Warum fühlen wir uns so selten glücklich, wo es doch an klugen Rezepten zum Glücklichsein nicht mangelt? Der Philosoph Michael Hampe fordert in diesem Meisterstück erzählender Philosophie zu einem Gedankenexperiment auf. In vier von verschiedenen Traditionen inspirierten Essays entwickelt er Vorschläge, wie das Ziel des vollkommenen Lebens erreicht werden könnte: allein durch Verstand oder durch Spiritualität, durch skeptische Distanz zur Welt oder durch die Harmonie zwischen Menschen und Dingen. Vollkommenes Glück, vermutet Hampe, kann letztlich nur in einem Leben liegen, das sich von Doktrinen befreit hat und deshalb der Betrachtung der Welt überlässt.
Viel Kluges über die Grenzen des Glücks: Michael Hampes Meditationen umkreisen das vollkommene Leben
Hier haben wir es mit einem Exemplar der Massenware "Glücksbuch" zu tun, das die Aufmerksamkeit verdient. Seine Protagonisten, der Philosoph Stanley Low und der Gärtner Gabriel Kolk, sind ebenso wie die von Low versammelten vier Meditationen über das Glück Geschöpfe des Zürcher Philosophen Michael Hampe. In seinem Nachwort bekennt sich Hampe zu einer "deskriptiven Philosophie der Verschiedenheiten", die sich auf ein "anerkennendes Zeigen von Unterschieden" beschränkt und sich von den Verlockungen einer "vereindeutigenden Philosophie, die immer, auch zwischen grundlegenden Standpunkten oder verschiedenen Registern des Lebens, zu entscheiden versucht", fernhält.
Nur solange man glaube, eine bestimmte theoretische Erkenntnis erreichen zu müssen, um glücklich zu werden oder einen Lebenssinn zu finden, könne man auch meinen, man könne mit Behauptungen darüber Auskunft geben, worin das Glück oder der Sinn bestehe. Aber nicht irgendwelche Überzeugungen machten glücklich, "sondern nur die Fähigkeit, in der Welt neben den anderen, fremden Wesen vorzukommen, so dass man die Welt nicht lediglich von außen betrachtet oder das Fremde in ihr wegerklärt und wegbewertet, indem man sich mit einer Beurteilungsskala von ihr distanziert und zum Richter ihrer Individuen aufspielt".
Wer empfindet nicht eine spontane Sympathie für so viel Takt und Bescheidenheit? Dennoch steht Hampes neoromantische Feier der standpunktlosen Weltteilhabe philosophisch auf einigermaßen schwachen Füßen. Wir Menschen kommen nicht einfach in der Welt vor, sondern wir sehen uns in ihr vorkommen, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, mit einem begrenzten Sehfeld. Deshalb sind wir, Segen und Fluch des Bewusstseins, zur Einsicht in die Unhintergehbarkeit des Perspektivismus verurteilt. Mögen wir glücklich oder unglücklich sein, wir sind es stets als Wesen, die einerseits nicht nur standpunktgebunden sind, sondern prinzipiell auch um ihre Standpunktgebundenheit wissen, denen es aber andererseits verwehrt ist, den von ihnen eingenommenen Standpunkt lediglich als Ausdruck einer ästhetisch interessanten Möglichkeit zu behandeln.
Dem steht schon die Endlichkeit des Lebens entgegen. Sie gibt allem, was wir tun, einen Ernst, der sich zwar zeitweilig verdrängen, aber nicht dauerhaft abschütteln lässt. Gegen die gläubige Inhalation irgendwelcher Ratgeberformeln ist leicht polemisieren, desgleichen gegen die selbstgefällige Überhöhung des eigenen Lebensentwurfs zum Inbegriff der Weltvernunft.
Bei der Bewältigung der Aufgabe, die genealogische Kontingenz unserer Standpunkte mit deren Anspruch auf existentielle Verbindlichkeit zu versöhnen, hilft uns Hampes Rat, das blasse Theoretisieren über das Glück gegen ein theorieloses Vorkommen in der Welt einzutauschen, nicht weiter. Dass Hampe, nachdem er das Personal seines philosophischen Romans zuvor viel Kluges über Voraussetzungen und Grenzen menschlichen Glücks hat sagen lassen, am Ende sein Heil in einem begrifflich unterkomplexen Eskapismus sucht, ist ebenso überraschend wie enttäuschend. Aber vielleicht wäre ein perfektes Buch über das Glück ja auch einfach zu viel des Glücks.
