Was am Ende zählt im Leben
Er hat keinen Namen. Und er kann nicht sprechen. Der Mann weiß nicht einmal, wo er ist, auch die Zeit ist ihm fremd geworden. Ein ganzes Jahr lang liegt der Namenlose im Koma und übt sich im Erwachen. Mit der Rückkehr in die Welt verbinden sich auf unerwartete Weise seine Sinne. Er erlangt die Fähigkeit, sich umfassend zu erinnern. Ein Unfall, so scheint es, hat ihn in diese rätselhafte Situation gebracht. Er kann seinen Körper nicht bewegen, aber er ist sich dennoch seiner selbst bewusst - und nicht nur das, er kann sowohl die Gedanken als auch die Sehnsucht der anderen lesen. In dieser »höheren Heimat« beginnt er zu ahnen, dass er noch einmal ins Leben und in seinen Körper zurück darf. Denn die Freundschaft eines Mannes und die Liebe zweier Frauen machen ihn zu einem hoffenden Menschen.
Mit sprachlicher Brillanz begibt sich Marica Bodrozic´ mit ihrem Protagonisten auf eine Reise in faszinierende geistige Landschaften und erzählt, was imLeben bleibt - und worauf es am Ende ankommt.
Er hat keinen Namen. Und er kann nicht sprechen. Der Mann weiß nicht einmal, wo er ist, auch die Zeit ist ihm fremd geworden. Ein ganzes Jahr lang liegt der Namenlose im Koma und übt sich im Erwachen. Mit der Rückkehr in die Welt verbinden sich auf unerwartete Weise seine Sinne. Er erlangt die Fähigkeit, sich umfassend zu erinnern. Ein Unfall, so scheint es, hat ihn in diese rätselhafte Situation gebracht. Er kann seinen Körper nicht bewegen, aber er ist sich dennoch seiner selbst bewusst - und nicht nur das, er kann sowohl die Gedanken als auch die Sehnsucht der anderen lesen. In dieser »höheren Heimat« beginnt er zu ahnen, dass er noch einmal ins Leben und in seinen Körper zurück darf. Denn die Freundschaft eines Mannes und die Liebe zweier Frauen machen ihn zu einem hoffenden Menschen.
Mit sprachlicher Brillanz begibt sich Marica Bodrozic´ mit ihrem Protagonisten auf eine Reise in faszinierende geistige Landschaften und erzählt, was imLeben bleibt - und worauf es am Ende ankommt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2016Das Puzzle des Lebens
Marica Bodrožić erkundet das Innere der Sprache
„Wenn ich mich nicht bewege und keinen Körper habe, wer bin ich dann?“ Der namenlose Ich-Erzähler in Marica Bodrožićs Roman „Das Wasser unserer Träume“ erkennt nur langsam, dass er im Koma liegt, bewegungslos und nicht in der Lage, sich seiner Umwelt mitzuteilen. Ist er auf dem Weg der Besserung oder liegt er im Sterben? Der Leser erkundet mit ihm seine Situation und die Umstände, die zu seiner Bewusstlosigkeit, zu seiner Eingeschlossenheit in sich selbst führten.
Sein Verständnishorizont ist auf Null zurückgefahren, er muss erst wieder sich selbst und die eigene Sprache finden, um sich von diesem Nullpunkt aus zu orientieren und eine innere Zeitachse zu entwickeln. Für sich selbst ist er Geist ohne Körper, im Schwebezustand zwischen Tod, Traum und Bewusstsein, für seine Umwelt ein Körper ohne Geist. Beide Seiten scheinen wie Universen, die sich erst wieder aufeinander zubewegen müssen, um miteinander kommunizieren zu können.
Man könnte meinen, dass er vollkommen ohne Sprache, ja: sprachlos, ist. Doch ganz im Gegenteil muss er zu Beginn in rasant aneinandergereihten sprachlichen Volten und diffus ineinander verlaufenden Bildern mit seiner Situation ringen. Mit dem Wiederfinden des Ich und seinem Dasein wird auch die Sprache klarer, sein Gedankenstrom entschleunigter. Dabei bedingen der Selbst-Verständnisprozess und seine Sprache einander gegenseitig.
