Die schüchterne Greer Kadetsky ist noch nicht lange auf dem College, als sie der Frau begegnet, die ihr Leben für immer verändern soll: Faith Frank. Die charismatische Dreiundsechzigjährige ist eine Schlüsselfigur der Frauenbewegung, unerschrocken, schlagfertig und kämpferisch. Durch die Begegnung mit Faith Frank bricht etwas in Greer auf. Zwar liebt sie ihren Freund Cory und freut sich auf die gemeinsame Zukunft, doch beginnt sie sich zu fragen: Wer bin ich, und wer will ich sein?Jahre später, Greer hat den Abschluss hinter sich, geschieht, wovon sie nie zu träumen gewagt hätte. Faith lädt sie zu einem Vorstellungsgespräch nach New York ein und führt Greer damit auf den abenteuerlichsten Weg ihres Lebens: einen verschlungenen, steinigen Weg, letztlich den Weg zu sich selbst.Mal mit funkelndem Witz, mal tief berührend und stets mit großer Empathie erzählt Meg Wolitzer von Macht in all ihren Facetten, von Feminismus, Liebe und Loyalität und erweist sich als hellwache Beobachterin unserer Zeit.
buecher-magazin.deWie können Menschen zusammenleben? Miteinander, nebeneinander, füreinander. Frei und gleichberechtigt. Darum geht es in diesem Buch - und weil diese Frage untrennbar mit dem Feminismus verbunden ist, dient dieser als erzählerischer Rahmen. Die junge Studentin Greer Kadetzky, übersprudelnd vor Ideen, steht sich mit ihrer schüchternen Art selbst im Weg. Es fällt ihr schwer, ihre Stimme nach außen erklingen zu lassen. Die Begegnung mit Faith Frank, einer Ikone der Frauenbewegung, verändert ihr Leben. Jahre später beginnt sie in der Stiftung ihres großen Vorbilds ihren ersten Job. Lesend verfolgt man Greers Entwicklung und kommt ihr dabei sehr nahe. Zutiefst Menschliches, Irrungen und fatale Fehler werden nicht ausgespart. Es schmerzt zu lesen, wie Greer einen Verrat an ihrer besten Freundin Zee begeht und wie sie ihre große Liebe verliert. Und ausgerechnet der Moment, an dem Faith Frank von ihrem Podest stürzt, ist der, an dem Greer wirklich beginnt, ihren eigenen Weg zu gehen. Nichts ist simpel in diesem Buch, schon gar nicht das Leben, das den Idealen meist hinterherhinkt. Auch, wenn sich nicht alles erfüllt, was sich die Figuren erträumen und wofür sie kämpfen, vereint sie doch eines: der Wunsch nach einem Sinn, nach Gerechtigkeit, nach Aufrichtigkeit. Und das ist so schön!
© BÜCHERmagazin, Katharina Manzke
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2018In der warmen Damentoilette
Meg Wolitzers „Das weibliche Prinzip“ soll ein feministischer Generationenroman sein – und scheitert an den alten Haupt- und Nebenwidersprüchen
Die kulturell eingeübte Geschichte vom Generationenkonflikt spielt zwischen Männern. Sie handelt, um es grob zu verallgemeinern, davon, wie ein Jüngerer ein Idol in einem Älteren findet. Das kann der eigene Vater sein oder eine gewählte Vaterfigur. Der alte Mann lehrt den Jungen metaphorisch oder konkret das Jagen und das Kämpfen. Sie messen ihre Kräfte, zuerst spielerisch, bis der Jüngere irgendwann merkt, dass Waffen und Weltsicht des Älteren nicht mehr das Nonplusultra sind und er selbst Anführer werden will. In der unerbittlichen, psychoanalytischen Version bringt er den Älteren dann um die Ecke, der „Urvater“ muss erschlagen werden. In der Hollywood-Fassung tut der alte Mann noch eine ewige Wahrheit kund, bevor er auf tragische oder bescheidene Weise dahinscheidet.
Solche archetypischen Erzählungen von der Genealogie, der Weitergabe der praktischen oder intellektuellen Werte, gibt es über ältere und jüngere Frauen kaum. Die matrilineare Ordnung der Kultur hat mehr mit dem Nähren und Überwachen der Nachkommen zu tun, als mit dem Machtkampf und der Abgrenzung von den Vorfahren. Die amerikanische Schriftstellerin Meg Wolitzer versucht jetzt, diese Lücke zu füllen. Ihr Roman „Das weibliche Prinzip“ ist eine epische Darstellung der verschiedenen Generationen des Feminismus, die man üblicherweise als „Wellen“ bezeichnet.