MICHAEL PAWLIK.
Michael Hampe: "Das vollkommene Leben". Vier Meditationen über das Glück. Carl Hanser Verlag, München 2009. 303 S., geb., 21,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Vor der Lektüre von Michael Hampes "Das vollkommene Leben" wollte Rezensent Oliver Pfohlmann noch, dass man doch hundert Jahre lang über das Glück schweigen möge, so erschlagen war er von der Vielzahl an Glücksabhandlungen und -ratgebern seit Platon. Mit Michael Hampe aber vollzieht Pfohlmann die Kehrtwende. Hampes Glücksgespräche begeistern Pfohlmann, und zwar weil er die fiktiven Gespräche zwischen Physikern, Psychoanalytikern, Analytikern und Spirituellen gelungen findet. Zum einen literarisch - die fiktionale Rahmung des Buchs mit Herausgeber und Sekretär vergnügt Pfohlmann -, zum anderen philosophisch. Das Nebeneinander der Stimmen und die Standpunktlosigkeit, die Hampe im Rückgriff auf den Philosophen Stanley Cavell entwickelt, gerinnen zur Glücksformel schlechthin, erzählt Pfohlmann. So endet auch seine Rezension mit dem Idyllenbild nicht konkurrierender, sondern sich gegenseitig beflügelnder Jazzmusiker.
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"Es gibt viele Bücher darüber, wie man glücklich wird. So gescheit wie "Das vollkommene Leben" des Zürcher Professors Michael Hampe sind aber nur wenige. [...] Er entwickelt darin eine raffinierte Vielstimmigkeit, eine Auffächerung des Themas Glück, wie es sich für eine ausdifferenzierte Gesellschaft gehört." Guido Kalberer, Tages-Anzeiger Zürich, 07.08.09
"Zu den vielen Vorzügen dieses wundervollen Buches gehört es, dass sein Autor den auftretenden fiktiven Figuren sympathisch ernsthafte, überzeugende Stimmen verleiht." Oliver Pfohlmann, Neue Zürcher Zeitung, 15.10.09
"Zweifellos eines der anregendsten Bücher der Saison." Julian Schütt, DU, 11/09
"Ein Loblied der Vielstimmigkeit." René Aguigah, Literaturen, 11/09
"Michael Hampe beschert dem Leser das Glück, einen Philosophieprofessor zu lesen, der erzählen kann." Wolf Lepenies, Die Welt, 05.12.09
"Viel Kluges über die Grenzen des Glücks." Michael Pawlik, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.09
"Die sich hier offenbarende Erzählkraft und Poesie des mit allen akademischen Wassern gewaschenen Autors Hampe, macht "Das vollkommene Glück" zu einem Glücksfall eines unakademischen Buches." Kirstin Breitenfellner, Falter, 25.12.09
"Virtuos komponiert, glasklar geschrieben..." Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24.01.10
"Zu den vielen Vorzügen dieses wundervollen Buches gehört es, dass sein Autor den auftretenden fiktiven Figuren sympathisch ernsthafte, überzeugende Stimmen verleiht." Oliver Pfohlmann, Neue Zürcher Zeitung, 15.10.09
"Zweifellos eines der anregendsten Bücher der Saison." Julian Schütt, DU, 11/09
"Ein Loblied der Vielstimmigkeit." René Aguigah, Literaturen, 11/09
"Michael Hampe beschert dem Leser das Glück, einen Philosophieprofessor zu lesen, der erzählen kann." Wolf Lepenies, Die Welt, 05.12.09
"Viel Kluges über die Grenzen des Glücks." Michael Pawlik, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.09
"Die sich hier offenbarende Erzählkraft und Poesie des mit allen akademischen Wassern gewaschenen Autors Hampe, macht "Das vollkommene Glück" zu einem Glücksfall eines unakademischen Buches." Kirstin Breitenfellner, Falter, 25.12.09
"Virtuos komponiert, glasklar geschrieben..." Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24.01.10