Das Wasser des Sees ist niemals süß – Giulia Caminito
Nach „Ein Tag wird kommen“ ist dies mein zweiter Roman der italienischen Ausnahmeautorin Giulia Caminito. Mit ihrem unvergleichlichen Schreibstil erzählt sie von den kleinen und großen Dramen des Lebens.
Im Mittelpunkt dieses (Anti-)
Bildungsromans steht das Mädchen Gaia, das mit der dominanten Mutter, dem an den Rollstuhl gefesselten Vater…mehrDas Wasser des Sees ist niemals süß – Giulia Caminito
Nach „Ein Tag wird kommen“ ist dies mein zweiter Roman der italienischen Ausnahmeautorin Giulia Caminito. Mit ihrem unvergleichlichen Schreibstil erzählt sie von den kleinen und großen Dramen des Lebens.
Im Mittelpunkt dieses (Anti-) Bildungsromans steht das Mädchen Gaia, das mit der dominanten Mutter, dem an den Rollstuhl gefesselten Vater und drei Geschwistern in eine Sozialwohnung am Lago di Bracciano zieht. Dieser See zieht sich tatsächlich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Ebenso wie die ärmliche Herkunft, die Gaia niemals vergisst und deren Hürden sie nie überwinden wird. Mutter Antonia ist herrisch und ehrgeizig: Die Kinder sollen es einmal besser haben, sollen in der Gesellschaft aufsteigen, koste es, was es wolle. Es ist ein immenser Druck, dem sie insbesondere ihre Tochter aussetzt. Diese stellt nämlich schnell fest, dass Lerneifer allein nicht ausreicht, um bei den Altersgenossen akzeptiert zu werden – und sie findet neue Mittel und Wege, um sich durchzusetzen. Gaia trägt einen Zorn in sich, der immer wieder nach außen drängt.
Gaia ist somit nicht unbedingt eine sympathische Protagonistin. Sie macht Fehler, sie ist gewalttätig, teilweise kriminell. Dennoch spürt man diese tiefe Verletzlichkeit, die unter diesen Wutausbrüchen liegt. Man möchte sie in den Arm nehmen, bekommt ein tieferes Verständnis für sie und ihren Charakter. Eine Figur, die sehr tiefsinnig und vielschichtig ist – ebenso wie der ganze Roman. Eine tolle Leistung.
Es sind die großen Fragen des Lebens, denen Frau Caminito sich hier widmet, wie die schiere Unmöglichkeit eines sozialen Aufstiegs beispielsweise. Manch andere Themen erscheinen dagegen beinahe banal, etwa Mädchenfreundschaften, erste Lieben etc. Es ist eine Kindheit und Jugend, ein Erwachsenwerden unter schwierigen Umständen. Unbedingt besonders wird diese Geschichte vor allem durch Caminitos wunderbaren Schreibstil. Zart und dennoch geradezu wütend erzählt sie von Gaia und ihrem Umfeld. Bildreich, oft beinahe poetisch, aber immer direkt ins Herz treffen ihre Sätze. Wie oft blieb ich bei einer Aussage hängen, nachsinnend und bewundernd.
Woran auch immer es liegt, dass diese Autorin bei uns immer noch recht unbekannt ist – das muss und wird sich ändern. Denn für mich ist dies wieder ein absolutes Highlight – 5 Sterne!