Die Vermessung des Himmels: 1609 baut Galileo Galilei in Padua ein Teleskop, er entdeckt neue Gestirne, Gebirge auf dem Mond und dass sich unmöglich alles um die Erde drehen kann. Im selben Sommer veröffentlicht Johannes Kepler seine Planetengesetze und begründet die moderne Himmelsphysik. Thomas de Padova, Physiker und Wissenschaftsjournalist, zeigt diese Epochenwende in ganz neuem Licht. Glänzend geschrieben und gestützt auf ihren kaum beachteten, spannungsvollen Briefwechsel, erzählt er erstmals die ungleiche Beziehung der beiden so unterschiedlichen Forscher: Galilei, in künstlerischem Umfeld aufgewachsen, bastelt und experimentiert. Dem studierten Theologen Kepler dagegen geht es um den großen Weltentwurf. Gleichzeitig, doch jeder auf seine Art, greifen sie nach den Sternen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Die Ordnung der Himmel
Von unterschiedlichen Wegen zur modernen Physik: Thomas de Padova widmet Galileo Galilei und Johannes Kepler ein exzellentes Doppelporträt.
Von Helmut Mayer
Im Jahr 1632 erscheint in Florenz ein Werk, das seinen damals schon berühmten Verfasser, den Philosophen am Hof der Medici Galileo Galilei, bald darauf in große Schwierigkeiten stürzt. Zwar hat der "Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme" formell die Instanzen der römischen Zensur passiert. Doch gerade die Verbindungen des Verfassers zur Kurie und nicht zuletzt zu Papst Urban VIII. selbst hatten zu einigen Abkürzungen und informellen Vereinbarungen geführt, die sich zuletzt als fatal erweisen.
Klar war seit der kirchlichen Ermahnung Galileis etwa fünfzehn Jahre zuvor, dass das kopernikanische System nicht als Theorie mit naturphilosophischem Wahrheitsanspruch, sondern nur als mathematisch-astronomische Konstruktionsmethode unter anderen verhandelt werden durfte. Auf dieses Vorgehen hatte man sich in Rom in Zeiten gegenreformatorischer Disziplinverschärfung noch unter Paul V. festgelegt - gegen einige gewichtige Gegenstimmen, die das theologisch überhaupt nicht geboten sahen. Und der neue Papst, naturphilosophisch interessiert und von Galilei tief beeindruckt, hatte sogar einmal angedeutet, dass unter ihm diese antikopernikanische Festlegung Roms nicht durchgegangen wäre.
Aber Urban VIII. gerät unter innerkirchlichen Druck und vor allem: Er sieht sich von Galilei hintergangen, der zwar wie verlangt die kopernikanische Theorie von einem der drei fiktiven Sprecher des "Dialogs" mit Hinweis auf Gottes unverfügbare Macht einklammern lässt. Aber diese Figur ist ausgerechnet der mit Vorliebe der Lächerlichkeit preisgegebene bornierte Traditionalist Simplicio, in dem sich der Papst nun karikiert sieht. Die Sache ist nicht mehr zurechtzubiegen, denn zu klar ist Galileis Überzeugung, die tatsächliche Erdbewegung demonstriert zu haben, und zu ungeschickt sein Versuch, in den Inquisitionsverhören das Gegenteil zu behaupten.
Figuren des Übergangs, in dem Altes und Neues eng verknüpft ist.
So kommt es 1636 zur berühmten Verurteilung, mit der Galilei später als unglücklicher Held der neuen Wissenschaft dasteht, die hier noch einmal von Kirche und beschränkten Aristotelikern in ihrem Siegeslauf behindert wurde. Aber ganz so einfach lief die Sache natürlich nicht. Weder war Galilei einfach ein wissenschaftlicher Wahrheitszeuge, noch macht solche Hagiographie überhaupt Sinn - schon gar nicht mit Blick auf die Gemengelage der sich neu herausbildenden Explikations- und Begründungsansprüche am Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Galilei ist vielmehr eine faszinierende Übergangsfigur, in der sich Elemente der Tradition mit wegweisenden Neuerungen eng verbanden.
Thomas de Padova wählt in seinem Buch eine naheliegende Variante, diese Verschränkungen von Neuem und Altem vor Augen zu führen. Er hält Galileis Entwicklung gegen jene des anderen großen Kopernikaners Johannes Kepler, der als ebenso hervorstechende Figur der Transformationen gelten darf, die von der tradierten Astronomie und Naturphilosophie zur modernen Physik führten. Sein Doppelporträt von Kepler und Galilei verfolgt zwei wissenschaftliche Biographien, die durch die Überzeugung von der Wahrheit des kopernikanischen Systems verknüpft waren und sich doch in ganz unterschiedlichen Forschungs- und Darstellungsweisen manifestierten.
