichen Kabuff im Keller seines Mietshauses gewußt hat. Der schlurfige Hausmeister, den er bislang auch nicht kannte, nennt es "Büro". Jetzt hat ein Unbefugter dort Spuren hinterlassen und ist dabei Winter so nahe gekommen wie die stummen anonymen Anrufe, die er seiner schwangeren Lebensgefährtin zur Beruhigung als nur verwählt verkauft. Also kann man sich nicht einfach die Ohren zuhalten. In der Kakophonie muß Sinn gesucht werden.
Das Musikprogramm für seinen neuen Fall hat sich nicht Winter, sondern der Mörder ausgesucht. In einer Wohnung unweit von dem Haus, in dem Winter wohnt, hat er nicht nur ein nacktes Paar mit ausgetauschten Köpfen, oder Körpern, ganz wie man es sieht, hinterlassen, sondern auch eine laut aufgedrehte Kassette der Gruppe "Sacrament", die in Endlosschleife läuft. Die Exegese der unerquicklichen Klänge wird zur Hauptbeschäftigung, zugleich zur Abbildung des Versuchs, die übrigen Indizien zusammenzufügen: Zu Beginn vernimmt Winter nur Lärm, mit zunehmender Gewöhnung jedoch kann er Melodien und Text heraushören. So versteht er mehr und mehr, das Böse wird vertrauter - und doch, wie sich herausstellt, dadurch nicht gleich kontrollierbarer.
"Das vertauschte Gesicht" folgt, wie die anderen Vertreter der skandinavischen Kriminalwelle, der nicht abreißenden Mode des Genres, den Ermittler persönlich stark zu involvieren, indem sein Privatleben nicht mehr bloß zur Retardation und divertierenden Ausschmückung verwendet, sondern direkt in das Geschehen hineingezogen wird. Das Verfahren erfährt hier eine biographische Zuspitzung: Winters Vater liegt am spanischen Alterssitz der Eltern - wo man, wie mit schwedischer Sensibilität vermerkt wird, regelmäßig Gin & Tonic trinkt - im Sterben, der vierzigste Geburtstag des Kommissars naht zusammen mit der Jahrtausendwende, und der Kommissar sieht Vaterfreuden entgegen, während seine Freundin von dem Körperverstümmler bedroht wird.
Auch wenn die Masche der Verquickung von Fall und Person langsam etwas enervierend werden kann, so ist Edwardson doch zu bescheinigen, daß er sie dramaturgisch ausgesprochen geschickt nutzt. Mit leichter Hand schafft er Verbindungen, die nicht künstlich wirken, und sein mildes Verständnis für das nicht selten Unspektakuläre des polizeilichen und sonstigen Alltags vermindert das Reißerische und verstärkt die Glaubwürdigkeit.
Der damit einhergehende Nachteil ist indes, daß die Anziehungskraft der Wahrheitsfindung seltsam geschwächt erscheint; wo Vergangenes aufgespürt und rekonstruiert werden muß, heißt es: "Er hatte es satt, die Gegenwart hielt ihn genug in Atem". Vielen wird daher, wenn schon nicht Kunstwillen, so doch wenigstens ein Rest jener Besessenheit fehlen, die man in dieser Literaturgattung bei allen Ausbruchsversuchen doch der Konvention schuldig ist. Und gerade durch den Kontrast von Normalität und Abgründigkeit, der nebenbei einen Abriß des Wertesystems eines ordentlichen Bürgers von Göteborg liefert, entsteht das Bild einer doch etwas braven Weltsicht, die auch auf Edwardssons Schreibweise abzufärben scheint - von der Täterpsychologie bis zur Klage über die Anonymität der Nachbarn im Wohnhochhaus. Gelegentlich denkt man beinahe, seine Stadt habe nur auf die Globalisierungsgegner gewartet, damit es endlich einmal so richtig Krach gibt.
Dieser leicht matte Eindruck, dem gegen Ende eine einnehmende Verdichtung abhilft, wird allerdings gründlich vertrieben. Denn am Schluß wird man gezwungen, die Erzählung noch einmal rückwärts zu lesen: Weil man erfahren hat, daß sich das ganze, scheinbar nur seelischer Verirrung verdankte Verbrechen auf noch direktere Weise gegen Kommissar Winter gerichtet hat, als man bei der mühsamen, von dröhnender Musik begleiteten Spurensuche gedacht hätte. Plötzlich entsteht eine gedankliche Spannung, die außerhalb des Buches liegt.
JOHAN SCHLOEMANN
Åke Edwardson: "Das vertauschte Gesicht". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Angelika Kutsch. Claassen Verlag, München 2001. 448 S., geb., 44,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für Werner Burkhardt ist es naheliegend, den Krimi des Schweden Edwardson mit den Büchern Henning Mankells zu vergleichen. Dabei hat er durchaus Gemeinsamkeiten festgestellt, auch wenn Edwardsons Handlung in Göteborg und nicht in Ystad angesiedelt ist und der Kommissar Winter - anders als Mankells Wallander - gerne in Designerklamotten auftritt. Gemeinsamkeiten hat Burkhardt insbesondere bei den Lagebesprechungen der Polizei ausgemacht, doch im Vergleich zu Mankells Büchern haben ihn diese Besprechungen "ungeduldig" gemacht, gesteht der Rezensent. Burkhardt hält sich mit dezidierter Kritik zurück, jedoch wird deutlich, dass Edwardsons Stil einfach nicht sein Fall ist. So kann er sich für Edwardsons verästelte Erzählweise, seinen Verzicht auf Geradlinigkeit, die "kurzen Absätze, jäh wegbrechenden Kapitel, eine bewusst fahrige Kurzatmigkeit" und seine keineswegs chronologisches Erzählen nicht wirklich erwärmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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