Hinter dem provokanten Titel, der den Tagebüchern Friedrich Hebbels entnommen ist und die rückschrittlichsten Theorien etwa Otto Weiningers zu unterstreichen scheint, verbirgt sich ein eigentümlicher, fiebriger Roman: Bibiana geht durch die Hände verschiedener Männer, die sie jeweils völlig neu formen, die ihr eine vollständig andere Identität verleihen, vom Namen bis zu ihrem Auftreten. In vollkommener Passivität nimmt sie diese unterschiedlichen Schicksale an, lässt sie diese Einschreibungen über sich ergehen.Krass wie in einem Kolportageroman sind diese Existenzen: sie ist nacheinander das Werkzeug eines Hochstaplers, die Muse eines armen Komponisten, die Geliebte eines reichen Geschäftsmannes und die Gefährtin eines sozialistischen Arbeiterführers, und in dieser letzten Rolle erleidet sie dann einen sinnlosen Tod auf den Barrikaden.Der Roman verstört. Bald nach Erscheinen schon zur Verfilmung vorgesehen (mit Greta Garbo in der Hauptrolle), rief er sehr bald kritische Stimmen hervor, die ihn auf der Folie des damaligen Emanzipationsstandes gelesen sehen wollten. Seine Kraft zeigt dieser noch ganz im expressionistischen Gestus geschriebene Roman gerade auch darin, wie fruchtbar er für die zeitgenössische Theoriediskussion zur Gender-Frage noch immer ist.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2003Partisanin des Herzens
Mela Hartwig erzählt von einer weitreichenden Verführung
Der Titel ist eine Provokation. Entlehnt ist er dem Dichter Friedrich Hebbel, der den Satz einst in sein Tagebuch schrieb: "Das Weib ist ein Nichts". Das klingt knallig und frauenverächtlich. Und nach Ansicht des Wiener Zsolnay-Verlags klang das 1929 genau richtig für das Romandebüt einer Frau, die sich zuvor bereits als streitbare Stimme des Geschlechterkampfes profiliert hatte. Die Rede ist von Mela Hartwig, eine jener unglücklichen, vergessenen Schriftstellerinnen, deren Karriere mit der nationalsozialistischen Machtergreifung abrupt ein Ende fand.
Dabei hatte alles so verheißungsvoll für die 1893 geborene Tochter eines zum Katholizismus konvertierten Juden angefangen. Nachdem Hartwig zunächst als Schauspielerin am Berliner Schillertheater mäßige Erfolge feierte, zog sie zusammen mit ihrem Mann, dem jüdischen Rechtsanwalt Robert Spira, nach Graz, um dort als Autorin eine zweite Laufbahn zu beginnen. In ihren stark von der Psychoanalyse beeinflußten Novellen bemühte sie sich, die Brutalität von Familien- und Liebesbeziehungen zu enttarnen.
Stefan Zweig und Alfred Döblin wurden auf die junge Autorin aufmerksam. Döblin empfahl Hartwig dem Zsolnay-Verlag, wo 1928 ihr Erzählungsband "Ekstasen" erschien. Nur ein Jahr später folgte, auf Druck des Hauses, ihr erster Roman, den die Schriftstellerin selbst mit "Figurine" überschrieben hatte. Ein Arbeitstitel, der den Inhalt tatsächlich besser trifft als das Hebbel-Zitat, erzählt Hartwig in ihrem Buch doch vom altbekannten Experiment, wonach ein Meister versucht, sich ein Geschöpf nach seinem Willen zu formen. Ein Versuch, der in der Regel an der Emanzipation des Geschöpfs scheitert und seit der Sage von "Pygmalion" als Gleichnis für den Frevel menschlichen Größenwahns gilt. Hartwigs Heldin Bibiana ist so eine bedauernswerte Kunstfigur. Im Alter von sechzehn Jahren gerät sie ähnlich wie das Shawsche Blumenmädchen Eliza Doolittle in die Fänge eines skrupellosen Erziehers. Nur, daß dieser kein erotisch desinteressierter Professor ist, sondern ein rechter Schwerenöter und "Abenteurer", der sie in nur "einer einzigen Nacht" zum Werkzeug eines Staatsbetrugs macht.
