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»Auf vielfache Weise kann man sich einem Gemälde nähern: in direkter Linie, bis man es von Angesicht zu Angesicht betrachtet, in einer Haltung des Befragens, Herausforderns oder Bewunderns; in indirekter Weise, wie man mit einem Vorübergehenden einen geheimen Blick des Einvernehmens austauscht; im Zickzack, mit merkwürdigen strategischen Bewegungen, vergleichbar denen des Schachs; mit dem Blick betastend, wie ein naschhafter Gast einen langgestreckten Tisch mustert; kreisend wie der Sperber, bevor er herabstößt. Die direkte Art, die komplizenhafte, die reflexive, die Art des Jägers, die Art…mehr

Produktbeschreibung
»Auf vielfache Weise kann man sich einem Gemälde nähern: in direkter Linie, bis man es von Angesicht zu Angesicht betrachtet, in einer Haltung des Befragens, Herausforderns oder Bewunderns; in indirekter Weise, wie man mit einem Vorübergehenden einen geheimen Blick des Einvernehmens austauscht; im Zickzack, mit merkwürdigen strategischen Bewegungen, vergleichbar denen des Schachs; mit dem Blick betastend, wie ein naschhafter Gast einen langgestreckten Tisch mustert; kreisend wie der Sperber, bevor er herabstößt. Die direkte Art, die komplizenhafte, die reflexive, die Art des Jägers, die Art des magnetisierten Blickes ...«
Paz, der Lyriker und Essayist, ist zeitlebens ein leidenschaftlicher Betrachter von Kunst gewesen. Der Blick des Schriftstellers, zugleich unbefangen und kenntnisreich, entdeckt dem Leser Wesentliches und Charakteristisches jenseits der Kunstgeschichte und des Feuilletons: innere Zusammenhänge, überraschende Querverbindungen, künstlerische Notwendigkeiten.
Paz schreibt über Künstler zwischen Wort und Bild wie Breton und Michaux und über das enigmatische Werk Marcel Duchamps; er widmet der mexikanischen Kunst einen erhellenden Essay; dem Spanier Chillida und dem Mexikaner Tamayo nähert er sich in Einzelstudien; und Künstlern wie Tàpies und Rauschenberg zollt er in Gedichten Tribut.

Autorenporträt
Octavio Paz wurde am 31.3.1914 in Mexiko-Stadt geboren. Die Familie Paz ist indianischer und spanischer Abstammung. Der Großvater galt als herausragende Figur des mexikanischen Liberalismus, und der Vater war Mitarbeiter des Sozialrevolutionärs Zapata. Mit 17 war er Mitbegründer einer literarischen Zeitschrift und begann gleichzeitig zu publizieren. Im Laufe der Zeit erschienen zahlreiche Zeitschriften unter seiner Leitung. Nach seinem Jura- und Philosophiestudium arbeitete als Lehrer und engagierte sich politisch. 1944/45 hielt er sich als Guggenheim-Stipendiat in San Francisco und New York auf. 1946 trat er in den Auswärtigen Dienst Mexikos ein und wurde nach Paris entsandt. Hier begegnete er André Breton und arbeitete an surrealistischen Publikationen mit. 1962 wurde er zum Botschafter in Neu-Delhi ernannt. Dieses Amt legte er 1968 aus Protest gegen das Massaker an demonstrierenden Studenten in Mexiko-Stadt nieder. Ab dieser Zeit lehrte als Gastprofessor in den USA. Im Jahr 1971 kehrte er nach Mexiko zurück, wo er, unterbrochen von Lehrtätigkeiten an nordamerikanischen Universitäten, bis zu seinem Tod am 19. April 1998 lebte.

