Lea, Avishag und Yael leben in einem israelischen Dorf an der Grenze zum Libanon. Ihr Alltag ist geprägt von Unbeständigkeit, Langeweile und Krieg. Es gilt, die Zeit bis zum Militärdienst so gut es geht mit makabren Spielen und heimlichen Liebschaften totzuschlagen. Als die Mädchen eingezogen werden, ist es mit der Kindheit von heute auf morgen vorbei. Was sie an den verschiedenen Stützpunkten bewegt, sind Waffen, Tod und Sex. Und die Frage nach Gerechtigkeit und der Macht des Stärkeren. Sie exerzieren für den Moment des großen Bang, der vielleicht nie kommt. Alle drei kämpfen mit der Einsamkeit, mit Rivalitäten und mit den schrecklichen Bildern, die sie Tag für Tag mit ansehen müssen. Und jede findet einen anderen Ausweg: Lea träumt sich in eine Fantasiewelt, Avishag schafft es, in den Schutz des Militärgefängnisses zu gelangen, und Yael flüchtet sich in den Sex mit einem Rekruten. Doch auch nach der Zeit beim Militär ist nichts so, wie es sein sollte. Shani Boianjiu erzählt mit einzigartiger Stimme vom Erwachsenwerden unter extrem verschärften Bedingungen - das ist große Literatur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2013Gefrorenes Wasser im Blut
Vor dem Krieg wurde ich endlich schön: Shani Boianjiu erzählt in ihrem großartigen Debüt von Frauen in der israelischen Armee
Es gibt eine Episode in diesem Buch, in der die Absurdität des israelisch-palästinensischen Besatzungsalltags eine solche Wucht entfaltet, dass man einen Augenblick lang hofft, die Autorin schildere eine Szene aus der israelischen Version von "Versteckte Kamera". Schauplatz ist ein Checkpoint auf der Route 433, seit 2002 ist sie für Palästinenser gesperrt, und genau dagegen wollen nun drei Palästinenser protestieren. Höflich bitten sie die gelangweilten israelischen Soldaten, ihre Mini-Demonstration gewaltsam aufzulösen - nur so schaffe sie es in die Zeitung.
Offizierin Lea, 21 Jahre und froh über die Ablenkung, ist bereit, zu kooperieren. Erst feuert sie ohrenbetäubend laute Schockgranaten ab, so dass die Demonstranten bald verschwinden, doch kein Bericht darüber erscheint in der Zeitung. Am zweiten Tag gibt es Tränengas - wieder kein Artikel. Und so bitten die Palästinenser am dritten Tag darum, dass man mit Gummigeschossen auf sie zielen möge, auch dieser Wunsch wird ihnen erfüllt. In die Zeitung schafft der Protest es jedoch erst, als der jüngste der drei, ein Teenager, einen Stein aufhebt, und Lea ihn deshalb verhaftet: "Wenn ein Kind festgenommen wurde, kam das immer mindestens auf Seite 5, das wusste Lea", schreibt die israelische Schriftstellerin Shani Boianjiu.
Lea ist eine der drei israelischen Soldatinnen, um die es in dem großartigen Debüt der 1987 in Jerusalem geborenen Boianjiu geht. Mit Kurzgeschichten in der "New York Times" und dem "New Yorker" machte sie sich einen Namen, wurde 2011 von der "National Book Foundation" unter die besten Autoren unter 35 Jahren gewählt und hat nun, quasi über Nacht, das Genre des Kriegsromans, das immer irgendwie Jungsliteratur gewesen ist, weiblich gemacht. Und zwar auf der internationalen Bühne, denn der Roman erscheint in 19 Ländern gleichzeitig. Boianjiu hat ihn auf Englisch geschrieben, was dabei sicherlich geholfen hat.