Bei diesem Vergleichsverfahren werden oft auf Seiten Keplers die vormodern anmutenden Elemente, dagegen bei Galilei die auf die moderne Mechanik vorausweisenden Konzepte verortet: Auf der einen Seite steht dann der theologisch imprägnierte deutsche Mathematiker und Metaphysicus, der dem Weltgeheimnis in zahlenhaften und geometrischen Verhältnissen nachspürt, tief in christlich überformten pythagoräisch-platonischen Traditionen verwurzelt, merkwürdigen Fernkräften und "okkulten" Ursachen zugeneigt. Auf der anderen Seite steht der nüchterne Florentiner als Wegbereiter induktiver experimenteller Methode, die letztlich mit allen metaphysischen Hintergrundspekulationen aufräumte.
Aber zu dieser Entgegensetzung lassen sich leicht Gegenrechnungen aufmachen, wie es de Padova, gestützt auf die einschlägige wissenschaftsgeschichtliche Literatur und mit gut gewählten Passagen aus den Texten seiner beiden Hauptfiguren, schön vorführt. Man kann dazu gleich beim "Dialog" von 1632 ansetzen, in dem eine der Figuren die kreisförmige Bewegung der Himmelskörper aus einfachen Überlegungen ableitet: Unmöglich können sie anders als kreisförmig sein, denn bewegte sich ein Körper von Natur aus geradlinig, wäre er niemals an seinem natürlichen Ort und mithin die Anordnung der Teile der Welt keine vollkommene. Diese vorbildlich aristotelische Begründung steuert aber nicht etwa der Traditionalist Simplicio bei, sondern einer der Proponenten von Galileis neuer Physik.
In erster Instanz zeigt das bloß Galileis Neigung zur rhetorisch brillanten Argumentation, die mit den Gegnern nicht nur gnadenlos umspringt, sondern bei Bedarf auch deren Grundsätze entwendet. Faszinierend zu verfolgen ist das bei Galilei immer, auch und gerade dann, wenn er in der Sache völlig falsch lag oder sich damit erst so recht in die Bredouille brachte, wie im Fall seiner theologisch ausholenden Verteidigung des Kopernikanismus vor der römischen Verwarnung. Aber dahinter taucht natürlich die Frage auf, die Wissenschaftshistoriker von früh an beschäftigte: Warum hielt Galilei so unbeirrbar an der Kreisform fest, die ihm die mathematisch-astronomische genauso wie naturphilosophische Tradition vorgab? Denn der Kreis behält bei ihm seinen angestammten Primat, und auch der Trägheitssatz seiner neuen Mechanik ist einer für die "natürliche" Kreisbewegung.
Und das, obwohl der kaiserliche Mathematiker Kepler bereits 1609, als die Fernrohrbeobachtungen Galilei gerade definitiv zum überzeugten und öffentlich auftretenden Kopernikaner machen, in seiner "Neuen Astronomie" die Ellipsenform der Planetenbahnen ins Spiel gebracht hatte, was auch nicht ohne Wirkung auf die Wissenschaftlergemeinde blieb. Ausgerechnet der so gern an platonisierenden Ordnungs- und Harmonievorstellungen entlang spekulierende Kepler hatte der tradierten Kreisform den Abschied gegeben - weil sich mit ihr die faszinierend genauen Planetenmessdaten Tycho Brahes, auf die er zurückgreifen konnte, nicht erfüllen ließen, wenn man das heliozentrische System als höchste Ordnungsinstanz zugrunde legte und verbissen genug Varianten durchrechnete.
Keplers "Kindereien" haben eine durchaus moderne Seite.
Aber diese Berechnungen ließ Galilei links liegen, so wie die Werke Keplers insgesamt, selbst wenn seine Korrespondenz zeigt, dass er Letztere sehr wohl kannte; und seine Antworten auf Keplers um Zusammenarbeit werbende Briefe sind eher hinhaltende Ausweichmanöver. Nicht einmal das erbetene Fernrohr bekam der immer öffentlich zu Galilei stehende Kepler. Aber kaum hatte er sich eins beschafft, schrieb er dafür jene optische Theorie teleskopischer Beobachtung, die Galilei sich ersparte, um stattdessen auf raffinierte Patronagepolitik zu setzen, die das Fernrohr als legitimes wissenschaftliches Instrument durchsetzen sollte. Als sich Galilei aber doch einmal im Druck zu Keplers Himmelsphysik äußert, durch einen seiner Sprecher im "Dialog", wir daraus eine Schelte: Wie konnte nur ein so scharfsinniger Mann auf Dinge verfallen wie die "Herrschaft des Mondes über das Wasser, die verborgenen Qualitäten und was an Kindereien mehr sind"?