Damit scheint sie der Frauenbewegung sowohl Platz im Bereich der großen Erzählungen als auch im Bücherregal verschaffen zu wollen. Vor sechs Jahren hat Wolitzer in ihrem Essay „The Second Shelf“ in der New York Times beklagt, dass Bücher von, über und für Frauen häufig in der Ecke für „Frauenliteratur“ landen. Man erkenne sie an den harmlos bebilderten Einbänden und der vernünftigen Länge. Männer schrieben indes auch in Zeiten verkürzter Aufmerksamkeitsspanne, als flüstere ihnen jemand zu: „Aber sicher, Kumpel, verbreite dich so ausführlich du willst, setz dich einfach hin und tippe alle deine Gedanken über Amerika ab.“
Zwölf Romane hat Wolitzer selbst veröffentlicht, der erste der ins Deutsche übersetzt wurde war „Die Interessanten“ (2014). Damit trat sie bereits den Gegenbeweis gegen ihre eigene These an: In signalbuntem Einband entwarf sie auf 600 Seiten ein Porträt der Generation derer, die in den Siebzigerjahren Teenager waren. Und heute lässt ein Blick ins Regal der Erfolgstitel der letzten Zeit – Donna Tartts „Distelfink“, über 1000 Seiten, Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“, 960 Seiten, Juli Zehs „Unter Leuten“, 640 Seiten – wenig Zweifel daran, dass sich seit Wolitzers Essay von 2012 etwas geändert hat. Das zeigt auch der Blick in die kommenden Verlagsprogramme. Weibliche Perspektiven sind unheimlich gefragt. „Das weibliche Prinzip“ trifft zudem auf ein durch die Me Too-Bewegung schwer sensibilisiertes Publikum und findet beflissene Leser auch unter Männern. Sie treffen darin auf zwei Hauptpersonen, die sprechende Namen tragen und die zweite und dritte Welle der Frauenbewegung repräsentieren. Eine in den Sechzigerjahren im Kampf um das Recht auf Abtreibung politisierte Starfeministin heißt Faith Frank wie „aufrichtiger Glaube“.
In einer der ersten Szenen des Romans hält sie eine Rede an einem Provinz-College. Wolitzer schildert die Studenten dort als bis ins Erwachsenenalter hinein infantilisierte Söhne und Töchter der Mittelschicht, die sich in Kuschelklamotten in ihren Wohnheimen zusammenkauern. Unter ihnen auch Greer Kadetsky (dem Namen nach als Offiziersschülerin angelegt), die auf einer Party sexuell belästigt worden ist und erleben muss, dass die Hochschulleitung den Täter nicht des Campus verweist. „Unfair“ findet Greer, und Wolitzer ergänzt: „Das Wort klang wie ein Vorwurf, den ein Kind seinen Eltern ins Gesicht brüllte.“ Die These, ihre Schüler wollten sich in ewiger Kindlichkeit gegen die Realität von Machtunterschieden verschanzen, bringen amerikanische Professoren häufig in Anschlag, wenn die Anhänger der „dritten Welle“ der Emanzipationsbewegung „safe spaces“ fordern.
Nach der Veranstaltung sucht die jüngere Frau bei der Älteren Rat. „In der warmen Damentoilette“ treffen sie sich zufällig, und ausgerechnet da springt der Funke über. Greer hat ihr Vorbild gefunden. Faith Frank empfiehlt, sich nicht zu sehr auf den Kampf gegen einzelne Idioten zu konzentrieren: „Wissen Sie, jenseits dieses Campus erstreckt sich eine ganze Welt, in der es viel zu sehen und auch vieles gibt, was Wut und Trauer weckt oder einen aktiv werden lässt. Sie sollten sich mal umschauen.“ Später verschafft sie der jungen Greer einen Job in ihrer Stiftung, die bedürftige Frauen unterstützt und große Konferenzen organisiert, zu wuchtigen Themen wie „Frauen und Macht“. Als „Appetithäppchen“ gibt es bei diesen Veranstaltungen kurze Reden gewöhnlicher Frauen, die Diskriminierung erfahren haben, und Greer wird die Ghostwriterin dieser Ansprachen. Sie übernimmt also in einem wörtlichen Sinne das feministische Projekt, den „Ungehörten eine Stimme zu geben“.
Es ist keine Stärke des Romans, dass Wolitzer die Figurenkonstellationen darin als prototypische konstruiert. Sie abstrahiert ihre Figuren und Verhältnisse direkt von real existierenden, und man kann nicht anders, als sie zu entschlüsseln: Faith Frank gleicht der Feministin Gloria Steinem, in Großbritannien könnte man an Germaine Greer denken, in Deutschland an Alice Schwarzer. Sie gründet die Zeitschrift Bloomer, die mit der Zeit ihr Publikum an die aggressivere Website „Femfatale“ verliert, wie Steinems Magazin Ms. an Jezebel oder Schwarzers Emma an Edition F. Es gibt ein Theaterstück wie „Die Vagina-Monologe“ und einen feministischen Hit wie Katy Perrys „Roar“, mit dem sie Hillary Clintons Kampagne unterstützte.
Durch die Schematisierung des Realitätsähnlichen kommt es aber gerade nicht zu der intendierten Verwandlung der jüngeren Geschichte, in der sich Frauen etwas von der Macht nahmen, in einen Mythos. Zumal Wolitzer in der zweiten Hälfte des Romans immer gröbere Sätze schreibt, als sei dies nur der Handlungsentwurf zu einem Buch, das noch geschrieben werden muss. So entsteht ein Abklatsch, der immer leicht daneben liegt.
Zum Beispiel gibt es da einen George-Soros-haften Milliardär, der in Faith Franks Frauen-Stiftung investiert, weil sie einmal eine unvergessliche Nacht mit ihm verbracht hat. Es legt sich also gewissermaßen der Emanzipationskampf mit dem Kapital ins Bett und zeugt eine Erbschuld fort in die nächste Generation. Jahrzehnte später findet nämlich Greer Kadetsky heraus, dass der reiche Mann die Verwirklichung der guten Taten für benachteiligte Frauen böse vernachlässigt. Er wollte eben nur der eleganten feministischen Lady nahe sein und den Image-Gewinn der Philanthropie abgreifen. Das ist eine beinahe drollige Personalisierung der guten alten Haupt- und Nebenwidersprüche. In der Tat könnte man den Generationenkonflikt des Feminismus so zusammenfassen: Hatten die Feministinnen der zweiten Welle geglaubt, die Dynamik des kapitalistischen Individualismus für ihre Selbstverwirklichung nutzen zu können, müssen die Frauen der dritten Welle erkennen, dass frauenbewegter Idealismus leicht zur warenförmigen Kosmetik verkommt, die die Ungerechtigkeit der Gesellschaft gegenüber allen anderen als den fleißigen, weißen Mittelschichtsfrauen übertüncht.