Er nennt sie "Nastasja", dichtet ihr einen fürstlichen Stammbaum an und läßt sie Russisch lernen. Kurzum: Der Abenteurer radiert Bibianas alte Identität so vollständig aus, daß es vor seinem Tod zum hochsymbolischen Akt eines unseligen Vermächtnisses kommen kann. Hier trägt der Guru seiner Schülerin "mit magischen Zeichen und Zahlen" ebenjenen "Dämon" auf die Haut und Seele ein, der sie fortan umtreiben wird. Der neuralgische Punkt ist erreicht, das Monster beginnt zu atmen. Oder, wie es der Abenteurer ganz in Manier von Goethes Zauberlehrling ausdrückt: "Eine Figurine in meinem Spiel ist lebendig geworden. Das ist das einzige, was ich nicht vorhergesehen habe."
Bibiana ist also nicht allein Opfer. Sie ist auch (Mit-)Täterin und keineswegs lediglich passives "Nichts", wie Rezensenten bis heute im Hinblick auf den Titel leider immer wieder behaupten. Gern wird dann Friedrich Lorenz aus dem Nachwort zitiert, der 1929 im "Neuen Wiener Journal" etwas hilflos von einem "Frauenroman gegen die Frau" sprach, von einer "Bloßstellung ihres Geschlechts", von einer "Kapitulation vor dem Mann". Leerstelle Frau? "Ich war immer nur ein Gefäß, in das irgendeiner sein Leben hineingestopft hat", klagt Bibiana an einer Schlüsselstelle. Diesen Satz kann man mit Bedacht auf Hartwigs Lust an der Dechiffrierung allerdings auch anders als Lorenz verstehen. Als Aussage einer mit dämonischem Auftrag ausgestatteten Partisanin nämlich. In dieser Lesart würde sich Bibiana Männern nur vordergründig anpassen, um ihnen um so besser ins "Herz eindringen" zu können. Eine Formulierung, die sich bezeichnenderweise gleich mehrfach in Hartwigs Roman findet. Darin wandert Bibiana nach ihrem ersten, im wahrsten Sinne prägenden Liebeserlebnis noch durch die Hände dreier weiterer Männer, die ihr wiederum neue Namen und damit neue Stempel aufdrücken.
Ob als dirigistische Muse eines "Künstlers", ob als kindlich-naive "Bibi" eines "Bankiers" oder kämpferische "Anna" eines sozialrevolutionär gesinnten "Fabrikarbeiters": Bibiana bleibt immer beides - Verführte und Verführerin. Tatsächlich übt sie unter dem Deckmantel unterwürfiger Sorge auf ihre Geliebten entscheidenden, ja geradezu fatalen Einfluß aus, die in ihrer Namenlosigkeit allesamt eher Prinzipien als Charaktere verkörpern. Sie ist es, die mit einem Patzer den Abenteurer in den Selbstmord treibt. Sie ist es, die dem Künstler sein desaströses Konzert verschafft. Und sie ist es schließlich auch, die dem Fabrikarbeiter ein gemeinsames Kind versagt. Für alle ihre Männer wird Bibiana zur Unglücksbringerin. Und spätestens an der Stelle, wo sie sich gegen eine Mutterschaft mit exakt den gleichen Worten ausspricht, mit denen ihr vorher auch der Abenteurer davon abgeraten hat, wird klar: Der so oft im Text erwähnte "Dämon" hat sich erfolgreich fortgepflanzt.
Passend zur Geschichte einer Besessenheit spart Hartwig nicht mit Emotionen. Ihr Text strotzt vor Superlativen und schon damals eher abgegriffener Bilder. In "Das Weib ist ein Nichts" fließen schnell "Sturzbäche" von Tränen, "wallt" häufig das "Blut", pocht ein "Herz". Das geht nicht immer glatt am Kitsch vorbei und wirkt stellenweise symbolisch überladen. Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation aber kann man sich schwer nur entziehen.