Die "Kindereien", die Galilei da so entschieden ins Visier nahm, Keplers Spekulieren über die Kräfte zwischen den Planeten und insbesondere über eine antreibende Kraft der Sonne, sind freilich eine zweischneidige Angelegenheit. Auf der einen Seite gehören sie tatsächlich zu jenen Anteilen der alten Naturphilosophie, von denen sich die neue Physik verabschieden wird, zumindest offiziell. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, nehmen sie sich aber ausnehmend modern aus, als Vorboten der Newton'schen Gravitation.
Und hübsch ist natürlich die Ironie, dass Galilei in diesem Zusammenhang ausgerechnet die mit dem Mond operierende Gezeitentheorie Keplers abkanzelt, die durchaus eine richtige Verbindungslinie zog. Zumindest eine bessere als Galileis eigener Versuch, die Gezeiten direkt aus der Erdbewegung um die Sonne abzuleiten: Genau durch diesen realen Effekt sollte ja die Erdbewegung außer Zweifel gestellt werden - was Urban VIII. ganz richtig sah, sich den ursprünglich für den "Dialog" vorgesehenen Titel "Über Ebbe und Flut" verbat und auf diese Weise (noch) einen Beitrag zum Nachruhm Galileis leistete.
Kepler und Galilei sind als Figuren für sich genommen faszinierend genug. Sie am Leitfaden der Reaktionen aufeinander in einer Darstellung zusammenzuführen, erhöht noch den Reiz. Zumindest dann, wenn man diese Aufgabe so geschickt, mit guter Kenntnis des wissenschaftsgeschichtlichen Terrains, Sinn für lebendige Darstellung und doch ohne Effekthascherei vorzuführen weiß wie Thomas de Padova: ein geglücktes Beispiel populär geschriebener Wissenschaftsgeschichte.
Thomas de Padova: "Das Weltgeheimnis". Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels. Piper Verlag, München 2009. 352 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].
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Von unterschiedlichen Wegen zur modernen Physik: Thomas de Padova widmet Galileo Galilei und Johannes Kepler ein exzellentes Doppelporträt.
Von Helmut Mayer
Im Jahr 1632 erscheint in Florenz ein Werk, das seinen damals schon berühmten Verfasser, den Philosophen am Hof der Medici Galileo Galilei, bald darauf in große Schwierigkeiten stürzt. Zwar hat der "Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme" formell die Instanzen der römischen Zensur passiert. Doch gerade die Verbindungen des Verfassers zur Kurie und nicht zuletzt zu Papst Urban VIII. selbst hatten zu einigen Abkürzungen und informellen Vereinbarungen geführt, die sich zuletzt als fatal erweisen.
Klar war seit der kirchlichen Ermahnung Galileis etwa fünfzehn Jahre zuvor, dass das kopernikanische System nicht als Theorie mit naturphilosophischem Wahrheitsanspruch, sondern nur als mathematisch-astronomische Konstruktionsmethode unter anderen verhandelt werden durfte. Auf dieses Vorgehen hatte man sich in Rom in Zeiten gegenreformatorischer Disziplinverschärfung noch unter Paul V. festgelegt - gegen einige gewichtige Gegenstimmen, die das theologisch überhaupt nicht geboten sahen. Und der neue Papst, naturphilosophisch interessiert und von Galilei tief beeindruckt, hatte sogar einmal angedeutet, dass unter ihm diese antikopernikanische Festlegung Roms nicht durchgegangen wäre.
Aber Urban VIII. gerät unter innerkirchlichen Druck und vor allem: Er sieht sich von Galilei hintergangen, der zwar wie verlangt die kopernikanische Theorie von einem der drei fiktiven Sprecher des "Dialogs" mit Hinweis auf Gottes unverfügbare Macht einklammern lässt. Aber diese Figur ist ausgerechnet der mit Vorliebe der Lächerlichkeit preisgegebene bornierte Traditionalist Simplicio, in dem sich der Papst nun karikiert sieht. Die Sache ist nicht mehr zurechtzubiegen, denn zu klar ist Galileis Überzeugung, die tatsächliche Erdbewegung demonstriert zu haben, und zu ungeschickt sein Versuch, in den Inquisitionsverhören das Gegenteil zu behaupten.
Figuren des Übergangs, in dem Altes und Neues eng verknüpft ist.