In Israel erfährt jede Frau am eigenen Leib, was es bedeutet, Kriegerin zu sein: Der Militärdienst ist dort auch für sie verpflichtend, zwei Jahre dauert er. Es ist die Zeit, um die der Roman kreist. Die hochmütige Lea verbringt sie mit der Kontrolle palästinensischer Bauarbeiter an Checkpoints im Gazastreifen; die unsichere Yael ist Waffenausbilderin auf einem Ausbildungsstützpunkt nahe Hebron, und die selbstzerstörerische Avishag starrt an der Grenze zu Ägypten jeden Tag auf Monitore und überprüft, ob jemand DVDs schmuggeln oder unbefugt die Grenze übertreten will. Tagelang hängt dort ein Sudanese tot im Stacheldraht und somit fest auf Avishags Bildschirm. Weder die Israelis noch die Ägypter fühlen sich zuständig, die Leiche zu bergen.
Es sind solche Erlebnisse, von denen die Mädchen träumen, über die sie jedoch nicht reden werden. Die drei haben die Schule gerade beendet, sind zwischen achtzehn und zwanzig Jahren alt, wuchsen zusammen auf in einem Dorf an der Grenze zu Libanon, das es nur gibt, weil "Leute den genialen Einfall hatten, man solle Galiläa judifizieren". Gewalt und Militärisches gehören seit Kindertagen auf eine Weise zu ihrem Leben mit dazu, wie man es sich bei uns, wo immer alles friedlich ist, nicht vorstellen kann. Im Unterricht paukten die Mädchen militärische Begriffe; die Bananenfelder hinterm Haus brannten oft nach Granateinschlägen ab; palästinensische Kinder kommen ums Leben, während sie Panzerfäuste werfen, israelische Jungs begehen Selbstmord, nachdem ihr Militärdienst zu Ende ist.
Als Soldatinnen haben die drei Mädchen nun den Auftrag, zu verletzen und zu töten, falls es sein muss. Sie sind Teil eines riesigen militärischen Räderwerks, das an Kontrollpunkten, Wachtürmen und Mauern die israelische Politik der Trennung, der Abschließung, Sicherung und Überwachung Wirklichkeit werden lässt. Lea, Avishag und Yael stellen das nicht in Frage. Für sie ist der Militärdienst ein Automatismus, eine Möglichkeit, der elterlichen Enge zu entfliehen. Sie sind nicht gerade sympathisch; sich den Palästinensern überlegen zu fühlen ist für sie so selbstverständlich, dass Hass oder Feindseligkeit zu empfinden gar nicht in Frage kommt. Die Mädchen sind verantwortungslos und voller Gier nach Sex, Partys und Leben. Und so stehen sie nun schwerbewaffnet und in Uniform in der Hitze der Negev-Wüste und geben Leuten schreiend Befehle, die um viele Jahre älter oder nur wenige Monate jünger sind als sie.
Boianjiu weiß, wovon sie schreibt. Sie selbst war nach der Schule zwei Jahre lang bei der Armee. Sicherlich greift sie auf Autobiographisches zurück - ihr Roman ist keine Fiktion im reinen Sinn, sondern hat dokumentarischen Charakter, was das Lesen umso reizvoller macht. Dass sie sich dennoch nicht auf eine Perspektive beschränkt, sondern die drei im Wechselspiel von ihren Erfahrungen erzählen lässt, gehört zu den Stärken ihres Debüts. Denn so verschieden die Mädchen sind, so facettenreich und kompliziert ist auch das Porträt der israelischen Gegenwart, das dabei entsteht. Es ist ein ständiges Balancieren zwischen Lebensfreude und Bedrohung, der Grat mitunter unfassbar schmal. Der Tod ist stets gegenwärtig. Boianjiu erzählt das zwischen den Zeilen, indem sie ihre Protagonistinnen blitzschnell von euphorischer Verquatschtheit zu melancholischer Zurückgezogenheit wechseln lässt.