Ob es überhaupt wünschenswert ist, dass diese anstelle minder privilegierter Frauen die Stimme erheben, müsste sich die desillusionierte Greer Kadetsky sinnvollerweise fragen. Und in Wirklichkeit führen Feministinnen diese Debatte ja auch, wenn sie unter dem Stichwort „Intersektionalität“ auf den Zusammenhang von sexistischer mit rassistischer Benachteiligung und mit ökonomischer Abhängigkeit aufmerksam machen. Vor dieser Konsequenz zuckt Meg Wolitzer aber zurück und scheint die Melancholie ihrer älteren Protagonistin für die haschischgeschwängerten Zeiten früher Schwesternschaft zu teilen. Greer allerdings bricht beleidigt mit der Älteren und wird mit einem Empowerment-Bestseller selbst zum Star.
Im letzten Kapitel, das in der nahen Zukunft des Jahres 2019 unter der als „großes Grauen“ chiffrierten Trump-Regierung spielt, trifft Greer auf ihre Nachfolgerin in der Generationenkette. Die gehört sozusagen zur vierten Welle oder zur Occupy-Generation, die Idole und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Autoritäten und Adepten grundsätzlich ablehnt: „,Wir haben es nicht nötig, Leute auf einen Sockel zu stellen’, sagte sie. ,Jeder kann führen. Jeder kann das übernehmen.’“ Die Angesprochene fühlt sich dadurch aber offenbar nicht infrage gestellt: „Greer hätte erwidern können: ,Ja, kenne ich alles. Das haben die Frauen damals in den Siebzigern auch schon gesagt, meint Faith.’“ Was sich als Kampf zwischen Älteren und Jüngeren angelassen hat, versackt in matter Freundlichkeit. Alles ist schon dagewesen, jeder interessante Kampf wurde längst ausgefochten, was solls?
Im Vergleich mit den weiblichen Generationenkonflikten der Wirklichkeit, wirken die Streitigkeiten der Heldinnen dieses Romans erstaunlich unproduktiv. Ausgerechnet 2018, im Jahr nach Me Too, in dem so etwas gefragt gewesen wäre wie nie, wird „Das weibliche Prinzip“ also nicht das große Epos der Frauenbewegung gewesen sein, als das es antritt.
MARIE SCHMIDT
Ist es überhaupt wünschenswert,
dass weiße Mittelschichtsfrauen
ihre Stimme für andere erheben?
Meg Wolitzer, geboren 1959, gehört eher zur Generation der zweiten Welle der Frauenbewegung.
Foto: WireImage / JB Lacroix
Meg Wolitzer: Das weibliche Prinzip. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. DuMont Verlag, Köln 2018. 544 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Meg Wolitzers „Das weibliche Prinzip“ soll ein feministischer Generationenroman sein – und scheitert an den alten Haupt- und Nebenwidersprüchen
Die kulturell eingeübte Geschichte vom Generationenkonflikt spielt zwischen Männern. Sie handelt, um es grob zu verallgemeinern, davon, wie ein Jüngerer ein Idol in einem Älteren findet. Das kann der eigene Vater sein oder eine gewählte Vaterfigur. Der alte Mann lehrt den Jungen metaphorisch oder konkret das Jagen und das Kämpfen. Sie messen ihre Kräfte, zuerst spielerisch, bis der Jüngere irgendwann merkt, dass Waffen und Weltsicht des Älteren nicht mehr das Nonplusultra sind und er selbst Anführer werden will. In der unerbittlichen, psychoanalytischen Version bringt er den Älteren dann um die Ecke, der „Urvater“ muss erschlagen werden. In der Hollywood-Fassung tut der alte Mann noch eine ewige Wahrheit kund, bevor er auf tragische oder bescheidene Weise dahinscheidet.
Solche archetypischen Erzählungen von der Genealogie, der Weitergabe der praktischen oder intellektuellen Werte, gibt es über ältere und jüngere Frauen kaum. Die matrilineare Ordnung der Kultur hat mehr mit dem Nähren und Überwachen der Nachkommen zu tun, als mit dem Machtkampf und der Abgrenzung von den Vorfahren. Die amerikanische Schriftstellerin Meg Wolitzer versucht jetzt, diese Lücke zu füllen. Ihr Roman „Das weibliche Prinzip“ ist eine epische Darstellung der verschiedenen Generationen des Feminismus, die man üblicherweise als „Wellen“ bezeichnet.
