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Mai 1945: Das Dritte Reich ist untergegangen, aber das Vierte Reich wird kommen? Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation mehren sich die Gerüchte über die subversiven Aktionen untergetauchter Nazis. Trotz der raschen politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Deutschlands, ist die Furcht vor der Reinkarnation des Nationalsozialismus spürbar. Dieser Mythos eines Vierten Reiches begleitet die Entwicklung der westlichen Welt seit der Nachkriegszeit und wird auch im 21. Jahrhundert in der politischen Polemik rezipiert: "III. Reich tanks - fourth Reich banks!"Eine systematische…mehr

Produktbeschreibung
Mai 1945: Das Dritte Reich ist untergegangen, aber das Vierte Reich wird kommen? Unmittelbar nach der deutschen Kapitulation mehren sich die Gerüchte über die subversiven Aktionen untergetauchter Nazis. Trotz der raschen politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Deutschlands, ist die Furcht vor der Reinkarnation des Nationalsozialismus spürbar. Dieser Mythos eines Vierten Reiches begleitet die Entwicklung der westlichen Welt seit der Nachkriegszeit und wird auch im 21. Jahrhundert in der politischen Polemik rezipiert: "III. Reich tanks - fourth Reich banks!"Eine systematische ideengeschichtliche Aufarbeitung dieser Politik und Kultur prägenden Dystopie ist daher längst überfällig. Gavriel D. Rosenfeld, der umfassend zum Nationalsozialismus forscht und publiziert, analysiert erstmals die Entwicklung und Wandlung des Vierten Reiches als Idee innerhalb und außerhalb Europas, seit dessen Aufkommen im nationalsozialistischen Deutschland bis zur heutigen Reichsbürgerbewegung.
Autorenporträt
Gavriel D. Rosenfeld ist Professor für Geschichte an der Fairfield University. Seine Forschungsschwerpunkte sind das nationalsozialistische Deutschland und der Holocaust. Des Weiteren wird er international als versierter Experte der kontrafaktischen Geschichtsschreibung geschätzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2020

Und wenn das Wirtschaftswunder ausgeblieben wäre?
Gavriel D. Rosenfelds Buch über Anknüpfungen an den Nationalsozialismus nach 1945 gerät methodisch etwas verwackelt

Dass die Nachkriegsentwicklung Deutschlands und speziell natürlich die West-Deutschlands ein großer Erfolg war, das ist eine mittlerweile gut etablierte Sicht der Dinge. Selbst die zögerliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stößt inzwischen auf Verständnis. Aber es kehrt auch immer mal wieder das Reden von einem "Vierten Reich" zurück, einer Wiederkehr, wenn nicht des Nationalsozialismus, so doch deutscher Großmachtgelüste. Man kann es verstehen. Dass eine so schreckliche, zugleich so potente Machtentfaltung wie die des NS-Staats ohne größere Nachwirkung in sich zusammengesackt sei, ist gewiss nicht selbstverständlich. Dem Historiker Gavriel D. Rosenfeld (Fairfield University) kam das jedenfalls bemerkenswert vor. So hat er "Das Vierte Reich. Der lange Schatten des Nationalsozialismus" geschrieben, um sich und anderen mehr Klarheit zu verschaffen.

Merkwürdig ist, dass der Ausdruck "Drittes Reich" schon seit Sommer 1939 auf Anweisung Hitlers in offiziellen Mitteilungen vermieden werden sollte, womöglich, weil er einen christlich-pazifistischen Beiklang hatte. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass NS-Gegner von einem "Vierten Reich" zu sprechen begannen, wobei die Prophezeiung im Buch Daniel, Kapitel 2, im Hintergrund gestanden haben dürfte: Danach wird die Welt vier große Reiche sehen, auf das vierte folgt das Reich Gottes, das alle weltliche Herrschaft beenden und in Ewigkeit bestehen wird.

Eine ganze Weile blieb das Wort vom "Vierten Reich" in seiner Bedeutung unklar. Noch 1947 verbanden einzelne Beobachter es mit einem neuen, fortschrittlichen Deutschland. Für andere aber avancierte es zur Losung einer Auferstehung des "Dritten Reiches", und diese Bedeutung setzte sich durch. Das ist das erste große Thema Rosenfelds: die Versuche, dem Nationalsozialismus und dem Deutschen Reich ein neues Leben zu verschaffen. Und wenn sie auch alle bis zum heutigen Tag gescheitert sind: Waren die Ängste gegenstandslos oder doch berechtigt? Rosenfeld operiert mit dem Gedanken der kontrafaktischen Geschichte und zitiert als frühen Gewährsmann Hugh Trevor Roper: "Geschichte ist nicht nur das, was geschah. Es ist das, was im Zusammenhang mit dem, was hätte geschehen können, geschah."