Gerade noch haben sie andere mit rüden Sprüchen bombardiert; "Unsere kleine Yael ist eine richtige Renaissance-Fotze", sagt Lea, und Yael zu einem Offizier, der sie heiraten will: "Ich geh über den Stützpunkt, durch die ganze Welt, für immer und ewig, auf allen vieren, mit deinem Schwanz im Mund", und dann sitzen die Mädchen abends zusammen und denken sich zarte Geschichten über Hunde aus, die in der Antarktis leben, und über Stiefmütter, die so dick sind, dass sie mit ihren Kopfsprüngen die Kibbuz-Schwimmbecken leeren. Das Schwanken wird auch für den Leser anstrengend. Abzustumpfen scheint der einzige Ausweg. Von heute auf morgen sollen die Mädchen Erwachsene sein und etwas beitragen zur Lösung des politischen Dilemmas ihres Landes, gleichzeitig suchen sie noch wie Kinder nach Sinn und Orientierung, und es gibt niemanden - Eltern oder Mentor -, der ihnen dabei hilft. Über Lea heißt es an einer Stelle: "Sie konnte sich nichts mehr vorstellen und sich auch an nichts erinnern, was sie vor ihrer Zeit als Soldatin gewollt hatte, und es fiel ihr schwer, etwas zu finden, was sie in ihrem zukünftigen Leben als Zivilistin wollen könnte."
Es ist eine schizoide Lage, die sich durch die ständig aufkommende Langeweile noch zu verstärken scheint. Denn dagegen hilft nur Blödsinn, und der steht erst recht im krassen Gegensatz zur ständigen Gefahr. In Unterwäsche legen sich die Mädchen etwa auf den Beton und schießen sich eiskaltes Wasser aus gefrorenen Infusionsbeuteln in die Venen, die eigentlich für Schwerverletzte reserviert sind. Oder sie spielen mit einer Waffe, die wenige Wochen später, der zweite Libanonkrieg ist inzwischen ausgebrochen, innerhalb von Minuten ein elf Stockwerke hohes Gebäude einstürzen lässt und Dutzende Menschen tötet.
"Dreizehn Tage vor Kriegsausbruch wurde ich plötzlich schön", sagt Yael, und es ist einer dieser für den Roman typischen Sätze. Nämlich klar, wie er klarer nicht sein könnte und trotzdem voller Widerspruch, weil hier Dinge zusammenkommen, die eigentlich nicht zusammen denkbar sind. Mit Ari, einem hübschen Offizier, hatte Yael gerade noch in einem leeren Waffencontainer geschlafen, "Du hast mich umgebracht", witzelte er, und dann ist er tatsächlich tot, erschossen in den ersten Tagen des Krieges. Und über die palästinensischen Bauarbeiter erzählt Lea: "Wir brauchten sie, aber wir hatten auch ein bisschen Angst, dass sie uns töten, oder, noch schlimmer, für immer bleiben würden. Beides waren Dinge, die die Palästinenser manchmal taten."
Shani Boianjiu hat ihren Roman "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst" genannt, der Satz fällt so im Roman, und natürlich ist er eine Lüge: Er steht auf einem Aufkleber, den Avishag nach ihrer Militärzeit auf einem Lastwagen sieht. Seit Monaten verlässt sie kaum das Haus, ist gefangen in einer Traurigkeit, aus der es keinen Ausweg gibt. Es gibt keinen Verlust, den sie betrauert. Sie hat vielmehr erfahren, was Todesangst ist, und gleichzeitig die schreckliche Verzweiflung gefühlt, nicht zu sterben, wenn man sterben will.
KAREN KRÜGER
Shani Boianjiu: "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst". Kiepenheuer & Witsch, 332 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor dem Krieg wurde ich endlich schön: Shani Boianjiu erzählt in ihrem großartigen Debüt von Frauen in der israelischen Armee
Es gibt eine Episode in diesem Buch, in der die Absurdität des israelisch-palästinensischen Besatzungsalltags eine solche Wucht entfaltet, dass man einen Augenblick lang hofft, die Autorin schildere eine Szene aus der israelischen Version von "Versteckte Kamera". Schauplatz ist ein Checkpoint auf der Route 433, seit 2002 ist sie für Palästinenser gesperrt, und genau dagegen wollen nun drei Palästinenser protestieren. Höflich bitten sie die gelangweilten israelischen Soldaten, ihre Mini-Demonstration gewaltsam aufzulösen - nur so schaffe sie es in die Zeitung.
