Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.1997Eisen erzieht
Das Volkswagenwerk im Dritten Reich
Hans Mommsen mit Manfred Grieger: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich. Econ Verlag, Düsseldorf 1996. 1056 Seiten, 78,- Mark.
Autos waren in der Weimarer Republik ein Luxusgut. Für die Fließbandprodukte der Detroiter Ford-Werke empfanden deutsche Automobil-Industrielle nur Verachtung. Hitler nicht; auf der Berliner Automobilausstellung 1934 beklagte er, daß Staat und Industrie noch nicht dafür gesorgt hätten, daß auch der "kleine Mann" seinen Wagen erwerben könne, analog zum Volksempfänger. "Unsozial" sei das gewesen. Während die Fachwelt noch über Kraftstoffpreise und Unterhaltungskosten brütete, nannte Hitler schon Zahlen: Nicht mehr als 990 Reichsmark dürfe der Volkswagen kosten. 80 bis 90 Millionen Reichsmark sollte in ein Werk investiert werden, in neun Monaten sei es zu bauen, drei Monate später sollten schon 100000 Fahrzeuge hergestellt sein. Mit rücksichtsloser Entschlossenheit, so Hitlers wiederkehrende Formulierung, lasse er die Vorarbeit für den deutschen Volkswagen durchführen.
In Ferdinand Porsche fand er einen kongenialen Ingenieur. Auch Porsche kannte keine Bedenken, wenn es galt, eine technische Utopie ihrer Verwirklichung näher zu bringen. Für seine Mitarbeiter hatte diese Unbedingtheit, die sich mit Flexibilität und Improvisationstalent verband, etwas Mitreißendes. Auch Hitler blieb nicht unbeeindruckt. Allerdings mußte ihm auffallen, daß Porsche in Rang und Habitus nie die Nähe zur NS-Elite suchte, sein unorthodoxes Auftreten sichtlich genoß, während er in seinem Konstruktionsbüro bedingungslose Hingabe für die Sache forderte. Technische und finanzielle Bedenken von seiten des Reichsverbandes der Deutschen Automobilindustrie, Mißtrauen gegenüber Porsche und umgekehrt Hitlers Mißtrauen gegenüber der Industrie führten dazu, daß das Volkswagen-Projekt in die Deutsche Arbeitsfront eingebettet wurde. Der Bevölkerung wurde der Erwerb des Wagens zum Selbstkostenpreis mit Hilfe eines langfristig angelegten Sparsystems - jede Woche mußten fünf Mark einbezahlt werden - in Aussicht gestellt. In ihren Deutschland-Berichten schätzte die SPD die Aktion als "raffiniertes innenpolitisches Ablenkungsmanöver" ein. Beim Publikum dagegen stieß die Werbekampagne auf größten Zuspruch, verhieß sie doch eine erlebnisreiche und wohl auch friedliche Zukunft.
An der Auswahl des Produktionsstandortes in der Nähe von Fallersleben war Hitler direkt beteiligt. Auf der grünen Wiese sollte eine fast maßstabsgerechte Kopie des Detroiter Ford-Werkes entstehen, ein "River Rouge" am Mittellandkanal. Die ersten Lehrlinge durchliefen einen Qualifizierungsprozeß, der bis dato in Deutschland unbekannt war. In einem Lehrgang "Eisen erzieht" erfolgte eine Grundausbildung. In ständigen Ergebniskontrollen zeichnete sich das Persönlichkeitsprofil des einzelnen ab, dessen Verhalten in Gruppenarbeit und Leistungsgemeinschaften besondere Aufmerksamkeit erfuhr, der in einer Kombination aus theoretischem und experimentellem Unterricht ganztägig auf seine spätere Aufgabe vorbereitet wurde und sich anschließend mit dem Werk gänzlich identifizieren sollte. Bei einem Teil der Belegschaft blieb die Bindung so stark, daß sie den Neuanfang in der Nachkriegszeit ermöglichte.