So kommt es 1636 zur berühmten Verurteilung, mit der Galilei später als unglücklicher Held der neuen Wissenschaft dasteht, die hier noch einmal von Kirche und beschränkten Aristotelikern in ihrem Siegeslauf behindert wurde. Aber ganz so einfach lief die Sache natürlich nicht. Weder war Galilei einfach ein wissenschaftlicher Wahrheitszeuge, noch macht solche Hagiographie überhaupt Sinn - schon gar nicht mit Blick auf die Gemengelage der sich neu herausbildenden Explikations- und Begründungsansprüche am Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Galilei ist vielmehr eine faszinierende Übergangsfigur, in der sich Elemente der Tradition mit wegweisenden Neuerungen eng verbanden.
Thomas de Padova wählt in seinem Buch eine naheliegende Variante, diese Verschränkungen von Neuem und Altem vor Augen zu führen. Er hält Galileis Entwicklung gegen jene des anderen großen Kopernikaners Johannes Kepler, der als ebenso hervorstechende Figur der Transformationen gelten darf, die von der tradierten Astronomie und Naturphilosophie zur modernen Physik führten. Sein Doppelporträt von Kepler und Galilei verfolgt zwei wissenschaftliche Biographien, die durch die Überzeugung von der Wahrheit des kopernikanischen Systems verknüpft waren und sich doch in ganz unterschiedlichen Forschungs- und Darstellungsweisen manifestierten.
Bei diesem Vergleichsverfahren werden oft auf Seiten Keplers die vormodern anmutenden Elemente, dagegen bei Galilei die auf die moderne Mechanik vorausweisenden Konzepte verortet: Auf der einen Seite steht dann der theologisch imprägnierte deutsche Mathematiker und Metaphysicus, der dem Weltgeheimnis in zahlenhaften und geometrischen Verhältnissen nachspürt, tief in christlich überformten pythagoräisch-platonischen Traditionen verwurzelt, merkwürdigen Fernkräften und "okkulten" Ursachen zugeneigt. Auf der anderen Seite steht der nüchterne Florentiner als Wegbereiter induktiver experimenteller Methode, die letztlich mit allen metaphysischen Hintergrundspekulationen aufräumte.
Aber zu dieser Entgegensetzung lassen sich leicht Gegenrechnungen aufmachen, wie es de Padova, gestützt auf die einschlägige wissenschaftsgeschichtliche Literatur und mit gut gewählten Passagen aus den Texten seiner beiden Hauptfiguren, schön vorführt. Man kann dazu gleich beim "Dialog" von 1632 ansetzen, in dem eine der Figuren die kreisförmige Bewegung der Himmelskörper aus einfachen Überlegungen ableitet: Unmöglich können sie anders als kreisförmig sein, denn bewegte sich ein Körper von Natur aus geradlinig, wäre er niemals an seinem natürlichen Ort und mithin die Anordnung der Teile der Welt keine vollkommene. Diese vorbildlich aristotelische Begründung steuert aber nicht etwa der Traditionalist Simplicio bei, sondern einer der Proponenten von Galileis neuer Physik.
In erster Instanz zeigt das bloß Galileis Neigung zur rhetorisch brillanten Argumentation, die mit den Gegnern nicht nur gnadenlos umspringt, sondern bei Bedarf auch deren Grundsätze entwendet. Faszinierend zu verfolgen ist das bei Galilei immer, auch und gerade dann, wenn er in der Sache völlig falsch lag oder sich damit erst so recht in die Bredouille brachte, wie im Fall seiner theologisch ausholenden Verteidigung des Kopernikanismus vor der römischen Verwarnung. Aber dahinter taucht natürlich die Frage auf, die Wissenschaftshistoriker von früh an beschäftigte: Warum hielt Galilei so unbeirrbar an der Kreisform fest, die ihm die mathematisch-astronomische genauso wie naturphilosophische Tradition vorgab? Denn der Kreis behält bei ihm seinen angestammten Primat, und auch der Trägheitssatz seiner neuen Mechanik ist einer für die "natürliche" Kreisbewegung.
Und das, obwohl der kaiserliche Mathematiker Kepler bereits 1609, als die Fernrohrbeobachtungen Galilei gerade definitiv zum überzeugten und öffentlich auftretenden Kopernikaner machen, in seiner "Neuen Astronomie" die Ellipsenform der Planetenbahnen ins Spiel gebracht hatte, was auch nicht ohne Wirkung auf die Wissenschaftlergemeinde blieb. Ausgerechnet der so gern an platonisierenden Ordnungs- und Harmonievorstellungen entlang spekulierende Kepler hatte der tradierten Kreisform den Abschied gegeben - weil sich mit ihr die faszinierend genauen Planetenmessdaten Tycho Brahes, auf die er zurückgreifen konnte, nicht erfüllen ließen, wenn man das heliozentrische System als höchste Ordnungsinstanz zugrunde legte und verbissen genug Varianten durchrechnete.