Offizierin Lea, 21 Jahre und froh über die Ablenkung, ist bereit, zu kooperieren. Erst feuert sie ohrenbetäubend laute Schockgranaten ab, so dass die Demonstranten bald verschwinden, doch kein Bericht darüber erscheint in der Zeitung. Am zweiten Tag gibt es Tränengas - wieder kein Artikel. Und so bitten die Palästinenser am dritten Tag darum, dass man mit Gummigeschossen auf sie zielen möge, auch dieser Wunsch wird ihnen erfüllt. In die Zeitung schafft der Protest es jedoch erst, als der jüngste der drei, ein Teenager, einen Stein aufhebt, und Lea ihn deshalb verhaftet: "Wenn ein Kind festgenommen wurde, kam das immer mindestens auf Seite 5, das wusste Lea", schreibt die israelische Schriftstellerin Shani Boianjiu.
Lea ist eine der drei israelischen Soldatinnen, um die es in dem großartigen Debüt der 1987 in Jerusalem geborenen Boianjiu geht. Mit Kurzgeschichten in der "New York Times" und dem "New Yorker" machte sie sich einen Namen, wurde 2011 von der "National Book Foundation" unter die besten Autoren unter 35 Jahren gewählt und hat nun, quasi über Nacht, das Genre des Kriegsromans, das immer irgendwie Jungsliteratur gewesen ist, weiblich gemacht. Und zwar auf der internationalen Bühne, denn der Roman erscheint in 19 Ländern gleichzeitig. Boianjiu hat ihn auf Englisch geschrieben, was dabei sicherlich geholfen hat.
In Israel erfährt jede Frau am eigenen Leib, was es bedeutet, Kriegerin zu sein: Der Militärdienst ist dort auch für sie verpflichtend, zwei Jahre dauert er. Es ist die Zeit, um die der Roman kreist. Die hochmütige Lea verbringt sie mit der Kontrolle palästinensischer Bauarbeiter an Checkpoints im Gazastreifen; die unsichere Yael ist Waffenausbilderin auf einem Ausbildungsstützpunkt nahe Hebron, und die selbstzerstörerische Avishag starrt an der Grenze zu Ägypten jeden Tag auf Monitore und überprüft, ob jemand DVDs schmuggeln oder unbefugt die Grenze übertreten will. Tagelang hängt dort ein Sudanese tot im Stacheldraht und somit fest auf Avishags Bildschirm. Weder die Israelis noch die Ägypter fühlen sich zuständig, die Leiche zu bergen.
Es sind solche Erlebnisse, von denen die Mädchen träumen, über die sie jedoch nicht reden werden. Die drei haben die Schule gerade beendet, sind zwischen achtzehn und zwanzig Jahren alt, wuchsen zusammen auf in einem Dorf an der Grenze zu Libanon, das es nur gibt, weil "Leute den genialen Einfall hatten, man solle Galiläa judifizieren". Gewalt und Militärisches gehören seit Kindertagen auf eine Weise zu ihrem Leben mit dazu, wie man es sich bei uns, wo immer alles friedlich ist, nicht vorstellen kann. Im Unterricht paukten die Mädchen militärische Begriffe; die Bananenfelder hinterm Haus brannten oft nach Granateinschlägen ab; palästinensische Kinder kommen ums Leben, während sie Panzerfäuste werfen, israelische Jungs begehen Selbstmord, nachdem ihr Militärdienst zu Ende ist.