War das Erziehungskonzept nur "ein vordergründiges soziales Täuschungsmanöver", geeignet für "die vollständige Funktionalisierung der Leistungsbereitschaft der Jugendlichen für die Kriegsanstrengungen"? So sehen es die Autoren der nach fast zehn Jahren Vorarbeit erschienenen umfangreichen Studie über das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich: der Bochumer Zeithistoriker Hans Mommsen und sein Koautor Manfred Grieger, an die Peter Meyer-Dohm als Leiter des Zentralen Bildungswesens der Volkswagen AG mit der Bitte herangetreten war, eine Untersuchung zur Zwangsbeschäftigung bei der Volkswagenwerk GmbH zu erstellen. Die Fakten, welche die Arbeitsgruppe zusammengetragen hat, fügen sich allerdings nicht widerspruchsfrei in die zitierte These.
Sogar in der Phase der beschleunigten Aufrüstung am Vorabend des Krieges war das Regime nicht bereit, Abstriche in der Versorgung der Bevölkerung zu machen, die Produktion für den zivilen Bedarf zurückzuschrauben. Hitler hatte im Machtkampf von der Dolchstoßlegende profitiert. Er blieb aber auch ihr Gefangener. Werksaufbau und Produktionsprofil, bemerken die Autoren selbst, paßten nicht in die kriegswirtschaftlichen Planungen. Dem Werk, das quasi an allen bestehenden Instanzen vorbei entschieden und gebaut worden war, blieben die großen Rüstungsaufträge vorenthalten. Porsche und sein Team planten für die Zeit nach dem Krieg, von der sie annahmen, sie werde nicht lange auf sich warten lassen.
Ein Unternehmen, das ganz auf die Herstellung ziviler Güter ausgerichtet war, ließ sich nicht für die Entwicklung neuer Panzerwaffen nutzen, auch wenn Porsche das zeitweilig versuchte. Daß das Werk kurzfristig als Zulieferer für die Junkerwerke fungierte, Öfen für die im Eis erstarrende Ostfront baute, sich wenig erfolgreich an der Produktion der Flugbombe Fi 103 versuchte, daß Porsche sogar ernsthaft die Entwicklung von Windkraftanlagen in Erwägung zog, von denen sich Robert Ley, Führer der Deutschen Arbeitsfront, die Überwindung des Energieengpasses in der Rüstungswirtschaft versprach, sind Belege dafür, daß von einem Rüstungsbetrieb im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein kann. So ist es kein Zufall, daß das Unternehmen während des Krieges nur bei Aufgaben erfolgreich war, für die man es konzipiert hatte: in der Produktion des Kübelwagens, dessen Technologie in der Nachkriegszeit genutzt werden konnte. Die These vom durch und durch militarisierten Wirtschaftssektor ist nicht haltbar, nicht einmal in der totalen Phase des Krieges.
Zahlreiche Passagen ihrer Studie widmen die Autoren der Darstellung von Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im VW-Werk. Die ersten, die schon 1938 kamen und mit großem Propagandaaufwand begrüßt wurden, waren Italiener, nachdem der Beginn des Baus am Westwall zur Arbeitskräfteverknappung geführt hatte. Die zuvorkommende Behandlung der Italiener änderte sich schlagartig nach dem Sturz Mussolinis. Freiwillig hatten sich 1940 auch die ersten Polinnen gemeldet. Die Übergänge zur Zwangsarbeit waren fließend. Ostarbeiter aus der Sowjetunion, Kriegsgefangene aus den besetzten Ländern und KZ-Häftlinge, die streng vom Rest der Werksangehörigen getrennt arbeiten mußten, ließen den deutschen Teil der Belegschaft seit 1942 zur Minderheit werden.
Hitler hatte 1941, seiner rassistischen Vorstellungswelt entsprechend, nur widerwillig dem Einsatz von 120000 sowjetischen Kriegsgefangenen auf Reichsgebiet zugestimmt. Als im Mai 1944 das Arbeitslager Laagberg als Außenkommando des KZ Neuengamme in der Nähe der Fabrik zur Verfügung stand, verwob sich die düstere Lagerwelt des Naziregimes mit dem betrieblichen Alltag des Volkswagenwerkes. Ausführlich beschreiben die Autoren, wie Henkermentalitäten sich unter den Bedingungen eines Unrechtsstaates entwickeln konnten. Eindrücklich dargestellt ist der Fall von Anton Peter Callesen, dem grausamen stellvertretenden Lagerkommandanten, einem "Volksdeutschen" aus dem dänischen Nordschleswig, der 1950 in Dänemark zum Tode verurteilt, kurz darauf begnadigt und im folgenden Jahr entlassen wurde. Neben der SS machen die Verfasser der Studie die Leitung des Werkes und seiner Vertragsfirmen für die Zustände im Lager verantwortlich. Im Unternehmen jedenfalls - und nur darauf erstreckte sich ihr Einfluß - vermied sie es gewöhnlich, Denunziationen an die Gestapo weiterzuleiten. Der Werkschutz praktizierte ein Sanktionssystem, das unterhalb der Eingriffsschwelle der Staatspolizei lag.