GISA FUNCK
Mela Hartwig: "Das Weib ist ein Nichts". Roman. Mit einem Nachwort von Bettina Fraisl. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2002. 189 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mela Hartwig erzählt von einer weitreichenden Verführung
Der Titel ist eine Provokation. Entlehnt ist er dem Dichter Friedrich Hebbel, der den Satz einst in sein Tagebuch schrieb: "Das Weib ist ein Nichts". Das klingt knallig und frauenverächtlich. Und nach Ansicht des Wiener Zsolnay-Verlags klang das 1929 genau richtig für das Romandebüt einer Frau, die sich zuvor bereits als streitbare Stimme des Geschlechterkampfes profiliert hatte. Die Rede ist von Mela Hartwig, eine jener unglücklichen, vergessenen Schriftstellerinnen, deren Karriere mit der nationalsozialistischen Machtergreifung abrupt ein Ende fand.
Dabei hatte alles so verheißungsvoll für die 1893 geborene Tochter eines zum Katholizismus konvertierten Juden angefangen. Nachdem Hartwig zunächst als Schauspielerin am Berliner Schillertheater mäßige Erfolge feierte, zog sie zusammen mit ihrem Mann, dem jüdischen Rechtsanwalt Robert Spira, nach Graz, um dort als Autorin eine zweite Laufbahn zu beginnen. In ihren stark von der Psychoanalyse beeinflußten Novellen bemühte sie sich, die Brutalität von Familien- und Liebesbeziehungen zu enttarnen.
Stefan Zweig und Alfred Döblin wurden auf die junge Autorin aufmerksam. Döblin empfahl Hartwig dem Zsolnay-Verlag, wo 1928 ihr Erzählungsband "Ekstasen" erschien. Nur ein Jahr später folgte, auf Druck des Hauses, ihr erster Roman, den die Schriftstellerin selbst mit "Figurine" überschrieben hatte. Ein Arbeitstitel, der den Inhalt tatsächlich besser trifft als das Hebbel-Zitat, erzählt Hartwig in ihrem Buch doch vom altbekannten Experiment, wonach ein Meister versucht, sich ein Geschöpf nach seinem Willen zu formen. Ein Versuch, der in der Regel an der Emanzipation des Geschöpfs scheitert und seit der Sage von "Pygmalion" als Gleichnis für den Frevel menschlichen Größenwahns gilt. Hartwigs Heldin Bibiana ist so eine bedauernswerte Kunstfigur. Im Alter von sechzehn Jahren gerät sie ähnlich wie das Shawsche Blumenmädchen Eliza Doolittle in die Fänge eines skrupellosen Erziehers. Nur, daß dieser kein erotisch desinteressierter Professor ist, sondern ein rechter Schwerenöter und "Abenteurer", der sie in nur "einer einzigen Nacht" zum Werkzeug eines Staatsbetrugs macht.
Er nennt sie "Nastasja", dichtet ihr einen fürstlichen Stammbaum an und läßt sie Russisch lernen. Kurzum: Der Abenteurer radiert Bibianas alte Identität so vollständig aus, daß es vor seinem Tod zum hochsymbolischen Akt eines unseligen Vermächtnisses kommen kann. Hier trägt der Guru seiner Schülerin "mit magischen Zeichen und Zahlen" ebenjenen "Dämon" auf die Haut und Seele ein, der sie fortan umtreiben wird. Der neuralgische Punkt ist erreicht, das Monster beginnt zu atmen. Oder, wie es der Abenteurer ganz in Manier von Goethes Zauberlehrling ausdrückt: "Eine Figurine in meinem Spiel ist lebendig geworden. Das ist das einzige, was ich nicht vorhergesehen habe."