Keplers "Kindereien" haben eine durchaus moderne Seite.
Aber diese Berechnungen ließ Galilei links liegen, so wie die Werke Keplers insgesamt, selbst wenn seine Korrespondenz zeigt, dass er Letztere sehr wohl kannte; und seine Antworten auf Keplers um Zusammenarbeit werbende Briefe sind eher hinhaltende Ausweichmanöver. Nicht einmal das erbetene Fernrohr bekam der immer öffentlich zu Galilei stehende Kepler. Aber kaum hatte er sich eins beschafft, schrieb er dafür jene optische Theorie teleskopischer Beobachtung, die Galilei sich ersparte, um stattdessen auf raffinierte Patronagepolitik zu setzen, die das Fernrohr als legitimes wissenschaftliches Instrument durchsetzen sollte. Als sich Galilei aber doch einmal im Druck zu Keplers Himmelsphysik äußert, durch einen seiner Sprecher im "Dialog", wir daraus eine Schelte: Wie konnte nur ein so scharfsinniger Mann auf Dinge verfallen wie die "Herrschaft des Mondes über das Wasser, die verborgenen Qualitäten und was an Kindereien mehr sind"?
Die "Kindereien", die Galilei da so entschieden ins Visier nahm, Keplers Spekulieren über die Kräfte zwischen den Planeten und insbesondere über eine antreibende Kraft der Sonne, sind freilich eine zweischneidige Angelegenheit. Auf der einen Seite gehören sie tatsächlich zu jenen Anteilen der alten Naturphilosophie, von denen sich die neue Physik verabschieden wird, zumindest offiziell. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, nehmen sie sich aber ausnehmend modern aus, als Vorboten der Newton'schen Gravitation.
Und hübsch ist natürlich die Ironie, dass Galilei in diesem Zusammenhang ausgerechnet die mit dem Mond operierende Gezeitentheorie Keplers abkanzelt, die durchaus eine richtige Verbindungslinie zog. Zumindest eine bessere als Galileis eigener Versuch, die Gezeiten direkt aus der Erdbewegung um die Sonne abzuleiten: Genau durch diesen realen Effekt sollte ja die Erdbewegung außer Zweifel gestellt werden - was Urban VIII. ganz richtig sah, sich den ursprünglich für den "Dialog" vorgesehenen Titel "Über Ebbe und Flut" verbat und auf diese Weise (noch) einen Beitrag zum Nachruhm Galileis leistete.
Kepler und Galilei sind als Figuren für sich genommen faszinierend genug. Sie am Leitfaden der Reaktionen aufeinander in einer Darstellung zusammenzuführen, erhöht noch den Reiz. Zumindest dann, wenn man diese Aufgabe so geschickt, mit guter Kenntnis des wissenschaftsgeschichtlichen Terrains, Sinn für lebendige Darstellung und doch ohne Effekthascherei vorzuführen weiß wie Thomas de Padova: ein geglücktes Beispiel populär geschriebener Wissenschaftsgeschichte.
Thomas de Padova: "Das Weltgeheimnis". Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels. Piper Verlag, München 2009. 352 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als ein "geglücktes Beispiel populär geschriebener Wissenschaftsgeschichte" lobt Helmut Mayer dieses Buch des Journalisten Thomas de Padova, das die Geschichten zweier Galionsfiguren der modernen Physik miteinander verknüpft, die schon für sich genommen faszinierend genug sind: Galileo Galilei und Johannes Kepler. Zupass kommt dem Rezensenten dabei sehr, dass Padova nicht die Hagiografie Galileis fortschreibt, sondern ihn als die schillernde "Übergangsfigur" deutlich werden lässt, für die ihn Mayer hält. Galilei war nämlich sehr fehlbar, weiß Mayer jetzt! Sehr reizvoll, sehr lebendig und mit Sinn für Ironie, versichert Mayer, führe Padova vor, wie schnöde Galilei Kepler abgekanzelt habe: Ausgerechnet mit aristotelischen Argumenten habe dieser sein Modell der kreisförmigen Planetenbahn gegen Keplers Ellipsen-Modell verteidigt und für Keplers Theorie, dass der Mond die Gezeiten bestimme, habe er nur Spott übrig gehabt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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