Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2004Fäuste in der Kehle
Lê Thi Diem Thúy erzählt ein vietnamesisches Emigrantenschicksal
Da beklagt die amerikanische Öffentlichkeit seit langem die "niveausenkenden" Salad-Bowl-Lehrpläne, die mit Black Studies, Gender Studies, Cultural Studies angerichtet sind. Und bejubelt nun eine "neue Immigrantenliteratur", die nach eigenen Wurzeln sucht, vom Verlust erzählt und von vorneherein nicht all American daherkommen will, ¡no gracias! Nach dem nationalen Schulterschluß scheint man die Diversifikation wieder neu zu entdecken. Man feiert den Glauben, daß es vor Gary Shteyngarts "Handbuch eines russischen Debütanten" oder Aleksandar Hemons "Nowhere Man" in Einwandererromanen nur schüchterne Assimilationsversuche gab, literarische Beschwichtigungsgesten, um den "White Anglo-Saxon Protestant" zu beruhigen.
Die 1972 in Südvietnam geborene Performerin und Autorin Lê Thi Diem Thúy ist eine von diesen neuen Stimmen. Sie hat in Amherst Cultural Studies absolviert, und dort begann sie auch, die Geschichte zu schreiben, die sich in über einem Jahrzehnt zum autobiographisch fundierten Roman ausgewachsen hat: Unlängst erschien "The Gangster We Are All Looking For" in New York, und der Luchterhand Verlag hat den Debütroman unter dem Titel "Das Weinen des Schmetterlings" gleich auf deutsch publiziert.
Nicht nur der deutsche Titel und das Cover, sondern auch die Übersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann plaudert aus, daß hier ein wenig geglättet, ein wenig auf Edelkitsch gestriegelt werden sollte. Auf deutsch kommen die poetischen Prosafragmente einen Tick weniger sperrig daher, um den Leser scheinbar ohne Plan durch das Leben der Ich-Erzählerin zu schubsen: durch einen heißen Sommer in einer Einzimmerwohnung in einer Art kalifornischem Flüchtlingsghetto, durch die verzweifelten Besäufnisse des Vaters ("Ba"), die ebenso verzweifelten Wutanfälle der Mutter ("Ma") und durch Aufenthalte in der alten Heimat, dem neuen Vietnam, wo der ertrunkene Bruder und die Großeltern ihre letzte Ruhe gefunden haben. Die junge Autorin hat den Sound des Vietnamesischen ins Amerikanische hinüberretten wollen, wie sie sagt: die Metapherntrunkenheit, die Flüchtigkeit des Faktischen, den Zauber der dichterischen Freiheit.
Lê Thi Diem Thúy war selbst immer schon gespalten, doppelt: Auf den Namen Thúy taufte der Vater die Sechsjährige, als die beiden von der US-Navy aus ihrer Nußschale im Ozean gefischt wurden - Thúy hatte die ertrunkene Schwester des kleinen Mädchens geheißen, das da auf dem Meer ins gelobte Land trieb. Und so wie die Kleine sich, einsam und schwer beladen mit Erinnerungen, in amerikanische Märchen flüchtete, so malt die Erwachsene heute in ihrer eigenen Prosa aus einem alten Rohr einen Riesen; und die Mutter, die einst als Kind mit dem Rohr gespielt hatte, "fing an zu weinen, weil sie an den vergrabenen Riesen . . . dachte, die Körper, die mitten in der Bewegung erstarrt waren, auf dem Weg irgendwohin". Ein Land erstarrte, als der Krieg kam - er ist das einzige, was immer in Bewegung bleibt. Ma meint, "der Krieg habe keinen Anfang und kein Ende. Er überquere Ozeane wie ein zersplittertes Boot voller Menschen, die ein trauriges Lied singen." Die traurigen Weisen der Erzählerin schrammen so manches Mal am Sentimentalen und Symbolisch-Platten entlang und klingen dann wieder hart und klar und kantig.