Ihr Unverständnis bekunden die Autoren darüber, daß die Führungselite des Unternehmens noch in der Endphase des Untergangs immer wieder neue Maschinen in die vor dem Bombardement geschützten Untertagestätten ausgelagert, Arbeitskräfte umdirigiert und neue Aufträge geordert habe. Wenn es um Vergangenheitsbewältigung geht, ist es schwer, sich die Zwänge der Zeit zu vergegenwärtigen. Wo alles in Scherben fällt, wo die Zukunft ungewisser ist denn je, mag die Fortführung von Vertrautem noch einen Rest jener Sicherheit gewähren - die Nachkommenden erblicken darin nur Selbsttäuschung.
Über die Person Porsches, ja über alle Deutschen nach dem Kriege kommen Mommsen und Grieger zu einem eindeutigen Urteil: "Über die moralischen und politischen Kosten, die sich mit dem Aufstieg des Volkswagenwerkes im Dritten Reich verbanden", so ein Fazit ihrer Arbeit, hätten "sich weder Porsche noch die deutsche Öffentlichkeit in der ersten Nachkriegszeit Klarheit verschafft." Als der brillante Konstrukteur 1951 starb, konnte er noch die Anfänge der Massenproduktion des Wagens miterleben, an dessen Grundkonzept sich auch in späteren Jahren nicht mehr viel geändert hat. Nicht um den Massenmord im Krieg, sondern um die Massenmotorisierung der Zivilgesellschaft hatte sein Denken und Handeln gekreist. Daß die schöpferische Energie dieses Mannes in seiner Epoche auch Mißbrauch erfahren hat, ist seine persönliche Tragik. Die Zeit, in der er wirkte, hat nicht er bestimmt. MANFRED WISSEL
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Das Volkswagenwerk im Dritten Reich
Hans Mommsen mit Manfred Grieger: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich. Econ Verlag, Düsseldorf 1996. 1056 Seiten, 78,- Mark.
Autos waren in der Weimarer Republik ein Luxusgut. Für die Fließbandprodukte der Detroiter Ford-Werke empfanden deutsche Automobil-Industrielle nur Verachtung. Hitler nicht; auf der Berliner Automobilausstellung 1934 beklagte er, daß Staat und Industrie noch nicht dafür gesorgt hätten, daß auch der "kleine Mann" seinen Wagen erwerben könne, analog zum Volksempfänger. "Unsozial" sei das gewesen. Während die Fachwelt noch über Kraftstoffpreise und Unterhaltungskosten brütete, nannte Hitler schon Zahlen: Nicht mehr als 990 Reichsmark dürfe der Volkswagen kosten. 80 bis 90 Millionen Reichsmark sollte in ein Werk investiert werden, in neun Monaten sei es zu bauen, drei Monate später sollten schon 100000 Fahrzeuge hergestellt sein. Mit rücksichtsloser Entschlossenheit, so Hitlers wiederkehrende Formulierung, lasse er die Vorarbeit für den deutschen Volkswagen durchführen.
In Ferdinand Porsche fand er einen kongenialen Ingenieur. Auch Porsche kannte keine Bedenken, wenn es galt, eine technische Utopie ihrer Verwirklichung näher zu bringen. Für seine Mitarbeiter hatte diese Unbedingtheit, die sich mit Flexibilität und Improvisationstalent verband, etwas Mitreißendes. Auch Hitler blieb nicht unbeeindruckt. Allerdings mußte ihm auffallen, daß Porsche in Rang und Habitus nie die Nähe zur NS-Elite suchte, sein unorthodoxes Auftreten sichtlich genoß, während er in seinem Konstruktionsbüro bedingungslose Hingabe für die Sache forderte. Technische und finanzielle Bedenken von seiten des Reichsverbandes der Deutschen Automobilindustrie, Mißtrauen gegenüber Porsche und umgekehrt Hitlers Mißtrauen gegenüber der Industrie führten dazu, daß das Volkswagen-Projekt in die Deutsche Arbeitsfront eingebettet wurde. Der Bevölkerung wurde der Erwerb des Wagens zum Selbstkostenpreis mit Hilfe eines langfristig angelegten Sparsystems - jede Woche mußten fünf Mark einbezahlt werden - in Aussicht gestellt. In ihren Deutschland-Berichten schätzte die SPD die Aktion als "raffiniertes innenpolitisches Ablenkungsmanöver" ein. Beim Publikum dagegen stieß die Werbekampagne auf größten Zuspruch, verhieß sie doch eine erlebnisreiche und wohl auch friedliche Zukunft.