In seinem berühmtesten Essay Das Labyrinth der Einsamkeit analysiert er den Komplex verschiedener Kulturen in Lateinamerika. Sein Gesamtwerk wurde 1990 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

lebt als Übersetzerin (Cernuda, Lorca, Prieto, Rulfo, Marías) bei Barcelona und in Berlin. Bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, erhielt sie für ihre Neuübersetzung des Don Quijote allerhöchste Anerkennung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Ruhe, die jedes Wort mit Sand bestreut
Sehen, das einzige, was wirklich zählt: Essays von Octavio Paz über die Kunst und den Künstler / Von Thomas Wagner

Sehen ist die ursprüngliche, paradiesische Tautologie. Spiegelglück: ich entdecke mich in meinen Bildern. Das, was ich betrachte, ist der, der betrachtet: ich selbst." Octavio Paz (1914 bis 1998), der große mexikanische Dichter und Essayist, verachtet den Blick des Einäugigen, der die Dinge gewaltsam isoliert, sie von ihren Wurzeln abschneidet. Ob in seinen Gedichten oder in seinen Essays, er behält immer die ganze Welt im Auge - die Menschen in ihrem Alltag, die Tröstungen der Religion und der Mythen, die Wechselbäder der Geschichte, die harte Hand der Ökonomie, den Eigensinn der Künstler und ihrer Werke.

So weit sich Octavio Paz' Essays, die in dem Band "Das Vorrecht des Auges - Über Kunst und Künstler" jetzt in einer neuen Auswahl vorliegen, im einzelnen von der Gegenwart entfernen mögen, sie zielen stets auf diese. Erscheint ihm die Moderne auch als das "älteste Altertum", so ist sie doch "kein chronologisches Altertum". Sie siedelt "nicht in der früheren Zeit, sondern im Jetzt, in jedem von uns".

Es ist das Auge, das triumphiert. Erst die Anschauung setzt die Gedanken in Gang, ob Paz seinen eigenen Weg durch die Zeit in einem "Prüfenden Rückblick in Form einer Vorrede" noch einmal abschreitet, das Verhältnis von "Schönheit und Nützlichkeit" auf überraschende Weise bestimmt, von den Brüchen und Kontinuitäten in der Geschichte der Kunst Mexikos erzählt oder sich Künstlern wie Marcel Duchamp, Eduardo Chillida, Henri Michaux, André Breton, Rufino Tamayo oder dem hierzulande unbekannt gebliebenen Hermenegildo Bustos, einem mexikanischen Henri Rousseau, zuwendet. Erst das Sehen, das die einst lebendige Wahrnehmung aus dem Bernstein der Erinnerung zu lösen vermag, treibt den Gedanken, der das Sichtbare erforscht, ins Weite und Offene. Es ist diese wechselseitige Inspiration von Sehen und Sprechen, gepaart mit einem untrüglichen Gespür für die Eigenart der Künstler, die Paz' Essays so überaus lesenswert macht.

Dabei gerät Paz, der von 1939 bis 1943 in Mexiko-Stadt als Kunstkritiker gearbeitet hat, nicht nur die Annäherung an die Objekt-Gedichte André Bretons zu einer luziden Reflexion über das Verhältnis von Wort und Bild, von Dichtkunst und Malkunst. Wie ein Ariadnefaden zieht sich die Frage nach der Einheit der Kunst in der Vielfalt ihrer Erscheinungen durch die Essays. Sie erforschen das Terrain der Kunst, wie ein ruhig in seinen mäandrierenden Schleifen dahinfließender Fluß eine weite Ebene durchmißt, und wie Bretons Objekt-Gedichte gleichen auch sie "amphibischen Kreaturen", die zwischen zwei Elementen leben: verbaler und visueller Sprache.