Bibiana ist also nicht allein Opfer. Sie ist auch (Mit-)Täterin und keineswegs lediglich passives "Nichts", wie Rezensenten bis heute im Hinblick auf den Titel leider immer wieder behaupten. Gern wird dann Friedrich Lorenz aus dem Nachwort zitiert, der 1929 im "Neuen Wiener Journal" etwas hilflos von einem "Frauenroman gegen die Frau" sprach, von einer "Bloßstellung ihres Geschlechts", von einer "Kapitulation vor dem Mann". Leerstelle Frau? "Ich war immer nur ein Gefäß, in das irgendeiner sein Leben hineingestopft hat", klagt Bibiana an einer Schlüsselstelle. Diesen Satz kann man mit Bedacht auf Hartwigs Lust an der Dechiffrierung allerdings auch anders als Lorenz verstehen. Als Aussage einer mit dämonischem Auftrag ausgestatteten Partisanin nämlich. In dieser Lesart würde sich Bibiana Männern nur vordergründig anpassen, um ihnen um so besser ins "Herz eindringen" zu können. Eine Formulierung, die sich bezeichnenderweise gleich mehrfach in Hartwigs Roman findet. Darin wandert Bibiana nach ihrem ersten, im wahrsten Sinne prägenden Liebeserlebnis noch durch die Hände dreier weiterer Männer, die ihr wiederum neue Namen und damit neue Stempel aufdrücken.
Ob als dirigistische Muse eines "Künstlers", ob als kindlich-naive "Bibi" eines "Bankiers" oder kämpferische "Anna" eines sozialrevolutionär gesinnten "Fabrikarbeiters": Bibiana bleibt immer beides - Verführte und Verführerin. Tatsächlich übt sie unter dem Deckmantel unterwürfiger Sorge auf ihre Geliebten entscheidenden, ja geradezu fatalen Einfluß aus, die in ihrer Namenlosigkeit allesamt eher Prinzipien als Charaktere verkörpern. Sie ist es, die mit einem Patzer den Abenteurer in den Selbstmord treibt. Sie ist es, die dem Künstler sein desaströses Konzert verschafft. Und sie ist es schließlich auch, die dem Fabrikarbeiter ein gemeinsames Kind versagt. Für alle ihre Männer wird Bibiana zur Unglücksbringerin. Und spätestens an der Stelle, wo sie sich gegen eine Mutterschaft mit exakt den gleichen Worten ausspricht, mit denen ihr vorher auch der Abenteurer davon abgeraten hat, wird klar: Der so oft im Text erwähnte "Dämon" hat sich erfolgreich fortgepflanzt.
Passend zur Geschichte einer Besessenheit spart Hartwig nicht mit Emotionen. Ihr Text strotzt vor Superlativen und schon damals eher abgegriffener Bilder. In "Das Weib ist ein Nichts" fließen schnell "Sturzbäche" von Tränen, "wallt" häufig das "Blut", pocht ein "Herz". Das geht nicht immer glatt am Kitsch vorbei und wirkt stellenweise symbolisch überladen. Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation aber kann man sich schwer nur entziehen.
GISA FUNCK
Mela Hartwig: "Das Weib ist ein Nichts". Roman. Mit einem Nachwort von Bettina Fraisl. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2002. 189 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Spannend und doppelbödig findet die Rezensentin Gisa Funck diesen 1929 erstmals veröffentlichten Roman. Sie entdeckt in der Erzählung um die Protagonistin Bibiana und ihre schwierigen Männerbeziehungen Ebenen, die in früheren Kritiken des Buches eher wenig Beachtung fanden. Dem Titel entsprechend wurde sie in den damaligen Rezensionen oft als Opfer dargestellt, doch Funck findet, dass dieser Ansatz nur die halbe Wahrheit ist: "Tatsächlich übt sie unter dem Deckmantel unterwürfiger Sorge auf ihre Geliebten entscheidenden, ja geradezu fatalen Einfluss aus." Die Anpassung von Bibiana bleibt nach Ansicht der Rezensentin vordergründig. Doch Funck spart auch nicht mit Kritik: um dem Motiv der Besessenheit, das sich durch das Buch zieht, Ausdruck zu verleihen, habe sich Mela Hartwig oft "schon damals abgegriffener Bilder" bedient. Die Geschichte "strotzt vor Superlativen", was dem Roman oft einen kitschigen Anstrich gibt, meint Funck. Und doch findet sie das Buch am Ende durchaus lesenswert: "Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation aber kann man sich nur schwer entziehen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Dem Sog dieser höchst beunruhigenden Parabel auf die zerstörerische Macht männlicher Manipulation kann man sich schwer nur entziehen.« (Gisa Funck, FAZ)