Ein größer angelegter Versuch alter Nationalsozialisten, nach der Macht zu greifen, war der des Naumann-Kreises. Werner Naumann war Staatssekretär im Reichspropagandaministerium gewesen und begann zusammen mit einer Reihe prominenter Gesinnungsgenossen, darunter drei ehemaligen Gauleitern, einem SS-Obergruppenführer und Werner Best, dem zeitweiligen Stellvertreter Heydrichs im SD und späteren Reichsbevollmächtigtem in Dänemark, die nordrhein-westfälische FDP zu unterwandern. Auf dem Bundesparteitag der FDP im Herbst 1952 präsentierten sie ein "Deutsches Programm", mit dem sie allerdings scheiterten. Im Januar verhafteten die britischen Besatzungsbehörden die führenden Männer des Naumann-Kreises: Sie hätten den Sturz der Regierung Adenauer vorbereitet. Nach Monaten wurden die Verhafteten freigelassen, das Strafverfahren eingestellt, aber das Signal war unmissverständlich: Aktionen, die auf die Umwälzung der politischen Verhältnisse zielten, wurden nicht geduldet. Im Herbst 1953 bestätigte die Bundestagswahl die demokratischen Parteien, wobei die FDP Federn lassen musste; die Deutsche Reichspartei, die Partei der Unbelehrbaren, landete bei 1,1 Prozent.

Nimmt man dazu, dass im Jahr zuvor das Bundesverfassungsgericht die Sozialistische Reichspartei verboten hatte, kann man hier einen tiefen Einschnitt sehen. Es folgten noch genug Skandale um alte Kameraden, aber das Muster war jetzt die "offenbar durchaus effektive Einpassung" der alten NS-Funktionäre in den neuen deutschen Staat, ihre "politische Neutralisierung", wie es der Freiburger Historiker Ulrich Herbert genannt hat. Aber war das eine unvermeidliche Entwicklung, die innere Bestimmung der Bundesrepublik? Das will Rosenfeld nicht zugestehen. Was wäre ohne den wirtschaftlichen Aufschwung der fünfziger Jahre geschehen? Ein anderes Beispiel Rosenfelds ist der Werwolf, die Partisanentruppe, die mehr ein Propagandaprodukt Himmlers und Goebbels' war als eine echte Bedrohung der Besatzungsmächte. Hätte der Werwolf größere Bedeutung erlangt, wenn ganz Deutschland unter sowjetische Besatzung geraten und in Hoffnungslosigkeit versunken wäre?

Das sind Überlegungen, die wenig abwerfen. Kontrafaktische Betrachtungen zielen auf die kontingenten Momente der Geschichte, auf Faktoren, die zufälligen Charakters sind und doch große Wirkung entfalten, etwa das Auftreten oder Fehlen einer Führungspersönlichkeit, die einer vagabundierenden Stimmung Ausdruck verleiht. Dass fundamental verschiedene Bedingungen fundamental verschiedene Folgen haben, ist dagegen eine Selbstverständlichkeit. Wohl war die Angst vor einer Rückkehr des Nationalsozialismus oder seiner Derivate verbreitet, nicht allein unter Linken. Heinrich Krone, unter anderem Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion zwischen 1955 und 1960 und ein sicherlich sehr gut informierter, seriöser Mann, hat bemerkenswerte Tagebuchnotizen in diesem Sinne hinterlassen. Aber hier bleibt Rosenfeld bedauerlich unbestimmt, eine Untersuchung über die nationalsozialistische Verführbarkeit der Nachkriegsdeutschen sucht man vergebens, nicht einmal die Allensbach-Befragungen sind berücksichtigt. Und auch die späteren Auftritte der extremen Rechten, zum Beispiel der Reichsbürger, werden von ihm notiert, ohne eine Einschätzung der wirklichen Gefahren abzugeben. Hier verbindet sich das methodisch Unklare mit einem Mangel an Materialkenntnis.

Dabei hat das Buch auch seine sympathischen Züge. Der Stoff hat etwas offenkundig Sensationelles, aber der Autor verfährt ganz unsensationalistisch, in der Behandlung der Bundesrepublik wie auch jener Filme und Bücher, die das "Vierte Reich" für Unterhaltungszwecke ausmünzten, das zweite große Thema seines Buches. Zustimmend zitiert er einen Kritiker, der Robert Ludlum mit seinem Bestseller "Der Holcroft-Vertrag" bescheinigte, er habe "mehr Geld mit Hitler verdient (...) als irgendjemand sonst seit Krupp"; und so beurteilt Rosenfeld das ganze Gewerbe einschließlich der so erfolgreichen "Akte Odessa" von F. Forsyth. Das ist ruhig und vernünftig und nimmt für den Autor ein. Und es zeigt, dass die Rückkehr der Nationalsozialisten "keine echte politische Bedrohung mehr darstellte", als das Vierte Reich seit den siebziger Jahren zum Unterhaltungsstoff wurde.

STEPHAN SPEICHER.

Gavriel D. Rosenfeld: "Das Vierte Reich". Der lange Schatten des Nationalsozialismus.

Nachwort von S. F. Kellerhoff. Aus dem Englischen von C. Kotte. wbg / Theiss Verlag, Darmstadt 2020. 448 S., geb., 34,- [Euro].

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»Der Stoff hat etwas offenkundig Sensationelles, aber der Autor verfährt ganz unsensationalistisch. [...] Das ist ruhig und vernünftig und nimmt für den Autor ein.« Stephan Speicher, FAZ »Eine scharfsinnige Analyse, die zeigt, wie der Diskurs über das 'Vierte Reich' die Nachkriegskultur maßgeblich geprägt hat.« Los Angeles Review of Books »Der wahre Wert dieses Buches liegt in der Erkenntnis über die verzerrende Kraft des historischen Gedächtnisses. Eine faszinierende Studie!« The Times Literary Supplement