Solche Leichtigkeit läßt schnell vergessen, daß es die Anstrengung der Übersetzung ist, die für Octavio Paz im Zentrum steht: der Übergang von einer Seite zur anderen, das Übertragen der stummen Sprache der Bilder in die der Worte, die Übernahme der besonderen Erfahrungen einer fremden Kultur in die eigene. Oder, wie Paz in seinem funkelnden Essay über Henri Michaux schreibt: "Man muß zwischen dem einen und dem anderen Ufer der Wirklichkeit, zwischen dem, der betrachtet, und jenem, das er betrachtet, eine Brücke spannen, viele Brücken: die Sprache, die Sprachen. Auf diesen Brücken überqueren wir die Leerräume, die dieses von jenem, hier von dort, jetzt von früher oder später trennen." Dabei ist die Kritik, wie es an anderer Stelle heißt, "nicht einmal eine Übersetzung, auch wenn dies ihr Ideal wäre, sie ist eine Führerin. Und die beste Kritik ist etwas weniger, eine Einladung, das einzige zu tun, was wirklich zählt: sehen."

Paz gelingt es mehr als einmal, den Leser in den Kreis lebendiger Erinnerung eintreten zu lassen, den er wie eine schützende Rinde um seine Beschreibungen, Spekulationen und historischen Exkurse gelegt hat. Von kunsthistorischer Buchhaltung und eitler Kritikerprosa keine Spur. Denn Kritik ist für Paz "das Blut der modernen Tradition", begriffen nicht als Urteil oder Analyse, sondern als "Instrument der Kreativität". Wie klug Paz dieses Instrument einzusetzen weiß, machen seine Einwände gegen die vielgerühmte Kunst der Muralisten deutlich. Erstmals, so Paz, "eignete sich 1921 eine Gruppe von Künstlern nicht nur gänzlich das europäische Erbe an, vor allem das der modernen Kunst, sondern antwortete, ohne sie zu verleugnen, mit einer anderen Kunst, die auch andere Realitäten zum Ausdruck brachte". Deutlich erkennt Paz, wie mit dem Muralismo der große Dialog zwischen Europa und Amerika beginnt, der sich später im abstrakten Expressionismus Bahn brach. Er übersieht aber auch nicht, daß der Muralismo schon nach wenigen Jahren starb, weil er "ideologisch infiziert" war: "Er begann als eine Suche und hörte als Katechismus auf, er wurde frei geboren und endete, weil er die befreienden Tugenden der Ketten rühmte." Nur eine Ausnahme läßt Paz zu: das Werk von José Clemente Orosco.

Und doch war es ein anderer, der in den Augen des Dichters die Bresche geschlagen hat: Rufino Tamayo. "Er hatte sich", bekennt Paz, "die gleiche Frage gestellt, wie ich es tat, und seine Antwort waren seine Bilder, zugleich raffiniert und wild." Die Formel, die er für Tamayo findet, gilt auch für ihn: "Die Eroberung der Moderne entscheidet sich in der Erforschung des mexikanischen Untergrundes. Nicht der historische oder anekdotische Untergrund der realistischen Wandmaler und Schriftsteller, sondern der psychische Untergrund . . ."

Für Paz, der nach all seinen Streifzügen durch fremde Welten immer wieder nach Mexiko, an seinen "magnetischen Pol". zurückgekehrt ist, bedeutet die moderne Definition der mexicanidad weder Folklore noch Exotismus, sondern die Möglichkeit des Kontakts mit einer "anderen Dimension unseres Bewußtseins". So erkennt er noch im zweideutigen Gefühl, welches das Fremdartige als das Wunderbare und das Schreckliche empfindet, die Chance zur Überwindung des Eurozentrismus. In der Erfahrung des anderen das Geheimnis des Wandels zu sehen, ein belebendes Elixier, dies hat - über Werk und Person des Nobelpreisträgers hinaus - nichts an Aktualität eingebüßt.

In "Adler, Jaguar und Jungfrau", 1989 für den Katalog einer Ausstellung mexikanischer Kunst im New Yorker Metropolitan Museum geschrieben, erweist sich Paz denn auch weniger als der Chronist der mesoamerikanischen Kulturgeschichte denn als ihr geistreicher Interpret. Paz begreift Geschichte nicht als die Verkettung von Ereignissen, es sind nicht die deterministischen Erklärungen einer Sache, die ihn interessieren, sondern der nicht sichtbare Teil eines Ereignisses. Deshalb isoliert er niemals, er bettet ein.