Marica Bodrožić stellt diesen Prozess als sprudelnden inneren Monolog und Gedankenstrom dar, mehr wabernde Bilderflut denn spruchreife Gedanken, der erst im Lauf der Bewusstwerdung in geregeltere Bahnen gelenkt werden kann. Der Erzähler spricht von seiner „inneren Landschaft, die sich mir beharrlich entzieht, während sie selbsttätig wächst.“ Ein expandierendes Gedankenlabyrinth, aus dem er sich ohne Hilfe befreien muss.
Bodrožić inszeniert diese Entwicklung als fließenden Übergang, moduliert die Wortwolken zu immer greifbareren Bildern und lässt den Leser unmittelbar am Verständnisprozess teilhaben, denn er teilt den eingeschränkten Horizont mit dem Erzähler. So löst sie elegant das Dilemma, die Sprachlosigkeit ihres Erzählers verbalisieren zu müssen. Zunächst scheint der Patient seine Umgebung – sein Krankenzimmer, die ein- und ausgehenden Ärzte und Pfleger – diffus spüren zu können, bevor seine Sinne einer nach dem anderen wiederkehren, Erinnerungen an seine Vergangenheit triggern und er in immer schneller werdenden Assoziationsketten sein bisheriges Leben rekonstruiert. Ehefrau, Flucht vor einem Krieg, Neuanfang in den USA, eine Affäre, der beste Freund, der Unfall, der ihn ins Krankenhaus brachte.
All diese Erinnerungsfragmente müssen zusammensortiert und in eine Reihenfolge gebracht werden, die er Lebensgeschichte nennen kann. Doch beginnt er mit der Zeit, an genau dieser Geschichte zu zweifeln, stellt sie auf den Prüfstand, verschiebt angesichts einer Extremsituation die Prioritäten. Das geht langsam voran, trotz der Bilderstürme, die auf den Leser einbrechen, wird der schleppende Genesungsfortschritt erfahrbar. Allzu mimetisch ahmt die Autorin diesen Prozess nach, die Biografie, die sich in Assoziationsketten erschließt, handelt sie nach den ersten körperlichen Fortschritten im letzten Drittel schon fast beiläufig ab.
Marica Bodrožić knüpft mit dieser Figur an ihre beiden vorherigen Romane an. In „Kirschholz und alte Gefühle“ sucht Arjeta, die Jugendliebe des Komapatienten, in ihrer Vergangenheit nach sich selbst und muss mit krankhaften Gedächtnislücken ringen, die ihr ein ähnliches Puzzeln an der eigenen Identität abringen wie ihm in diesem Buch. In „Das Gedächtnis der Libellen“ kämpft sich seine Geliebte Nadeschka zurück ins Leben, nachdem die Liebe zerbrochen und sie auf sich selbst zurückgeworfen ist.
Man könnte von einer lose zusammenhängenden Trilogie sprechen, die von der Sehnsucht nach menschlicher Nähe, dem Schmerz der Einsamkeit und einem unstillbaren Selbst-Erkenntnisdrang erzählt. Immer wieder fragt nach der Rolle und den Grenzen der Sprache in diesem Verstehens- und Lebensprozess. So handelt diese Trilogie auch von den Möglichkeiten der Literatur.
SOFIA GLASL
Marica Bodrožić: Das Wasser unserer Träume. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 221 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Im Bewusstsein des Helden
tauchen Figuren aus früheren
Romanen der Autorin auf
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Marica Bodrožić erkundet das Innere der Sprache
„Wenn ich mich nicht bewege und keinen Körper habe, wer bin ich dann?“ Der namenlose Ich-Erzähler in Marica Bodrožićs Roman „Das Wasser unserer Träume“ erkennt nur langsam, dass er im Koma liegt, bewegungslos und nicht in der Lage, sich seiner Umwelt mitzuteilen. Ist er auf dem Weg der Besserung oder liegt er im Sterben? Der Leser erkundet mit ihm seine Situation und die Umstände, die zu seiner Bewusstlosigkeit, zu seiner Eingeschlossenheit in sich selbst führten.
Sein Verständnishorizont ist auf Null zurückgefahren, er muss erst wieder sich selbst und die eigene Sprache finden, um sich von diesem Nullpunkt aus zu orientieren und eine innere Zeitachse zu entwickeln. Für sich selbst ist er Geist ohne Körper, im Schwebezustand zwischen Tod, Traum und Bewusstsein, für seine Umwelt ein Körper ohne Geist. Beide Seiten scheinen wie Universen, die sich erst wieder aufeinander zubewegen müssen, um miteinander kommunizieren zu können.