Mit symbolischen Zaunpfählen ziemlich verbaut ist beispielsweise die (Tennessee Williams zuprostende) Glasmenagerie-Episode, in der, schließlich, ein in Glas gefaßter, "gefangener" und "weinender" Schmetterling zu Bruch geht. Ob die Details alle aufgehen, spielt in dieser Welt aus Gefühlsgewittern, Gedächtnissplittern, Zeit- und Raumsprüngen keine Rolle mehr. Um des sprechenden - und wiederholten - Bildes willen "ziehen" die Eltern beispielsweise in besagter winziger Einzimmerwohnung mit Schaum vor dem Mund "von Zimmer zu Zimmer", derweil sich das Kind auf dem Klo versteckt: "All die Fäuste sind in meiner Kehle."
Dafür malen scheinbar achtlos eingestreute Sätze einen reichen Erzählhorizont auf: "Beim Einzug mußten wir schriftlich versichern, keine Fischgräten in den Abfallschredder zu geben" - da riechen wir das Leben in Vietnam ebenso, wie wir die Fremdheit in den Vereinigten Staaten spüren. Auf einmal ist "Vietnam" mehr als ein amerikanisches Trauma. Und auf einmal ist Exil mehr als ein Identitätsdrama: dort, wo Lê Thi Diem Thúy leise und genau ist, dort, wo sie dem schön Traurigen und dem schlicht Sinnbildlichen widersteht. Nach dem Gangster zu suchen, dem wilden Vater eines kleinen Mädchens, ist allemal reizvoller, als auf das Weinen eines Schmetterlings zu lauschen.
ALEXANDRA KEDVES
Lê Thi Diem Thúy: "Das Weinen des Schmetterlings". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann. Luchterhand Verlag, München 2003. 160 S., 16,- [Euro].
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Lê Thi Diem Thúy erzählt ein vietnamesisches Emigrantenschicksal
Da beklagt die amerikanische Öffentlichkeit seit langem die "niveausenkenden" Salad-Bowl-Lehrpläne, die mit Black Studies, Gender Studies, Cultural Studies angerichtet sind. Und bejubelt nun eine "neue Immigrantenliteratur", die nach eigenen Wurzeln sucht, vom Verlust erzählt und von vorneherein nicht all American daherkommen will, ¡no gracias! Nach dem nationalen Schulterschluß scheint man die Diversifikation wieder neu zu entdecken. Man feiert den Glauben, daß es vor Gary Shteyngarts "Handbuch eines russischen Debütanten" oder Aleksandar Hemons "Nowhere Man" in Einwandererromanen nur schüchterne Assimilationsversuche gab, literarische Beschwichtigungsgesten, um den "White Anglo-Saxon Protestant" zu beruhigen.
Die 1972 in Südvietnam geborene Performerin und Autorin Lê Thi Diem Thúy ist eine von diesen neuen Stimmen. Sie hat in Amherst Cultural Studies absolviert, und dort begann sie auch, die Geschichte zu schreiben, die sich in über einem Jahrzehnt zum autobiographisch fundierten Roman ausgewachsen hat: Unlängst erschien "The Gangster We Are All Looking For" in New York, und der Luchterhand Verlag hat den Debütroman unter dem Titel "Das Weinen des Schmetterlings" gleich auf deutsch publiziert.
Nicht nur der deutsche Titel und das Cover, sondern auch die Übersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann plaudert aus, daß hier ein wenig geglättet, ein wenig auf Edelkitsch gestriegelt werden sollte. Auf deutsch kommen die poetischen Prosafragmente einen Tick weniger sperrig daher, um den Leser scheinbar ohne Plan durch das Leben der Ich-Erzählerin zu schubsen: durch einen heißen Sommer in einer Einzimmerwohnung in einer Art kalifornischem Flüchtlingsghetto, durch die verzweifelten Besäufnisse des Vaters ("Ba"), die ebenso verzweifelten Wutanfälle der Mutter ("Ma") und durch Aufenthalte in der alten Heimat, dem neuen Vietnam, wo der ertrunkene Bruder und die Großeltern ihre letzte Ruhe gefunden haben. Die junge Autorin hat den Sound des Vietnamesischen ins Amerikanische hinüberretten wollen, wie sie sagt: die Metapherntrunkenheit, die Flüchtigkeit des Faktischen, den Zauber der dichterischen Freiheit.