Als Soldatinnen haben die drei Mädchen nun den Auftrag, zu verletzen und zu töten, falls es sein muss. Sie sind Teil eines riesigen militärischen Räderwerks, das an Kontrollpunkten, Wachtürmen und Mauern die israelische Politik der Trennung, der Abschließung, Sicherung und Überwachung Wirklichkeit werden lässt. Lea, Avishag und Yael stellen das nicht in Frage. Für sie ist der Militärdienst ein Automatismus, eine Möglichkeit, der elterlichen Enge zu entfliehen. Sie sind nicht gerade sympathisch; sich den Palästinensern überlegen zu fühlen ist für sie so selbstverständlich, dass Hass oder Feindseligkeit zu empfinden gar nicht in Frage kommt. Die Mädchen sind verantwortungslos und voller Gier nach Sex, Partys und Leben. Und so stehen sie nun schwerbewaffnet und in Uniform in der Hitze der Negev-Wüste und geben Leuten schreiend Befehle, die um viele Jahre älter oder nur wenige Monate jünger sind als sie.
Boianjiu weiß, wovon sie schreibt. Sie selbst war nach der Schule zwei Jahre lang bei der Armee. Sicherlich greift sie auf Autobiographisches zurück - ihr Roman ist keine Fiktion im reinen Sinn, sondern hat dokumentarischen Charakter, was das Lesen umso reizvoller macht. Dass sie sich dennoch nicht auf eine Perspektive beschränkt, sondern die drei im Wechselspiel von ihren Erfahrungen erzählen lässt, gehört zu den Stärken ihres Debüts. Denn so verschieden die Mädchen sind, so facettenreich und kompliziert ist auch das Porträt der israelischen Gegenwart, das dabei entsteht. Es ist ein ständiges Balancieren zwischen Lebensfreude und Bedrohung, der Grat mitunter unfassbar schmal. Der Tod ist stets gegenwärtig. Boianjiu erzählt das zwischen den Zeilen, indem sie ihre Protagonistinnen blitzschnell von euphorischer Verquatschtheit zu melancholischer Zurückgezogenheit wechseln lässt.
Gerade noch haben sie andere mit rüden Sprüchen bombardiert; "Unsere kleine Yael ist eine richtige Renaissance-Fotze", sagt Lea, und Yael zu einem Offizier, der sie heiraten will: "Ich geh über den Stützpunkt, durch die ganze Welt, für immer und ewig, auf allen vieren, mit deinem Schwanz im Mund", und dann sitzen die Mädchen abends zusammen und denken sich zarte Geschichten über Hunde aus, die in der Antarktis leben, und über Stiefmütter, die so dick sind, dass sie mit ihren Kopfsprüngen die Kibbuz-Schwimmbecken leeren. Das Schwanken wird auch für den Leser anstrengend. Abzustumpfen scheint der einzige Ausweg. Von heute auf morgen sollen die Mädchen Erwachsene sein und etwas beitragen zur Lösung des politischen Dilemmas ihres Landes, gleichzeitig suchen sie noch wie Kinder nach Sinn und Orientierung, und es gibt niemanden - Eltern oder Mentor -, der ihnen dabei hilft. Über Lea heißt es an einer Stelle: "Sie konnte sich nichts mehr vorstellen und sich auch an nichts erinnern, was sie vor ihrer Zeit als Soldatin gewollt hatte, und es fiel ihr schwer, etwas zu finden, was sie in ihrem zukünftigen Leben als Zivilistin wollen könnte."
Es ist eine schizoide Lage, die sich durch die ständig aufkommende Langeweile noch zu verstärken scheint. Denn dagegen hilft nur Blödsinn, und der steht erst recht im krassen Gegensatz zur ständigen Gefahr. In Unterwäsche legen sich die Mädchen etwa auf den Beton und schießen sich eiskaltes Wasser aus gefrorenen Infusionsbeuteln in die Venen, die eigentlich für Schwerverletzte reserviert sind. Oder sie spielen mit einer Waffe, die wenige Wochen später, der zweite Libanonkrieg ist inzwischen ausgebrochen, innerhalb von Minuten ein elf Stockwerke hohes Gebäude einstürzen lässt und Dutzende Menschen tötet.
