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Die Häuser der Gründerzeit (ca. 1840-1918) prägen das Wiener Stadtbild bis heute. Reich gegliederte Fassaden, mächtige Portale, bunt verflieste Eingangsfoyers und hohe Räume sind die Markenzeichen des Wiener Zinshauses. Das Spektrum reicht vom Nobelpalais über das bürgerliche Miethaus bis zum Massenzinshaus. Der neue Bautyp bringt standardisierte Wohnungen hervor, ermöglicht vielfältige Nutzungen und vereint Mieter_innen unterschiedlicher sozialer Schichten unter einem Dach. Das Buch erzählt die Kulturgeschichte des Wiener Zinshauses als komplexes Zusammenspiel von Architektur- und…mehr

Produktbeschreibung
Die Häuser der Gründerzeit (ca. 1840-1918) prägen das Wiener Stadtbild bis heute. Reich gegliederte Fassaden, mächtige Portale, bunt verflieste Eingangsfoyers und hohe Räume sind die Markenzeichen des Wiener Zinshauses. Das Spektrum reicht vom Nobelpalais über das bürgerliche Miethaus bis zum Massenzinshaus. Der neue Bautyp bringt standardisierte Wohnungen hervor, ermöglicht vielfältige Nutzungen und vereint Mieter_innen unterschiedlicher sozialer Schichten unter einem Dach. Das Buch erzählt die Kulturgeschichte des Wiener Zinshauses als komplexes Zusammenspiel von Architektur- und Sozialgeschichte, Stadtentwicklung und ökonomischen Faktoren. Historisches Bildmaterial und aktuelle Aufnahmen von Nora Schoeller illustrieren das Thema.
Autorenporträt
geboren 1980, studierte Publizistik, Kunstgeschichte und Russisch. Kuratorin, Foto und Medienhistorikerin. Mitgründerin von wesearch. Agentur für Geschichte und Kommunikation. Zahlreiche Beiträge zur österreichischen Fotografie und Kulturgeschichte. Im Residenz Verlag zusammen mit Andreas Nierhaus und Margarethe Szeless "Das Wiener Zinshaus" (2023). 
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Mönninger sieht dem Bildband der Kunsthistoriker Marion Krammer, Andreas Nierhaus und Margarethe Szeless die ein oder andere Ungenauigkeit zähneknirschend nach. Auch der Umstand, dass die Autoren ihr "Riesenthema" nur ausschnitthaft beleuchten können, scheint Mönninger verzeihlich. Davon abgesehen nämlich kreisen die Autoren den Wiener Bauboom ab Ende des 19. Jahrhunderts kunst-, architektur-, wirtschafts- und auch sozialhistorisch ein, erklärt der Rezensent anerkennend. Auch unbekannte Architekten werden vorgestellt, die Funktion der Eckgebäude wird erläutert und auch "Wohnungselend" wird beschrieben, so Mönninger.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2023

Prächtige Paläste für die Bürger

Auf Schmuckfassaden und Ecktürme ist unbedingt zu achten: Ein opulent aufgemachter Bildband stellt Wiener Wohngebäude aus der Belle Époque vor.

So etwas würde man heute als Renditeobjekt in Toplage bezeichnen: "Zinshaus in Neu-Lerchenfeld, 3-stöckig, 7 Fenster Front, Hof Brunnen, 2 Seitentrakte, 32 Wohnungen, Area 156 Quadrat-Klafter, Zins 6000 Gulden, Preis 58.000 Gulden". Wer auf diese Wiener Zeitungsannonce von 1880 schnell reagierte, konnte im Stadterweiterungsgebiet westlich des historischen Zentrums sein Glück machen. Allein das Grundstück mit umgerechnet 560 Quadratmetern war Gold wert, und der Faktor, mit dem die Jahresmiete von 6000 Gulden zu multiplizieren war, um den Verkaufspreis von 58.000 Gulden zu erreichen, lag gerade mal bei dem knapp Zehnfachen - während heutige Immobilientransfers meist erst bei der dreißigfachen Jahresmiete beginnen.

Die einzigartige Architekturblüte der Belle Époque in Wien prägte sich nicht nur in den Prachthäusern der Ringstraße aus, wo die Gründer, Spekulanten und Parvenus aus der Glanzzeit des Wirtschaftsliberalismus ihre steinerne Selbstdarstellung betrieben. Zugleich arbeiteten sie mit neuen Mietshäusern außerhalb des alten Stadtkerns an der Entstehung eines modernen Wohnungs- und Immobilienmarktes. In ihrem opulenten Bildband "Das Wiener Zinshaus" schildern die drei Wiener Kunsthistoriker Marion Krammer, Andreas Nierhaus und Margarethe Szeless diesen Bauboom nicht mehr nur aus einer rein kunst- und architekturhistorischen, sondern auch wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Perspektive.

Während an der fünf Kilometer langen Ringstraße, die von 1857 an auf den abgerissenen Wallanlagen entstand, bis 1914 insgesamt 690 Wohnpaläste errichtet wurden, zählen die Neubauten in den umliegenden Erweiterungsgebieten nach Tausenden. Ihre Bauherren und -frauen strebten nicht nur nach Repräsentation, sondern suchten ihre Zukunftssicherung mangels entwickelten Versicherungs- und Kapitalmarkts in Immobilienanlagen. Dieser Aufstieg privater Grundeigentümer begann, nachdem die Französische Revolution das bürgerliche Recht auf privates Grundeigentum durchgesetzt und die Umwälzungen von 1848 das Ende der Grundherrschaft besiegelt hatten.