An der Auswahl des Produktionsstandortes in der Nähe von Fallersleben war Hitler direkt beteiligt. Auf der grünen Wiese sollte eine fast maßstabsgerechte Kopie des Detroiter Ford-Werkes entstehen, ein "River Rouge" am Mittellandkanal. Die ersten Lehrlinge durchliefen einen Qualifizierungsprozeß, der bis dato in Deutschland unbekannt war. In einem Lehrgang "Eisen erzieht" erfolgte eine Grundausbildung. In ständigen Ergebniskontrollen zeichnete sich das Persönlichkeitsprofil des einzelnen ab, dessen Verhalten in Gruppenarbeit und Leistungsgemeinschaften besondere Aufmerksamkeit erfuhr, der in einer Kombination aus theoretischem und experimentellem Unterricht ganztägig auf seine spätere Aufgabe vorbereitet wurde und sich anschließend mit dem Werk gänzlich identifizieren sollte. Bei einem Teil der Belegschaft blieb die Bindung so stark, daß sie den Neuanfang in der Nachkriegszeit ermöglichte.
War das Erziehungskonzept nur "ein vordergründiges soziales Täuschungsmanöver", geeignet für "die vollständige Funktionalisierung der Leistungsbereitschaft der Jugendlichen für die Kriegsanstrengungen"? So sehen es die Autoren der nach fast zehn Jahren Vorarbeit erschienenen umfangreichen Studie über das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich: der Bochumer Zeithistoriker Hans Mommsen und sein Koautor Manfred Grieger, an die Peter Meyer-Dohm als Leiter des Zentralen Bildungswesens der Volkswagen AG mit der Bitte herangetreten war, eine Untersuchung zur Zwangsbeschäftigung bei der Volkswagenwerk GmbH zu erstellen. Die Fakten, welche die Arbeitsgruppe zusammengetragen hat, fügen sich allerdings nicht widerspruchsfrei in die zitierte These.
Sogar in der Phase der beschleunigten Aufrüstung am Vorabend des Krieges war das Regime nicht bereit, Abstriche in der Versorgung der Bevölkerung zu machen, die Produktion für den zivilen Bedarf zurückzuschrauben. Hitler hatte im Machtkampf von der Dolchstoßlegende profitiert. Er blieb aber auch ihr Gefangener. Werksaufbau und Produktionsprofil, bemerken die Autoren selbst, paßten nicht in die kriegswirtschaftlichen Planungen. Dem Werk, das quasi an allen bestehenden Instanzen vorbei entschieden und gebaut worden war, blieben die großen Rüstungsaufträge vorenthalten. Porsche und sein Team planten für die Zeit nach dem Krieg, von der sie annahmen, sie werde nicht lange auf sich warten lassen.
Ein Unternehmen, das ganz auf die Herstellung ziviler Güter ausgerichtet war, ließ sich nicht für die Entwicklung neuer Panzerwaffen nutzen, auch wenn Porsche das zeitweilig versuchte. Daß das Werk kurzfristig als Zulieferer für die Junkerwerke fungierte, Öfen für die im Eis erstarrende Ostfront baute, sich wenig erfolgreich an der Produktion der Flugbombe Fi 103 versuchte, daß Porsche sogar ernsthaft die Entwicklung von Windkraftanlagen in Erwägung zog, von denen sich Robert Ley, Führer der Deutschen Arbeitsfront, die Überwindung des Energieengpasses in der Rüstungswirtschaft versprach, sind Belege dafür, daß von einem Rüstungsbetrieb im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein kann. So ist es kein Zufall, daß das Unternehmen während des Krieges nur bei Aufgaben erfolgreich war, für die man es konzipiert hatte: in der Produktion des Kübelwagens, dessen Technologie in der Nachkriegszeit genutzt werden konnte. Die These vom durch und durch militarisierten Wirtschaftssektor ist nicht haltbar, nicht einmal in der totalen Phase des Krieges.