"Dreizehn Tage vor Kriegsausbruch wurde ich plötzlich schön", sagt Yael, und es ist einer dieser für den Roman typischen Sätze. Nämlich klar, wie er klarer nicht sein könnte und trotzdem voller Widerspruch, weil hier Dinge zusammenkommen, die eigentlich nicht zusammen denkbar sind. Mit Ari, einem hübschen Offizier, hatte Yael gerade noch in einem leeren Waffencontainer geschlafen, "Du hast mich umgebracht", witzelte er, und dann ist er tatsächlich tot, erschossen in den ersten Tagen des Krieges. Und über die palästinensischen Bauarbeiter erzählt Lea: "Wir brauchten sie, aber wir hatten auch ein bisschen Angst, dass sie uns töten, oder, noch schlimmer, für immer bleiben würden. Beides waren Dinge, die die Palästinenser manchmal taten."
Shani Boianjiu hat ihren Roman "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst" genannt, der Satz fällt so im Roman, und natürlich ist er eine Lüge: Er steht auf einem Aufkleber, den Avishag nach ihrer Militärzeit auf einem Lastwagen sieht. Seit Monaten verlässt sie kaum das Haus, ist gefangen in einer Traurigkeit, aus der es keinen Ausweg gibt. Es gibt keinen Verlust, den sie betrauert. Sie hat vielmehr erfahren, was Todesangst ist, und gleichzeitig die schreckliche Verzweiflung gefühlt, nicht zu sterben, wenn man sterben will.
KAREN KRÜGER
Shani Boianjiu: "Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst". Kiepenheuer & Witsch, 332 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Souverän, rau und unterhaltsam." -- New York Times, 07.05.2013
"Der Ton ist rau, cool, herzzerreißend. Und komisch, trotz oder wegen der nicht endenden Tragik. [...] Das Buch ist eine erschütternde Stimme gegen den Krieg." -- EMMA, Alice Schwarzer, September / Oktober 2013
"Man will gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil sich das Gefühl, gerade etwas verstanden zu haben vom Leben der jungen Israelis, mit jedem Satz steigert." -- Süddeutsche Magazin, 10.09.2013
"Das Debüt, das begeistert!" -- New York Magazine, 07.05.2013
"Selbst wenn Boianjiu über den Tod schreibt, ist ihre Prosa lebendiger als alles, was mir seit Langem untergekommen ist." -- Nicole Krauss, 07.05.2013
"Der Ton ist rau, cool, herzzerreißend. Und komisch, trotz oder wegen der nicht endenden Tragik. [...] Das Buch ist eine erschütternde Stimme gegen den Krieg." -- EMMA, Alice Schwarzer, September / Oktober 2013
"Man will gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil sich das Gefühl, gerade etwas verstanden zu haben vom Leben der jungen Israelis, mit jedem Satz steigert." -- Süddeutsche Magazin, 10.09.2013
"Das Debüt, das begeistert!" -- New York Magazine, 07.05.2013
"Selbst wenn Boianjiu über den Tod schreibt, ist ihre Prosa lebendiger als alles, was mir seit Langem untergekommen ist." -- Nicole Krauss, 07.05.2013
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Shani Boianjius Roman über drei Freundinnen aus einem kleinen Dorf nahe der Grenze zum Libanon, die nach der Schulzeit zum Militärdienst einberufen werden, hat Bernadette Conrad merklich berührt. Sie findet in dem Buch eine ungeschönte, manchmal quälende Darstellung der militärischen Ausbildung, des soldatischen Alltags, der allgegenwärtigen Gewalt in Israel. Eindrucksvoll führt die Autorin für sie vor Augen, was die politische Tragödie in Nahost in psychischer und sozialer Hinsicht für junge Israelis bedeutet. Das Fazit der Rezensentin: ein "aufwühlendes Debüt" über das Jungsein in Israel .
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Ton ist rau, cool, herzzerreißend. Und komisch, trotz oder wegen der nicht endenden Tragik. [...] Das Buch ist eine erschütternde Stimme gegen den Krieg." Alice Schwarzer Emma