Neben den weitausgreifenden Untersuchungen sind es immer wieder die überraschenden Charakterisierungen und die ebenso knappen wie treffenden Wendungen, an denen man den großen Schriftsteller erkennt. So sagt er über Miguel Hernández, den er in Paris trifft, als er gerade zum ersten Mal den Louvre besucht hat: "Mit ihm zu sprechen hieß, eine Eiche zu berühren. Eine Eiche bringt nicht Ideen hervor, sondern Blätter, Äste, pflanzliche und windumflorte Worte, Schweigen." Für Bretons Gedichte findet er die Formel: "Nebelgefilde, bevölkert von hohen Obelisken, vom Blitz tätowiert", und vor Michaux' Malerei, bei der "die Hand sieht" und "das Auge hört", formuliert er die Antwort auf die Frage, was das Auge hört: "Den Wellenschlag der Farben und der Tinten, das Kratzgeräusch der sich verbindenden Linien, das trockene Prasseln der Zeichen: Insekten, die auf den Blättern kämpfen."

Überraschenderweise ist es für Paz selbst im Rückblick weniger das Gesagte, es sind die tiefempfundenen, die deutlich gesehenen Begegnungen, die übrigbleiben: ob es sich um eine Abendgesellschaft in einem kleinen Haus am Utopia Parkway in New York handelt, wo im Basement Joseph Cornell "mit drei Murmeln, einer Himmelskarte und zwei alten Fotografien astronomische Gärten erfand", ob es die drei Minuten Andacht in der Bashô-an, das plötzliche Auftauchen des Schlosses von Datia auf den Hochebenen von Madhya Pradesh oder ein Nachmittag im Appartement von Marcel Duchamp in New York sind.

"Nein", schreibt Paz, "ich erinnere mich nicht, über was wir sprachen, ich erinnere mich wohl an das, worüber wir nicht sprachen, das nicht Gesagte und doch Gesagte . . . kein Austausch von Ideen, Neuigkeiten, Vorlieben, Antipathien, sondern der Fluß des Schweigens, der Ruhe, die jedes Wort mit Sand bestreut. Marcel Duchamp: ein Meister der Kunst - nicht der, zu denken, sondern der, zu sehen - nicht der, zu sehen, sondern der, zu atmen." Paz will - und darin erkennen wir den Dichter - keine zeitlose Wahrheit aufdecken. Er will den Atem der Welt sichtbar und hörbar werden lassen, wie "eine momentane Wahrnehmung, die Bewegtheit eines Gesichts, das für einen Augenblick ruhig ist".

Octavio Paz: "Das Vorrecht des Auges". Über Kunst und Künstler. Essays. Aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Lange, Michael Nungesser und Rudolf Wittkopf. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 250 S., geb., 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der große mexikanische Dichter und Nobelpreisträger Octavio Paz, 1998 im Alter von 84 Jahren verstorben, war stets darauf bedacht, die ganze Welt im Auge zu behalten, erzählt Thomas Wagner. Und dieses Anliegen schlage sich auch in Paz` Essays nieder, meint der Rezensent. In neuer Auswahl sind sie nun aufgelegt worden. Und man erfährt mit Paz als geistreichem Interpreten viel über die Geschichte der Kunst in Mexiko und über Künstler wie Marcel Duchamp, André Breton, Eduardo Chillida oder Henri Michaux, verspricht Wagner. Es geht um die wechselseitige Inspiration von Sehen und Sprache. Dieser Ansatz und Paz` untrügliches Gespür für die Eigenart der Künstler machen seine Essays für den Rezensenten sehr lesenswert. Paz, der zwischen 1939 und 1943 in Mexiko-Stadt als Kunstkritiker arbeitete, ließ der Kunst und den Künstlern den Freiraum, den sie zu ihrem Verständnis brauchten, berichtet Wagner. Seine Essays stehen für den Rezensenten jenseits von kunsthistorischer Buchhaltung und eitler Kritikerprosa.

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