Damit scheint sie der Frauenbewegung sowohl Platz im Bereich der großen Erzählungen als auch im Bücherregal verschaffen zu wollen. Vor sechs Jahren hat Wolitzer in ihrem Essay „The Second Shelf“ in der New York Times beklagt, dass Bücher von, über und für Frauen häufig in der Ecke für „Frauenliteratur“ landen. Man erkenne sie an den harmlos bebilderten Einbänden und der vernünftigen Länge. Männer schrieben indes auch in Zeiten verkürzter Aufmerksamkeitsspanne, als flüstere ihnen jemand zu: „Aber sicher, Kumpel, verbreite dich so ausführlich du willst, setz dich einfach hin und tippe alle deine Gedanken über Amerika ab.“
Zwölf Romane hat Wolitzer selbst veröffentlicht, der erste der ins Deutsche übersetzt wurde war „Die Interessanten“ (2014). Damit trat sie bereits den Gegenbeweis gegen ihre eigene These an: In signalbuntem Einband entwarf sie auf 600 Seiten ein Porträt der Generation derer, die in den Siebzigerjahren Teenager waren. Und heute lässt ein Blick ins Regal der Erfolgstitel der letzten Zeit – Donna Tartts „Distelfink“, über 1000 Seiten, Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“, 960 Seiten, Juli Zehs „Unter Leuten“, 640 Seiten – wenig Zweifel daran, dass sich seit Wolitzers Essay von 2012 etwas geändert hat. Das zeigt auch der Blick in die kommenden Verlagsprogramme. Weibliche Perspektiven sind unheimlich gefragt. „Das weibliche Prinzip“ trifft zudem auf ein durch die Me Too-Bewegung schwer sensibilisiertes Publikum und findet beflissene Leser auch unter Männern. Sie treffen darin auf zwei Hauptpersonen, die sprechende Namen tragen und die zweite und dritte Welle der Frauenbewegung repräsentieren. Eine in den Sechzigerjahren im Kampf um das Recht auf Abtreibung politisierte Starfeministin heißt Faith Frank wie „aufrichtiger Glaube“.
In einer der ersten Szenen des Romans hält sie eine Rede an einem Provinz-College. Wolitzer schildert die Studenten dort als bis ins Erwachsenenalter hinein infantilisierte Söhne und Töchter der Mittelschicht, die sich in Kuschelklamotten in ihren Wohnheimen zusammenkauern. Unter ihnen auch Greer Kadetsky (dem Namen nach als Offiziersschülerin angelegt), die auf einer Party sexuell belästigt worden ist und erleben muss, dass die Hochschulleitung den Täter nicht des Campus verweist. „Unfair“ findet Greer, und Wolitzer ergänzt: „Das Wort klang wie ein Vorwurf, den ein Kind seinen Eltern ins Gesicht brüllte.“ Die These, ihre Schüler wollten sich in ewiger Kindlichkeit gegen die Realität von Machtunterschieden verschanzen, bringen amerikanische Professoren häufig in Anschlag, wenn die Anhänger der „dritten Welle“ der Emanzipationsbewegung „safe spaces“ fordern.
Nach der Veranstaltung sucht die jüngere Frau bei der Älteren Rat. „In der warmen Damentoilette“ treffen sie sich zufällig, und ausgerechnet da springt der Funke über. Greer hat ihr Vorbild gefunden. Faith Frank empfiehlt, sich nicht zu sehr auf den Kampf gegen einzelne Idioten zu konzentrieren: „Wissen Sie, jenseits dieses Campus erstreckt sich eine ganze Welt, in der es viel zu sehen und auch vieles gibt, was Wut und Trauer weckt oder einen aktiv werden lässt. Sie sollten sich mal umschauen.“ Später verschafft sie der jungen Greer einen Job in ihrer Stiftung, die bedürftige Frauen unterstützt und große Konferenzen organisiert, zu wuchtigen Themen wie „Frauen und Macht“. Als „Appetithäppchen“ gibt es bei diesen Veranstaltungen kurze Reden gewöhnlicher Frauen, die Diskriminierung erfahren haben, und Greer wird die Ghostwriterin dieser Ansprachen. Sie übernimmt also in einem wörtlichen Sinne das feministische Projekt, den „Ungehörten eine Stimme zu geben“.
Es ist keine Stärke des Romans, dass Wolitzer die Figurenkonstellationen darin als prototypische konstruiert. Sie abstrahiert ihre Figuren und Verhältnisse direkt von real existierenden, und man kann nicht anders, als sie zu entschlüsseln: Faith Frank gleicht der Feministin Gloria Steinem, in Großbritannien könnte man an Germaine Greer denken, in Deutschland an Alice Schwarzer. Sie gründet die Zeitschrift Bloomer, die mit der Zeit ihr Publikum an die aggressivere Website „Femfatale“ verliert, wie Steinems Magazin Ms. an Jezebel oder Schwarzers Emma an Edition F. Es gibt ein Theaterstück wie „Die Vagina-Monologe“ und einen feministischen Hit wie Katy Perrys „Roar“, mit dem sie Hillary Clintons Kampagne unterstützte.
Durch die Schematisierung des Realitätsähnlichen kommt es aber gerade nicht zu der intendierten Verwandlung der jüngeren Geschichte, in der sich Frauen etwas von der Macht nahmen, in einen Mythos. Zumal Wolitzer in der zweiten Hälfte des Romans immer gröbere Sätze schreibt, als sei dies nur der Handlungsentwurf zu einem Buch, das noch geschrieben werden muss. So entsteht ein Abklatsch, der immer leicht daneben liegt.
Zum Beispiel gibt es da einen George-Soros-haften Milliardär, der in Faith Franks Frauen-Stiftung investiert, weil sie einmal eine unvergessliche Nacht mit ihm verbracht hat. Es legt sich also gewissermaßen der Emanzipationskampf mit dem Kapital ins Bett und zeugt eine Erbschuld fort in die nächste Generation. Jahrzehnte später findet nämlich Greer Kadetsky heraus, dass der reiche Mann die Verwirklichung der guten Taten für benachteiligte Frauen böse vernachlässigt. Er wollte eben nur der eleganten feministischen Lady nahe sein und den Image-Gewinn der Philanthropie abgreifen. Das ist eine beinahe drollige Personalisierung der guten alten Haupt- und Nebenwidersprüche. In der Tat könnte man den Generationenkonflikt des Feminismus so zusammenfassen: Hatten die Feministinnen der zweiten Welle geglaubt, die Dynamik des kapitalistischen Individualismus für ihre Selbstverwirklichung nutzen zu können, müssen die Frauen der dritten Welle erkennen, dass frauenbewegter Idealismus leicht zur warenförmigen Kosmetik verkommt, die die Ungerechtigkeit der Gesellschaft gegenüber allen anderen als den fleißigen, weißen Mittelschichtsfrauen übertüncht.