Lê Thi Diem Thúy war selbst immer schon gespalten, doppelt: Auf den Namen Thúy taufte der Vater die Sechsjährige, als die beiden von der US-Navy aus ihrer Nußschale im Ozean gefischt wurden - Thúy hatte die ertrunkene Schwester des kleinen Mädchens geheißen, das da auf dem Meer ins gelobte Land trieb. Und so wie die Kleine sich, einsam und schwer beladen mit Erinnerungen, in amerikanische Märchen flüchtete, so malt die Erwachsene heute in ihrer eigenen Prosa aus einem alten Rohr einen Riesen; und die Mutter, die einst als Kind mit dem Rohr gespielt hatte, "fing an zu weinen, weil sie an den vergrabenen Riesen . . . dachte, die Körper, die mitten in der Bewegung erstarrt waren, auf dem Weg irgendwohin". Ein Land erstarrte, als der Krieg kam - er ist das einzige, was immer in Bewegung bleibt. Ma meint, "der Krieg habe keinen Anfang und kein Ende. Er überquere Ozeane wie ein zersplittertes Boot voller Menschen, die ein trauriges Lied singen." Die traurigen Weisen der Erzählerin schrammen so manches Mal am Sentimentalen und Symbolisch-Platten entlang und klingen dann wieder hart und klar und kantig.
Mit symbolischen Zaunpfählen ziemlich verbaut ist beispielsweise die (Tennessee Williams zuprostende) Glasmenagerie-Episode, in der, schließlich, ein in Glas gefaßter, "gefangener" und "weinender" Schmetterling zu Bruch geht. Ob die Details alle aufgehen, spielt in dieser Welt aus Gefühlsgewittern, Gedächtnissplittern, Zeit- und Raumsprüngen keine Rolle mehr. Um des sprechenden - und wiederholten - Bildes willen "ziehen" die Eltern beispielsweise in besagter winziger Einzimmerwohnung mit Schaum vor dem Mund "von Zimmer zu Zimmer", derweil sich das Kind auf dem Klo versteckt: "All die Fäuste sind in meiner Kehle."
Dafür malen scheinbar achtlos eingestreute Sätze einen reichen Erzählhorizont auf: "Beim Einzug mußten wir schriftlich versichern, keine Fischgräten in den Abfallschredder zu geben" - da riechen wir das Leben in Vietnam ebenso, wie wir die Fremdheit in den Vereinigten Staaten spüren. Auf einmal ist "Vietnam" mehr als ein amerikanisches Trauma. Und auf einmal ist Exil mehr als ein Identitätsdrama: dort, wo Lê Thi Diem Thúy leise und genau ist, dort, wo sie dem schön Traurigen und dem schlicht Sinnbildlichen widersteht. Nach dem Gangster zu suchen, dem wilden Vater eines kleinen Mädchens, ist allemal reizvoller, als auf das Weinen eines Schmetterlings zu lauschen.
ALEXANDRA KEDVES
Lê Thi Diem Thúy: "Das Weinen des Schmetterlings". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann. Luchterhand Verlag, München 2003. 160 S., 16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Zwiespältig beurteilt Rezensentin Alexandra Kedves den "autobiografisch fundierten" Roman der in Südvietnam geborenen amerikanischen Performerin und Autorin Le Thi Diem Thuy. Einerseits erkennt sie darin den Versuch, den "Sound des Vietnamesischen ins Amerikanische herüber zuretten": dessen "Metapherntrunkenheit, die Flüchtigkeit des Faktischen, den Zauber der dichterischen Freiheit". Andererseits schrammen für die Rezensentin die traurigen Weisen der Erzählerin immer wieder am Sentimentalen entlang, werden Episoden oft mit "symbolischen Zaunpfählen" verbaut. Ob die Details alle aufgehen, spielt für Kedves "in dieser Welt aus Gefühlsgewittern, Gedächtnissplittern, Zeit- und Raumsprüngen keine Rolle mehr". Die deutsche Übersetzung verstärkt nach Ansicht der Rezensentin eher diese negativen Seiten des Buches. Schon der deutsche Titel (das Original heißt "The Gangster we are looking for") lasse erkennen, das hier "ein wenig auf Edelkitsch gestriegelt werden soll".
© Perlentaucher Medien GmbH"
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