Zahlreiche Passagen ihrer Studie widmen die Autoren der Darstellung von Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im VW-Werk. Die ersten, die schon 1938 kamen und mit großem Propagandaaufwand begrüßt wurden, waren Italiener, nachdem der Beginn des Baus am Westwall zur Arbeitskräfteverknappung geführt hatte. Die zuvorkommende Behandlung der Italiener änderte sich schlagartig nach dem Sturz Mussolinis. Freiwillig hatten sich 1940 auch die ersten Polinnen gemeldet. Die Übergänge zur Zwangsarbeit waren fließend. Ostarbeiter aus der Sowjetunion, Kriegsgefangene aus den besetzten Ländern und KZ-Häftlinge, die streng vom Rest der Werksangehörigen getrennt arbeiten mußten, ließen den deutschen Teil der Belegschaft seit 1942 zur Minderheit werden.
Hitler hatte 1941, seiner rassistischen Vorstellungswelt entsprechend, nur widerwillig dem Einsatz von 120000 sowjetischen Kriegsgefangenen auf Reichsgebiet zugestimmt. Als im Mai 1944 das Arbeitslager Laagberg als Außenkommando des KZ Neuengamme in der Nähe der Fabrik zur Verfügung stand, verwob sich die düstere Lagerwelt des Naziregimes mit dem betrieblichen Alltag des Volkswagenwerkes. Ausführlich beschreiben die Autoren, wie Henkermentalitäten sich unter den Bedingungen eines Unrechtsstaates entwickeln konnten. Eindrücklich dargestellt ist der Fall von Anton Peter Callesen, dem grausamen stellvertretenden Lagerkommandanten, einem "Volksdeutschen" aus dem dänischen Nordschleswig, der 1950 in Dänemark zum Tode verurteilt, kurz darauf begnadigt und im folgenden Jahr entlassen wurde. Neben der SS machen die Verfasser der Studie die Leitung des Werkes und seiner Vertragsfirmen für die Zustände im Lager verantwortlich. Im Unternehmen jedenfalls - und nur darauf erstreckte sich ihr Einfluß - vermied sie es gewöhnlich, Denunziationen an die Gestapo weiterzuleiten. Der Werkschutz praktizierte ein Sanktionssystem, das unterhalb der Eingriffsschwelle der Staatspolizei lag.
Ihr Unverständnis bekunden die Autoren darüber, daß die Führungselite des Unternehmens noch in der Endphase des Untergangs immer wieder neue Maschinen in die vor dem Bombardement geschützten Untertagestätten ausgelagert, Arbeitskräfte umdirigiert und neue Aufträge geordert habe. Wenn es um Vergangenheitsbewältigung geht, ist es schwer, sich die Zwänge der Zeit zu vergegenwärtigen. Wo alles in Scherben fällt, wo die Zukunft ungewisser ist denn je, mag die Fortführung von Vertrautem noch einen Rest jener Sicherheit gewähren - die Nachkommenden erblicken darin nur Selbsttäuschung.
Über die Person Porsches, ja über alle Deutschen nach dem Kriege kommen Mommsen und Grieger zu einem eindeutigen Urteil: "Über die moralischen und politischen Kosten, die sich mit dem Aufstieg des Volkswagenwerkes im Dritten Reich verbanden", so ein Fazit ihrer Arbeit, hätten "sich weder Porsche noch die deutsche Öffentlichkeit in der ersten Nachkriegszeit Klarheit verschafft." Als der brillante Konstrukteur 1951 starb, konnte er noch die Anfänge der Massenproduktion des Wagens miterleben, an dessen Grundkonzept sich auch in späteren Jahren nicht mehr viel geändert hat. Nicht um den Massenmord im Krieg, sondern um die Massenmotorisierung der Zivilgesellschaft hatte sein Denken und Handeln gekreist. Daß die schöpferische Energie dieses Mannes in seiner Epoche auch Mißbrauch erfahren hat, ist seine persönliche Tragik. Die Zeit, in der er wirkte, hat nicht er bestimmt. MANFRED WISSEL
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