Ob es überhaupt wünschenswert ist, dass diese anstelle minder privilegierter Frauen die Stimme erheben, müsste sich die desillusionierte Greer Kadetsky sinnvollerweise fragen. Und in Wirklichkeit führen Feministinnen diese Debatte ja auch, wenn sie unter dem Stichwort „Intersektionalität“ auf den Zusammenhang von sexistischer mit rassistischer Benachteiligung und mit ökonomischer Abhängigkeit aufmerksam machen. Vor dieser Konsequenz zuckt Meg Wolitzer aber zurück und scheint die Melancholie ihrer älteren Protagonistin für die haschischgeschwängerten Zeiten früher Schwesternschaft zu teilen. Greer allerdings bricht beleidigt mit der Älteren und wird mit einem Empowerment-Bestseller selbst zum Star.
Im letzten Kapitel, das in der nahen Zukunft des Jahres 2019 unter der als „großes Grauen“ chiffrierten Trump-Regierung spielt, trifft Greer auf ihre Nachfolgerin in der Generationenkette. Die gehört sozusagen zur vierten Welle oder zur Occupy-Generation, die Idole und das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Autoritäten und Adepten grundsätzlich ablehnt: „,Wir haben es nicht nötig, Leute auf einen Sockel zu stellen’, sagte sie. ,Jeder kann führen. Jeder kann das übernehmen.’“ Die Angesprochene fühlt sich dadurch aber offenbar nicht infrage gestellt: „Greer hätte erwidern können: ,Ja, kenne ich alles. Das haben die Frauen damals in den Siebzigern auch schon gesagt, meint Faith.’“ Was sich als Kampf zwischen Älteren und Jüngeren angelassen hat, versackt in matter Freundlichkeit. Alles ist schon dagewesen, jeder interessante Kampf wurde längst ausgefochten, was solls?
Im Vergleich mit den weiblichen Generationenkonflikten der Wirklichkeit, wirken die Streitigkeiten der Heldinnen dieses Romans erstaunlich unproduktiv. Ausgerechnet 2018, im Jahr nach Me Too, in dem so etwas gefragt gewesen wäre wie nie, wird „Das weibliche Prinzip“ also nicht das große Epos der Frauenbewegung gewesen sein, als das es antritt.
MARIE SCHMIDT
Ist es überhaupt wünschenswert,
dass weiße Mittelschichtsfrauen
ihre Stimme für andere erheben?
Meg Wolitzer, geboren 1959, gehört eher zur Generation der zweiten Welle der Frauenbewegung.
Foto: WireImage / JB Lacroix
Meg Wolitzer: Das weibliche Prinzip. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. DuMont Verlag, Köln 2018. 544 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Rezensent Peter Praschl hat Meg Wolitzers Roman "Das weibliche Prinzip" offenbar gern gelesen, denn er bedauert die Männer, die sich an feministische Themen nicht herantrauen. Hier wird die Geschichte der strebsamen Greer Kadetsky erzählt, die sich von einer in sich gekehrten Studentin zu einer feministischen Erfolgsautorin mausert, resümiert er. Weil für seine Hauptfigur alles so glatt läuft - in Praschls Augen erlebt sie die "feministische Superkarriere" - und der Roman seiner Meinung nach voller Selbstermächtigungsbotschaften steckt, ist Praschl nicht sicher, ob er ihn als Satire oder als besonders warmherzige Solidarisierungsliteratur lesen soll, beides ist ihm möglich. Dass "Das weibliche Prinzip" ihm keine Eindeutigkeit bietet, hält er für einen der großen Vorzüge des Romans.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2018DIE FLECKEN IN DER PROSA
"Das weibliche Prinzip" handelt, anscheinend, vom Feminismus, aber leider hat sich Meg Wolitzer auch vorgenommen, den Großen Amerikanischen Roman zu schreiben
Es war heiß, sehr heiß sogar, als ich im Garten saß und Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" zu lesen versuchte, das Lesen strengte mich ungeheuer an, und so legte ich alle zehn, fünfzehn Seiten das Buch auf den Rasen, der grün war, sich aber bald braungelb färben würde, und starrte auf die Hortensien, deren Rispen, ermattet von der hohen Temperatur, es nicht mehr schafften, so weiß zu leuchten, wie das Hortensienrispen eigentlich tun. Sie brachten nur ein mattes Hellgrün hervor, wie Avocadocreme ohne Senf, dachte ich, und über dem Stab, der die Hortensienstengel stützte, stand ein libellenartiges Insekt in der Luft, wie ein Helikopter über dem Dach eines New Yorker Wolkenkratzers.
Wolken waren keine zu sehen, obwohl die Wetter-App ein paar Regenschauer versprochen hatte. Dauernd musste ich auf diese App schauen, und weil sich da nichts bewegte, stellte ich mir vor, dass bald jemand eine Creative-Writing-App erfinden müsste, für Romane wie diesen hier. Man gäbe ein paar nüchterne Daten ein, Personen, Schauplatz, Tageszeit, schilderte kurz den Konflikt, der hier verhandelt würde, und die App fände dann ein paar schöne, literarisch klingende Vergleiche, wählte die Worte nach deren Nachdenklichkeits- und Sensibilitätsfaktor aus, und dann hätte die Szene gleich doppelt so viele Seiten und wäre echte Literatur. Man müsste diese App "Muse" nennen, dachte ich, aber Meg Wolitzer würde das sicher nicht gut finden, fiel mir dann ein, weil so ein Name ja nur die alten Geschlechterrollen fortschreiben würde.