Man könnte meinen, dass er vollkommen ohne Sprache, ja: sprachlos, ist. Doch ganz im Gegenteil muss er zu Beginn in rasant aneinandergereihten sprachlichen Volten und diffus ineinander verlaufenden Bildern mit seiner Situation ringen. Mit dem Wiederfinden des Ich und seinem Dasein wird auch die Sprache klarer, sein Gedankenstrom entschleunigter. Dabei bedingen der Selbst-Verständnisprozess und seine Sprache einander gegenseitig.
Marica Bodrožić stellt diesen Prozess als sprudelnden inneren Monolog und Gedankenstrom dar, mehr wabernde Bilderflut denn spruchreife Gedanken, der erst im Lauf der Bewusstwerdung in geregeltere Bahnen gelenkt werden kann. Der Erzähler spricht von seiner „inneren Landschaft, die sich mir beharrlich entzieht, während sie selbsttätig wächst.“ Ein expandierendes Gedankenlabyrinth, aus dem er sich ohne Hilfe befreien muss.
Bodrožić inszeniert diese Entwicklung als fließenden Übergang, moduliert die Wortwolken zu immer greifbareren Bildern und lässt den Leser unmittelbar am Verständnisprozess teilhaben, denn er teilt den eingeschränkten Horizont mit dem Erzähler. So löst sie elegant das Dilemma, die Sprachlosigkeit ihres Erzählers verbalisieren zu müssen. Zunächst scheint der Patient seine Umgebung – sein Krankenzimmer, die ein- und ausgehenden Ärzte und Pfleger – diffus spüren zu können, bevor seine Sinne einer nach dem anderen wiederkehren, Erinnerungen an seine Vergangenheit triggern und er in immer schneller werdenden Assoziationsketten sein bisheriges Leben rekonstruiert. Ehefrau, Flucht vor einem Krieg, Neuanfang in den USA, eine Affäre, der beste Freund, der Unfall, der ihn ins Krankenhaus brachte.
All diese Erinnerungsfragmente müssen zusammensortiert und in eine Reihenfolge gebracht werden, die er Lebensgeschichte nennen kann. Doch beginnt er mit der Zeit, an genau dieser Geschichte zu zweifeln, stellt sie auf den Prüfstand, verschiebt angesichts einer Extremsituation die Prioritäten. Das geht langsam voran, trotz der Bilderstürme, die auf den Leser einbrechen, wird der schleppende Genesungsfortschritt erfahrbar. Allzu mimetisch ahmt die Autorin diesen Prozess nach, die Biografie, die sich in Assoziationsketten erschließt, handelt sie nach den ersten körperlichen Fortschritten im letzten Drittel schon fast beiläufig ab.
Marica Bodrožić knüpft mit dieser Figur an ihre beiden vorherigen Romane an. In „Kirschholz und alte Gefühle“ sucht Arjeta, die Jugendliebe des Komapatienten, in ihrer Vergangenheit nach sich selbst und muss mit krankhaften Gedächtnislücken ringen, die ihr ein ähnliches Puzzeln an der eigenen Identität abringen wie ihm in diesem Buch. In „Das Gedächtnis der Libellen“ kämpft sich seine Geliebte Nadeschka zurück ins Leben, nachdem die Liebe zerbrochen und sie auf sich selbst zurückgeworfen ist.
Man könnte von einer lose zusammenhängenden Trilogie sprechen, die von der Sehnsucht nach menschlicher Nähe, dem Schmerz der Einsamkeit und einem unstillbaren Selbst-Erkenntnisdrang erzählt. Immer wieder fragt nach der Rolle und den Grenzen der Sprache in diesem Verstehens- und Lebensprozess. So handelt diese Trilogie auch von den Möglichkeiten der Literatur.
SOFIA GLASL
Marica Bodrožić: Das Wasser unserer Träume. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 221 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.
Im Bewusstsein des Helden
tauchen Figuren aus früheren
Romanen der Autorin auf
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»Ein kluges und poetisches Lese- und Lebensbuch, in dem man auf fast jeder Seite gleich mehrere Sätze findet, die man unterstreichen möchte.« Carsten Hueck / Ö1