Als Pioniere stellt das Buch nicht allein Architekturstars wie Ludwig Förster oder Otto Wagner vor, sondern auch unbekannte Wiener wie etwa Anton Ölzelt, der aus einfachen Verhältnissen zu einem österreichischen Bau-Tycoon aufstieg. Mit Gespür für zukunftsträchtige Standorte kaufte er kreditfinanziert von 1850 an zunächst außerhalb der alten Gemarkung neue Baugrundstücke, wartete auf die nachwachsende Stadt, legte die Häuser dann als "Gruppenbauten" mit durchgehenden Fassaden zu Ensembles zusammen und schuf damit das Modell für die Ringstraßenpaläste.

Nach diesem Vorbild errichtete wenige Jahre später der Bauunternehmer Heinrich Drasche, Eigentümer der Wienerberger Ziegelwerke, sein Glanzstück, den kolossalen Heinrichshof gegenüber der Staatsoper; dieser Entwurf von Theophil Hansen, dem Architekten des Wiener Parlaments, galt bis zu seinem Abriss 1954 als "das schönste Zinshaus der Welt". Kunstgriff bei allen Neubauten war die Übertragung des aristokratischen Palastschemas mit giebelbekrönten Mittelrisaliten, Ecktürmen und bauplastisch überladenen Schmuckfassaden auf den Wohnbau.

Der Bauboom beruhte auf klaren Anreizen. Es gab Steuerbefreiungen von bis zu dreißig Jahren, je schneller die Häuser bezugsfertig waren. Dazu eröffnete eine kaiserliche Verordnung Juden 1860 erstmals den vollen Zugang zum Immobiliengeschäft. Und alle Bauvorschriften wurden vereinfacht: Häuser konnten bis zu 25 Meter hoch werden ohne vorgeschriebene Etagenzahl - nur durften die Geschosse nicht niedriger als drei Meter sein. Schließlich schrumpften auch die Mauerstärken zwecks Materialersparnis um ein Drittel.

Daraus entstand der typische Aufriss eines Zinshauses: zwei Kellergeschosse für Ställe und Depots, Geschäfte im Erdgeschoss und darüber bis zu sieben Etagen Mietwohnungen. Auffällig ist in den vornehmeren Wohnpalästen die Vielzahl von Schwellenräumen für Gäste: Foyers und Vestibüle mit Sitzmöbeln für Übergangsriten, elegante Vorzimmer anstelle schlichter Korridore als Orte der inneren Sammlung. Und weil Wien aufgrund der Verkaufsgewölbe in den geöffneten Sockelzonen genügend Ladenflächen besaß, entstanden keine großen Warenhäuser wie in Paris oder Berlin. Stattdessen richteten die Wiener lieber Kaffeehäuser ein.

Überraschend macht das Buch auf die häufig übersehene Vielzahl an Eckgebäuden aufmerksam, weil jeder Bauherr seinen Nachbarn mit prahlerischem Fassadenschmuck zu übertrumpfen versuchte. Dagegen strahlen die geraden Straßenwände und durchlaufenden Fassaden in Paris oder Berlin fast militärisches Gleichmaß aus.

Die Autoren beschreiben auch Wohnungselend, Überbelegung, fehlende Sozialversorgung und Mietwucher. Das konnten die im Buch geschilderten karitativen Stiftungen vieler Zinshaus-Bauherren nur geringfügig mildern. Diese Missstände waren mit der Einführung des Mieter- und Kündigungsschutzes 1917 endgültig vorbei. Mit der Einführung der hohen Wohnbausteuer 1923 trat an die Stelle des unrentabel gewordenen privaten Zinshausbaus der steuerfinanzierte Gemeindewohnungsbau des "Roten Wien". Doch die Frage nach der Wohnzufriedenheit der Wiener in ihren mehrheitlich durchaus menschenwürdigen Mietshäusern zuvor lassen die Autoren mit ihrem Argwohn gegen privates Immobilienkapital leider offen.

Angesichts des Riesenthemas kann der vorliegende Bildband nur pointillistisch arbeiten. Aber manche Ungenauigkeiten wären vermeidbar gewesen. Passagenweise schwankt die Umrechnung des - damals eigentlich stabilen - österreichischen Guldens in den heutigen Euro um das Dreifache, bei Maßangaben von Baustoffen werden Millimeter und Zentimeter verwechselt, und die Verdoppelung der Häuser- und Einwohnerzahl nach 1880 rührte weder von Bevölkerungsexplosion noch Investoren-Bonanza her, sondern schlicht von der Eingemeindung neuer Stadtbezirke. Dass schließlich für die Zahl der 70.000 von den Nazis requirierten jüdischen Wohnungen nur eine Wikipedia-Quelle angegeben wird, ist ganz und gar nachlässig.

Moderne Architekten wie Otto Wagner und Adolf Loos schmähten um 1900 die Häuser der Ringstraßenzeit als Potemkin'sche Dörfer. Heute dagegen werden diese Schmuckstücke längst als die höchst leistungsfähige Stadtproduktion einer ganzen Generation anerkannt, die sich aus der Lehnsherrschaft befreit und auf Selbstbehauptung gebaut hat. Ihrem Vermächtnis kommt der Zinspalast-Band ein gutes Stück näher. MICHAEL MÖNNINGER

Marion Krammer, Andreas Nierhaus und Margarethe Szeless: "Das Wiener Zinshaus". Bauen für die Metropole.

Mit Fotografien von Nora Schoeller. Residenz Verlag, Wien 2023. 250 S., Abb., geb., 39,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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