Nein, Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" ist kein satirischer Roman, welcher, indem er den Stil bis zur Kenntlichkeit übertriebe, sich über das Jonathan-Franzen-hafte, Creative-Writing-geschulte Schönschreibertum, das sich selber als Krönung der amerikanischen Literatur versteht, lustig machte - auch wenn er alle paar Seiten so klingt. Meg Wolitzer meint es ernst, sie nimmt sich selbst, ihre Figuren, deren Sprache und Geschichte absolut ernst; sie hat ein dickes Buch von fast fünfhundert Seiten (in der deutschen Übersetzung) hingelegt - und damit gleich mal klar wird, was der Anspruch ist, hat der Verlag, wie man in den Rezensionen lesen kann, den Rezensenten zu den Rezensionsexemplaren, quasi als Gebrauchsanleitung, einen Aufsatz Meg Wolitzers aus der "New York Times" beigelegt, in welchem die Autorin alles, was semantische, literarische oder soziale Verwandtschaft zum Begriff der "Frauenliteratur" hat, zurückweist.
Es geht hier um nicht weniger als "The Great American Novel", einen Roman also, dem es gelänge, seine Gegenwart (und deren Vorgeschichte) mit all ihren materiellen und geistigen Konflikten zu einer Erzählung zu formen. Dass man, als Rezensent, aber das Wort vom Großen Amerikanischen Roman, trotz "Moby Dick" und "Gravity's Rainbow", allenfalls ironisch verwenden möchte, liegt daran, dass so vieles, das man liebt und bewundert an der amerikanischen Literatur und das man immer wieder lesen muss, in eher schlanken Büchern steht. Den "Großen Gatsby", nur zum Beispiel, müsste man in sehr großen Buchstaben setzen, damit er vierhundert Seiten füllte.
Und wenn jetzt eine oder einer von dem Verdacht gepackt wird, dass das alles nur vorgeschobene Gründe seien; dass hier ein männlicher Rezensent von männlichen Autoren vor allem deshalb spricht, damit die Herren unter sich bleiben können und Meg Wolitzer nur der Zugang zum Club verwehrt bleibt - dann darf man sich als diese Person gerne Joan Didion vorstellen und sich fragen, ob die in Gelächter oder in Tränen ausbricht, wenn sie Sätze wie diese hier liest: "Ihre Nase war absolut in Ordnung, aber Greer wusste, dass diese für immer ein Teil ihres Blickes auf die Welt sein würde. Greer hatte damals kapiert, dass man weder dem eigenen Körper entrinnen konnte noch der Art, auf die man sich selbst wahrnahm."
Es geht, anscheinend, um den Feminismus, um die Bewegung und um deren Geschichte. Das Buch erzählt von Greer Kadetsky, einer jungen, etwas spröden, aber extrem ehrgeizigen jungen Frau, die am College ziemlich übel sexuell belästigt wird. Und die daraufhin zur Aktivistin wird. Es erzählt von Zee Eisenstat, der besten Freundin, die von Greer, weil die nach oben kommen will, verraten wird. Und es erzählt von Faith Frank, der Veteranin der Bewegung, einer charismatischen Anführerin, die erst Greers Mentorin und später Greers Gegenspielerin wird. Das sogenannte Projekt, bei dem Greer einsteigt und sich nach oben arbeitet, eine Mischung aus Thinktank und NGO zur Fortbildung und Förderung von Frauen, ist eigentlich nicht der Rede wert. Ein geübter Lektor brauchte nur ein paar Begriffe auszutauschen, und es wäre eine Softwarefirma oder ein Hightech-Unternehmen (die ja auch die Welt ein bisschen besser machen wollen).
Das spricht nicht unbedingt gegen die Autorin - Meg Wolitzers literarisch-feministisches Projekt scheint eher auf die Inversion der üblichen Rollen hinauszulaufen. Sie erzählt weniger die Geschichte des Feminismus (auch wenn sie, in einer Rückblende auf Faith' Lebensweg alle Stationen der Bewegung quasi im Zeitraffer passieren lässt), sie erzählt vor allem von der Macht, von Verrat, Freundschaft, Loyalität und vom Sex, der da immer dazugehört. Und die Pointe ist eben, dass die Mächtigen, die Verräter, die schuldig Gewordenen allesamt Frauen sind, während die Männer, wenn sie kurz aus dem Hintergrund heraustreten, erst mal auf ihre sexuelle Attraktivität hin geprüft werden von diesem Text. Was, für den männlichen Leser jedenfalls, den irritierenden und letztlich produktiven Effekt hat, dass man nicht genau sagen kann, woran es liegt, dass all die Machtkämpfe, der Verrat, die Konflikte dann doch nicht mit äußerster Härte und Konsequenz ausgetragen werden; dass da nirgends ein Abgrund ist, höchstens ein Aufzug, der ein paar Stockwerke nach unten fährt. Will Meg Wolitzer uns damit sagen, dass genau das der Unterschied ist, wenn man diese Rollen mit Frauen besetzt; dass Frauen sich also weigern, so aggressiv wie Männer zu kämpfen? Oder liegt es daran, dass es der Autorin an Entschlossenheit fehlt?
Dass man zur zweiten Hypothese tendiert, liegt nicht nur an der Sprache dieses Romans, an diesem scheinpoetischen und pseudonachdenklichen Stil, der immer wieder Sätze wie diesen hier hervorbringt: "Offenbar gab es zig Möglichkeiten, das zu finden, was man schließlich machte, und zu der Person zu werden, die man am Ende war." Es liegt nicht nur an der Redundanz, die nötig war, damit der Roman auf Great-American-Novel-hafte fünfhundert Seiten kam. In manchen Kapiteln stellt sich Greer erst einmal vor, was sie gleich tun wird. Dann tut sie es. Und dann stellt sie sich vor, wie sie ihrem Freund berichten wird, was sie gerade getan hat.
Es liegt aber vor allem daran, wie Meg Wolitzer ihren Anspruch an die Ästhetik der Werbung und des Fernsehfilms verrät. Alle, wirklich alle Frauen, die überhaupt eine Rolle spielen, sehen hübsch und interessant aus, attraktiv fürs eigene oder das andere Geschlecht, mit kleinen Normabweichungen, welche die Individualität akzentuieren. Alle Männer, die ihnen näherkommen, sehen sehr gut aus, riechen gut, reden von interessanten Dingen. Und wenn es zum Sex kommt, dann ist er nichts als Glück, Gelingen, Lust. Selbst die Szene, in welcher Zee, die lieber Frauen mag, von einem verliebten Jungen angefleht und bedrängt wird, worauf sie, weil sie ihn mag, ihm Erleichterung verschafft, hinterlässt keine Flecken in dieser Prosa.
Und insofern ist es keine ganz schlechte Nachricht, wenn jetzt berichtet wird, Nicole Kidman habe die Rechte gekauft; demnächst werde das Buch in Hollywood verfilmt. Die Metaphern und der Creative-Writing-Kitsch bleiben für Kameras unsichtbar. Und wenn echte Menschen diese Charaktere verkörpern, können die nur gewinnen.
CLAUDIUS SEIDL.
Meg Wolitzer: "Das weibliche Prinzip". Dumont, 496 Seiten, 24 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das weibliche Prinzip" handelt, anscheinend, vom Feminismus, aber leider hat sich Meg Wolitzer auch vorgenommen, den Großen Amerikanischen Roman zu schreiben
Es war heiß, sehr heiß sogar, als ich im Garten saß und Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" zu lesen versuchte, das Lesen strengte mich ungeheuer an, und so legte ich alle zehn, fünfzehn Seiten das Buch auf den Rasen, der grün war, sich aber bald braungelb färben würde, und starrte auf die Hortensien, deren Rispen, ermattet von der hohen Temperatur, es nicht mehr schafften, so weiß zu leuchten, wie das Hortensienrispen eigentlich tun. Sie brachten nur ein mattes Hellgrün hervor, wie Avocadocreme ohne Senf, dachte ich, und über dem Stab, der die Hortensienstengel stützte, stand ein libellenartiges Insekt in der Luft, wie ein Helikopter über dem Dach eines New Yorker Wolkenkratzers.
Wolken waren keine zu sehen, obwohl die Wetter-App ein paar Regenschauer versprochen hatte. Dauernd musste ich auf diese App schauen, und weil sich da nichts bewegte, stellte ich mir vor, dass bald jemand eine Creative-Writing-App erfinden müsste, für Romane wie diesen hier. Man gäbe ein paar nüchterne Daten ein, Personen, Schauplatz, Tageszeit, schilderte kurz den Konflikt, der hier verhandelt würde, und die App fände dann ein paar schöne, literarisch klingende Vergleiche, wählte die Worte nach deren Nachdenklichkeits- und Sensibilitätsfaktor aus, und dann hätte die Szene gleich doppelt so viele Seiten und wäre echte Literatur. Man müsste diese App "Muse" nennen, dachte ich, aber Meg Wolitzer würde das sicher nicht gut finden, fiel mir dann ein, weil so ein Name ja nur die alten Geschlechterrollen fortschreiben würde.
Nein, Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" ist kein satirischer Roman, welcher, indem er den Stil bis zur Kenntlichkeit übertriebe, sich über das Jonathan-Franzen-hafte, Creative-Writing-geschulte Schönschreibertum, das sich selber als Krönung der amerikanischen Literatur versteht, lustig machte - auch wenn er alle paar Seiten so klingt. Meg Wolitzer meint es ernst, sie nimmt sich selbst, ihre Figuren, deren Sprache und Geschichte absolut ernst; sie hat ein dickes Buch von fast fünfhundert Seiten (in der deutschen Übersetzung) hingelegt - und damit gleich mal klar wird, was der Anspruch ist, hat der Verlag, wie man in den Rezensionen lesen kann, den Rezensenten zu den Rezensionsexemplaren, quasi als Gebrauchsanleitung, einen Aufsatz Meg Wolitzers aus der "New York Times" beigelegt, in welchem die Autorin alles, was semantische, literarische oder soziale Verwandtschaft zum Begriff der "Frauenliteratur" hat, zurückweist.
Es geht hier um nicht weniger als "The Great American Novel", einen Roman also, dem es gelänge, seine Gegenwart (und deren Vorgeschichte) mit all ihren materiellen und geistigen Konflikten zu einer Erzählung zu formen. Dass man, als Rezensent, aber das Wort vom Großen Amerikanischen Roman, trotz "Moby Dick" und "Gravity's Rainbow", allenfalls ironisch verwenden möchte, liegt daran, dass so vieles, das man liebt und bewundert an der amerikanischen Literatur und das man immer wieder lesen muss, in eher schlanken Büchern steht. Den "Großen Gatsby", nur zum Beispiel, müsste man in sehr großen Buchstaben setzen, damit er vierhundert Seiten füllte.
Und wenn jetzt eine oder einer von dem Verdacht gepackt wird, dass das alles nur vorgeschobene Gründe seien; dass hier ein männlicher Rezensent von männlichen Autoren vor allem deshalb spricht, damit die Herren unter sich bleiben können und Meg Wolitzer nur der Zugang zum Club verwehrt bleibt - dann darf man sich als diese Person gerne Joan Didion vorstellen und sich fragen, ob die in Gelächter oder in Tränen ausbricht, wenn sie Sätze wie diese hier liest: "Ihre Nase war absolut in Ordnung, aber Greer wusste, dass diese für immer ein Teil ihres Blickes auf die Welt sein würde. Greer hatte damals kapiert, dass man weder dem eigenen Körper entrinnen konnte noch der Art, auf die man sich selbst wahrnahm."
Es geht, anscheinend, um den Feminismus, um die Bewegung und um deren Geschichte. Das Buch erzählt von Greer Kadetsky, einer jungen, etwas spröden, aber extrem ehrgeizigen jungen Frau, die am College ziemlich übel sexuell belästigt wird. Und die daraufhin zur Aktivistin wird. Es erzählt von Zee Eisenstat, der besten Freundin, die von Greer, weil die nach oben kommen will, verraten wird. Und es erzählt von Faith Frank, der Veteranin der Bewegung, einer charismatischen Anführerin, die erst Greers Mentorin und später Greers Gegenspielerin wird. Das sogenannte Projekt, bei dem Greer einsteigt und sich nach oben arbeitet, eine Mischung aus Thinktank und NGO zur Fortbildung und Förderung von Frauen, ist eigentlich nicht der Rede wert. Ein geübter Lektor brauchte nur ein paar Begriffe auszutauschen, und es wäre eine Softwarefirma oder ein Hightech-Unternehmen (die ja auch die Welt ein bisschen besser machen wollen).
Das spricht nicht unbedingt gegen die Autorin - Meg Wolitzers literarisch-feministisches Projekt scheint eher auf die Inversion der üblichen Rollen hinauszulaufen. Sie erzählt weniger die Geschichte des Feminismus (auch wenn sie, in einer Rückblende auf Faith' Lebensweg alle Stationen der Bewegung quasi im Zeitraffer passieren lässt), sie erzählt vor allem von der Macht, von Verrat, Freundschaft, Loyalität und vom Sex, der da immer dazugehört. Und die Pointe ist eben, dass die Mächtigen, die Verräter, die schuldig Gewordenen allesamt Frauen sind, während die Männer, wenn sie kurz aus dem Hintergrund heraustreten, erst mal auf ihre sexuelle Attraktivität hin geprüft werden von diesem Text. Was, für den männlichen Leser jedenfalls, den irritierenden und letztlich produktiven Effekt hat, dass man nicht genau sagen kann, woran es liegt, dass all die Machtkämpfe, der Verrat, die Konflikte dann doch nicht mit äußerster Härte und Konsequenz ausgetragen werden; dass da nirgends ein Abgrund ist, höchstens ein Aufzug, der ein paar Stockwerke nach unten fährt. Will Meg Wolitzer uns damit sagen, dass genau das der Unterschied ist, wenn man diese Rollen mit Frauen besetzt; dass Frauen sich also weigern, so aggressiv wie Männer zu kämpfen? Oder liegt es daran, dass es der Autorin an Entschlossenheit fehlt?
Dass man zur zweiten Hypothese tendiert, liegt nicht nur an der Sprache dieses Romans, an diesem scheinpoetischen und pseudonachdenklichen Stil, der immer wieder Sätze wie diesen hier hervorbringt: "Offenbar gab es zig Möglichkeiten, das zu finden, was man schließlich machte, und zu der Person zu werden, die man am Ende war." Es liegt nicht nur an der Redundanz, die nötig war, damit der Roman auf Great-American-Novel-hafte fünfhundert Seiten kam. In manchen Kapiteln stellt sich Greer erst einmal vor, was sie gleich tun wird. Dann tut sie es. Und dann stellt sie sich vor, wie sie ihrem Freund berichten wird, was sie gerade getan hat.
Es liegt aber vor allem daran, wie Meg Wolitzer ihren Anspruch an die Ästhetik der Werbung und des Fernsehfilms verrät. Alle, wirklich alle Frauen, die überhaupt eine Rolle spielen, sehen hübsch und interessant aus, attraktiv fürs eigene oder das andere Geschlecht, mit kleinen Normabweichungen, welche die Individualität akzentuieren. Alle Männer, die ihnen näherkommen, sehen sehr gut aus, riechen gut, reden von interessanten Dingen. Und wenn es zum Sex kommt, dann ist er nichts als Glück, Gelingen, Lust. Selbst die Szene, in welcher Zee, die lieber Frauen mag, von einem verliebten Jungen angefleht und bedrängt wird, worauf sie, weil sie ihn mag, ihm Erleichterung verschafft, hinterlässt keine Flecken in dieser Prosa.
Und insofern ist es keine ganz schlechte Nachricht, wenn jetzt berichtet wird, Nicole Kidman habe die Rechte gekauft; demnächst werde das Buch in Hollywood verfilmt. Die Metaphern und der Creative-Writing-Kitsch bleiben für Kameras unsichtbar. Und wenn echte Menschen diese Charaktere verkörpern, können die nur gewinnen.
CLAUDIUS SEIDL.
Meg Wolitzer: "Das weibliche Prinzip". Dumont, 496 Seiten, 24 Euro
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